Deutscher Bundestag Drucksache 18/1446 18. Wahlperiode 20.05.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/1292 – Lage im Asylsystem in Bulgarien Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In verschiedenen Stellungnahmen haben sich Amnesty International und PRO ASYL e. V. in diesem Jahr für einen Stopp von Überstellungen von Asylsuchenden nach Bulgarien im Rahmen der Asylzuständigkeitsregeln (DublinIII -Verordnung) ausgesprochen. Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) hatte am 2. Januar 2014 einen Bericht veröffentlicht, der die Situation im bulgarischen Aufnahmesystem schildert („UNHCR observations on the current asylum system in Bulgaria“, 2. Januar 2014, www. unhcr.org). Der UNHCR kommt darin zu dem Schluss, dass für Asylsuchende in Bulgarien eine tatsächliche Gefahr besteht, Opfer von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu werden. Defizite bestehen in allen Bereichen: Unterbringung in überfüllten Aufnahmeeinrichtungen, mangelhafte Verpflegung , gesundheitsgefährdende hygienische Zustände, mangelnde medizinische Versorgung, Inhaftierung von Personen, die beim unerlaubten Grenzübertritt festgestellt werden, auch wenn sie einen Asylantrag stellen. All diese Schwierigkeiten treffen auch Asylsuchende, die nach einer Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland nach Bulgarien zurückgeschoben werden. Bei ihnen kommt noch hinzu, dass ihre Asylanträge als „zurückgenommen“ gelten und sie bei einer Rückschiebung daher nur noch einen Asylfolgeantrag stellen können , in dem sie allerdings neue Tatsachen vorbringen müssen. Es besteht also die Gefahr, dass der Asylantrag dieser Schutzsuchenden aus formalen Gründen abgelehnt und zu keinem Zeitpunkt inhaltlich geprüft wird. Das trifft auch auf Asylsuchende zu, die aus der Bundesrepublik Deutschland nach Bulgarien zurückgeschickt werden. Das Europabüro des UNHCR veröffentlichte am 20. Januar 2014 ein „refugee situation bulgaria external update“, in dem er die Bitte um Verzicht auf Überstellungen nach Bulgarien aufrechterhielt, aber auch auf erste Fortschritte durch die Intervention des UNHCR und des Europäischen Asylunterstützungsbüros hinwies. Allerdings enthielt dieses update noch einen weiteren, besorgDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 16. Mai 2014 übermittelt . Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. niserregenden Hinweis: Die Zahl der Asylsuchenden, die neu nach Bulgarien kommen, ist von Oktober/November 2013 mit wöchentlich 100 Neuregistrierungen auf 32 in den ersten drei Wochen des Jahres 2014 zurückgegangen. 1 500 Polizeikräfte sind seit November 2013 an die Grenze zur Türkei verlegt Drucksache 18/1446 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode worden, ein 33 Kilometer langer Zaun an einem Teilstück der 274 Kilometer langen Grenze zur Türkei sollten demnach bis Februar 2014 fertiggestellt werden. Amnesty International befürchtet deshalb, dass der starke Rückgang der Asylbewerberzahlen „Resultat von Grenzkontrollpraktiken ist, die jenen, die internationalen Schutz brauchen, die Chance zur Einreise in das Land und das Stellen eines Asylantrags verneint“ (Amnesty International, „Suspension of returns of asylum-seekers to bulgaria must continue“, März 2014, S. 4). 1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zu den aktuellen Entwicklungen im bulgarischen Aufnahmesystem (bitte angeben für die Bereiche Unterkunft , Verpflegung, hygienische Bedingungen, Gesundheitsversorgung, Lage besonders verletzlicher Personen)? Bulgarien unternimmt gegenwärtig u. a. mit Hilfe des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) und in Kooperation mit dem UNHCR große Anstrengungen, um trotz des gestiegenen Flüchtlingszustroms im Jahr 2013 die Anforderungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu gewährleisten. Hierzu gehören insbesondere Maßnahmen zur Verbesserung des Aufnahmesystems , der Herkunftsländerinformationen, der Ausbildung neuer Kräfte, der Versorgung schutzbedürftiger Personen und der Registrierung von Schutzsuchenden . Diese Maßnahmen haben bereits deutliche Verbesserungen im Asylverfahren und in den Aufnahmebedingungen bewirkt. Aus diesem Grund geht auch der UNHCR in seinem aktuellsten Bericht „Bulgaria as a country of asylum“ vom 15. April 2014 davon aus, dass Überstellungen nach Bulgarien nicht mehr grundsätzlich ausgesetzt werden müssen. Gegenwärtig bestehen sieben Aufnahmeeinrichtungen zur Registrierung, Aufnahme und Unterbringung der Schutzsuchenden, welche sich im Zuständigkeitsbereich der staatlichen Flüchtlingsagentur (SAR) befinden. Dabei handelt es sich um die Aufnahme- und Registrierungszentren in Sofia und Banya, das Durchgangszentrum in Pastrogor, das Aufnahmezentrum in Harmanli sowie die Aufnahmeunterkünfte in Kovachevtsi, Vrajdebna und Voenna Rampa. Laut dem UNHCR-Bericht „Bulgaria as a country of asylum“ vom 15. April 2014 umfasste die Aufnahmekapazität der sieben Aufnahmezentren Ende März 2014 ca. 4 150 Plätze mit einer Belegungsrate von 82 Prozent. Seit Dezember 2013 hat die SAR 160 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Die Mehrheit von ihnen unterstützt das Personal in den Aufnahmeeinrichtungen, insbesondere bei der Registrierung von Asylanträgen, der Durchführung der Verfahren und der Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt. Unter den neu eingestellten Mitarbeitern befinden sich auch Sozialarbeiter. In allen Aufnahmezentren wurden und werden die Unterkünfte renoviert bzw. moderne Wohncontainer angeschafft. Anfangs nur unzureichend vorhandene Sanitärbereiche mit Duschen und Toiletten wurden in fast allen Zentren erneuert . Die Räumlichkeiten sind beheizt, es stehen getrennte Einrichtungen für alleinstehende Frauen und Männer zur Verfügung. Täglich werden zwei warme Mahlzeiten bereitgestellt. Eine monatliche Grundsicherung für Schutzsuchenden von 33 Euro wird ausgezahlt. Ferner sind Gemeinschaftsküchen in den Zentren Banya, Pastrogor, Sofia und Kovachevtsi verfügbar. Nach dem Bericht „The AIDA Asylum Information Database National Country Report Bulgaria“ des bulgarischen Helsinki Committee vom 25. April 2013 wird jeder Antragsteller in Bulgarien von der zuständigen Stelle (staatliche Flüchtlingsagentur ) krankenversichert und erhält eine kostenlose medizinische Behandlung im gleichen Umfang wie ein bulgarischer Staatsbürger. Die ärztliche Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1446 Versorgung wird sowohl durch Ärzte der Nichtregierungsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ als auch durch bulgarische Allgemeinmediziner sichergestellt. Seit Februar 2014 leistet EASO operative Unterstützung zur Weiterleitung von unbegleiteten Minderjährigen und besonders Schutzbedürftigen. Die bestehenden Weiterleitungsverfahren für unbegleitete Minderjährige, Schutzbedürftige und Personen mit besonderen Bedürfnissen wurden durch EASO beschrieben, ein Handbuch für die Erkennung von schutzbedürftigen Gruppen und die Lösung der Probleme in den Aufnahmeeinrichtungen wurde erstellt. Besuche von Vertretern der Botschaft Sofia in den Flüchtlingslagern haben allerdings ergeben , dass für Personen mit besonderen Bedürfnissen (z. B. Menschen mit Behinderungen sowie ältere oder kriegsversehrte Personen) nach wie vor ein Mangel an unterstützenden Maßnahmen besteht. 2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum Ablauf des Asylverfahrens bei Personen, die zunächst wegen „illegaler Einreise“ eine Ausweisung erhalten und in Abschiebehaft genommen werden, insbesondere zur Dauer der Inhaftierung? Alle an der bulgarisch-türkischen Grenze aufgegriffenen Personen, die illegal die Grenze übertreten haben, werden zunächst zur Regionaldirektion der Grenzpolizei in Elhovo/Südbulgarien oder zur Grenzpolizeiinspektion in Svilengrad in der Nähe des offiziellen Grenzübergangspunktes Bulgarien/Türkei verbracht. Zu den ersten grenzpolizeilichen Maßnahmen gehört neben der Identitätsfeststellung auch eine medizinische Untersuchung durch Vertrauensärzte der Grenzpolizei und Ärzte der Nichtregierungsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“. Die Verpflegung der Flüchtlinge wurde bisher durch das Bulgarische Rote Kreuz sichergestellt. Danach werden die Personen entweder der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge (Asylbewerber) oder der Direktion Migration (Rückführung) zugeführt . Über die übliche Dauer der Abschiebehaft liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Die Dauer ist von verschiedenen Faktoren abhängig, z. B. von der Frage, aus welchem Land die aufgegriffenen Personen kommen oder ob es mit diesen Ländern bilaterale Rücknahmeabkommen gibt. Im Rahmen der ersten Befragung werden die aufgegriffenen Personen polizeilich registriert. Dabei können sie ihr Asylbegehren vorbringen. Die polizeiliche Registrierung erfolgt auch deswegen, weil ein illegaler Grenzübertritt nach bulgarischem Recht eine Straftat ist (Verstoß gegen § 279 des bulgarischen Strafgesetzbuches ). Je nach Vorbringen werden die aufgegriffenen Personen danach entweder der „Agentur für Flüchtlinge“ (Asylbegehren) oder der „Direktion Migration “ (Abschiebung) überstellt. In der Zeit zwischen September und November 2013 stieg die Zahl der Flüchtlinge unerwartet stark an. Dadurch wurden die beiden Behörden ohne Vorwarnung mit erheblichen organisatorischen und personellen Problemen konfrontiert . Die Flüchtlinge verblieben daher in dieser Zeit manchmal nicht nur einen Tag, sondern auch zwei oder drei Tage im Gewahrsam der Grenzpolizei. Während dieser Zeit wurden sie u. a. auch von Beamten der Grenzschutzagentur FRONTEX befragt. Drucksache 18/1446 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Zahl der Asylsuchenden, deren Asylantrag durch die zuständigen bulgarischen Behörden nicht entgegengenommen wurden und deren Aufenthalt im Land deshalb als „illegal“ gilt, und die deshalb trotz möglicher Schutzbedürftigkeit jederzeit in Haft geraten können, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie daraus? Zur Zahl der Asylsuchenden, deren Asylantrag durch die zuständigen bulgarischen Behörden nicht entgegengenommen wurde, liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 4. Trifft nach Kenntnis der Bundesregierung die Darstellung des Amnesty-International -Berichts zu, dass die Grenzpolizei bei einem unerlaubten Grenzübertritt asylsuchende Personen nicht an die Staatliche Agentur für Flüchtlinge meldet, sondern zunächst in das geschlossene Zentrum in Elhovo transferiert, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie daraus? Nach Kenntnis der Bundesregierung werden im Zusammenhang mit dem unerlaubten Grenzübertritt festgestellte Personen zunächst zur Erstversorgung und ersten Befragung entweder der Unterkunft der BGR Regionaldirektion Grenzpolizei /Grenzpolizeiinspektion Elhovo oder der Grenzpolizeiinspektion Svilengrad zugewiesen (siehe Antwort zu Frage 2). Die Staatliche Agentur für Flüchtlinge musste im Jahr 2013 auf den plötzlichen Anstieg der Flüchtlingszahlen reagieren und entschied, mit mehreren Teams die erste Registrierung im Rahmen des Asylverfahrens schon in der Liegenschaft der Regionaldirektion der Grenzpolizei in Elhovo vorzunehmen. Die infrastrukturellen Bedingungen der Liegenschaft in Elhovo waren dafür nur bedingt geeignet. 5. Welche Aufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende bestehen derzeit mit jeweils wie vielen Plätzen, wie sind die Bedingungen für den Aufenthalt in diesen Einrichtungen bezogen auf die Möglichkeit der untergebrachten Personen , sich außerhalb dieser Einrichtungen zu bewegen? Hinsichtlich des ersten Teils der Frage wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen . Jeder Asylantragsteller kann sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen zu jeder Zeit frei bewegen. Nur etwa die Hälfte der in Bulgarien befindlichen Asylbewerber ist in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht. 6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum Umgang mit rücküberstellten Asylbewerbern in Bulgarien, insbesondere zur Wiederaufnahme des Asylverfahrens, zu Unterbringung und Ingewahrsamnahme? Nach dem UNHCR-Bericht „Bulgaria as a country of asylum“ vom 15. April 2014 wird bei Schutzsuchenden mit noch nicht abgeschlossenem Verfahren in Bulgarien ihr jeweiliger Antrag bei Rückkehr nach Bulgarien in demjenigen Verfahrensschritt weitergeprüft, in welchem er sich zuletzt befand, sofern der Antragsteller dies wünscht. Der rücküberstellte Antragsteller verfügt über dieselben Rechte wie alle anderen Antragsteller. Wurde das Verfahren unterbrochen und spricht der Antragsteller nicht innerhalb von drei Monaten bei der staatlichen Flüchtlingsagentur vor, wird das Verfahren in seiner Abwesenheit beendet. Falls noch keine Anhörung stattfand, wird diese Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1446 bei Rückkehr nachgeholt, da nach bulgarischem Recht grundsätzlich keine Entscheidung ohne Anhörung erfolgen kann. Wurde der Antrag bereits rechtskräftig abgelehnt, besteht bei Rückkehr nach Bulgarien die Möglichkeit, einen Folgeantrag zu stellen. Bei Folgeantragstellung erfolgt grundsätzlich keine Abschiebehaft. Asylsuchende, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen wurden, können in einer der Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge aufgenommen werden. Asylsuchende , deren Anträge bereits rechtskräftig abgelehnt wurden, und die zurück nach Bulgarien überstellt werden, werden zunächst in Einrichtungen des Migrationsdirektorats untergebracht (mit dem Ziel der Abschiebung). Die bulgarischen Behörden unterscheiden bei der Gewährung von Sozialleistungen , der Gesundheitsversorgung oder der Unterbringung nicht danach, ob ein Asylantragsteller seinen Antrag in Bulgarien gestellt hat oder auf der Grundlage der Dublin-III-Verordnung nach Bulgarien überstellt wurde. 7. Welche Regeln gelten nach Kenntnis der Bundesregierung in Bulgarien für die Ingewahrsamnahme bzw. Inhaftierung von Asylsuchenden gemäß der EU-Aufnahmerichtlinie, und welche Rechtsmittel stehen den Betroffenen gegen eine Ingewahrsamnahme bzw. Inhaftierung zur Verfügung? Das Verfahren nach der geltenden EU-Aufnahmerichtlinie erfolgt in Bulgarien in drei Phasen. In der ersten Phase wird entschieden, ob Bulgarien oder ein anderes EU-Land für den Fall als zuständig angesehen wird. In der zweiten Phase (sog. beschleunigtes Verfahren) wird festgestellt, ob ein Antrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Diese Entscheidung erfolgt innerhalb von drei Tagen. In der dritten Phase (allgemeines Verfahren mit der Entscheidung über eine evtl. Inhaftierung) wird innerhalb von drei Monaten über den eigentlichen Antrag entschieden. Alle drei Phasen unterliegen einer gerichtlichen Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Rechtsmittel sind möglich. Nach dem UNHCR-Bericht vom 15. April 2014 erlaubt das bulgarische Recht eine Inhaftierung von Personen aufgrund illegaler Einreise, unerlaubtem Aufenthalt oder wegen fehlender gültiger Ausweisdokumente. Bei laufendem Asylverfahren findet keine Inhaftierung statt, es sei denn, der Aufenthalt der Person gefährdet die nationale bulgarische Sicherheit (Artikel 67 Absatz 3 des bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsgesetzes). Das bulgarische Recht sieht Haft damit nur zum Zwecke der Abschiebung und grundsätzlich nicht für Asylbewerber vor. Rechtsmittel können binnen 14 Kalendertagen gegen die Haftanordnung eingelegt werden, eine automatische gerichtliche Überprüfung erfolgt aber erst nach sechsmonatiger Haft (AIDA – National Country Report zu Bulgarien, Stand 25. April 2013). 8. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Einschätzung des UNHCR, in Bulgarien bestünden systemische Mängel im Asylsystem und Überstellungen hätten dementsprechend zu unterbleiben ? Im aktuellen Bericht des UNHCR zu Bulgarien vom 15. April 2014 wird die vormalige UNHCR-Empfehlung im Bericht vom 6. Januar 2014, keine Überstellungen nach Bulgarien durchzuführen, nicht mehr aufrechterhalten. Die Verbesserungen im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Bulgarien rechtfertigen nach nunmehriger Aussage des UNHCR keine generelle Aus- setzung von Dublin-Überstellungen nach Bulgarien. Der UNHCR empfiehlt Drucksache 18/1446 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode jedoch, insbesondere bei Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen eine individuelle Bewertung vorzunehmen und zu überprüfen, ob eine Überstellung mit den Verpflichtungen zum Schutz der Grund- und Menschenrechte nach EUund Völkerrecht vereinbar sei. Die Bundesrepublik Deutschland überstellt im Rahmen der Dublin-Verordnung nur nach vorheriger Einzelfallprüfung Asylbewerber nach Bulgarien. 9. Welche anderen Dublin-Staaten haben bereits einen Überstellungsstopp nach Bulgarien angekündigt oder vollzogen, welche Dublin-Staaten nehmen de facto keine Überstellungen nach Bulgarien vor? Die Mitgliedstaaten Niederlande, Frankreich, Schweden, Ungarn, Großbritannien und Griechenland haben nach den Kenntnissen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Überstellungen nach Bulgarien nicht ausgesetzt . Faktisch finden allerdings in einigen Mitgliedstaaten wie Schweden, Frankreich und Großbritannien keine oder wie in den Niederlanden nur wenige Überstellungen statt. Eine einzelfallbezogene Prüfung nehmen u. a. die Niederlande und Ungarn vor. In Polen gibt es nach Angaben des BAMF kaum DublinVerfahren mit Bulgarienbezug. In Italien wurden Dublin-Verfahren bislang vorübergehend ausgesetzt, anhand des UNHCR-Berichts vom 15. April 2014 soll diese Entscheidung überdacht werden. Weitere Erkenntnisse liegen nicht vor. 10. Für wie viele Asylsuchende hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2013 und im 1. Quartal 2014 ein Überstellungsersuchen an Bulgarien gestellt, in wie vielen Fällen wurde der Überstellung zugestimmt, und wie viele Asylsuchende sind tatsächlich überstellt worden ? Die entsprechenden Angaben sind den nachfolgenden Tabellen zu entnehmen. 2013 1. Quartal 2014 11. In wie vielen Fällen hat das BAMF in diesem Zeitraum von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht? Im ersten Quartal 2014 hat das BAMF den Selbsteintritt bei 12 Personen ausgeübt . Für das Jahr 2013 existiert kein Zahlenmaterial. Deutsche Übernahmeersuchen an Bulgarien Bulgarische Zustimmungen an Deutschland Überstellungen von Deutschland nach Bulgarien 334 150 14 Deutsche Übernahmeersuchen an Bulgarien Bulgarische Zustimmungen an Deutschland Überstellungen von Deutschland nach Bulgarien 626 241 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1446 12. In welchem Umfang hat Bulgarien im vergangenen Jahr nach Kenntnis der Bundesregierung EU-Mittel oder andere Unterstützung vonseiten der Europäischen Union oder einzelner Mitgliedstaaten erhalten a) zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen für neu ankommende Asylsuchende, b) zur Verbesserung der Asylverfahren und des Rechtsschutzes gegen asylund aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, c) zum Auf- und Ausbau von Einrichtungen und Maßnahmen zur Grenzsicherung gegen unerlaubte Einreise? Bulgarien erhielt im Jahr 2013 aus dem Flüchtlingsfond „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme (SOLID)“ 752 190,00 Euro für den Ausbau des bulgarischen Asylverfahrens und die Schaffung verbesserter Aufnahmebedingungen . Weitere 13 409 540,00 Euro erhielt Bulgarien für die Ausstattung der EUAußengrenzen , den Ausbau des Schengen-Informationssystems (SIS) und des Visa-Informationssystems (VIS). Mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union wurde unter anderem die „Nationale Strategie für Migration, Asyl und Integration 2011 bis 2020“ der bulgarischen Regierung umgesetzt. Die bulgarische Regierung arbeitet dabei aktiv mit internationalen Organisationen (UNHCR, EU-Flüchtlingsfonds, IOM), sowie mit Nichtregierungsorganisationen zusammen (Rotes Kreuz Bulgaria, Caritas-Bulgaria, bulgarisches Helsinki-Komitee), um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Hinsichtlich personeller Unterstützung durch das „Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO)“ und die Unterstützung durch Deutsche Bedienstete wird auf die Antwort zu den Fragen 17 und 18 verwiesen. 13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von der Ausdehnung der FRONTEX-Operation „Poseidon Land“ von der griechisch-türkischen Landgrenze auf die bulgarisch-türkische Landgrenze, insbesondere zum Umfang der eingesetzten Einsatzkräfte, des Einsatzmaterials und zu den genauen Aufgaben des im Rahmen der FRONTEX-Operation eingesetzten Personals? Aufgrund der illegalen Migration aus der Türkei über die EU-Außengrenzen nach Griechenland und Bulgarien wird die durch FRONTEX koordinierte gemeinsame Einsatzmaßnahme „Poseidon Land“ bereits seit mehreren Jahren auch im Bereich der bulgarisch-türkischen Grenze durchgeführt. Deutsche Bundespolizeibeamte sind im Bereich der bulgarisch-türkischen Grenze an dieser FRONTEX-Einsatzmaßnahme seit etwa einem Jahr beteiligt. Insgesamt werden im Rahmen von „Poseidon Land“ an der bulgarisch-türkischen und griechisch-türkischen EU-Außengrenze zwischen 33 und 60 Unterstützungsbeamte aus 23 EU-Staaten sowie Schengen assoziierten Staaten eingesetzt . Ergänzend erfolgt der Einsatz von Ausstattung zur Grenzüberwachung, insbesondere von bis zu sechs Wärmebildfahrzeugen sowie mehreren Streifenfahrzeugen . Die Aufgaben der zur Unterstützung der bulgarischen Grenzpolizei eingesetzten Beamten entsprechen den grenzpolizeilichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen gemäß dem Schengener Grenzkodex. Drucksache 18/1446 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 14. Sind Beamte des Bundes an dieser Operation beteiligt, und wenn ja, mit welchen Aufgaben? Mit Stand vom 6. Mai 2014 sind zwei Angehörige der Bundespolizei im Rahmen der durch FRONTEX koordinierten gemeinsamen Einsatzmaßnahme „Poseidon Land“ in Bulgarien im Einsatz. Ab dem 18. Mai 2014 ist der Einsatz von insgesamt vier Angehörigen der Bundespolizei vorgesehen. Hinsichtlich der Aufgaben wird auf die Antwort zu Frage 13 verwiesen. 15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den Ursachen der stark abgesunkenen Zahl von Einreisen von Asylsuchenden über die bulgarisch -türkische Landgrenze? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, mit denen sich der Trend valide erklären lässt. 16. Welche Erkenntnisse und Einschätzungen hat die Bundesregierung, in wie weit die teilweise faktische Abriegelung der türkisch-bulgarischen Grenze zur Verlagerung der Flüchtlingsroute geführt hat, insbesondere zu einer höheren Auslastung der Route durch das mittlere Mittelmeer (von Ägypten und Libyen nach Italien)? Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie aus dieser möglichen Verlagerung der Fluchtrouten auch vor dem Hintergrund, dass der Weg über das Mittelmeer regelmäßig gefährlicher ist als über Land und Schleuser auf dieser Route deutlich höhere Profite erzielen? Erkenntnisse hinsichtlich einer „faktischen Abriegelung“ der bulgarisch-türkischen Grenze liegen der Bundesregierung nicht vor. Valide Erkenntnisse in Form statistischer Angaben, die eine Verlagerung von Migrationsbewegungen von der bulgarisch-türkischen EU-Außengrenze auf das zentrale Mittelmeer belegen, liegen der Bundesregierung nicht vor. Die Herkunftstaaten der Migranten, welche derzeit die zentrale Mittelmeerroute nutzen, sprechen gegen eine solche Verlagerung. Auf die umfangreichen Bemühungen der zuständigen EU-Mitgliedstaaten – unterstützt durch die EU-Agentur FRONTEX sowie Einsatzkräfte und Einsatzmittel anderer EU-Mitgliedstaaten – mit dem Ziel, das Risiko von tragisch endenden Seenotfällen bei der Migration über das Mittelmeer zu minimieren, weist die Bundesregierung in diesem Zusammenhang erneut hin. 17. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung vom Umfang und den Aufgaben des in Bulgarien eingesetzten Personals des Europäischen Asylunterstützungsbüros (European Asylum Support Office, EASO)? Nach Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen i. V. m. Artikel 13 und Artikel 18 der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 besteht die Aufgabe von EASO in der Koordinierung von Maßnahmen im betroffenen Mitgliedstaat. Der Mitgliedstaat muss dabei offiziell bei EASO um Unterstützung ersuchen. Bulgarien hat am 14. Oktober 2013 offiziell bei EASO nach Unterstützung angefragt . Am 17. Oktober 2013 wurde der Operationsplan zur Unterstützung von Bulgarien beschlossen und vom Exekutivdirektor von EASO und dem stellver- tretenden Premier- und Innenminister von Bulgarien unterzeichnet. Dieser Operationsplan wird von einem EASO-Mitarbeiterteam aus dem Organisationsbe- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/1446 reich „Zentrum für Operative Unterstützung“ umgesetzt. Durch die Koordinatorin und das Team wird sowohl die grundsätzliche Umsetzung und Terminierung einzelner Maßnahmen als auch die Abstimmung der allgemeinen Abfolge von Maßnahmen aus dem Operationsplan organisatorisch begleitet und abgestimmt. Die direkte Umsetzung der Maßnahmen aus dem Operationsplan geschieht nicht durch EASO-Mitarbeiter, sondern durch nationale Experten aus den Mitgliedstaaten im Rahmen von Einsätzen in Asylunterstützungsteams. Insgesamt sind im Rahmen des Operationsplans zur Unterstützung von Bulgarien bislang 22 Einzelmaßnahmen durchgeführt worden. In der Praxis handelt es sich überwiegend um kurzfristige Unterstützungsmaßnahmen (z. B. Schulungen) von wenigen Tagen Dauer. Bei der Umsetzung von Einzelmaßnahmen durch Experten aus den Mitgliedstaaten ist jeweils mindestens ein Mitarbeiter von EASO zur Koordinierung und Unterstützung vor Ort. Daneben finden bedarfsorientierte Abstimmungen und Absprachen mit den betroffenen bulgarischen Behörden statt. 18. Sind Bedienstete des Bundes an dieser Unterstützungsmaßnahme beteiligt , und wenn ja, mit welchen Aufgaben? Zur Umsetzung des Operationsplans für Bulgarien wurden von EASO seit November 2013 bislang fünf Aufrufe zur Nominierung von Experten für 22 Einzelmaßnahmen veröffentlicht. EASO hat bei fünf Maßnahmen die gemeldeten Experten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für Einsätze ausgewählt . Die Tätigkeiten der Experten liegen im Bereich der Beratung und Schulung von Mitarbeitern der bulgarischen Partnerbehörden. Die Experten wurden danach als Trainer im Modul „Anhörung“ des EASO Trainings und als Berater im Bereich „unbegleitete Minderjährige und vulnerable Personen“ eingesetzt. Des Weiteren fand eine Fact-Finding-Mission mit deutscher Beteiligung statt. 19. Inwieweit fließen die Entwicklungen an den bulgarischen EU-Außengrenzen in die Entscheidung der Bundesregierung zu ihrer Haltung zur Vollmitgliedschaft Bulgariens im Schengenraum ein? Die Entscheidung über die Schengen-Vollanwendung bedarf einer politischen Gesamtbetrachtung. Der Bericht zum Kooperations- und Überprüfungsmechanismus (CVM-Bericht) zu Bulgarien bewertet den Gesamtfortschritt nach Auffassung der Europäischen Kommission als nicht ausreichend und weiterhin unsicher . Gerade für die Schengenpartner ist es besonders wichtig, dass die CVMVoraussetzungen dauerhaft erfüllt werden. Angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen ist eine kurzfristige Lösung derzeit nicht abschätzbar. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333