Deutscher Bundestag Drucksache 18/1347 18. Wahlperiode 07.05.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/1103 – Position der Bundesregierung zu den Schäden in den grenznahen Atomkraftwerken Tihange und Doel Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das belgische Atomkraftwerk (AKW) Tihange liegt nicht einmal 60 Kilometer von der deutsch-belgischen Grenze entfernt. Aus diesem Grund besteht besonders im Rheinland, insbesondere in der Region Aachen-Düren, ein starkes öffentliches Interesse an dieser Anlage. Die Reaktorkatastrophen in den Atomkraftwerken Tschernobyl und Fukushima haben gezeigt, dass die Atomkraft keine sichere Technologie ist – sicher ist nur das Risiko. Das AKW Tihange ist der Eifelregion und dem Rheinland näher als alle deutschen Atomkraftwerke. Ein Unfall beträfe die Menschen in dieser Region mit als Erste. Wie u. a. Untersuchungen der Universität für Bodenkultur Wien ergeben haben, kann ein Super-GAU dazu führen, dass viele Gemeinden in Deutschland und der Euregio Maas-Rhein für Jahrzehnte unbewohnbar werden. Die Stadt Aachen, als Oberzentrum mit 250 000 Einwohnern, wäre auf Dauer unbewohnbar . Die Stadt Fukushima ist wie die Stadt Aachen nur 60 km vom Reaktor entfernt und war nach dem Super-GAU wochenlang mit einer Strahlung belastet , die den in Deutschland für den AKW-Betrieb zulässigen Strahlungsjahreshöchstwert für Einzelpersonen der Bevölkerung von 1 Millisievert um ein Vielfaches überschritten hat (vgl. Online-Information „Die radiologische Situation in Japan“ des Bundesamtes für Strahlenschutz). Im Sommer 2012 wurden in den Reaktordruckbehältern der beiden belgischen Atomkraftwerke Doel 3 und Tihange 2 Defekte in einer bis dahin unbekannt hohen Anzahl gefunden. Der Betrieb der beiden Reaktoren wurde daraufhin vorübergehend gestoppt. Die Defekte besitzen eine durchschnittliche Größe von 1 cm und eine maximale Größe von 2,4 cm. Im Reaktordruckbehälter von Doel 3 wurden über 8 000 und in dem von Tihange 2 mehr als 2 000 Defekte Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 5. Mai 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. identifiziert. Die belgische Atomaufsicht FANC forderte eine Untersuchung durch den Betreiber. Diese Untersuchung wurde von der FANC und einer Internationalen Expertenkommission (IERB) bewertet und endet mit dem Abschlussbericht der FANC. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ging dem Problem in der letzten Wahlperiode bereits mit zwei Kleinen Anfragen Drucksache 18/1347 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode nach. Die betreffenden Antworten der Bundesregierung befinden sich auf den Bundestagsdrucksachen 17/11348 und 17/12975. Die FANC genehmigte im Mai 2013 die Wiederaufnahme des Betriebes der beiden Reaktoren („Sind sie sicher? War der Test unabhängig?“ in der Aachener Zeitung vom 1. Juni 2013 sowie Pressemitteilung der FANC vom 17. Mai 2013), doch schon am 25. März 2014 musste der Reaktor wieder wegen Sicherheitsmängeln vom Netz genommen werden. Die Reaktoren sollen trotz der sich häufenden Fehler am 15. Juni 2014 wieder ans Netz gehen („Atomreaktorblöcke : Tihange und Doel erneut abgeschaltet“ in der Aachener Zeitung vom 26. März 2013). Der Reaktordruckbehälter (RDB) ist das zentrale Bauteil eines Reaktors. Direkt in ihm befinden sich die Brennstäbe und dort erfolgt die Kernspaltung. Der Reaktordruckbehälter ist großen Belastungen ausgesetzt. Im Betrieb ist der RDB im Inneren einer Temperatur von rund 300 °C und einem Druck von rund 160 bar ausgesetzt. Das Starten und Abfahren aber auch die Reaktorschnellabschaltungen stellen eine besondere Belastung für den Reaktordruckbehälter dar. Insbesondere durch Neutronenbeschuss, Temperatur und Druckunterschiede altert das Material des Druckbehälters und kann verspröden. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller waren zum Zeitpunkt der FANC-Wiederanfahrgenehmigung vom Mai 2013 unter anderem die in dem von der Fraktion im Europäischen Parlament Grüne/EFA in Auftrag gegebenen und im März 2013 vorgelegten Gutachten „Flawed Reactor Pressure Vessels in Belgian Nuclear Plants Doel-3 and Tihange-2“ von Ilse Tweer aufgeworfenen Sicherheitsfragen nicht ausreichend beantwortet. In dieser Auffassung und der sich daraus ergebenden Kritik an der Wiederanfahrgenehmigung sehen sich die Fragesteller bestärkt durch entsprechende Aussagen des ehemaligen Unterabteilungsleiters für Reaktorsicherheit im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), Dieter Majer (siehe beispielsweise die Artikel „Viele Risse, fehlende Unterlagen, kein Test“ in der Aachener Zeitung vom 16. Februar 2014 und „Schrottmeiler vor der Haustür“ in der taz.die tageszeitung vom 18. April 2013). Ein ernstes Problem ist aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller auch der Umgang mit den Erkenntnissen zu den Rissbefunden. Lediglich ausgewählte Informationen wurden von der belgischen Atomaufsicht veröffentlicht, zudem nicht in deutscher Sprache. Der Bundesregierung liegen deutlich umfassendere Informationen zu den belgischen RDB-Befunden vor, die sie in der letzten Wahlperiode allerdings nicht veröffentlichen wollte (vergleiche hierzu Bundestagsdrucksache 17/12975, Antwort zu Frage 9). Die Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission (RSK), mit der die Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/12975, Antwort zu Frage 9, meinte, die deutsche Öffentlichkeit ausreichend informiert zu haben, stellt aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller aus mehreren Gründen keine ausreichende Information zur Sicherheit der belgischen RDB mit den Befunden dar. Erstens ist sie nicht allgemeinverständlich . Zweitens behandelt sie das Problem vor allem aus der Perspektive eines möglichen Bezugs zu deutschen Atomkraftwerken und enthält keine Aussage dazu, ob die belgischen RDB nach deutschen Maßstäben sicher genug für einen Weiterbetrieb sind oder nicht. Drittens können auch Sachverständige sich damit ohne Kenntnis der der Stellungnahme zugrunde liegenden Beratungsunterlagen nur ein ansatzweises Bild vom Sachverhalt machen. Den Fragestellerinnen und Fragestellern ist bewusst, dass dem BMUB nicht die Aufsicht über die belgischen Atomkraftwerke obliegt. Dies kann aber zugleich keine pauschale Entschuldigung dafür sein, die deutsche Öffentlichkeit nicht auf der Basis der umfassenden Erkenntnisse, die dem BMUB zu den belgischen Befunden vorliegen, über das damit verbundene Risiko oder ggf. auch einer aus Sicht des BMUB damit verbundenen Unbedenklichkeit verständlich und umfassend zu informieren. Diese konkrete Problematik wird dadurch verschärft, dass es zwischen Deutschland und Belgien kein bilaterales Abkommen zur Kooperation auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit gibt (vergleiche hierzu Bundestagsdrucksache 17/11760, Antwort zu Frage 1). Dies ist allgemein unverständlich und nicht im Interesse Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1347 der Risikovorsorge. Die auf vorgenannte Bundestagsdrucksache gegebene Begründung , dass derartige Abkommen sich nur auf Atomkraftwerke bezögen, die ganz nah an der Grenze liegen, ist weder fachlich-logisch tragfähig noch faktisch widerspruchsfrei. Dass die Auswirkungen von Atomunfällen eine Reichweite von mehreren hundert Kilometern haben können, ist spätestens seit der Atomkatastrophe von Tschernobyl, die rund 40 Prozent der Fläche von Europa radioaktiv kontaminierte, unbestritten. Insofern gibt die auf Bundestagsdrucksache 17/11760 zu Frage 1 für das Fehlen eines bilateralen Nuklearsicherheitsabkommens mit Belgien gegebene Erklärung den Geist der 70er-Jahre und ersten Hälfte der 80er-Jahre wieder, als man die Eintrittswahrscheinlichkeit und potenziellen Auswirkungen von Atomunfällen noch systematisch unterschätzte. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller sind die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission (SSK) zum nuklearen Katastrophenschutz vom Februar 2014 ein neuer Anlass, dass zwischen Deutschland und Belgien endlich ein solches der Erhöhung der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes (ausschließlich ausstiegskonform) dienendes Abkommen abgeschlossen werden sollte. Die SSK hat eine deutliche Ausweitung der nuklearen Katastrophenschutzzonen in Deutschland sowie eine Vorhaltung von Jodtabletten für Kinder, Jugendliche und Schwangere im gesamten Bundesgebiet empfohlen („Planungsgebiete für den Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken“ auf www.ssk.de). Indirekt beweisen die SSK-Empfehlungen somit auch, dass sich Deutschland darauf einstellen muss, von einem Atomunfall in Belgien betroffen zu sein. Ein bilaterales Abkommen ist ein notwendiger erster Schritt zur Verbesserung der Risikovorsorge. Wirklicher Nutzen entsteht damit aber auch nur dann, wenn das Abkommen in der Praxis auch für eine konsequent sicherheitsorientierte Zusammenarbeit engagiert genutzt wird, was in der Vergangenheit oft nicht der Fall war (siehe hierzu beispielsweise den Antrag „Atomrisiken ernst nehmen – Auch in Bezug auf die nahe liegenden Atomkraftwerke in Belgien“ der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 17/13491). 1. Plant die Bundesregierung mit der belgischen Regierung ein bilaterales Abkommen zur Zusammenarbeit in Fragen der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes auszuhandeln? a) Falls ja, wann? b) Falls nein, warum nicht? Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien besteht ein Abkommen vom 6. November 1980 über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen. Darüber hinaus beabsichtigt die Bundesregierung kein bilaterales Abkommen mit dem Königreich Belgien zur Zusammenarbeit in Fragen der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes auszuhandeln. Die in diesem Bereich mit anderen Nachbarstaaten bestehenden Abkommen und darauf beruhenden bilateralen Kommissionen finden ihren Ursprung in den 70er- bzw. 80er-Jahren. Seitdem haben sich die Rahmenbedingungen für die bilaterale Zusammenarbeit im Bereich der nuklearen Sicherheit, des Strahlenschutzes und des nuklearen Abfallmanagements in einem dynamischen Prozess fortentwickelt. Dass diese Dynamik bis heute anhält, zeigt etwa die derzeit laufende Überarbeitung der Euratom-Richtlinie über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen unter Berücksichtigung der in Europa gemeinsam durchgeführten Stresstestergebnisse oder die jüngst überarbeitete Euratom-Richtlinie zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung. Darüber hinaus wurden in den vergangenen Jahren etwa im Bereich der nuklearen Sicherheit oder des Strahlenschutzes thematische Arbeitsgruppen zur verstärkten europäischen und interna- tionalen Zusammenarbeit etabliert, denen auch Belgien angehört. Hierzu zählen Drucksache 18/1347 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode etwa die ENSREG (European Nuclear Safety Regulators Group), die HERCA (Heads of the European Radiological Protection Competent Authorities), die WENRA (Western European Nuclear Regulators Association) sowie die Gremien der IAEO (International Atomic Energy Agency) und der OECD/NEA (Organization for Economic Cooperation and Development/Nuclear Energy Agency). Im Bereich des Katastrophen- und Notfallschutzes wird derzeit unter Federführung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen geklärt, wie die von NordrheinWestfalen unter Beteiligung von Rheinland-Pfalz angestrebte Zusammenarbeit mit den zuständigen belgischen Behörden auf diesem Gebiet regional verbessert werden kann. Die zuständigen Bundesressorts sind an diesem Prozess unterstützend beteiligt. 2. Welche Kriterien (wie z. B. der Abstand zur Grenze, Wetterlagen und Hauptwindrichtung, Alter der Reaktoren oder Fehleranfälligkeit der Kraftwerke ) werden von der Bundesregierung genau für ein Zustandekommen eines bilateralen Abkommens als Entscheidungsgrundlage genommen? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller , dass die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission für den nuklearen Katastrophenschutz zur deutlichen Ausweitung der Planungszonen und bundesweiten Vorhaltung von Jodtabletten für bestimmte Bevölkerungsgruppen ein neuer und gewichtiger Anlass sind, dass mit Belgien ein bilaterales Abkommen zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes abgeschlossen werden sollte? Die Bundesregierung sieht in den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission , die Katastrophenschutzzonen für schwere Kernkraftwerksunfälle auszuweiten und Jodtabletten für Kinder, Jugendliche und Schwangere vorzuhalten, keinen zusätzlichen Anlass für den Abschluss eines bilateralen Abkommens zur Zusammenarbeit mit Belgien auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes. 4. Welche anderen Wege nutzt die Bundesregierung, die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland vor Unfällen belgischer AKWs konkret zu schützen (gefragt wird damit nach Konkretem, also konkreten Verbesserungen , die die Bundesregierung in Bezug auf belgische AKWs auf diesen Wegen gemeinsam mit der belgischen Atomaufsichtsbehörde FANC erreicht hat; es wird gebeten, von einer allgemein formulierten Beschreibung „vielfältiger Formen der Zusammenarbeit“ in multilateralen Gremien auf ENSREG-, IAEO- oder WENRA-Ebene, wie auf Bundestagsdrucksache 17/11760, Antwort zu Frage 3 angegeben, abzusehen)? In dem konkreten Fall der Anzeigen in den Reaktordruckbehälter (RDB) von Doel-3 und Tihange-2 hat die Bundesregierung Experten in die internationalen Arbeitsgruppen entsandt, um die sicherheitstechnischen Fragestellungen mit den Vertretern der belgischen Behörde zu diskutieren. Auf die Entscheidungen der belgischen Behörde hatten diese jedoch keinen direkten Einfluss. 5. Welche Möglichkeiten auf welchen Rechtsgrundlagen hätte die Bundesregierung , die vorübergehende Außerbetriebnahme eines grenznahen aus- ländischen Atomkraftwerks oder entsprechende Prüfungen zu fordern, für den Fall, dass sie oder von ihr beauftragte Sachverständige, wie die RSK Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1347 oder die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH, konkrete gravierende Bedenken gegen den Weiterbetrieb hätten, insbesondere welche über eine nicht von der Freiwilligkeit belgischer Behörden abhängigen Möglichkeiten? Für die Bundesregierung sind keine Rechtsgrundlagen ersichtlich, die eine vorübergehende Außerbetriebnahme eines grenznahen ausländischen Kernkraftwerkes oder die Forderung diesbezüglicher Prüfungen ermöglichen würden. 6. Welche analogen Möglichkeiten hätte umgekehrt Belgien bei Bedenken hinsichtlich der Sicherheit deutscher Anlagen? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass sich für den genannten Einzelfall eine andere Sachlage ergeben könnte. Eine diesbezügliche Bewertung müsste letztendlich Belgien vornehmen. 7. Sind aus Sicht der Bundesregierung die in den Fragen 5 und 6 thematisierten Möglichkeiten zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten (insbesondere Belgien) bereits zufriedenstellend (bitte mit Begründung)? Falls nein, wird sie sich auf internationaler Ebene für entsprechende Verbesserungen einsetzen (bitte mit Begründung)? Welche Fachinformationen, von wem, und von wann hat die Bundesregierung zu den Schäden bzw. Befunden der Reaktordruckbehälter von Tihange und Doel seit dem Stand auf Bundestagsdrucksache 17/12975 noch erhalten , insbesondere durch die bzw. im Zusammenhang mit der Internationalen Expertenkommission IERB (bitte mit ähnlich konkreter Darlegung unveröffentlichter schriftlicher Informationen wie auf Bundestagsdrucksache 17/12975, Antwort zu den Fragen 1 und 2)? Die Bundesregierung sieht weder abstrakt noch in konkreten Fällen ausreichende Rechtsgrundlagen, um mit den in den beiden vorangegangenen Fragen thematisierten Begehren international Gehör zu finden. Im Sinne der Fragestellung liegen der Bundesregierung folgende Unterlagen (Fach-Informationen) vor: ● Befunde in den RDB der belgischen Kernkraftwerke Doel-3 und Ti- hange-2; Hier: Auswertung des „Final Evaluation Report“ der belgischen Behörde FANC vom Mai 2013, GRS Köln, Entwurf vom 24. Mai 2013; ● „Ultraschallanzeigen im Reaktordruckbehälter der belgischen KKW Doel-3 und Tihange-2“ und „Anmerkungen der GRS zum Integritätsnachweis der Reaktordruckbehälter Doel-3 und Tihange-2“, Vorträge der GRS auf der 129. Sitzung des Ausschusses der Reaktorsicherheitskommission „Druckführende Komponenten und Werkstoffe“ am 28./29. Mai 2013; ● Detection of quasi-laminar hydrogen flaking indications in the reactor pressure vessel forgings, International Reporting System for Operating Experience (IRS), Report no. 8244, Generic Main, 26. August 2013; ● E-Mail vom 28. August 2013 an Behörden und Teilnehmer des Treffens: „Hand-outs expert meeting flaw indications Doel 3 – Tihange 2 RPV 26/08/ 2013“; ● NRC Information Notice 2013-19: Quasi-laminar indications in reactor pressure vessel forgings vom 23. September 2013 (verfügbar unter www.nrc.gov/ reading-rm/doc-collections/gen-comm/info-notices/); Drucksache 18/1347 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode ● Dienstreisebericht der GRS vom 18. Oktober 2013: „Expert Meeting RPV Flaw Indications Doel 3 – Tihange 2“; ● Defects in the Reactor Pressure Vessels of Doel 3 and Tihange 2, Report aktionsbündnis gegen Atomenergie Aachen, The Greens – European Free Alliance in the European Parliament, March 2014. Weiter liegen der Bundesregierung Veröffentlichungen der belgischen Behörde FANC auf ihrer Webseite www.fanc.fgov.be in englischer Sprache vor: ● Safety Case Report – Addendum: Tihange 2 Reactor Pressure Vessel Assess- ment, Electrabel, 15. April 2013; ● Safety Case Report – Addendum: Doel 3 Reactor Pressure Vessel Assess- ment, Electrabel, 26. April 2013; ● Report on independent analysis and advice regarding the safety case adden- dum, Tihange 2 Reactor Pressure Vessel Assessment, Electrabel, 29. April 2013; ● Report on independent analysis and advice regarding the safety case addendum , Doel 3 Reactor Pressure Vessel Assessment, Electrabel, 29. April 2013; ● Report of the National Scientific Expert Group on the RPV Tihange 2, 29. April 2013; ● Report of the National Scientific Expert Group on the RPV Doel 3, v2 – 7. Mai 2013; ● Doel 3 – Tihange 2 Reactor Vessel Assessment, Final Evaluation Report, FANC, 14. Mai 2013; ● Flaw indications in the RPVs of Doel 3 and Tihange 2, Safety Evaluation Report, Bel V, 15. Mai 2013, ● Tihange 2 – ISI 2012 – Justification of the Reactor Pressure Vessel (RPV) shell, AIB Vincotte, 16. Mai 2013; ● Doel 3 – ISI 2012 – Justification of the Reactor Pressure Vessel (RPV) shell, AIB Vincotte, 16. Mai 2013; ● Pressemitteilung von FANC, 17. Mai 2013: „FANC experts give positive opinion on restart Doel 3 & Tihange 2 reactor units“; ● Pressemitteilung von FANC am 26. März 2014: „Doel 3 and Tihange 2 reactors in outage earlier than planned“; ● E-Mail vom 27. März 2014 an Behörden und Teilnehmer an den internationalen Arbeitsgruppen: Additional information on Doel 3 and Tihange 2 issue. 8. Bezüglich welcher der in der Frage 7 abgefragten und auf Bundestagsdrucksache 17/12975 aufgelisteten schriftlichen Informationen hat die Bundesregierung die belgische Atomaufsicht gefragt, ob sie einer Veröffentlichung durch das BMUB zustimmen würde? Bezüglich welcher dieser Unterlagen ist das BMUB bereit, um eine entsprechende Veröffentlichungszustimmung zu ersuchen? Die Bundesregierung hat bezüglich der in der Bundestagsdrucksache 17/12975 aufgelisteten schriftlichen Informationen keine Fragen an die belgische Atomaufsicht gerichtet. Ob sie dies ggf. noch tun wird, hängt von den weiteren Entwicklungen und Ergebnissen der Untersuchungen sowie den Schlussfolgerungen der belgischen Atomaufsicht ab und kann nicht prognostiziert werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1347 9. Entspricht aus Sicht der Bundesregierung das Vorgehen der belgischen Atomaufsicht FANC, die Empfehlungen (wie z. B. eine höhere Sprödbruchsübergangstemperatur ) der einberufenen Internationalen Expertengruppe (IERB) nicht anzuwenden, der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlichen Schadensvorsorge (www.fanc.be „Doel 3 – Tihange 2 RPV issue, International Expert Review Board, Final Report“ sowie „Doel 3 and Tihange 2 reactor pressure vessels, Final Evaluation Report“)? a) Wenn ja, warum? b) Wenn nein, warum nicht? Welchen Empfehlungen der Expertengruppe Belgien folgt, ist von der zuständigen belgischen Aufsichtsbehörde FANC zu entscheiden. Der Bundesregierung liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Entscheidung unter Außerachtlassung der internationalen Grundsätze nuklearer Sicherheit getroffen worden wäre. 10. Welche der IERB-Empfehlungen wären bei entsprechenden Befunden in deutschen Reaktoren aufgrund des deutschen Regelwerks umzusetzen, und jeweils aufgrund welcher Regelung (Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke, KTA-Regel etc.)? Nationale und internationale kerntechnische Regelwerke sehen den Umgang mit derartigen Befunden nicht vor. 11. Wie lauteten die Fragen, die der belgischen Seite oder Expertengruppe IERB vom Fachausschuss Druckführende Werkstoffe und Komponenten (DKW) der RSK zu den belgischen RDB-Befunden gestellt wurden, im Wortlaut? Die Fragen des RSK-Fachausschusses DKW wurden in einem Brief des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau & Reaktorsicherheit (BMUB) in englischer Sprache an die belgische Behörde geschickt. Eine Zusammenstellung der Fragen des Ausschusses in Deutsch ist als Anlage beigefügt. 12. Welche dieser Fragen wurden aus Sicht der RSK bzw. ihres DKW-Ausschusses nicht befriedigend beantwortet? Zur Beantwortung der von verschiedenen Seiten an die belgische Behörde gerichteten Fragen fand am 26. August 2013 ein Workshop statt. Auf der 131. Sitzung des RSK-Ausschusses DKW wurde von den Teilnehmern des Workshops berichtet. Eine Bewertung der im Rahmen des Workshops gegebenen Antworten der FANC wurde vom Ausschuss nicht vorgenommen. 13. Wäre Material, wie das von Electrabel vorgelegte, im Jahr 2012 völlig unabhängig vom Reaktor hergestellte Stück Dampferzeuger, in Deutschland als repräsentative Probe für die aktuellen Materialeigenschaften des Reaktordruckbehälters , der seit Jahrzehnten Neutronenbeschuss, Temperatur und Druck ausgesetzt war, geeignet (bitte begründen; vgl. FANC-Abschlussbericht vom 17. Mai 2013)? Die Repräsentativität des verworfenen Schmiedeteils VB 395 (d. h. des Stücks Dampferzeuger) bezieht sich auf den Einfluss der Wasserstoff-Flocken und der Seigerungszonen auf die Ultraschallsignale sowie auf die mechanischen Eigen- Drucksache 18/1347 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode schaften im Vergleich zum befundfreien Werkstoff. Eine vollständige Repräsentativität für den RDB-Werkstoff wird nach Kenntnis der Bundesregierung von der belgischen Aufsichtsbehörde FANC nicht angenommen. 14. Ist der Bundesregierung bekannt, wie sich die Kernschadenswahrscheinlichkeit (Core Damage Frequency, CDF) durch die Fehlstellen im Reaktordruckbehälter von Tihange 2 verändert hat? a) Wenn ja, auf welchen Wert? b) Wenn nein, aus welchem Grund fragt die Bundesregierung einen Wert, der eine qualifizierte Bewertung der veränderten Gefährdungslage bieten würde, nicht an? Ein Wert für die Kernschadenswahrscheinlichkeit der Anlage Tihange-2 ist der Bundesregierung nicht bekannt. Die Wahrscheinlichkeit der Risserweiterung im RDB von Tihange-2, die in den meisten Fällen noch nicht zum Versagen des RDB führt, wird vom Betreiber Electrabel in seinem „Safety Case Report“ vom 5. Dezember 2012 mit 1,4 × 10-8 pro Jahr angegeben und liegt damit weit unter dem international als akzeptabel angesehenen Wert von 10-6 pro Jahr für die Kernschadenswahrscheinlichkeit. Diese probabilistische Analyse wurde von FANC nur als ergänzende Information bewertet, die nicht in die Sicherheitsbewertung einging. 15. Welche nach Angaben des Betreibers Electrabel „unerwarteten Ergebnissen bei den Sicherheitstests“ im Kraftwerk Tihange („Atomreaktorblöcke: Tihange und Doel erneut abgeschaltet“ in der Aachener Zeitung vom 26. März 2014) führten nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu einer Abschaltung der Reaktoren am 26. März 2014? Um den Einfluss der Wasserstoff-Flocken und der Seigerungszonen auf das Verhalten des Werkstoffs nach Bestrahlung zu untersuchen, wurden Proben aus dem verworfenen Schmiedeteil VB 395 im Forschungsreaktor des belgischen Forschungszentrums Mol bestrahlt und untersucht. Nach Informationen von FANC vom 27. März 2014 deuten einige Ergebnisse darauf hin, dass der Einfluss der Wasserstoff-Flocken und der Seigerungszonen auf die Verschiebung der Sprödbruch -Übergangstemperatur größer sein könnte, als die im „Safety Case Report“ des Betreibers angenommenen 50K. Andere Ergebnisse lägen jedoch im erwarteten Bereich. Genauere Informationen von diesen Ergebnissen liegen der Bundesregierung nicht vor. Die geplanten Revisionen von Doel-3 (ursprünglich 26. April 2014) und Tihange -2 (ursprünglich 31. Mai 2014) finden laut vorliegenden Informationen der FANC vom 26. März 2014 nun früher statt, d. h. beide Anlagen wurden bereits zur Revision abgeschaltet. 16. Ist nach den Erkenntnissen der Bundesregierung nach den erneuten Problemen von Tihange 2 eine erneute Aufnahme des Betriebs zum 15. Juni 2014 ohne Sicherheitsrisiko möglich (bitte begründen)? Es handelt sich hier nach Kenntnis der Bundesregierung nicht um erneute Probleme , sondern um Testergebnisse an Proben nach Bestrahlung (siehe Antwort zu Frage 15). Ob und ggf. wann eine Wiederaufnahme des Reaktorbetriebs möglich ist, kann von der Bundesregierung nicht beantwortet werden (siehe dazu auch Antworten zu den Fragen 5 und 17). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/1347 17. Teilt die Bundesregierung die Analyse der FANC, nach der ein gefahrloser Weiterbetrieb des AKW Tihange bis zum Jahr 2023 gegeben ist (vgl. FANC-Abschlussbericht vom 17. Mai 2013), oder wird sie die FANC diesbezüglich noch kooperativ um die Klärung welcher technischer Fragestellungen ersuchen (bitte begründen)? Für die nukleare Sicherheit gibt es innerhalb der Europäischen Union einen gemeinsamen Rechtsrahmen, der die Verantwortung für die Sicherheit von kerntechnischen Anlagen vollständig bei den einzelnen Mitgliedstaaten belässt. Die Bundesregierung wird die weiteren Entwicklungen aktiv verfolgen und sich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit mit der vorhandenen technischen Expertise einbringen. 18. Ergibt sich nach Kenntnis der Bundesregierung aus der konkreten Genehmigung des AKW Tihange 1 und/oder welchen weiteren konkreten Rechtsgrundlagen für eine Laufzeitverlängerung von Tihange 1 eine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung oder nicht? Ob im konkreten Fall eine rechtliche Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) besteht, hängt jeweils von der nationalen Rechtslage in den einzelnen Staaten (hier Belgien), gegebenenfalls auch von der Ausgestaltung der jeweiligen Betriebsgenehmigung ab. Nur soweit nach nationalem Recht die Verpflichtung zur Durchführung einer UVP besteht, kann auch die Verpflichtung zur Durchführung einer grenzüberschreitenden UVP nach der Espoo-Konvention bzw. der Richtlinie 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten bestehen. Die jeweilige Prüfung obliegt den verantwortlichen belgischen Behörden. Soweit für geplante Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk Tihange -1 eine UVP durchzuführen sein sollte, würde diese eine Beteiligung der Öffentlichkeit umfassen. Bei einer grenzüberschreitenden UVP müsste sich die Öffentlichkeitsbeteiligung auf diejenigen Staaten erstrecken, die von Umweltauswirkungen der geplanten Aktivität betroffen sein können. 19. Ist die Bundesregierung bereit, der vorgenannten Frage durch Anfrage bei der zuständigen belgischen Behörde nachzugehen, falls sie hierzu bislang noch über keine Erkenntnisse verfügt (bitte mit Begründung)? Die Bundesregierung hat keine Kenntnisse über die Einleitung konkreter Zulassungs - oder Planungsverfahren für Kernkraftwerksvorhaben in Belgien, die einer Notifikation nach den einschlägigen Konventionen und Richtlinien bedürfen . Für den Fall des Bekanntwerdens eines notifikationspflichtigen Ereignisses würde sich die Entscheidung über eine Beteiligung Deutschlands nach den Umständen des Einzelfalls richten. Ergänzend wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/677 verwiesen. Drucksache 18/1347 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Anlage Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333