Deutscher Bundestag Drucksache 18/1436 18. Wahlperiode 16.05.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/1291 – Der Staatssekretärsausschuss der Bundesregierung zur „Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union“ Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Januar 2014 hat die Bundesregierung einen Staatssekretärsausschuss zu „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ eingerichtet. Im März 2014 hat dieser Ausschuss nun einen Zwischenbericht vorgelegt (Bundestagsdrucksache 18/960). Die Christlich Demokratische Union (CDU) gab anlässlich dieses Zwischenberichts ein Flugblatt heraus mit der Überschrift „Für Freizügigkeit. Gegen Sozialmissbrauch . Armutszuwanderung vermeiden“ (www.cdu.de/sites/default/ files/media/dokumente/140327-flugblatt-fuer-freizuegigkeit_0.pdf). Es stellt sich die Frage, ob die Verfasser des Flugblatts den Zwischenbericht überhaupt gelesen haben, bevor sie ein Flugblatt solchen Inhalts veröffentlicht haben. Empirisch belegte Hinweise auf ein tatsächlich relevantes Problem des Missbrauchs durch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger (weder des Freizügigkeitsrechts noch von Sozialleistungen) hat der Staatssekretärsausschuss trotz ressortübergreifender Suche nicht festgestellt. Behauptungen über den angeblich „massenhaften Sozialmissbrauch“ entbehren vor diesem Hintergrund jeder Grundlage. Dies ergab auch eine Schriftliche Anfrage der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag, Christine Kamm (www.gruene-fraktion-bayern.de/sites/ default/files/14-03-06_anfrage_freizuegigkeit_in_europa_problemloesung_ statt_stimmungsmache.pdf): im Freistaat wurden im Jahr 2012 insgesamt 591 Fälle von Sozialleistungsbetrug registriert; tatverdächtig waren in 463 Fällen Deutsche (78 Prozent) und lediglich in zehn Fällen Rumänen (1,7 Prozent) – Bulgaren tauchen in der Statistik gar nicht auf. Auch in der Fragestunde des Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 14. Mai 2014 übermittelt . Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Deutschen Bundestages am 2. April 2014 musste die Bundesregierung einräumen , dass sie über keinerlei Daten zum Ausmaß des vermeintlichen finanziellen Schadens, der Bund, Ländern und Kommunen wegen zu Unrecht in Anspruch genommenen Kindergeldes durch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entstanden sein soll, verfügt (Protokoll der 25. Plenarsitzung des Drucksache 18/1436 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 18. Deutschen Bundestages, 2. April 2014, S. 1971 f.). Der Vorschlag, beim Kindergeldbezug die Angabe der Steueridentifikationsnummer zu verlangen, hat fachlich offensichtlich einen ganz anderen Hintergrund: „Der Bundesrechnungshof hatte 2009 aufgedeckt, dass Hunderte Beamte in 2 400 Fällen doppelt Kindergeld kassiert und die Steuerzahler so um 6,5 Millionen Euro geprellt hatten “ (Rheinische Post, 15. April 2014, „Beamte betrügen beim Kindergeld“). Bei dieser Personengruppe dürfte es sich wohl ganz überwiegend nicht um Bulgaren und Rumänen gehandelt haben. Zudem handelt es sich – so der Zwischenbericht – bei der Einwanderung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern nicht um das, was der konturlose und tendenziöse Begriff der „Armutszuwanderung“ unterstellt: Unter den eingewanderten Bulgaren und Rumänen sind rund die Hälfte (46 Prozent) ausgebildete Fachkräfte – 28 Prozent gelten sogar als hochqualifiziert. Die Arbeitslosenquote liegt bei ihnen in etwa im Bevölkerungsdurchschnitt. Gleichwohl muss die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN feststellen, dass sich der Staatssekretärsausschuss um relevante Fragestellungen gar nicht kümmert : ● Empowerment ist im Zwischenbericht eine bezeichnende Leerstelle: Weder werden Projekte erörtert, die die Menschen vor Ort individuell und passgenau dabei unterstützen, sich in unsere Gesellschaft einzugliedern noch wird der Frage nachgegangen, was getan werden könnte, um die Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe von Einwanderinnen und Einwanderern zu verbessern. ● Auch sucht man vergebens nach der Frage, inwiefern Unionsbürgerinnen und Unionsbürger (z. B. auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt) mit der Folge diskriminiert werden, dass sich ihre Integrationschancen verringern – und was Staat und Gesellschaft dagegen tun können. ● Schließlich wird im Themenbereich „Maßnahmen zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und sog. Scheinselbständigkeit“ (neben der Optimierung einer behördenübergreifenden Datenübermittlung) nur eine einzige Maßnahme vorgeschlagen: die Erschwerung der Anmeldung eines Scheingewerbes . Maßnahmen, die sich gegen Ausbeuter in den Chefetagen richten (etwa wegen des Missbrauchs von Werkverträgen), werden ausgeblendet. Im Übrigen schlägt der Zwischenbericht neben einiger Symbolpolitik aus Sicht der Fragesteller lediglich untaugliche Maßnahmen vor. So sind Wiedereinreisesperren – die für den Fall eines „Missbrauchs des Freizügigkeitsrechts“ vorgeschlagen werden – unionsrechtlich nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung , Sicherheit oder Gesundheit (in der bisherigen Praxis: bei Schwerverbrechern ) zulässig; Artikel 15 Absatz 3 der Unionsbürgerrichtlinie schließt ein Einreiseverbot aus allen anderen Gründen ausdrücklich aus. Auch der Vorschlag , den Aufenthalt von arbeitsuchenden Unionsbürgern nach Ablauf einer gewissen Frist vom Nachweis erfolgsversprechender Bemühungen bei der Arbeitssuche abhängig zu machen, ist nicht zielführend – denn das Freizügigkeitsrecht entsteht bei jeder Wiedereinreise (auch zur Arbeitssuche) erneut. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Der Staatssekretärsausschuss „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten “ hat in seinem Zwischenbericht, dem das Bundeskabinett am 26. März 2014 zugestimmt hat, festgehalten, dass die Freizügigkeit in der Europäischen Union eine der tragenden Grundfreiheiten und einer der sichtbarsten Vorzüge Europas für seine Bürger ist. Die überwiegende Zahl der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die nach Deutschland zuzieht, übt ihr Freizügigkeitsrecht in Übereinstimmung mit den geltenden nationalen und europäischen Regeln aus und ist bei uns hochwillkommen. Zugleich hat der Ausschuss in seinem Zwischenbericht deutlich gemacht, dass mit dieser Zuwanderung auch erhebliche Probleme verbunden sein können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1436 Der Ausschuss hat eine umfangreiche Bestandsaufnahme zur Daten- und Faktenlage vorgelegt. Zum Wanderungsgeschehen wird unter anderem deutlich, dass sich die Zuwanderung vor allem aus den EU-8- und den EU-2-Staaten sowie aus den von der Wirtschafts- und Finanzkrise besonders betroffenen südeuropäischen Ländern in den Jahren 2012 und 2013 deutlich verstärkt hat. In Bezug auf die EU-2-Staaten ist auch infolge der Herstellung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit für diese Länder zum 1. Januar 2014 zunächst mit einem weiteren Anstieg der Zuwanderung zu rechnen. Erste Auswertungen von Zahlen des Ausländerzentralregisters bestätigen dies. Zudem ist deutlich geworden, dass sich der Zuzug insbesondere aus den neuen Mitgliedstaaten regional sehr ungleichmäßig verteilt. Darüber hinaus können die auf Bundesseite vorliegenden Statistiken die tatsächliche Situation vor Ort nur zum Teil abbilden. Der Ausschuss hat sich daher intensiv mit der Situation in den Kommunen befasst , die in besonderer Weise durch einen verstärkten Zuzug aus anderen EUMitgliedstaaten betroffen sind, und in diesem Zusammenhang Vertreter der kommunalen Spitzenverbände – des Deutschen Städtetags, des Deutschen Städte- und Gemeindebund und des Deutschen Landkreistag – sowie Vertreter von Duisburg, München, Berlin sowie des Landkreises Osnabrück angehört. Dabei wurde erneut deutlich, dass die betroffenen Kommunen mit großen Belastungen ihrer Systeme der kommunalen Daseinsvorsorge und mit erheblichen Problemen etwa in den Bereichen Wohnraum- und Gesundheitsversorgung, Obdachlosenunterbringung , Arbeitsmarktzugang und Beschäftigungschancen, Beschulung und Durchsetzung der Schulpflicht sowie Integrationsangebote konfrontiert sind. 1. Wie viele Fälle des Betrugs im Hinblick auf welche Sozialleistungen durch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger (einschließlich deutscher Staatsangehörige ) gab es in den Jahren 2010 bis 2013 in Deutschland (bitte nach den jeweiligen Sozialleistungen und der Staatsangehörigkeit der Tatverdächtigen aufschlüsseln)? Grundsätzlich wird der Deliktsbereich des Betruges bei Sozialleistungen von den Hauptzollämtern bearbeitet, daher werden der Polizei nur wenige Fälle des sog. Sozialleistungsbetruges bekannt. Diese werden dann in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) abgebildet, welche für diesen Deliktsbereich jedoch keine bundesweiten Aussagen treffen kann, da die Daten der Hauptzollämter zu diesem Deliktsbereich nicht in die PKS einfließen. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 2 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/1112 vom 9. April 2014 verwiesen. 2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass in Deutschland gut qualifizierte „Menschen mit ausländisch klingenden Nachnamen“ (und damit auch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger) bei der Suche nach einem Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz in signifikantem Ausmaß benachteiligt werden (vgl. die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/12919, S. 2 f. und 7 ff. sowie die jüngste Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration „Diskriminierung am Ausbildungsmarkt“, Berlin 2014)? Studien weisen darauf hin, dass Diskriminierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt trotz verbesserter institutioneller Rahmenbedingungen weiterhin vorkommt . Zu diesem Ergebnis kommen z. B. eine Studie zu Diskriminierung am Arbeitsmarkt auf Grund der ethnischen Herkunft des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (Kaas, L.; Manger C. [2012]) sowie die Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in Drucksache 18/1436 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Bezug auf den Übergang von Bewerbern mit einem türkischen Namen in eine duale Ausbildung (SVR [2014] Diskriminierung am Ausbildungsmarkt: Ausmaß , Ursachen und Handlungsperspektiven; Berlin). Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat in einem Pilotprojekt das Instrument der anonymisierten Bewerbung zur Vermeidung von Diskriminierungen im Bewerbungsverfahren erprobt. Das Pilotprojekt wurde Anfang des Jahres 2012 abgeschlossen und von der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina (KOWA) sowie dem Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) evaluiert. Die Bewerber, die im Rahmen des Pilotprojektes ein standardisiertes Bewerbungsformular ausgefüllt haben, wurden nach ihren Erfahrungen befragt. Insgesamt schätzten 41 Prozent der Befragten ihre Chancen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, beim anonymisierten Verfahren höher ein als beim herkömmlichen Verfahren. Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird das Verfahren seit 2011 erfolgreich umgesetzt. 3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass auch in Deutschland lebende Unionsbürgerinnen und Unionsbürger auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt werden (vgl. die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/12919, S. 3 und 9 ff.)? Der Bundesregierung liegen keine spezifischen Erkenntnisse über die Benachteiligung von Unionsbürgern auf dem Wohnungsmarkt vor. 4. Aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Verhängung von Wiedereinreisesperren im Falle welcher Formen des „Missbrauchs des Freizügigkeitsrechts“ für vereinbar mit Artikel 15 der Unionsbürgerrichtlinie ? 5. Aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung Artikel 35 der Freizügigkeitsrichtlinie für eine ausreichende Rechtsgrundlage für die von ihr geplanten Wiedereinreisesperren – angesichts dessen, dass solche Wiedereinreiseverbote die Wahrnehmung eines nach der Ausreise erneut entstehenden Freizügigkeitsrechts auch dann verhindern würden, wenn die erneute Einreise in keinem Zusammenhang mit dem vorangehenden „Missbrauch “ steht (etwa infolge einer Eheschließung mit einem anderen, wirtschaftlich selbständigen Unionsbürger)? Die Fragen 4 und 5 werden gemeinsam beantwortet. Die Freizügigkeit der Unionsbürger besteht nach Artikel 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. Artikel 35 der Richtlinie 2004/38/EG gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die notwendigen Maßnahmen zu erlassen, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug – wie z. B. durch Eingehung von Scheinehen – zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen. Dies schließt insbesondere das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Mitgliedstaat ein. Diese Vorschrift wird im Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) durch § 2 Absatz 7 umgesetzt. Gemäß § 2 Absatz 7 kann das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in Fällen der Verwendung von ge- oder verfälschten Dokumenten, Vorspiegelung falscher Tatsachen – z. B. über ein tatsächlich nicht bestehendes Arbeitsverhältnis oder einen tatsächlich nicht bestehenden Wohnsitz – sowie dann festgestellt werden, wenn ein Familienangehöriger einen Unionsbürger Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1436 nicht zur Herstellung oder Wahrung einer familiären Lebensgemeinschaft begleitet oder ihm zu diesem Zweck nachzieht. Mit der Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts auf der Grundlage von § 2 Absatz 7 ist nach bislang geltender Rechtslage jedoch kein Verbot der Wiedereinreise gemäß § 7 Absatz 2 FreizügG/EU verbunden. Die Länder haben in der Bund-Länder-AG „Armutswanderung aus Osteuropa“ deutlich gemacht, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen ohne Wiedereinreiseverbote nicht effektiv sind (vgl. Abschlussbericht der Bund-Länder-AG „Armutswanderung aus Osteuropa“ vom 11. Oktober 2013, S. 32 f.), weil der Betroffene sonst sofort wieder in das Bundesgebiet zurückkehren könnte. Die Schaffung eines befristeten Wiedereinreiseverbotes in den Fällen des § 2 Absatz 7 FreizügG/EU ist unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig, weil Artikel 35 der Richtlinie 2004/38/EG für den nationalen Gesetzgeber in diesen Fällen Gestaltungsspielraum eröffnet. Solche Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und unterliegen den Verfahrensgarantien nach den Artikeln 30 und 31 der Richtlinie 2004/38/EG. Daher soll durch Änderung des FreizügG/EU eine Vorschrift eingeführt werden, nach der im Fall einer Feststellung des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts gemäß § 2 Absatz 7 FreizügG/EU nach den Maßgaben der Freizügigkeitsrichtlinie die Wiedereinreise in das Bundesgebiet befristet untersagt werden kann. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls sowie die Schwere des Verstoßes im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. 6. Aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung den Vorschlag des Staatssekretärsausschusses für sachgerecht, den Aufenthalt von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern zum Zwecke der Arbeitssuche zu befristen, wenn nicht der arbeitsuchende Unionsbürger nach Fristablauf erfolgsversprechende Bemühungen bei der Arbeitssuche nachweist – angesichts dessen, dass nach einer Ausreise das Recht einer jederzeitigen Wiedereinreise nach Deutschland (auch zur erneuten Arbeitssuche) unberührt bleibt? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus Artikel 45 AEUV auch das Recht gehört, sich in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach einer Arbeitsstelle zu suchen. Das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern zur Arbeitssuche kann jedoch zeitlich begrenzt werden. Die Mitgliedstaaten können einen angemessenen Zeitraum festlegen, nach dem die Erfolgsaussichten für eine Arbeitssuche überprüft werden können, um ggf. den Aufenthalt zu beenden. Der EuGH ist von einem Zeitraum von sechs Monaten als angemessen zur Arbeitssuche ausgegangen. Nach Ablauf dieser Frist ist eine Aufenthaltsbeendigung dann nicht zulässig, wenn der Betroffene nachweisen kann, dass er weiterhin mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH vom 26. Februar 1991, Rs. C-292/89, Antonissen). In einer späteren Entscheidung hat der Gerichtshof den Grundsatz wiederholt, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, einen angemessenen Zeitraum für die Stellensuche festzulegen (EuGH vom 23. März 2004, Rs. C-138/02, Collins). Diese Rechtsprechung findet ihren Niederschlag auch im Sekundärrecht: Unionsbürger sind nach dem Wortlaut von Artikel 7 Absatz 1 der Richtlinie 2004/38/EG als Arbeitnehmer, Selbständige oder Nichterwerbstätige mit ausreichenden Existenzmitteln sowie Krankenversicherungsschutz für einen Zeitraum von über drei Monaten freizügigkeitsberechtigt. Gemäß Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b dieser Richtlinie dürfen Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten, jedoch nicht ausgewiesen werden, solange sie nachweisen können, dass sie begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Drucksache 18/1436 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode a) Anhand welcher Kriterien soll nach Ansicht der Bundesregierung rechtssicher festgestellt werden, ob die Arbeitssuche einer Unionsbürgerin bzw. eines Unionsbürgers in Deutschland aussichtslos ist? Kriterien für die Feststellung der Erfolgsaussicht der Arbeitssuche sind die Qualifikation des Arbeitssuchenden, die Ernsthaftigkeit seiner Absicht eine Beschäftigung aufzunehmen und der aktuelle Bedarf am Arbeitsmarkt. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 14 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 20. Dezember 2013 auf Bundestagsdrucksache 18/223 verwiesen. b) Wer soll die Beweislast für die Erfolgsaussicht einer Arbeitssuche tragen ? Nach Ablauf der Sechsmonatsfrist ist eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig, wenn der Betroffene nachweisen kann, dass er weiterhin mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht. Die Beweislast für die Erfolgsaussicht der Arbeitssuche richtet sich nach den Vorgaben des europäischen und des nationalen Rechts sowie der Rechtsprechung und liegt, wie in Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehen und in den Urteilen des EuGH vom 23. März 2004 in der Rechtssache C-138/02, Collins, sowie vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-292/89, Antonissen, ausgeführt, beim arbeitssuchenden Unionsbürger. c) Welchen Effekt auf das deutsche Sozialsystem erhofft sich die Bundesregierung von der vorgeschlagenen Regelung? Die Regelung soll in erster Linie der Präzisierung der Voraussetzungen des Aufenthalts zur Arbeitssuche dienen. Effekte für das deutsche Sozialversicherungssystem sind nicht das vordringliche Ziel des Änderungsvorschlags 7. Ist es zutreffend, dass die im Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses vorgeschlagenen befristeten Wiedereinreisesperren bei Missbrauch des Freizügigkeitsrechts nur falsche Angaben bei den Ausländerbehörden, nicht aber Sozialleistungsbetrug erfassen, und wenn nein, warum nicht? Der Vorschlag des Staatssekretärsausschusses, befristete Wiedereinreisesperren innerhalb des europarechtlichen Rahmens zu ermöglichen, bezieht sich auf Fälle betrügerischer oder missbräuchlicher Inanspruchnahme der Freizügigkeit. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn die betreffende Person das Vorliegen der Freizügigkeitsvoraussetzungen durch die Verwendung von gefälschten oder verfälschten Dokumenten oder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen vorgetäuscht hat. Dies kann etwa auch der Fall sein, wenn der Unionsbürger das Vorliegen einer geringfügigen Beschäftigung vortäuscht, um in den Genuss von Leistungen zu kommen, obwohl er tatsächlich keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. 8. Wie begründet die Bundesregierung den Vorschlag des Staatssekretärsausschusses , dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Integrationskursen in Duisburg, Dortmund, Berlin und München zusätzlich auch von Sozialpädagogen betreut werden sollen (Bundestagsdrucksache 18/960, S. 7)? Der Vorschlag des Staatssekretärsausschusses geht zurück auf Unterstützungsbitten der in der Fragestellung genannten Kommunen sowie dort wirkender Praktiker (insbesondere Träger von Integrationskursen), die einen entsprechenden Bedarf für einen Teil der im Staatssekretärsausschuss behandelten Zielgrup- pen (Zuwanderer vor allem aus den EU-8-Staaten (Estland, Lettland, Litauen, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1436 Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn) und den EU-2- Staaten (Bulgarien und Rumänien) sowie aus den von der Wirtschafts- und Finanzkrise besonders betroffenen südeuropäischen Ländern) festgestellt haben. Jener Bedarf ergebe sich insbesondere für Zuwanderer mit feststellbaren Lerndefiziten , bildungsferneren Biographien, oft verbunden mit prekären Lebenslagen . a) Worin erkennt die Bundesregierung den ihrerseits in diesem Zusammenhang behaupteten „besonderen Bedarf der Zielgruppe“? Es wird auf den Schlusssatz der Antwort zu Frage 8 verwiesen. b) Welche Zielgruppe hat nach Ansicht der Bundesregierung einen derartigen „besonderen Bedarf“ an einer sozialpädagogischen Betreuung (bitte begründen): a) Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer in den vier oben genannten Städten, b) alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, c) ausschließlich bzw. vorrangig Teilnehmende aus Rumänien und Bulgarien ? Es wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. c) Gibt es oder soll es Integrationskurse geben, die ausschließlich an die aufgrund der Frage 8b zu ermittelnden Zielgruppe gerichtet sind und im Rahmen derer die Zielgruppe von Sozialpädagogen betreut werden soll? Aufgrund welcher Erwägungen kommt eine sozialpädagogische Betreuung grundsätzlich für alle Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer an Integrationskursen in Betracht oder nicht in Betracht? Die Bundesregierung plant nicht, einzelne Integrationskurse ausschließlich an die Zielgruppe zu richten. Den Trägern der Integrationskurse obliegt es, im Sinne eines bestmöglichen Lernerfolgs die Teilnehmer der Kurse zusammenstellen . Der Umfang der sozialpädagogischen Betreuung wird sodann am Bedarf ausgerichtet festgelegt. d) Welche zusätzlichen Haushaltsmittel wird die Bundesregierung zum Zwecke der sozialpädagogischen Betreuung von Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern vorhalten und einstellen, und wie fügt sich dieses Vorhaben in die Planungen des Bundesministeriums des Innern ein, die Haushaltsmittel für Integrationskurse insgesamt um 5 Mio. Euro zu kürzen ? Der Mittelbedarf für Integrationskurse wird – entgegen der aufgrund früherer Prognosen angenommenen 204 Mio. Euro im 2. Regierungsentwurf – für das Jahr 2014 angesichts nun 140 000 erwarteter neuer Teilnehmer mit 249,7 Mio. Euro veranschlagt, aus denen auch die sozialpädagogische Betreuung finanziert werden soll. Eine Etatisierung des Mehrbedarfs im Regierungsentwurf erfolgte bislang nicht, da eine politische Einigung über die Aufteilung der so genannten prioritären Bildungsmittel aussteht. Drucksache 18/1436 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 9. Wie haben sich Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit in den Jahren von 2005 bis 2014 entwickelt (bitte nach Jahren und der Nationalität der Tatverdächtigen aufschlüsseln)? Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung spielen sich im Verborgenen ab und sind weit verbreitet; sie entziehen sich naturgemäß einer statistischen Erfassung. Aus Sicht der Bundesregierung besteht derzeit kein methodischer Ansatz, der geeignet ist, den Umfang und die Entwicklung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung verlässlich zu errechnen und in absoluten Zahlen zu belegen. Für die statistischen Erhebungen zu den Ermittlungsverfahren der Finanzkontrolle Schwarzarbeit wird die Nationalität der Beschuldigten nicht erfasst. 10. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit in signifikantem Maße Folgen der in Deutschland bestehenden Übergangsregelungen beim Arbeitsmarktzugang von Staatsangehörigen aus Beitrittsstaaten waren bzw. sind, dass also die Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit eine effektive Maßnahme zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit war bzw. ist? Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, dass die Übergangsregelungen beim Arbeitsmarktzugang von Staatsangehörigen aus den Beitrittsstaaten in signifikantem Maße zu Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit beitragen. Die Übergangsregelungen für den Arbeitsmarktzugang bestehen in Deutschland seit dem 1. Januar 2014 nur noch gegenüber Kroatien. Mit Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit wird vor allem bezweckt, Sozialversicherungsbeiträge und ggf. Steuern zu hinterziehen. Dieser Anreiz bleibt auch nach Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit erhalten. 11. Beschäftigt sich der Staatssekretärsausschuss mit dem Umstand, dass deutsche Unternehmen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Osteuropa in Deutschland systematisch zu untertariflichen Löhnen beschäftigen (vgl. Bericht im WDR-Magazin „Monitor“ vom 9. Januar 2014)? a) Wenn ja, welche Vorschläge werden diesbezüglich im Staatssekretärsausschuss beraten? b) Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung begrüßt es, wenn deutsche Unternehmen Arbeitnehmer aus Osteuropa in Deutschland beschäftigen. Dies ist Ausdruck der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union und sichert die Fachkräftebasis in unserem Land. Dabei gelten für hier beschäftigte Unionsbürger dieselben rechtlichen Bedingungen wie für deutsche Arbeitnehmer. Im Hinblick auf die Entlohnung bedeutet dies, dass ein Tariflohn zu zahlen ist, wenn beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden sind. Mit dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn wird künftig für alle Arbeitnehmer eine Untergrenze für die Entlohnung sichergestellt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/1436 12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Lohnwucher und die Ausbeutung der Arbeitskraft osteuropäischer Migrantinnen und Migranten (etwa im Sinne der §§ 233, 291 des Strafgesetzbuchs) durch Arbeitgeber in Deutschland? 13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Hinterziehung von Sozialabgaben durch Arbeitgeber in Deutschland, die im Zusammenhang mit Lohnwucher und der Ausbeutung der Arbeitskraft osteuropäischer Migrantinnen und Migranten (etwa im Sinne der §§ 233, 291 des Strafgesetzbuchs ) erfolgt? Die Fragen 12 und 13 werden gemeinsam beantwortet. Es wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. 14. In wie vielen Fällen hat z. B. die Deutsche Rentenversicherung in den letzten fünf Jahren das Hinterziehen von Sozialversicherungsabgaben im Zusammenhang mit mutmaßlich scheinselbständigen Arbeitsverhältnissen mit Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern angezeigt? Nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund enthalten die Statistiken der Deutschen Rentenversicherung hierzu keine Angaben. 15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor deutschen Arbeitsgerichten in den letzten fünf Jahren erfolgreich Klage geführt haben, weil sie von ihren Arbeitgebern um den ihnen zustehenden Lohn geprellt wurden? 16. Befasst sich der Staatssekretärsausschuss mit Maßnahmen, die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger vor Lohnwucher und der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft (etwa im Sinne der §§ 233, 291 des Strafgesetzbuchs schützen bzw. sie darin unterstützen, sich gegen Lohnwucher und die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zu wehren? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 15 und 16 werden gemeinsam beantwortet. Die Bundesregierung hat keine Kenntnisse darüber, dass Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor deutschen Arbeitsgerichten in den letzten fünf Jahren erfolgreich Klage geführt haben, weil sie von ihren Arbeitgebern um den ihnen zustehenden Lohn geprellt wurden. Die insoweit einschlägige, vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Statistik der Arbeitsgerichte erfasst die Verfahren nicht in entsprechender Weise. Es werden weder der Erfolg der Klagen noch die Nationalität der Parteien erhoben. Der Staatssekretärsausschuss befasst sich mit Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme sozialer Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten. Maßnahmen gegen Lohnwucher und Ausbeutung der Arbeitskraft sind nicht unmittelbar Gegenstand der Arbeit des Ausschusses. Um Unionsbürger insbesondere aus den mittel- und osteuropäischen Staaten bei der Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu unterstützen, fördert die Bundesregierung die Beratungs- und Betreuungsstellen des Projekts „Faire Mobilität – Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv“. Zuwandernden bzw. vorübergehend in Deutschland arbeitenden ausländischen Beschäftigten bietet das Projekt Informations- und Beratungsleistun- Drucksache 18/1436 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode gen in der jeweiligen Heimatsprache zu arbeitsrechtlichen und sozialen Fragestellungen an. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass das Projekt einen bedeutsamen Beitrag im Umgang mit schwiegen Frage- und Problemstellungen bei den Arbeitsbedingungen, auch hinsichtlich des Lohn- und Sozialdumpings, leisten kann. 17. Wurden im Staatssekretärsausschuss im Handlungsfeld „Bekämpfung illegaler Beschäftigung, Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit“ Sachverständige angehört? a) Wenn ja, welche? Welche Empfehlungen haben sie abgegeben? b) Wenn nein, warum nicht? Anhörungen und Gespräche, die im Rahmen der Tätigkeit des Staatssekretärsausschusses bislang geführt worden sind, haben ebenso wie die bereits vorliegenden Darstellungen zum Thema gezeigt, dass sich Probleme, die durch einen verstärkten Zuzug aus anderen EU-Mitgliedstaaten verursacht werden, regional sehr unterschiedlich verteilen. Der Ausschuss hat sich daher intensiv mit der Situation in den Kommunen befasst, die in besonderer Weise durch einen verstärkten Zuzug aus anderen Mitgliedstaaten betroffen sind. Dazu fand u. a. eine Anhörung mit Vertretern der kommunalen Ebene statt, an der neben den drei kommunalen Spitzenverbänden – Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund sowie Deutscher Landkreistag – Vertreter von Duisburg, München, Berlin sowie des Landkreises Osnabrück teilgenommen haben. Im Rahmen dieser Anhörung haben die Kommunalvertreter u. a. auch ausführlich über aktuelle Probleme mit Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit vor Ort berichtet. Im Übrigen hat das Bundesministerium der Finanzen als das für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zuständige Ressort seine fachliche Expertise umfassend in die Arbeit des Ausschusses eingebracht. 18. Wie viele Verurteilungen gab es (seit dem Jahr 2005) im Hinblick auf einen betrügerischen Bezug von Kindergeld durch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger (bitte nach EU-Mitgliedstaaten, einschließlich Deutschland, aufschlüsseln)? Die Bundesregierung verfügt über keine entsprechenden Informationen, da der Betrug nach § 263 des Strafgesetzbuchs (StGB) in der Strafverfolgungsstatistik nur allgemein und nicht nach Betrugsarten differenziert ausgewiesen wird. 19. Ist es (unter Zugrundelegung der auf S. 7 des Zwischenberichts vorgelegten Planungsdaten) zutreffend, dass die angekündigten 200 Mio. Euro zur Unterstützung betroffener Kommunen tatsächlich zu 64 Prozent (137 Mio. Euro) aus reinen EU-Mitteln und lediglich zu 36 Prozent (77,3 Mio. Euro) aus nationalen Kofinanzierungsmitteln des Bundes bestehen sollen? Die von den Fragestellern vorgenommene Prozentrechnung ist zutreffend. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/1436 20. In welcher Höhe erwartet der Bund eigene Finanzierungsbeiträge (Kofinanzierung ) der Länder und Träger, in welcher Höhe der Kommunen (bitte nach Kommunen in Haushaltsnotlage und andere Kommunen differenzieren )? Die Bestimmung des Eigenanteils potentieller Antragsteller an den vorgesehenen Maßnahmen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) liegt in der Verantwortung der jeweils zuständigen Ressorts. Er wird im Rahmen entsprechender Förderrichtlinien festgelegt, deren Vorbereitung für die Förderperiode 2014 bis 2020 noch nicht abgeschlossen ist. 21. Wie viele Mittel der in Aussicht gestellten 200 Mio. Euro will der Bund in welchen Jahren den Kommunen für was genau zur Verfügung stellen? Die Bereiche, in denen der Bund die Kommunen finanziell unterstützen wird, können der Tabelle auf Seite 10 des Zwischenberichts des Staatssekretärsausschusses zu „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ entnommen werden. Eine detaillierte Beschreibung der Maßnahmen findet sich auf den Seiten 80 bis 85 des genannten Zwischenberichts. Eine Aufteilung der Mittel aus dem ESF und dem EHAP auf Jahrestranchen ist erst nach Bewilligung der Förderanträge möglich. 22. Will der Bund mit diesen Mitteln entsprechend dem Vorschlag der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Dr. Barbara Hendricks (www.tagesspiegel.de/politik/hendricks-versprichtkommunen -hilfe/9392058.html) auch den Ankauf bzw. den Abriss von „Schrottimmobilien“ finanziell fördern? Wenn ja, mit Bundesmitteln in welcher Höhe? Der Zwischenbericht des Staatssekretärsausschusses „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ kommt zu dem Ergebnis, dass das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ mit seinem Quartiersbezug einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Integration in den betroffenen Städten leisten kann. Im Kern geht es um die Beseitigung städtebaulicher und sozialer Missstände. Dabei kann im Einzelfall, wenn es sich um vernachlässigte Bausubstanz im Sinne des Ordnungsrechts handelt, als Teil der Gesamtmaßnahme auch eine Förderung im Rahmen der „Sozialen Stadt“ oder der anderen Städtebauförderprogramme infrage kommen. Darüber hinaus zielt das Programm „Soziale Stadt“ vor allem auf eine Bündelung von Maßnahmen auf Basis integrierter Konzepte und mit Unterstützung des geförderten Quartiersmanagements. Mit dem Quartiersmanagement besteht zudem die Möglichkeit, die gesamte Nachbarschaft einzubeziehen und damit Konflikte im Stadtteil zu verhindern bzw. zu lösen. Der Deutsche Städtetag und Kommunen haben die Unterstützung durch das Programm „Soziale Stadt“ begrüßt. Sie haben im Rahmen der Beratungen des Staatssekretärsausschusses betont, dass die Integrationsmaßnahmen vor Ort und im Quartier angeboten werden müssen, um erfolgreich sein zu können. In allen Programmen der Städtebauförderung entscheiden die Länder über die konkrete Art und den konkreten Umfang der einzelnen Maßnahmen auf Antrag der Kommunen. Drucksache 18/1436 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 23. Nach welchen Kriterien sollen die „besonders betroffenen Kommunen“, die von einer diesbezüglichen finanziellen Unterstützung profitieren sollen , ausgewählt werden? 24. Wie sollen die Finanzmittel unter den besonders betroffenen Kommunen aufgeteilt werden? Die Fragen 23 und 24 werden gemeinsam beantwortet. Im Rahmen der Förderprogramme des ESF und des EHAP ist keine Vorabfestlegung von Kriterien für besonders betroffene Kommunen vorgesehen. Mögliche Zuwendungsempfänger werden im Wege der Förderrichtlinien der zuständigen Ressorts über Ziele, Gegenstand und Finanzierungsmodalitäten der Förderung informiert. Das Ausmaß der Betroffenheit von Problemen in Folge der Zuwanderung aus EU-Mitgliedstaaten sowie entsprechende Lösungsansätze sind im Rahmen der Förderanträge möglicher Zuwendungsempfänger schlüssig darzulegen. Die Höhe der Mittel für einzelne Städte kann vorab nicht beziffert werden. Wie viele Mittel eine Kommune direkt als Zuwendungsempfänger oder indirekt über die Förderung von Projektträgern in ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich erhält , hängt von der Qualität der Anträge im Rahmen der Umsetzung der entsprechenden Förderprogramme ab. Die Frage der Finanzmittelverteilung ist außerdem Gegenstand der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zur Verwaltungsvereinbarung (VV) Städtebauförderung zur Umsetzung der Finanzhilfen zur Städtebauförderung 2014. Diese sind noch nicht abgeschlossen. 25. Auf welcher Grundlage basiert die Annahme der Bundesregierung, dass etwa 10 Mio. Euro des Mittelaufwuchses im Programm „Soziale Stadt“ für Integrationsmaßnahmen sowie zur Maßnahmenbeschleunigung und -vereinfachung in besonders betroffenen Kommunen aufgewendet werden können? Die Annahme basiert auf einer vorläufigen Schätzung auf der Grundlage der seitens des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Anfang dieses Jahres mit den Oberbürgermeistern einiger besonders betroffener Kommunen und Vertretern der Länder geführten Gespräche. 26. Wie will die Bundesregierung gewährleisten, dass die zusätzlichen Mittel im Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ auch bei den besonders betroffenen Kommunen ankommen und dort sachgerecht eingesetzt werden? Auf die Antwort zu den Fragen 23 und 24 wird verwiesen. 27. Ab wann können die besonders betroffenen Kommunen die zusätzlichen Mittel aus dem Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ abrufen? Die Bundesmittel können grundsätzlich nach Inkrafttreten des Bundeshaushaushalts 2014 und der zwischen Bund und Ländern abzuschließenden Verwaltungsvereinbarung (VV) Städtebauförderung zur Umsetzung der Finanzhilfen zur Städtebauförderung im Jahr 2014 abgerufen werden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 23 und 24 verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/1436 28. Wie begründet die Bundesregierung, dass der Staatssekretärsausschuss den Vorschlag der Konferenz der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vom November 2013 nicht aufgegriffen hat, „das Operationelle Programm des Bundes für den ESF für die Zielgruppe der Armutswanderer aus Osteuropa bzw. für die betroffenen Stadtregionen zu öffnen und durch gezielte Programme zu erweitern und die Kofinanzierung zu übernehmen“? Der Vorschlag wurde aufgegriffen, indem die ESF-Programme der Förderperiode 2014 bis 2020 JUGEND STÄRKEN im Quartier, BIWAQ/Bildung, Wirtschaft und Arbeit im Quartier und die ESF-Integrationsrichtlinie Bund gezielt auf die kommunalen Probleme zugeschnitten werden und ein Teil der Mittel (vgl. Tabelle auf S. 10 des Zwischenberichts des Staatssekretärsausschusses ) für entsprechende Projekte verwendet wird. 29. Auf welchem Stand ist der Klärungsprozess im Hinblick auf die im Zwischenbericht auf S. 53 erwähnte Abstimmung zwischen Bund und Ländern über Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung im Hinblick auf die Frage, ob Gebäude außerhalb der Fördergebiete in das Programm „Soziale Stadt“ einbezogen werden können? Diese Fragen sind ebenfalls Gegenstand von Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. 30. Wann werden die im Zwischenbericht auf S. 54 angekündigten Leitfäden (zum Umgang mit „verwahrlosten“ Immobilien bzw. zur Krankenversicherung ) fertiggestellt sein bzw. wie ist der Verfahrensstand derzeit? Welche inhaltlichen Vorgaben werden die Leitfäden machen? Der Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien – „Schrottimmobilien“ ist mit der Arbeitsgruppe aus Vertretern der Länder, Kommunen, Verbänden usw. abgestimmt und befindet sich in der Endredaktion. Es ist geplant, ihn ab Juni 2014 zu veröffentlichen. Der Leitfaden vermittelt einen systematischen Überblick über die hoheitlichen Instrumente aus verschiedenen Rechtsgebieten und gibt auch Hinweise zur Umsetzung im Verwaltungsvollzug. Anhand konkreter Fallbeispiele wird dargestellt , wie erfolgreiche Ergebnisse erzielt werden können. Der im Zwischenbericht angekündigte Leitfaden zur gesetzlichen Krankenversicherung wird derzeit vom GKV-Spitzenverband (GKV = gesetzliche Krankenversicherung ) erarbeitet und in den Details mit dem Bundesministerium für Gesundheit abgestimmt. Mit einer Fertigstellung ist in den nächsten Wochen zu rechnen. Zur inhaltlichen Ausgestaltung kann abschließend noch keine Aussage getroffen werden. 31. Wie beurteilt die Bundesregierung den Ansatz, das Problem der Vermietung „verwahrloster“ Wohnungen durch eine an das nordrhein-westfälische Wohnungsaufsichtsgesetz (Landtag-NRW-Drucksache 16/4379 und 16/ 4459) angelehnte Rechtssetzung des Bundes oder der Länder zu lösen, und welche diesbezüglichen Gesetzesvorhaben planen die Bundesregierung bzw. – nach gegenwärtiger Kenntnis der Bundesregierung – die Länder? Das Recht der Wohnungsaufsicht unterfällt der alleinigen Gesetzgebungskompetenz der Länder. Diese entscheiden in eigener Verantwortung und in Kenntnis der jeweiligen örtlichen Verhältnisse, ob und inwieweit sie von dieser Kompe- tenz Gebrauch machen. Ob neben Nordrhein-Westfalen weitere Länder Gesetzgebungsvorhaben planen, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333 Antwort Der Staatssekretärsausschuss der Bundesregierung zur „Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union“