Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 6. September 2017 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutscher Bundestag Drucksache 18/13559 18. Wahlperiode 08.09.2017 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/13380 – Zukunft der humanitären und zivilen Seenotrettung im Mittelmeer V o r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Mitte August dieses Jahres haben erste humanitäre Organisationen damit begonnen , ihre Seenotrettungsaktionen für Bootsflüchtlinge im Mittelmeer einzustellen , nachdem die Regierung Libyens angekündigt hatte, eine über ihre Territorialgewässer hinausreichende Such- und Rettungszone (Search and Rescue Zone) einzurichten, innerhalb derer sie beansprucht, die Seenotrettung allein durch die libysche Küstenwache durchzuführen und zu kontrollieren und eine durch die libysche Seite nicht autorisierte Seenotrettung (insbesondere durch humanitäre Organisationen) zu verhindern bzw. zu unterbinden. Seit Oktober letzten Jahres wurden die Schiffe humanitärer Seenotrettungsorganisationen durch die libysche Küstenwache nicht nur durch riskante Manöver auf Hoher See gefährdet, sondern auch beschossen. Aber anstatt sich an die Seite der Seenotrettungsorganisationen und ihres humanitären Auftrags zu stellen, hatte Italien in den letzten Wochen damit begonnen – in Umsetzung eines Beschlusses der EU-Innenminister – mit den Seenotrettungsorganisationen über einen ihren Aktionsradius stark einschränkenden „Verhaltenskodex“ zu verhandeln. Nach Aussagen des italienischen Innenminister Marco Minniti können Nichtregierungsorganisationen, die diesen Kodex nicht unterschreiben, „nur noch sehr bedingt weiter arbeiten“ (vgl. „Se le Ong vogliono operare dovranno firmare il codice“, La Stampa vom 3. August 2017). Tatsächlich kamen nun die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages jüngst in zwei Gutachten über diesen Verhaltenskodex zu der Feststellung, dass weder die EU noch ein Mitgliedstaat rechtsverbindliche Maßnahmen erlassen dürfe, die die Koordinierung der Seenotrettung von Menschen „blockieren oder ins Leere“ laufen lassen würde (WD 2 – 3000 – 068/17 und WD 2 – 3000 – 067/17). Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13559 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Teilt die Bundesregierung die Ansicht des EU-Migrationskommissars Dimitris Avramopoulos, dass man den privaten Seenotrettungsorganisationen für ihren selbstlosen Einsatz im Mittelmeer „sehr dankbar“ sein müsse (Süddeutsche Zeitung vom 24. Juli 2017), und wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung teilt das humanitäre Interesse zu verhindern, dass Menschen im Mittelmeer ums Leben kommen. 2. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung gegenüber der italienischen Regierung dafür ein, dass die Hilfsorganisationen, auch solche, die den Kodex nicht unterschrieben haben, weiter Rettungsarbeit im Mittelmeer leisten können ? Artikel 98 des VN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ) enthält eine allgemeine Verpflichtung zur Hilfeleistung für Personen in Seenot. Vor diesem Hintergrund befürwortet die Bundesregierung die für eine effektive Seenotrettung notwendige, enge Abstimmung aller beteiligten Akteure zu Such- und Rettungsaktivitäten im Mittelmeer. Dahingehend ist die italienische Initiative, mit den vor der libyschen Küste mit eigenen Schiffen in der Seenotrettung tätigen NROen einen Verhaltenskodex aufzustellen und abzuschließen, sinnvoll . 3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, dass der vorgeschlagene Verhaltenskodex Italiens für private Seenotretter im Mittelmeer mit völkerrechtlichen Vorgaben kollidieren würde (WD 2 – 3000 – 068/17 und WD 2 – 3000 – 067/17)? a) Wenn ja, wird sie sich auch gegenüber der italienischen Regierung bzw. innerhalb der Europäischen Union für einen völkerrechtskonformen Vorschlag einsetzen? b) Wenn nein, warum nicht (bitte begründen)? Die Fragen 3bis 3b werden zusammengefasst beantwortet. Nach Auffassung der Bundesregierung steht der Verhaltenskodex mit den völkerrechtlichen Vorgaben über Seenotrettung im Einklang. Die Bundesregierung versteht die Selbstverpflichtung von NROen auf der Grundlage des Verhaltenskodex als einen Beitrag zur Erfüllung der Italien nach Artikel 98 Absatz 2 des SRÜ obliegenden Verpflichtung, einen angemessenen und wirksamen Such- und Rettungsdienst zu gewährleisten, die NROen in die Wahrnehmung dieser Aufgabe einzubeziehen und hierfür gemeinsame Verhaltensregeln festzulegen. Die einzelnen Verhaltensregeln stehen auch im Einklang mit dem Internationalen Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See (SAR-Übereinkommen), dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS-Übereinkommen) und einschlägigen, im Rahmen der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) geltenden Vorgaben. Der Verhaltenskodex sieht im Übrigen Möglichkeiten eines abweichenden Verhaltens im Einzelfall vor. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13559 4. Inwiefern war nach Kenntnis der Bundesregierung der Verhaltenskodex der italienischen Regierung für Nichtregierungsorganisationen Gegenstand von Beratungen innerhalb der Europäischen Union, und inwiefern dient er nach Einschätzung der Bundesregierung zur Verbesserung der Lage von Menschen in Seenot im Mittelmeer? Der Verhaltenskodex war Gegenstand von Beratungen verschiedener EU-Gremien unter Beteiligung aller EU-Mitgliedsstaaten sowie von Konsultationen Italiens mit der EU-Kommission. Zur Einschätzung des Verhaltenskodexes durch die Bundesregierung wird auf die Antwort zu den Fragen 2 und 3 verwiesen. a) Welches Recht soll nach Kenntnis der Bundesregierung für den Einsatz der Sicherheitskräfte im Rahmen dieses Kodex gelten: das Recht des Entsendestaates der Sicherheitskräfte oder das des Flaggenstaates des jeweiligen Schiffes? Für den im Verhaltenskodex unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehenen Zugang italienischer Beamter zu Ermittlungshandlungen und Beweissicherungen an Bord von Schiffen der NROen gilt das italienische Recht. Im Fall eines Handelns an Bord außerhalb der italienischen Hoheitsgewässer wären zudem die Vorrechte und Hoheitsbefugnisse des Flaggenstaates des betreffenden Schiffes zu beachten . Der Verhaltenskodex enthält einen entsprechenden Vorbehalt zu Flaggenstaatsrechten . b) Sieht die Bundesregierung die Vorschrift des Kodex, dass Flüchtlinge nur noch stark eingeschränkt von kleineren auf größere Boote übergeben werden dürfen, im Einklang mit dem Seenotrecht? Es wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Nach geltendem Seevölkerrecht ist zu gewährleisten, dass aus Seenot gerettete Personen an einen sicheren Ort gebracht werden. Dies ist üblicherweise ein geeigneter Hafen, kann aber auch ein in der Nähe befindliches anderes Schiff sein. Auch im letztgenannten Fall hindert das Seevölkerrecht den Kapitän des rettenden Schiffes nicht daran, die Geretteten in einem Hafen auszuschiffen, wie im Verhaltenskodex vorgesehen. Zudem sieht diese Verhaltensregel des Kodex die Möglichkeit eines abweichenden Vorgehens im Einzelfall vor. 5. Wann und durch wen wurde die Bundesregierung bzw. wurde die EU über die Einrichtung der über die Territorialgewässer Libyens hinausreichenden Such- und Rettungszone unterrichtet? Die libysche Einheitsregierung und Küstenwache haben die Notifizierung zur Einrichtung eines Such- und Rettungsbereichs bei einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter am 15. August 2017 bestätigt. 6. Welche libyschen Kräfte dürften nach Kenntnis der Bundesregierung in dieser Zone aktiv sein, und welche Tätigkeiten würden sie dort ausführen? In dem notifizierten Such- und Rettungsbereich sind zur Seenotrettung eingesetzte Kräfte der libyschen Einheitsregierung wie die Küstenwache zur uneingeschränkten Beachtung des Völkerrechts und der Standards über eine angemessene und wirksame Seenotrettung verpflichtet. In diesem Zusammenhang kommt eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch libysche Kräfte nur im Bereich des libyschen Küstenmeeres („12-Seemeilen-Gebiet“) in Betracht. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Drucksache 18/13559 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 7. Steht die Einrichtung einer solchen – über die Territorialgewässer Libyens hinausreichende – Such- und Rettungszone nach Einschätzung der Bundesregierung im Einklang mit dem Völkerrecht? a) Wenn ja, bitte ausführen? b) Wenn nein, wird sich die Bundesregierung zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten der EU dafür einsetzen, dass Libyen sich bei Such- und Seenotrettungsmaßnahmen an die Regeln des Völkerrechts hält? Die Fragen 7 bis 7b werden zusammengefasst beantwortet. Die gegenüber der IMO vorgenommene Notifizierung eines Such- und Rettungsbereichs entspricht den Verpflichtungen Libyens als Vertragsstaat des SAR- Übereinkommens und setzt die im SRÜ vorgegebene Koordinierung von Seenotrettungen durch die Küstenstaaten um. Die Einrichtung eines Such- und Rettungsbereichs bewirkt keine Ausweitung der libyschen Hoheitsgewässer. Die Bundesregierung weist die libysche Einheitsregierung in ihren bilateralen Gesprächen darauf hin, dass die Einrichtung nicht zu völkerrechtswidrigen Einschränkungen von Seenotrettungen führen darf. 8. Wie gedenkt die Bundesregierung, gegenüber der libyschen Regierung die Sicherheit der auch unter deutscher Flagge fahrenden Seenotrettungsschiffe bzw. der darauf befindlichen Menschen sicherzustellen, angesichts des Umstands , dass die libysche Küstenwache angekündigt hat, nunmehr auch innerhalb dieser über ihre eigenen Territorialgewässer hinausreichende Suchund Rettungszone gewaltsam (und das heißt ggf. auch unter Schusswaffengebrauch ) gegen solche Seenotrettungsaktionen vorzugehen, die durch die libysche Seite nicht autorisiert wurden? Die Bundesregierung weist in ihren Gesprächen mit der Einheitsregierung darauf hin, dass die Einrichtung eines libyschen Such- und Rettungsbereichs keine Ausweitung der libyschen Hoheitsgewalt bedeutet und es nicht zu völkerrechtswidrigen Einschränkungen von Seenotrettungen durch Nichtregierungsorganisationen kommen darf. Zuletzt war dies Thema bei einem Gespräch des deutschen Botschafters mit Premierminister Sarraj am 15. August 2017. 9. Inwiefern wurde seitens der libyschen Regierung eine Zusicherung hinsichtlich des Schutzes von Einsatzschiffen der EU, die innerhalb dieser von Libyen beanspruchten Such- und Rettungszone aktiv sind, abgegeben? Der Kommandeur der libyschen Küstenwache hat gegenüber dem deutschen Botschafter bestätigt, dass eine enge Zusammenarbeit mit Einsatzschiffen der EU angestrebt wird. Vorabfassung - w ird durch die lektorierte Version ersetzt. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333