Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 4. September 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/13514 18. Wahlperiode 06.09.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/13357 – Entführungen durch Geheimdienste V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 23. Juli 2017 soll der vietnamesische Geschäftsmann und Politiker Trịnh Xuân Thanh nach übereinstimmenden Medienberichten durch den vietnamesischen Geheimdienst im Berliner Tiergarten entführt und nach Vietnam gebracht worden sein. Dem aus der Kommunistischen Partei Vietnams ausgeschlossenen Trịnh Xuân Thanh, dem auch sein Abgeordnetensitz aberkannt wurde, wird in Vietnam zur Last gelegt, als Chef einer Tochterfirma des staatlichen Großbetriebes Petro-Vietnam für den Verlust von umgerechnet 125 Mio. Euro verantwortlich zu sein. Trịnh Xuân Thanh, nach dem rund ein Jahr lang international gefahndet wurde, tauchte am 31. Juli 2017 in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi auf, wo er sich nach Angaben der vietnamesischen Polizei selbst den Behörden gestellt habe. Er befindet sich nun in Haft. Der Fall sorgt seitdem für mediale Aufmerksamkeit, Diskussionen bei den in Deutschland lebenden Menschen vietnamesischer Herkunft (siehe auch „Muss ich jetzt um mein Leben fürchten?“ in „neues deutschland“ vom 8. August 2017) sowie erheblichen diplomatischen Verstimmungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Vietnam. Nach übereinstimmenden Berichten besteht aus Sicht der Bundesregierung keinerlei Zweifel daran, dass es sich um eine Entführung handelt (vgl. u. a. www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienstskandalpolitthriller -in-berlin-1.3613750). Nach Angaben von Trịnh Xuân Thanhs Berliner Rechtsanwältin gebe es Hinweise , wonach ihr Mandant mit einem „Krankentransport“ in ein osteuropäisches Land verfrachtet und von dort mit einer vietnamesischen Maschine ausgeflogen sein könnte. Eine mit Trịnh Xuân Thanh gemeinsam am Berliner Tiergarten in ein Auto gezerrte Vietnamesin sei ebenfalls nach Vietnam verschleppt und mit einer Armverletzung in ein Krankenhaus in Hanoi gebracht worden. Der Bundesminister des Auswärtigen Siegmar Gabriel bezeichnete das „Verhalten der vietnamesischen Geheimdienste auf deutschem Boden [als] vollkommen inakzeptabel“ (www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.sigmar-gabriel-zukonflikt -mit-vietnam-so-etwas-tolerieren-wir-in-keinem-fall.df6587eb-c40a- 4d07-b539-59cdc83cd02d.html). Der Resident des vietnamesischen Geheimdienstes wurde zur „Persona non grata“ erklärt und sollte innerhalb weniger Stunden Deutschland verlassen. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13514 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die Fraktion DIE LINKE. fragt nach Hintergründen zu dieser Entführung und nach weiteren (versuchten) Entführungen in der deutschen Geschichte seit 1949. Während das Auswärtige Amt anlässlich der mutmaßlichen Verschleppung Trịnh Xuân Thanhs über Twitter am 2. August 2017 von einem „präzedenzlosen “ Akt sprach, wurden etwa im Jahr 1987 vier Mitglieder der linksradikalen türkischen Organisation Dev Sol aus Stuttgart durch den türkischen Geheimdienst in die Türkei verschleppt (www.handelsblatt.com/politik/international/ tuerkischer-geheimdienst-mit-jahrelanger-deal-des-westens-mit-der-tuerkei/ 12914932-2.html). V o r b e me r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Beantwortung der Fragen 5 und 8 ist der Bundesregierung aus Gründen des Staatswohls bzw. aus Geheimhaltungsgründen in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil nicht bzw. in Gänze nicht möglich. Zwar ist der parlamentarische Informationsanspruch grundsätzlich auf die Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit angelegt. Die Einstufung der Antwort auf Frage 5 ist aber im vorliegenden Fall aus nachfolgenden Gründen erforderlich und geeignet, das Informationsinteresse des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Bundesregierung zu befriedigen. Zum einen kann die Antwort auf die Frage 5 zur Wahrung des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen nicht offen erfolgen. Zum anderen geben nach Artikel 30 der Richtlinie 2013/32/EU die EU-Mitgliedstaaten keine Informationen über einzelne Anträge auf internationalen Schutz oder über die Tatsache , dass ein solcher Antrag gestellt wurde, an die Stellen weiter, die den Antragsteller seinen Angaben zufolge verfolgt oder ihm einen ernsthaften Schaden zugefügt haben. Auch wenn sich der Betroffene mittlerweile wieder in Vietnam befindet , könnten die öffentlich gemachten Informationen zum Asylverfahren von dortigen staatlichen Stellen gegen ihn verwendet werden. Die Antwort zu Frage 5 ist daher als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft und wird dem Deutschen Bundestag gesondert übermittelt . Die erbetene Auskunft zu Frage 8 kann aus Gründen des Staatswohls in Gänze nicht erteilt werden. Sie betrifft Belange, die der sogenannten Third-Party-Rule unterfallen. Diese betrifft den internationalen Austausch von Informationen der Nachrichtendienste, darunter fallen auch Angaben zur Präsenz und Mitarbeiterzahl der jeweiligen ausländischen Nachrichtendienste in Deutschland. Selbst die Bekanntgabe unter Wahrung des Geheimschutzes durch die Übermittlung an die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages birgt das Risiko des Bekanntwerdens, das unter keinen Umständen hingenommen werden kann. Die so bekannt gewordenen Informationen, die nach den Regeln der „Third-Party- Rule“ erlangt wurden, würden als Störung der wechselseitigen Vertrauensgrundlage gewertet werden und hätten eine schwere Beeinträchtigung der Teilhabe an dem internationalen Erkenntnisaustausch zur Folge. Die notwendige Abwägung zwischen dem Staatswohl, das hier ein Geheimhaltungsinteresse beinhaltet, einerseits und dem grundsätzlich umfassenden parlamentarischen Fragerecht andererseits ergibt daher, dass auch eine eingestufte Übermittlung der Information an die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages vorliegend nicht in Betracht kommt. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13514 1. Auf welchen Erkenntnissen beruht die Einschätzung des Auswärtigen Amts, wonach Trịnh Xuân Thanh Opfer einer Entführung durch den vietnamesischen Geheimdienst wurde? Die Einschätzung basiert auf den Erkenntnissen und Bewertungen der deutschen Sicherheitsbehörden. 2. Wie genau liefen die Entführung und der anschließende Transport nach Vietnam nach Kenntnis der Bundesregierung ab? Um welches osteuropäisches Land handelt es sich, über das Trịnh Xuân Thanh mit einer vietnamesischen Maschine ausgeflogen worden sein soll? Welche deutschen Behörden wurden nach Bekanntwerden der Entführung aktiv, und was wurde konkret unternommen? Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) hat mit Wirkung vom 10. August 2017 die Ermittlungen wegen der Entführung des vietnamesischen Staatsangehörigen Trinh Xuan Thanh und seiner Begleiterin von der Staatsanwaltschaft Berlin übernommen. Dieses Ermittlungsverfahren wird wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 des Strafgesetzbuchs (StGB) und der Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB geführt. Aufgrund eines Auslieferungsersuchens des GBA wurde am 23. August 2017 ein 46-jähriger vietnamesischer Staatsangehöriger von der Tschechischen Republik zum Zwecke der Strafverfolgung an die Bundesrepublik Deutschland überstellt. Der Beschuldigte war am 12. August 2017 in Tschechien festgenommen worden und befand sich seither dort in Auslieferungshaft. Rechtsgrundlage hierfür ist ein Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 11. August 2017. Der Beschuldigte wurde am 24. August 2017 dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der ihm den Haftbefehl eröffnet und den Vollzug von Untersuchungshaft angeordnet hat. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen mietete der Beschuldigte in Prag/Tschechische Republik für den Zeitraum vom 20. bis 24. Juli 2017 einen Transporter der Marke Volkswagen an und brachte das Fahrzeug am ersten Tag der Anmietung nach Berlin. Am 23. Juli 2017 wurde Trinh Xuan Thanh gemeinsam mit seiner Begleiterin auf offener Straße in Berlin in den vom Beschuldigten angemieteten Transporter gezerrt. Trinh Xuan Thanh wurde nach der Tat gegen seinen Willen nach Vietnam verbracht und befindet sich seitdem dort im staatlichen Gewahrsam. Von weiteren Angaben wird im Hinblick auf die Gefährdung des Untersuchungszwecks abgesehen. Trotz der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des Deutschen Bundestages zu erfüllen , tritt hier nach Abwägung der betroffenen Belange das Informationsinteresse des Parlaments hinter den berechtigten Geheimhaltungsinteressen zurück. Weitere Auskünfte könnten gegebenenfalls Ermittlungsmaßnahmen erschweren oder gar vereiteln, weshalb aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit folgt, dass vorliegend das betroffene Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und Strafverfolgung Vorrang vor dem parlamentarischen Informationsinteresse hat. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat am 1. August 2017 den vietnamesischen Botschafter einbestellt, um gegen die Entführung zu protestieren. Zugleich forderte er die vietnamesische Seite dazu auf, Trinh Xuan Thanh zurückreisen zu lassen, damit sowohl das Auslieferungs- wie auch das Asylverfahren Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13514 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode ordnungsgemäß weiterbetrieben werden können. Dabei wurde der vietnamesischen Seite der Bruch des Völkerrechts und des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vorgeworfen sowie auf den Vertrauensbruch hingewiesen . Am 17. August 2017 fand im Auswärtigen Amt ein weiteres Gespräch des Staatssekretärs mit dem vietnamesischen Vize-Außenminister statt. 3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich der in Vietnam gegenüber Trịnh Xuân Thanh erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe? Der Verfolgte war nach Angaben der vietnamesischen Behörden ein ehemaliger leitender Parteiangehöriger des Provinzkomitees in Hau Giang, der zuletzt von 2011 bis 2013 als verantwortlicher Geschäftsführer der PetroVietnam Construction Corporation (PVC) tätig gewesen sein soll. In dieser Funktion soll er nach Angaben der vietnamesischen Behörden einen Schaden in Höhe von 142 Mio. US-Dollar verursacht haben. Aus diesem Grunde sei gegen ihn ein entsprechendes Strafverfahren eingeleitet worden. 4. Lag ein Auslieferungsersuchen Vietnams gegen Trịnh Xuân Thanh vor? Wenn ja, seit wann, und mit welcher Begründung? Die vietnamesische Justiz hat mit Schreiben vom 24. September 2016 an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) ein Auslieferungsersuchen übersandt. Zur Begründung wird auf die Antwort zu Frage 3 Bezug genommen . 5. Wann stellte Trịnh Xuân Thanh seinen Asylantrag in Deutschland, und wie ist der Stand der Bearbeitung? a) Wie begründete er seinen Asylantrag? b) Äußerte der Entführte gegenüber deutschen Behörden bereits den Verdacht , dass er in Deutschland vom vietnamesischen Geheimdienst verfolgt wird? Die Antwort zu den Fragen 5 bis 5b ist mit dem Geheimhaltungsgrad „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 6. Gab es bereits im Vorfeld andere Hinweise darauf, dass der vietnamesische Geheimdienst versucht Trịnh Xuân Thanh habhaft zu werden? Wenn ja, welche, und von wem? Der Bundesregierung lagen zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür vor, dass die vietnamesischen Behörden außerhalb des Auslieferungsverfahrens seiner habhaft werden wollten. 7. Ist der Resident des vietnamesischen Geheimdienstes der Aufforderung zur Ausreise innerhalb von 48 Stunden nachgekommen? Nach Kenntnis der Bundesregierung ist eine fristgerechte Ausreise des Residenten des vietnamesischen Geheimdienstes aus der Bundesrepublik Deutschland erfolgt . Das Bundesministerium des Innern hat die Antwort als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Die Antwort ist im Parlamentssekretariat des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort von Berechtigten eingesehen werden. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/13514 8. Wie viele legale Residenten hat der vietnamesische Geheimdienst in Deutschland „angemeldet“? Die Antwort zu Frage 8 kann aus Gründen des Staatswohls nicht erfolgen. Zur Begründung wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 9. Inwieweit stimmen Medienberichte, dass das Auswärtige Amt die Ausweisung weiterer vietnamesischer Diplomaten plant? In Abhängigkeit vom Verlauf der strafrechtlichen Ermittlungen und der Gespräche mit der vietnamesischen Regierung behält sich das Auswärtige Amt weitere Maßnahmen vor. 10. Welche Fälle von tatsächlichen oder versuchten Entführungen deutscher oder anderer Staatsangehöriger gab es nach Kenntnis der Bundesregierung seit 1949 auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sowie zwischen 1949 und 1990 auf dem Gebiet der DDR (bitte die jeweiligen Fälle, Zeitpunkt sowie Akteure und betroffene Personen nennen; bei gescheiterten Entführungsversuchen bitte den Grund des Scheiterns mit erläutern)? Vorbemerkung zu den Fragen 10 bis 12: 1. Bei den von den Fragen 10 bis 12 betroffenen Stellen der Bundesregierung (Bundeskanzleramt, Auswärtiges Amt, Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesministerium der Verteidigung, Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz , Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst) sind einschlägige Akten aus datenschutzrechtlichen Gründen bzw. nach Ablauf der Speicherfrist bereits teilweise vernichtet worden, soweit sie nicht als historisch wertvoll eingeschätzt und zu einem späteren Zeitpunkt dem Bundesarchiv angeboten wurden. Eine vollständige Beantwortung der Fragen 10 bis 12 ist der Bundesregierung daher schon allein aus diesem Grunde nicht möglich. 2. In den noch vorhandenen Akten der betroffenen Stellen der Bundesregierung liegen die fragegegenständlichen Informationen zu den bis zu über 60 Jahre zurückreichenden Vorgängen nicht in aufbereiteter Form vor. Zur Beantwortung der Fragen müssten die für eine Sichtung grundsätzlich in Betracht kommenden Akten einer ersten Relevanzprüfung hinsichtlich der Fragestellungen unterzogen werden, woran sich die Auswertung der als einschlägig identifizierten noch vorhandenen Aktenbestände, die sich teilweise nur auf Mikrofilm befinden, anschließen würde. Der weit überwiegende Teil des zu sichtenden Unterlagenbestandes müsste daher mittels einer intensiven Recherche händisch ermittelt werden. Angesichts des Umfangs der zu sichtenden Unterlagen und der Notwendigkeit der überwiegend manuellen Recherche wäre eine umfassende Beantwortung der Fragen 10 bis 12 in der für die Beantwortung Kleiner Anfragen üblichen Zeit nicht möglich. Auch eine etwaige Fristverlängerung reichte dafür nicht aus. Zwar besteht grundsätzlich ein verfassungsmäßiger Anspruch auf Informationsgewährung durch die Bundesregierung. Die Antwortpflicht steht aber unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13514 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt (BVerfG, a. a. O., S. 197): „Es sind alle Informationen mitzuteilen, über die die Regierung verfügt oder die sie mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung bringen kann. Da sich der parlamentarische Informationsanspruch im Hinblick auf die mögliche politische Bedeutung auch länger zurückliegender Vorgänge auf Fragen erstreckt, die den Verantwortungsbereich früherer Bundesregierungen betreffen, können die Bundesregierung zudem im Rahmen des Zumutbaren Rekonstruktionspflichten treffen.“ Dieser Rahmen des Zumutbaren würde im vorliegenden Fall überschritten. Im Ergebnis würde eine solche komplette Sichtung der noch vorhandenen Akten einen – auch weil nicht erfolgversprechenden – nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand bedeuten. Aber auch bei einer intensiven kompletten Sichtung noch vorhandener Akten würden die Fragen 11 bis 12 angesichts der Ausführungen unter Nummer 1 nicht vollständig beantwortet werden können. 3. Weder bei der Bundesanwaltschaft noch beim Bundeskriminalamt werden Statistiken zu Zahlen oder Sachverhalten von Entführungen, Verschleppungen oder Freiheitsberaubungen im Zusammenhang mit Nachrichtendiensten geführt oder recherchefähig in Datensystemen erfasst, weshalb auch deshalb eine vollständige Antwort zu Frage 10 ausscheidet. 4. Ferner ist die Bundesregierung zu einer umfänglichen qualifizierten Beantwortung der Frage 10 auch deshalb nicht in der Lage, weil die in Rede stehenden Entführungsfälle i. d. R. – wenn überhaupt – von Landesjustizbehörden verfolgt worden sind. Nachdem in den 1990er Jahren zu Beweisführungszwecken die Stasi-Unterlagen hinzugezogen werden konnten, wurden die polizeilichen Ermittlungen 1994 im Polizeipräsidium Berlin (bei der Zentralen Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität – ZERV) konzentriert. Dort waren Mitte der 1990er Jahre über 650 Verschleppungsfälle anhängig, von denen mehr als 500 zwecks Einleitung von Ermittlungsverfahren an die damalige Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin abgegeben wurden. Vier Entführungsfälle waren Gegenstand der Anklagen gegen Erich Mielke. Am 27. Mai 1997 verurteilte ihn das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf wegen Freiheitsberaubung in vier Fällen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung . Über die Zahl der insgesamt erzielten Verurteilungen liegen der Bundesregierung keine näheren Erkenntnisse vor. 5. Darüber hinaus ist die Erforschung historischer Sachverhalte nicht Aufgabe der Bundesregierung. Dies bleibt der Wissenschaft vorbehalten. Die Bundesregierung unterstützt dies, indem sie regelmäßig Altakten – darunter auch Unterlagen zum angefragten Thema – an das Bundesarchiv abgibt, wo sie von Wissenschaftlern und anderen Interessierten nach Maßgabe des Bundesarchivgesetzes eingesehen werden können. Soweit sich einschlägige Altakten zum Themenkomplex „Entführungen durch Geheimdienste“ bei den damit befassten Behörden befinden, kann auch dort von jedermann auf Antrag gemäß den Voraussetzungen des Bundesarchivgesetzes Einsicht genommen werden. 6. Ein Überblick über die Gesamtzahl der Fälle und Identitäten der betroffenen Opfer von Entführungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR bzw. sowjetische Dienste ist in einschlägigen Denkschriften des ehemaligen Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen und des Senators für Inneres von West-Berlin enthalten. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/13514 7. Hinsichtlich der Vielzahl in den 1950er und 1960er Jahren aus West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR erfolgten Entführungen wird ergänzend beispielhaft auf folgende historische Untersuchungen und Studien verwiesen: Muhle, Susanne: „Auftrag: Menschenraub. Entführung von Westberlinern und Bundesbürgern durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR“, Göttingen 2015 (Analysen und Dokumente des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Band 042) Bauernfeind, Wolfgang: „Menschenraub im Kalten Krieg. Täter, Opfer, Hintergründe“, Halle 2016 Mampel, Siegfried: „Entführungsfall Dr. Walter Linse - Menschenraub und Justizmord als Mittel des Staatsterrors“, Berlin 2006, 3. unveränderte Auflage (Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Band 10) Online-Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) „Wie das MfS Menschen entführen ließ“ (www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/ stasi/223062/entfuehrungen?p=all). 8. Das Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages erstreckt sich im Hinblick auf Entführungsfälle auf dem Gebiet der ehemaligen DDR lediglich auf Vorgänge, die bundesdeutschen Stellen bekannt geworden sind. Aus den in der Vorbemerkung zu den Fragen 10 bis 12 genannten Gründen kann die Bundesregierung für den fragegegenständlichen Zeitraum zu Entführungen, in denen Personen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von fremden Nachrichtendiensten oder in deren Auftrag ausgespäht, ergriffen und ins Ausland verschleppt wurden, lediglich folgende Fälle benennen: Am 25. Februar 1963 wurde der französische Staatsangehörige und ehemalige Offizier der französischen Armee Antoine Argoud in München (mutmaßlich) durch den französischen Nachrichtendienst DGSE entführt und nach Frankreich verbracht. Im Juni 1967 wurden durch den südkoreanischen Geheimdienst 17 süd-koreanische Staatsangehörige aus Deutschland (u. a. Gießen, Frankfurt a. M., Mainz, Heidelberg und Bonn) entführt und nach Südkorea verbracht. Es handelte sich überwiegend um Wissenschaftler und Studenten, darunter der Gießener Student Jeung Gil Choe und der Komponist Isang Yun. Die Entführungsopfer standen aus Sicht Südkoreas unter dem Verdacht, Spionage für Nordkorea betrieben zu haben. Am 22. April 1991 wurde der deutsche Staatsangehörige US-amerikanischer Abstammung Jens Karney alias Jeffrey Carney in Berlin durch nicht identifizierte Mitarbeiter des US-amerikanischen Dienstes MI 66 entführt und in die USA verbracht. Bei Karney handelte es sich um einen ehemaligen US-amerikanischen Soldaten (Sergeant), der in der Abwehrstation der National Security Agency (NSA) auf dem Teufelsberg in West-Berlin eingesetzt und Ende 1984 von der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der ehemaligen DDR als IM angeworben worden war. 1986 setzte er sich nach Ost-Berlin ab und lebte dort bis zu seiner Entführung. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13514 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Zu der in der Vorbemerkung der Fragesteller erwähnten (angeblichen) Entführung von vier Mitgliedern der ehemaligen marxistisch-sozialistischen militante Organisation Devrimci Sol (Dev-Sol) im Jahre 1986 oder 1987 aus Stuttgart in die Türkei durch den türkischen Nachrichtendienst MIT liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor, die über die betreffende Medienberichterstattung hinausgehen. 11. Welche diplomatischen Konsequenzen wurden aus den in Frage 10 erläuterten Fällen gezogen (bitte fallbezogen auflisten)? In Bezug auf die Entführungsfälle in den 1960er Jahren wird auf die Vorbemerkung zu den Fragen 10 bis 12 verwiesen. Das Auswärtige Amt hat, nachdem ihm der Fall Jeffrey Carney bekannt wurde, gegenüber der US-Seite sowohl über die US-Botschaft in Bonn als auch im US- Außenministerium in Washington, D. C. auf die Verletzung der deutschen Souveränität hingewiesen. Der Protest wurde von der US-Seite entgegengenommen. In unmittelbarer Folge der Entführung des Trinh Xuan Thanh wurde am 1. August 2017 der vietnamesische Botschafter einbestellt und der an der Tat beteiligte Resident des vietnamesischen Geheimdienstes zur persona non grata erklärt. Alle Bereiche der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit mit Vietnam stehen derzeit auf dem Prüfstand. Die Bundesregierung behält sich in Abhängigkeit vom Verlauf der strafrechtlichen Ermittlungen und der Gespräche mit der vietnamesischen Regierung weitere Maßnahmen vor. 12. Haben sich deutsche Geheim- bzw. Nachrichtendienste oder andere deutsche Behörden seit 1949 jemals unmittelbar oder mittelbar (beispielsweise durch die Weitergabe von Aufenthaltsorten von Personen) an Entführungen beteiligt ? Wenn ja, an welchen (bitte die einzelnen Fälle und die beteiligten deutschen Behörden detailliert auflisten)? Auf die Vorbemerkung zu den Fragen 10 bis 12 wird verwiesen. Die in der zur Verfügung stehenden Zeit durchgeführten Recherchen ergaben keine Anhaltspunkte für eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung deutscher Nachrichtendienste an der Vorbereitung oder Durchführung von Entführungen durch fremde Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333