Deutscher Bundestag Drucksache 18/170 18. Wahlperiode 13.12.2013 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, Dr. Konstantin von Notz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/93 – Vertriebspraktiken im Versicherungsgewerbe Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Laut Medienberichten haben tausende von Landes- und Bundesbeamten persönliche Daten von meist neuen Kolleginnen und Kollegen ohne deren Mitwissen gegen Entgelt an Versicherungsvermittler weitergeleitet. So schreibt das „Handelsblatt“ am 13. November 2013 über ein geheimes System dieser sogenannten Vertrauensmitarbeiter. Die Debeka-Versicherung zahlt demnach jährlich Millionen Euro an deutsche Beamte und erhält im Gegenzug Namen, Adressen und persönliche Daten ihrer Kolleginnen und Kollegen, ohne dass deren Einverständnis eingeholt wurde. Der Sachverhalt wirft zahlreiche Fragen in beamten-, datenschutz- sowie strafrechtlicher Hinsicht auf. 1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Tätigkeit von Bundesoder Landesbeamten als „Vertrauensmitarbeiter“ bzw. Tippgeber für Versicherungsgesellschaften ? Die Bundesregierung hat Kenntnis über die Tätigkeit von Bundesbeamten für Versicherungsgesellschaften im Rahmen von zulässigen Nebentätigkeiten. 2. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung im Allgemeinen aus einem System, in dem Versicherungsunternehmen und deren Versicherungsvermittler an für die Vertragsanbahnung relevante persönliche Daten künftiger Kunden dadurch gelangen, dass möglicherweise ein Entgelt oder geldwerter Vorteil an „Vertrauensmitarbeiter“ geleistet wird, in beamten-, datenschutz- sowie strafrechtlicher Hinsicht (auf Seiten der „Vertrauensmitarbeiter“) und in datenschutz- sowie strafrechtlicher Hinsicht (auf Seiten der Versicherungsvermittler)? Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 11. Dezember 2013 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Bundesbeamte, die eine Nebentätigkeit als „Vertrauensmitarbeiter“ aufnehmen möchten, sind gemäß § 99 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) verpflichtet, eine Genehmigung zu beantragen. Die personalführende Stelle prüft im Einzelfall den Antrag und entscheidet über die Genehmigung oder Versagung entspre- Drucksache 18/170 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode chend den beamtenrechtlichen Regelungen. Im Rahmen der Nebentätigkeit haben die Bundesbeamten ihre gesetzlichen Pflichten aus dem Beamtenverhältnis (z. B. die Verschwiegenheitspflicht gemäß § 67 BBG), etwaige Auflagen und Bedingungen zur Nebentätigkeitsgenehmigung sowie die geltenden Gesetze (z. B. das Bundesdatenschutzgesetz, strafrechtliche Normen) zu beachten. Dies schließt die Nutzung dienstlich bekannt gewordener personenbezogener Informationen für die Vermittlungstätigkeit aus. Bundesbeamte, die schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, begehen ein Dienstvergehen, das disziplinarrechtlich geahndet werden kann. Liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, ist gemäß § 17 des Bundesdisziplinargesetzes ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Auf die beamtenrechtliche Rechtslage hat das Bundesministerium des Innern die obersten Bundesbehörden zuletzt am 26. November 2013 hingewiesen. Die Aufklärung eventueller datenschutzrechtlicher Verstöße und deren ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionierung obliegt darüber hinaus den zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden. Soweit Datenschutzverstöße im Sinne von § 43 Absatz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) festgestellt werden sollten, die gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern , begangen wurden, werden diese gemäß § 44 Absatz 1 BDSG mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet, falls ein entsprechender Strafverfolgungsantrag gestellt wird. Die Antragsberechtigung ergibt sich aus § 44 Absatz 2 BDSG. Die Bundesregierung sieht darüber hinaus keinen eigenen Handlungsbedarf. Strafrechtlich kommt eine Strafbarkeit nach § 203 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 oder § 353b des Strafgesetzbuches (StGB) sowie nach den §§ 331 und 332 StGB in Betracht. Nach § 203 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 StGB macht sich strafbar, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als Amtsträger anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist. Geheim sind Tatsachen, die höchstens einem beschränkten Personenkreis bekannt sind. Nach den §§ 331, 332 StGB macht sich ein Amtsträger strafbar, wenn er für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt (Vorteilsannahme) bzw. wenn er einen Vorteil als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Pflichten verletzt (Bestechlichkeit). Die Beurteilung, ob im Einzelfall ein strafbares Verhalten vorliegt, obliegt den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten. Die Bundesregierung gibt dazu aus grundsätzlichen Erwägungen heraus keine Stellungnahme ab. 3. In welcher Form tauscht sich die Bundesregierung mit den Länderregierungen über mögliche Maßnahmen oder gesetzlichen Initiativen aus, und mit welchen Ergebnissen ist hier zu rechnen? Die Bundesregierung erwägt, in diesem Zusammenhang bestehende beamtenrechtliche Fragen im Unterausschuss Personal/öffentliches Dienstrecht des Arbeitskreises VI der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder anzusprechen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/170 4. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Stellungnahme der Debeka-Versicherung, wonach sie „eine offiziell anerkannte Selbsthilfeeinrichtung des öffentlichen Dienstes auf dem Gebiet der Krankenversicherung“ sei und deshalb eine Mitgliederwerbung unbedenklich sei, da die nebenberufliche Tätigkeit eines Bundesbeamten in einer Selbsthilfeeinrichtung des öffentlichen Dienstes als sog. Tippgeber nach § 100 Absatz 2 des Bundesbeamtengesetzes keine genehmigungs-, sondern nur eine gegenüber der Dienstbehörde anzeigepflichtige Tätigkeit darstellt? Wie ändert sich die Einschätzung, wenn es sich um eine widerrechtliche Weitergabe von Personaldaten durch Bundesbeamte gegen Entgelt oder geldwerten Vorteil handelt? Eine staatliche oder behördliche „Anerkennung“ als Selbsthilfeeinrichtung der Bundesbeamten gibt es nicht. Die nebentätigkeitsrechtlichen Vorschriften des Bundesbeamtenrechts schützen ausschließlich dienstliche Interessen und begründen für außenstehende Dritte, insbesondere für die betreffenden Einrichtungen selbst, keine individuelle Rechtsposition (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. Juli 1983, Az. 2 C 55.80). Nach § 100 Absatz 1 Nummer 4 BBG sind Tätigkeiten zur Wahrung von Berufsinteressen in Gewerkschaften und Berufsverbänden oder in Selbsthilfeeinrichtungen der Beamten nicht genehmigungspflichtig. Nach § 100 Absatz 2 Satz 1 BBG ist eine Tätigkeit in Selbsthilfeeinrichtungen der Dienstbehörde schriftlich vor ihrer Aufnahme anzuzeigen, wenn für sie ein Entgelt oder geldwerter Vorteil geleistet wird. Zur Einhaltung der Auflagen und Pflichten aus dem Beamtenverhältnis wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 5. Wie steht die Bundesregierung zu Forderungen, dass zukünftig die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Aufsicht über Versicherungsvermittler übernehmen soll? Die Bundesregierung lehnt Forderungen nach einer Übertragung der Aufsicht über Versicherungsvermittler auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ab. Bei der Umsetzung der Versicherungsvermittlerrichtlinie im Jahr 2006 hat der Gesetzgeber sich für eine Beaufsichtigung der Versicherungsvermittler durch die Industrie- und Handelskammern entschieden. Eine effiziente und wirkungsvolle Aufsicht über Versicherungsvermittler, die ganz überwiegend Kleinbetriebe sind, kann dezentral über die Industrie- und Handelskammern sichergestellt werden. Hauptziel der BaFin als zentraler Aufsichtsbehörde ist es dagegen, ein funktionsfähiges, stabiles und integres deutsches Finanzsystem insgesamt zu gewährleisten. 6. Welche Informationen hatte die Versicherungsaufsicht der BaFin über die Vertriebsmethoden bei der Debeka? Weshalb konnte ein solches System von der Aufsicht unentdeckt bleiben, obwohl die entstehenden Reputationsschäden die Solvabilität der Debeka in erheblichem Maße schädigen können? Das Vertriebssystem der Debeka basiert im Wesentlichen auf einen festangestellten Außendienst, der u. a. von so genannten Vertrauensmitarbeitern unterstützt wird. Dieses System war der BaFin bekannt. Unabhängig von den in aktuellen Pressemitteilungen erhobenen Vorwürfen, die noch einer genaueren Überprüfung bedürfen, ist hinsichtlich der Vertrauensmitarbeiter zu beachten, Drucksache 18/170 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode dass diese nach bisherigen Erkenntnissen nur als so genannte Tippgeber zu qualifizieren sind. Deren Funktion besteht darin, Möglichkeiten zum Abschluss von Versicherungsverträgen namhaft zu machen oder Kontakte zwischen einem potentiellen Versicherungsnehmer und einem Versicherungsvermittler oder Versicherungsunternehmen herzustellen. Verbraucherbeschwerden über den Außendienst der Debeka ist die BaFin nachgegangen . Rechtsverstöße konnten dabei bisher nicht festgestellt werden. Ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Beamte als „Tippgeber“ oder Vermittler tätig werden können, ist keine Frage des Aufsichtsrechts, sondern eine des Dienstrechts in seiner Anwendung in den personalführenden Dienststellen der jeweiligen Behörden. Dies zu bewerten ist nicht Aufgabe der BaFin. Insoweit besteht mangels negativer Erkenntnisse vor dem Hintergrund der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nach derzeitigem Sachstand auch kein Anlass , gegen das Vertriebssystem der Debeka vorzugehen. Reputationsschäden, die die Solvabilität der Debeka in erheblichem Maße schädigen können, sind daher für die Aufsicht bisher nicht erkennbar gewesen. 7. Plant die BaFin zukünftig, Vertriebsmethoden, auch im Hinblick auf mögliche Reputationsrisiken, zu untersuchen und dabei möglicherweise ethisch fragwürdige und gesetzwidrige Praktiken anzuzeigen? Die BaFin übt keine direkte Aufsicht über Versicherungsvermittler aus. Sie kann nach den gesetzlichen Vorgaben des § 80 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) in Verbindung mit § 34d der Gewerbeordnung (GewO) zunächst lediglich prüfen, ob die Versicherungsunternehmen, die mit Versicherungsvermittlern zusammenarbeiten, die Vorgaben des § 80 VAG einhalten. Diese Vorgaben in § 80 VAG beschränken sich jedoch im Wesentlichen auf die Frage, ob die Vermittler fachlich geeignet und zuverlässig sind. Dies ist unter anderem nach den Vorgaben des Gewerberechts, also insbesondere nach § 34d GewO zu prüfen. Darüber hinaus müssen die Versicherungsunternehmen im Rahmen ihrer Geschäftsorganisation eine geeignete Risikovorsorge treffen, um etwa Schäden für das Unternehmen oder die Versicherungsnehmer zu vermeiden oder zu begrenzen (§ 64a VAG). Nach den gesetzlichen Vorgaben über die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation in § 64a VAG, wozu auch die Einrichtung eines angemessenen Risikomanagements gehört, haben sich die Versicherer auch damit auseinanderzusetzen , wie der Vertrieb gestaltet und welche vertraglichen Vereinbarungen getroffen werden müssen, um eine gesetzeskonforme Vertriebstätigkeit zu gewährleisten . Daneben besteht die Aufgabe der BaFin auch darin, die Ausgestaltung des Risikomanagements zu überprüfen und damit auch zu prüfen, wie die Unternehmen die wesentlichen Risiken steuern. Grundsätzlich kann nicht verlangt werden , dass jedes individuelle Fehlverhalten und daraus resultierende Risiken vollständig ausgeschlossen werden. Voraussetzung und damit aufsichtliche Anforderung an den Versicherer ist jedoch, dass er ausreichende Vorkehrungen hinsichtlich Compliance und Controlling des Vertriebes trifft, um die mit der Geschäftstätigkeit einhergehenden Risiken wirksam zu überwachen. Im Vermittlerrundschreiben der BaFin für den Versicherungsbereich, dem Rundschreiben 9/2007 (VA), wird in Abschnitt A – nicht zuletzt auch aufgrund von möglichen Reputationsrisiken – gesondert auf das erforderliche Risikomanagement hingewiesen. Dort wird der Steuerung und Kontrolle von Ver- triebsrisiken eine hohe Bedeutung im Rahmen des Risikomanagements eingeräumt . Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/170 In den vergangenen Jahren wurden wiederholt Sonderprüfungen mit dem Schwerpunkt Vertrieb bei einzelnen Unternehmen durchgeführt, die jedoch aufgrund des § 84 VAG (Schweigepflicht) vonseiten der Aufsicht nicht an die Öffentlichkeit getragen wurden. Die BaFin kann jedoch – im Rahmen des § 84 VAG – Erkenntnisse z. B. an Strafverfolgungsbehörden weitergeben. Die BaFin prüft derzeit, ob und inwieweit zukünftig auch der Vertriebsprozess als geschäftsbereichsübergreifendes Prüfungsthema zum kollektiven Verbraucherschutz stärker in die Aufsicht einbezogen wird. Unabhängig davon wird die BaFin weiter anlassbezogen im Rahmen der Missstandsaufsicht tätig, wenn ein beaufsichtigtes Unternehmen gegen rechtliche Anforderungen an den Vertrieb verstößt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333