Deutscher Bundestag
Drucksache
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18. Wahlperiode
04.06.2014
Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 2. Juni 2014 über-
mittelt.
Die Drucksache enthält zusätzlich – in
kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
Antwort
der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth,
Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 18/1441 –
Abkommen zur Weitergabe von Passagierdaten mit Russland, Mexiko,
den Vereinigten Arabischen Emiraten und Südkorea und Androhung von
Flugverboten
Vorbemerkung der Fragesteller
Seit letztem Jahr verhandelt das russi
sche Transportministerium mit der Euro
-
päischen Union (EU) über die Weitergabe von Fluggastdaten: Vor jedem Flug
in oder über russisches Territorium wollen zuständige Grenzbehörden per
-
sönliche Informationen der mitfliegenden Passagiere. Ein ähnliches Ab
-
kommen
hat
die
EU
bereits
mit
den
USA,
Australien
und
Kanada
ge
-
schlossen (www.unwatched.org/EDRigram_10.5_Erste_Abstimmung_im_EU-
Parlament_ueber_PNR-Abkommen_mit_den_USA). Die unter dem Zweck
einer „Terrorismusbekämpfung“ weitergereichten Fluggastdatensätze (Passen
-
ger Name Records – PNR) sind weitgehend. Die Rede ist von rund 60 Ein
-
zelinformationen (https://netzpolitik.org/2012/vorratsdatenspeicherung-von-
fluggastdaten-jetzt-auch-in-europa/). Neben persönlichen Daten werden die
genutzten Reisebüros, Post- und Mailad
ressen, Zahlungsmittel, Essensvorlie
-
ben beim Flug oder auch Hotelbuchungen bei Zwischenlandungen erfasst.
Werden die Informationen nicht, wi
e vorgeschrieben, übermittelt, droht den
Fluglinien ein Entzug der Landeerlaubnis oder auch von Überflugrechten. Eine
Rückkehr zum Startflughafen ist mit hohen Kosten verbunden, weshalb die
Airlines in vorauseilendem Gehorsa
m mit US-Grenzbehörden kooperieren.
Am Flughafen Frankfurt hat sich im Falle der USA sogar ein Ableger des Hei
-
matschutzministeriums installiert, der Fluglinien zur Nichtbeförderung man
-
cher Passagiere „berät“ (Bundestagsdrucksache 17/6654).
Dass nun auch die russische Regierung mit
Flugverboten droht, hatte bereits im
Sommer vergangenen Jahres beim Gipfeltreffen der EU und Russlands für
Ärger gesorgt (Süddeutsche
Zeitung, 3. Juni 2013). Das Transportministerium
erließ ein Dekret, das die Übermittlung
von Daten aus dem Fluggastdatensatz
(PNR) erzwingen und zum 1. Juli 2013 in Kraft treten sollte. Nicht nur Flug
-
reisen würden erfasst, sondern auch Passagiere von Schiffen, Zügen oder Bus
-
sen. Sollten wie mit Kanada,
Australien und den USA weitgehende PNR-Daten
gefordert werden, bräuchte es ein entsprechendes Abkommen zum Daten
-
tausch. Allerdings hatte die Regierung in Moskau zunächst nachgegeben
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(www.nopnr.org/die-geister-die-ich-rief-russland-hat-ab-1-dezember-zugriff-
auf-teile-der-fluggastdaten/). Die weitgehenden PNR-Daten sollen erst dann
verbindlich werden, wenn ein entsprechendes PNR-Abkommen mit der EU
geschlossen würde. Ein Verhandlungsmandat erhielt die Europäische Kommis
-
sion hierzu jedoch bislang nicht, ein Abschluss wäre also erst in mehreren Jah
-
ren zu erwarten. Komplett will Russland aber nicht auf den Datentausch ver
-
zichten; stattdessen fordert das Transportministerium seit Dezember 2013 die
sogenannten API-Daten (Advanced Passenger Information) für Überflüge oder
Landungen auf eigenem Territorium. Gemeint sind Name, Adresse, Geburts
-
datum und Angaben zu den Reisedokumenten. Die Weitergabe vor Bus-,
Schiffs- und Zugreisen soll weiterhin verbindlich bleiben.
Außer Russland fordern nach Information der Fragesteller auch Mexiko, die
Vereinigten Arabischen Emirate und Südkorea PNR-Daten und drohen bei
Nichterfüllung baldige Flugverbote an. Nach Ansicht der Fragesteller sind
durch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Vorrats
-
datenspeicherung aber auch alle bereits abgeschlossenen bzw. zu verhandeln
-
den PNR-Abkommen tangiert. Das Gleiche gilt für die geplante Umsetzung
einer EU-PNR-Richtlinie. PNR-Datensammlungen enthalten weitreichende
Personendaten, deren Verarbeitung durch Polizeien und Geheimdiensten Gren
-
zen gesetzt werden müssen. Das gilt insbesondere für eine Ausweitung der
Zweckbestimmung, wenn manche Regierunge
n die Daten nicht nur zur „Ter
-
rorismusbekämpfung“ nutzen möchten, sondern auch für die Verfolgung ande
-
rer Kriminalitätsformen.
Vorbemerkung der Bundesregierung
Die Europäische Union (EU) hat Abkommen über die Übermittlung von Passa
-
gierdaten (sog. PNR-Abkommen) mit den USA (siehe Ratsdokument 17434/11),
Australien (siehe Ratsdokument 10093/11) und Kanada (siehe Ratsdokument
12657/13) unterzeichnet. Keiner der Abkommenstexte verpflichtet die Flug
-
linien dazu, von allen Passagieren umfangreiche Fluggastdatensätze („Passen
-
ger Name Records“, PNR) an die Behörden des Vertragspartnerlandes zu über
-
mitteln. Vielmehr müssen stets nur die PNR-Daten zur Verfügung gestellt wer
-
den, die bei den Fluggesellschaften ohnehin gesammelt werden; die Abkommen
begründen also keine Pflicht für die Fluggesellschaften, zusätzliche PNR-Daten
zu erfassen. Das heißt z.
B., dass Fluggesellschaften keine Kreditkartendaten
übermitteln müssen, wenn der Passagier sein Ticket bar bezahlt hat.
Mit Russland hat es bislang keine Verhandlungen über ein PNR-Abkommen ge
-
geben. Es gibt allerdings russische Gesetzgebung, die die Übermittlung von
PNR-Daten an russische Stellen vorsieht, die aber noch nicht umgesetzt wird
(siehe Antwort zu Frage 1) und die bereits mehrmals Gegenstand von Gesprä
-
chen mit Russland war (siehe Antworten zu den Fragen 1b und 1c sowie 3a). Es
trifft auch nicht zu, dass Russland bereits seit dem 1. Dezember 2013 API-Daten
für Überflüge fordert. Die Verpflichtung, Daten zu Advanced Passenger Infor
-
mation (API-Daten) an die zuständige russische Stelle zu übermitteln, gilt der
-
zeit faktisch nur für Flüge aus und nach Russland (siehe auch Antwort zu
Frage
1a).
Die Antworten zu nicht wenigen Fragen der vorliegenden Kleinen Anfrage
ergeben sich bereits aus den Drahtberichten der Ständigen Vertretung der Bun
-
desrepublik Deutschland bei der Europäischen Union in Brüssel, z.
B. über die
Sitzungen der Ratsarbeitsgruppe JAIEX am 13.
Februar 2104, des CATS am
25.
Februar 2014 und der Justiz-und Innenreferenten am 23. April 2014, die dem
Deutschen Bundestag zugänglich sind. Insoweit verweist die Bundesregierung
in ihren jeweiligen Antworten auf die einschlägigen Drahtberichte.
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1. Was ist der Bundesregierung über Ankündigungen der russischen Regie
-
rung gegenüber der EU oder einzelnen Mitgliedstaaten zur verpflichtenden
Weitergabe von PNR-Fluggastdaten bekannt?
Die Anweisung Nr.
243 des Verkehrsministeriums der Russischen Föderation
vom 19. Juli 2012 regelt für Personenbeförderungen nach Russland erstmals die
Verpflichtung, Passagierdaten (API-Daten [also Flug- und Passdaten] und PNR-
Daten [passenger name records, also zusätzlich auch Daten aus den Buchungs
-
systemen der Fluggesellschaften]) an eine neue zentrale russische Datenbank zu
übermitteln. Ihr Inkrafttreten wurde am 1.
Juli 2013 durch die Anweisung des
Verkehrsministeriums der Russischen Föderation Nr.
228 vom 1.
Juli 2013 auf
den 1.
Dezember 2013 verschoben. Das neue russische Passagierdatenregime
gilt nicht nur für Flüge, sondern grundsätzlich auch für Eisenbahn-Fernreisen
und internationale Reisen mit Hochseeschiffen, Binnenschiffen und Bussen, bei
denen die Anbieter bisher keine Passagierdaten erheben, sondern lediglich Fahr
-
karten an anonyme Reisende verkaufen; gerade dort sind die Anforderungen
faktisch schwer erfüllbar.
a) Inwiefern trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die Re
-
gierung in Moskau zunächst nachgegeben hat und ankündigte, die Über
-
mittlung von PNR-Daten solle erst dann verbindlich werden, wenn ein
entsprechendes Abkommen mit der EU geschlossen würde, API-Daten
sollen aber bereits übermittelt werden?
Bei Flügen von und nach Russland sind die Fluggesellschaften seit dem 1. De
-
zember 2013 aufgrund der russischen Anweisung Nr.
243 verpflichtet, an Russ
-
land API-Flugpassagier- und -Crewdaten zu übermitteln. Die Übermittlung von
API-Daten entspricht der entsprechenden Regelung in Annex
9 zur Chicago-
Konvention und wird auch bereits von zahlreichen anderen Drittstaaten ver
-
langt. In der Sache geht es darum, dass Daten vorab angefordert werden, die
auch im Moment der Einreise als Einreisevoraussetzung erhoben werden dürfen.
Darüber hinaus hatte Russland angekündigt, ab dem 1.
Juli 2014 auch API-
Daten für Überflüge über russisches Territorium zu fordern. API-Daten bei
Überflügen über russisches Territorium müssen – nach vom Verband BDL und
auch von der IATA bestätigten Angaben der Europäischen Kommission – nun
jedoch erst ab Ende 2014 übermittelt werden. In Bezug auf PNR-Daten hat
Russland – nach den Informationen, die die Europäische Kommission den
Justiz- und Innenreferenten der Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei
der EU bei einem informellen Treffen bei der Europäischen Kommission am
30.
Januar 2014 gegeben hat – bei einem Treffen mit der Europäischen Kommis
-
sion am 16.
Januar 2014 bestätigt, dass PNR-Daten nicht angefordert werden
sollten, bis eine entsprechende Vereinbarung zwischen der EU und Russland er
-
zielt worden sei.
b) Inwieweit finden nach Kenntnis der Bundesregierung hierüber entspre
-
chende Gespräche statt?
c) Wer sind die jeweiligen Teilnehmenden auf beiden Seiten, und wann
haben in den Jahren 2012 und 2013 entsprechende Treffen stattgefun
-
den?
Sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Kommission haben
Russland im Jahr 2013 und im Jahr 2014 mehrfach auf die Problematik ange
-
sprochen und um einen Aufschub der russischen Passagierdatenforderungen ge
-
beten, bis die rechtlichen und tatsächlichen Probleme gelöst sind.
Die EU hat das Thema u.
a. bei folgenden Gelegenheiten mit Russland erörtert:
– Auf dem EU-Russland-Gipfel in Jekaterinburg Anfang Juni 2013 wurde eine
„technische Mission“ der Europäischen Kommission in Russland vereinbart.
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Diese hat am 21.
Juni 2013 begonnen und hatte die Verschiebung des Inkraft
-
tretens der russischen Anweisung Nr. 243 auf den 1. Dezember 2013 zur Folge.
– Beim Treffen hochrangiger Beamter zum Thema Freiheit, Sicherheit und
Recht am 23.
September 2013 in Brüssel erklärte die EU-Seite (Europäische
Kommission und Präsidentschaft) einseitige russische PNR-Forderungen
und Datenforderungen bei Überflügen für problematisch.
– Beim Treffen zwischen Generaldirektor Stefano Manservisi mit dem stell
-
vertretenden russischen Transportminister am 16.
Januar 2014 bestätigte
Russland u.
a., dass PNR-Daten nicht angefordert werden sollten, bis eine ent
-
sprechende Vereinbarung zwischen der EU und Russland erzielt worden sei.
– Beim 17. Permanenten Partnerschaftsrat zwischen der EU und Russland zu
den Themen Freiheit, Sicherheit und Recht am 17.
Januar 2014 machte die
EU-Seite deutlich, dass sie es als unverhältnismäßig erachten würde, wenn
die neuen russischen Passagierdatenanforderungen auch für Überflüge und
andere Verkehrsträger gelten würden. Im Anschluss an das Treffen hat Russ
-
land nach Angaben der Europäischen Kommission bestätigt, dass man (zu
-
nächst) keine PNR-Daten erheben wolle.
Zu den von Vertretern der Bundesregierung geführten Gesprächen siehe Ant
-
wort zu Frage 3a.
d) Inwieweit waren auch deutsche Behörden in Verhandlungen bzw. Ge
-
spräche zur Festlegung einer EU-Position eingebunden?
f) Inwiefern trifft es zu, dass insbesondere Deutschland für Durchbrüche
bei entsprechenden Gesprächen gesorgt habe?
Die Bundesregierung war vor allen genannten formellen Treffen der Euro
-
päischen Kommission mit Russland (Gipfel-Treffen, hochrangiges Treffen auf
Beamtenebene, Permanenter Partnerschaftsrat) in die Verhandlungen in den zu
-
ständigen Ratsgremien zur Festlegung einer EU-Position eingebunden und hat
dort immer wieder aktiv darauf hingewirkt, dass die Kommission alle Aspekte
der Problematik (insbesondere auch den Umstand, dass nach der russischen An
-
weisung Nr.
243 erstmalig auch andere Verkehrsträger zur Passagierdatenüber
-
mittlung verpflichtet sind) mit Russland erörtert. Die Frage, inwieweit der Ein
-
satz der Bundesregierung kausal für die bei Russland erreichten Zugeständnisse
war, lässt sich naturgemäß nicht beantworten.
e) Inwiefern ist eine Beschränkung Russlands lediglich auf API-Daten
nach Kenntnis der Bundesregierung auf Zusagen in Verhandlungen um
Visa-Erleichterungen zwischen der EU und Russland zurückzuführen?
Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.
2. Was ist der Bundesregierung über die Umsetzung eines vom Transportmi
-
nisterium erlassenen Dekret zur Übermittlung von Passagierdaten bekannt?
a) Welche konkreten Daten bzw. Einzelinformationen sollen verarbeitet
werden?
b) Inwiefern ist auch die Weitergabe von Daten vor Bus-, Schiffs- und Zug
-
reisen verbindlich vorgesehen?
e) Inwiefern sollen auch Daten über Passagiere von Schiffen, Zügen oder
Bussen verarbeitet werden?
Das in der Anweisung Nr.
243 festgelegte Passagierdatenregime gilt u.
a. für fol
-
gende Verkehrsträger:
– Inlands- und internationale Flüge (zu erheben sind sowohl PNR-Daten
(Passenger Name Records: Daten aus den Buchungssystemen der Flug
-