Deutscher Bundestag Drucksache 18/1785 18. Wahlperiode 19.06.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/1469 – Umsetzung der EU-Rückführungsrichtlinie in Deutschland Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 28. März 2014 hat die Europäische Kommission an den Rat und das Europäische Parlament eine Mitteilung zur Rückkehrpolitik der Europäischen Union (EU) veröffentlicht (COM(2014) 199 final). Die Europäische Kommission erwähnt in dieser Mitteilung, dass in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union noch zahlreiche offene Fragen zur Umsetzung verschiedener Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie bestünden, insbesondere bei der EU-weiten Wirkung von Einreiseverboten, der Definition des Begriffs „Fluchtgefahr“, den Kriterien für die Verlängerung der Frist zur freiwilligen Ausreise, den bei Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg einzuhaltenden Regeln, der Überwachung der zwangsweisen Rückkehr, den Kriterien für die Inhaftnahme und den Haftbedingungen. 19 Mitgliedstaaten der Europäischen Union seien im Begriff, diesbezüglich ihre Rechtsvorschriften zu ändern oder hätten dies angekündigt. Wie die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung erneut hervorhebt, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache Arslan (EuGH, C-534/11) entschieden, dass die Haft nach Asylantragstellung nur aufrechterhalten werden darf „wenn sich nach einer fallspezifischen Beurteilung sämtlicher relevanter Umstände herausstellt, dass dieser Antrag einzig und allein zu dem Zweck gestellt wurde, den Vollzug der Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden, und es objektiv erforderlich ist, die Haftmaßnahme aufrechtzuerhalten, um zu verhindern, dass sich der Betreffende endgültig seiner Rückführung entzieht“ (Rn. 63). Es bedarf daher einer unverzüglichen Entscheidung aufgrund nationaler Rechtsvorschriften, die Inhaftnahme im Einklang mit dem EU-Asylrecht fortzuführen (S. 17, Ende des 1. Absatzes). Alternativen zur Abschiebungshaft könnten den Betroffenen in vielen Fällen Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 17. Juni 2014 übermittelt . Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. die Beeinträchtigungen ersparen, die mit der Inhaftierung unweigerlich verbunden sind. Nach einer Studie des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland aus dem Jahr 2010 (JRS „Quälendes Warten – Wie Abschiebehaft Menschen krank macht“) gehören dazu etwa Beeinträchtigungen der physischen und psy- Drucksache 18/1785 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode chischen Integrität sowie der Eindruck, stigmatisiert und kriminalisiert zu werden . Zudem würden angesichts der immensen Kosten der Abschiebungshaft auch die staatlichen Kassen entlastet. In der Bundesrepublik Deutschland werden aber noch nicht einmal die von der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung aufgeführten Alternativen angewandt. Nach Artikel 16 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sind in Haft genommene Drittstaatsangehörige grundsätzlich getrennt von gewöhnlichen Gefangenen unterzubringen. Mindestens die Hälfte der Bundesländer vollzieht Abschiebungshaft allerdings weiterhin in gewöhnlichen Gefängnissen, ohne das in der Richtlinie vorgesehene Trennungsgebot zwischen Strafgefangenen und Abschiebehäftlingen konsequent einzuhalten. Und dies, obwohl etwa in den Bundesländern Rheinland -Pfalz, Berlin, Brandenburg, Bayern und Schleswig-Holstein spezielle Abschiebungshafteinrichtungen existieren. Die Europäische Kommission erwähnt an verschiedenen Stellen in ihrem Bericht die Bedeutung von nationalen Stellen zur Überwachung zwangsweiser Rückführungen. Die nachfolgenden Fragen beziehen sich auf das EU-Dokument (COM(2014) 199 final) vom 28. März 2014. 1. Gehört die Bundesrepublik Deutschland zu den 19 Staaten, gegen die wegen eines Punktes oder mehrerer Punkte ein Pilotverfahren eingeleitet wurde? Ja. 2. Wenn die vorige Frage zu bejahen ist, welche Rechtsvorschriften zu welchen in der Vorbemerkung der Fragesteller erwähnten oder weiteren Themen beabsichtigt die Bundesregierung wie anzupassen? Das Bundesministerium des Innern (BMI) plant Anpassungen im Bereich des Haftvollzugs in § 62a Absatz 3 und 4 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie die Umstellung auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von Amts wegen in § 11 AufenthG. Zudem sind Ergänzungen in § 77 Absatz 3 AufenthG geplant. Diese Änderungen sind derzeit aber noch nicht ressortabgestimmt . 3. Hält die Bundesregierung den Haftgrund des § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) für hinreichend bestimmt vor dem Hintergrund der Anforderungen der Rückführungsrichtlinie, die – jedenfalls nach dem Verständnis der Europäische Kommission – „objektive Kriterien“ für die Bewertung verlangt, ob Gründe für die Annahme bestehen, dass ein irregulärer Migrant sich durch Flucht der Abschiebung entziehen wird (wenn ja, bitte begründen)? Wenn nein, welche objektiven Kriterien beabsichtigt die Bundesregierung dann ins Gesetz aufzunehmen? Objektive Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr sind bereits heute in der Rechtsprechung herausgebildet bzw. in der Verwaltungsvorschrift zum AufenthG niedergelegt. Ob darüber hinaus, europarechtlich veranlasst, objektive Kriterien der Fluchtgefahr in das Gesetz aufgenommen werden sollen, wird derzeit geprüft. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1785 4. Hält die Bundesregierung § 62 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5 AufenthG für hinreichend bestimmt im Lichte dessen, dass die neue Dublin-III-Verordnung – die ihre nationale Umsetzung insoweit offenkundig ebenfalls in § 62 Absatz 3 AufenthG finden soll – in Artikel 28 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 2 Buchstabe n ebenfalls objektiv gesetzlich festgelegte Kriterien fordert, aus denen sich die Annahme einer Fluchtgefahr begründen lässt (wenn ja, bitte begründen)? Wenn nein, welche objektiven Kriterien beabsichtigt die Bundesregierung dann ins Gesetz aufzunehmen? Die Regelungen der neugeschaffenen Verordnung (EU) 604/2013 (sog. DublinIII -Verordnung) gelten grundsätzlich unmittelbar. Dies gilt auch für die darin enthaltenen Regelungen zur Inhaftnahme in Artikel 28 der Dublin-III-Verordnung . Bestehende nationale Regelungen werden von einer EU-Verordnung ausnahmsweise nicht verdrängt, wenn diese notwendig sind, um der Verordnung zu ihrer Wirksamkeit zu verhelfen. Bislang wurden Inhaftnahmen zu DublinÜberstellungen auf § 57 Absatz 2, 3 und § 62 Absatz 3 AufenthG gestützt. Eine höchstinstanzliche Rechtsprechung zur Anwendung dieser Regelungen im Zusammenhang mit der Dublin-III-Verordnung liegt noch nicht vor. Die Bundesregierung prüft derzeit den Umsetzungsbedarf der neugeschaffenen Regelungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in das nationale Recht und damit auch den Bedarf der Schaffung gesetzlich normierter Kriterien zur Definition der „Fluchtgefahr“ im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung. 5. Welche Rechtsvorschriften zur Einrichtung eines Systems zur Überwachung der zwangsweisen Rückführung hat die Bundesrepublik Deutschland bereits verabschiedet, und an welchen Rechtsvorschriften arbeitet sie (vgl. die Aufzählung auf S. 15, 5. Spiegelstrich)? Es existiert durch unabhängige Gerichte sowie durch verwaltungsinterne Kontrolle (Dienst- und Fachaufsicht) in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit , die Rechtmäßigkeit von Rückführungen zu überwachen. Zusätzlich werden auf freiwilliger Basis an bestimmten Flughäfen in Deutschland auch Abschiebungsbeobachtungen durch Nichtregierungsorganisationen durchgeführt. Darüber hinausreichende Rechtsvorschriften sind gegenwärtig nicht geplant. 6. Sind die in den Fragen 3 bis 5 angesprochenen Punkte Gegenstand von Pilotverfahren , die gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet wurden? Wenn ja, welche Stellungnahmen welchen Inhalts hat die Bundesregierung bislang in diesen Verfahren abgegeben? Die Umsetzung von Artikel 8 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie ist Gegenstand des von der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Pilotverfahrens. Das BMI hat in seinem Antwortschreiben an die Kommission die Auffassung vertreten, dass Artikel 8 Absatz 6 die Pflicht zur Einrichtung einer Überwachungsstelle, zusätzlich zur gerichtlichen und verwaltungsinternen Kontrolle von Rückführungen, nicht zu entnehmen sei. Drucksache 18/1785 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 7. Hält die Bundesregierung § 14 Absatz 3 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG), der bei Asylantragstellung die Fortdauer der Abschiebungshaft kraft Gesetzes für die Dauer von bis zu vier Wochen und im DublinVerfahren auch darüber hinaus anordnet, mit dem Recht der Europäischen Union für vereinbar? a) Wenn ja, inwiefern wird nach Ansicht der Bundesregierung sichergestellt , dass die Abschiebungshaft nach Stellung eines Asylantrags entsprechend der Anforderungen des Europäischen Gerichtshofes nur „nach einer fallspezifischen Beurteilung sämtlicher relevanter Umstände “ (EuGH, C-534/11, Rn. 63) aufrechterhalten wird? b) Wenn nein, wie und in welchem Zeitrahmen plant die Bundesregierung § 14 Absatz 3 AsylVfG an das Recht der Europäischen Union anzupassen ? Die Artikel 8 bis 11 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahmerichtlinie), enthalten detaillierte Regelungen zur Inhaftierung von Asylsuchenden. Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie werden Anpassungen des deutschen Rechts erforderlich sein, Art und Umfang dieser Anpassungen sind noch im Einzelnen zu prüfen . In diesem Zusammenhang wird auch ein möglicher Anpassungsbedarf bei § 14 Absatz 3 des Asylverfahrensgesetzes zu prüfen sein. Die Aufnahmerichtlinie ist bis zum 20. Juli 2015 in nationales Recht umzusetzen. 8. Ist der in der Frage 7 angesprochene Sachverhalt Gegenstand eines Pilotverfahrens , das gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet wurde? Wenn ja, welche Stellungnahmen welchen Inhalts hat die Bundesregierung bislang in diesem Verfahren abgegeben? Nein. 9. Plant die Bundesregierung mildere Mittel zur Verhängung von Abschiebungshaft , insbesondere Kautionen, gesetzlich zuzulassen? Die Anordnung von Abschiebungshaft ist schon jetzt nur zulässig, wenn der Zweck der Haft durch mildere, ebenfalls ausreichende andere Mittel nicht erreicht werden kann. Mildere Mittel kommen demnach grundsätzlich immer in Betracht, sofern diese zur Erreichung des Zwecks – Sicherung der Abschiebung – ausreichen. So sieht § 46 Absatz 1 AufenthG vor, dass die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen kann. Neben der in § 46 Absatz 1 AufenthG insbesondere genannten Wohnsitzauflage kommen auch andere Maßnahmen wie z. B. die Ansparung von Mitteln für die Finanzierung der Rückkehr (Kautionszahlungen) in Betracht (vgl. auch Nummer 46.1.4. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG). Ob und inwieweit sich aus der Aufnahmerichtlinie an dieser Stelle zusätzlicher Anpassungsbedarf ergibt, wird im Rahmen der Umsetzung zu prüfen sein. 10. Hält die Bundesregierung die elektronische Aufenthaltsüberwachung für ein milderes Mittel im Vergleich zum Freiheitsentzug? Wenn ja, welche rechtlichen und tatsächlichen Schritte plant sie diesbezüglich , und in welchem zeitlichen Rahmen? Zur Frage, ob die elektronische Aufenthaltsüberwachung ein geeignetes und zugleich milderes Mittel als der Freiheitsentzug darstellt, hat die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1785 noch keine abgeschlossene Meinung. Bisher sind keine rechtlichen und tatsächlichen Schritte in dieser Hinsicht geplant. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 9 verwiesen. 11. Welche weiteren Alternativen zur Abschiebungshaft erwägt die Bundesregierung , auch vor dem Hintergrund entsprechender Studien etwa des UNHCR (Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte), der International Detention Coalition und des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland? Auf die Antwort zu Frage 9 wird verwiesen. 12. Welche qualitativen und quantitativen Informationen hat die Bundesregierung der Europäischen Kommission als Grundlage für die Einschätzung übermittelt, dass Deutschland zu den Staaten gehöre, in denen sich in Bezug auf die Verwendung von Haftalternativen die größten Änderungen aufgrund der Anwendung der Richtlinie ergeben haben (Tabelle 7, S. 24)? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, auf welche Informationen die Europäische Kommission diese Einschätzung stützt. 13. Inwiefern hält es die Bundesregierung für angemessen, dass die Abschiebungshaft in Deutschland bislang bis zu einer Höchstdauer von 18 Monaten verhängt werden kann, wenn die durchschnittliche Dauer der Abschiebungshaft in Deutschland nach Angaben in der Mitteilung der Europäischen Kommission (S. 20) lediglich 42 Tage beträgt? Die in § 62 Absatz 4 AufenthG als Option vorgesehene Verlängerung der Haftanordnung auf bis zu 18 Monate ist gemäß Satz 2 nur in den Fällen möglich, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert. In diesen Fallkonstellationen , in denen der Ausländer den fehlenden Vollzug selbst zu vertreten hat, ist sie auch weiterhin notwendig. a) Erwägt die Bundesregierung, die Höchstdauer der Abschiebungshaft abzusenken? Wenn ja, auf welche Dauer? Die Bundesregierung plant derzeit nicht, die Höchstdauer der Abschiebungshaft abzusenken. b) Wenn nein, welche praktische Notwendigkeit ergibt sich für eine gesetzliche Hafthöchstdauer, die auch nach der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zur Abschiebungshaft in Deutschland (Bundestagsdrucksache 17/10596) praktisch nicht mehr ausgenutzt wird? Auch wenn in der Masse der Fälle der Höchstzeitraum nicht ausgeschöpft wird, kann es doch spezielle Fallgestaltungen geben, in denen die Haftanordnung bis zu 18 Monaten geboten ist. Auch für diese (Ausnahme-)Fälle bedarf es dann einer gesetzlichen Ermächtigung. Drucksache 18/1785 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 14. Gehört die Bundesrepublik Deutschland zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, gegen die von der Europäischen Kommission in diesem Punkt Pilotverfahren eingeleitet wurden? Wenn ja, welche Stellungnahmen welchen Inhalts hat die Bundesregierung diesbezüglich bereits abgegeben? Nein. 15. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass der Wortlaut von § 62a Absatz 1 Satz 2 AufenthG insoweit vom Wortlaut des Artikels 16 Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG abweicht, als darin die Prüfung des Nichtvorhandenseins von speziellen Hafteinrichtungen von der Mitgliedstaatsebene der Europäischen Union auf die Bundesebene verlagert wird, vor dem Hintergrund, dass a) ungeachtet der in Artikel 4 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) festgeschriebenen Achtung der Europäischen Union vor den grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten in Artikel 4 Absatz 3 EUV geregelt ist, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Europäischen Union ergeben, Nach Ansicht der Bundesregierung muss die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland beachtet werden. Die politischen und verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten werden durch Artikel 4 Absatz 2 EUV eigens geschützt, der Ausdruck des Grundprinzips der gegenseitigen Rücksichtnahme von Union und Mitgliedstaaten ist. Die Union ist danach insbesondere verpflichtet , die bundesstaatliche Ordnung als wesentliches Verfassungsprinzip Deutschlands zu achten. Der Vollzug der Abschiebungshaft liegt in der Verwaltungshoheit der Länder. In diese Verwaltungshoheit der Länder würde eingegriffen, wenn eine Unterbringung in der gesonderten Abteilung einer gewöhnlichen Justizvollzugsanstalt solange unzulässig wäre, wie in einem anderen Land eine spezielle Einrichtung für Abschiebungshäftlinge vorhanden wäre. Es käme bundesweit zu Verlagerungen von Abschiebungshäftlingen, die eine eigenständige Kapazitätsplanung der Länder unmöglich machen würde. b) in der mündlichen Verhandlung der in der Mitteilung der Europäischen Kommission aufgeführten Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof am 8. April 2014 sowohl die Anwälte der Betroffenen als auch die Richter der Großen Kammer wiederholt darauf hingewiesen haben, dass in der Praxis in deutschen Justizvollzugsanstalten weder die von Artikel 16 Absatz 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG explizit geforderte vollständige Trennung von Strafgefangenen durchgehalten wird, noch die von der Richtlinie geforderten deutlich gelockerten Vollzugsbedingungen eingeräumt werden können (etwa das Tragen von Zivilkleidung, der Besitz privater Mobiltelefone und weitreichende Aufschluss- und Besuchszeiten)? Die Rückführungsrichtlinie sieht in Artikel 16 Absatz 1 Satz 2 auch die Möglichkeit vor, Abschiebungshäftlinge, getrennt von den Strafgefangenen, in Justizvollzugsanstalten unterzubringen. Eine Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung würde nach Ansicht der Bundesregierung auch nicht notwendig einer Besserstellung der Abschiebungsinhaftierten dienen. In puncto Vollzugsbedingungen legt die Rückführungsrichtlinie – wie die Kommission auf Seite 21 ihres Berichts festgestellt hat – nicht im Einzelnen fest, welche Kriterien (z. B. Freigang, Ernährung) während der Inhaftnahme erfüllt sein müssen. Es muss allerdings eine „menschenwürdige Behandlung“ gewähr- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1785 leistet sein. Spezielle Anforderungen sind ausdrücklich für besonders schutzbedürftige Personen und die Inhaftnahme von unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit minderjährigen Kindern geregelt. 16. Beabsichtigt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Vorschrift des § 62a Absatz 1 Satz 2 AufenthG zu ändern? Wenn ja, wie? Die Bundesregierung erwartet zunächst das Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes und wird etwaigen Umsetzungsbedarf danach sorgfältig prüfen. 17. Gehört die Bundesrepublik Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in denen nach Auffassung der Europäischen Kommission nationalen, internationalen und regierungsunabhängigen Organisationen der uneingeschränkte Zugang zu Hafteinrichtungen nicht hinreichend gewährt wird? Wenn ja, welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung unternehmen , um einen hinreichenden Zugang zu gewährleisten? Ja. Es ist eine Anpassung von § 62a Absatz 4 AufenthG geplant, die derzeit noch nicht ressortabgestimmt ist. 18. Wie erklärt die Bundesregierung, dass sie weder eine eigene nationale Stelle zur Beobachtung von Abschiebungen geschaffen hat, noch die existierenden Beobachtungsstellen als solche offiziell der Europäischen Kommission benannt hat? Nach Auffassung der Bundesregierung ergibt sich hierzu keine Verpflichtung aus der Rückführungsrichtlinie. Es wird zusätzlich auf die Antwort zu den Fragen 5 und 6 verwiesen. 19. Ist zu dieser Thematik seitens der Europäischen Kommission ein EUPilotverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet worden ? Wenn ja, welche Stellungnahmen welchen Inhalts hat die Bundesregierung in diesem Verfahren abgegeben? Ja. Das BMI hat in seinem Antwortschreiben an die Europäische Kommission darauf verwiesen, dass Artikel 8 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie die Pflicht zur Einrichtung einer unabhängigen Überwachungsstelle, zusätzlich zur gerichtlichen und verwaltungsinternen Kontrolle von Rückführungen, nicht zu entnehmen sei. Es wird auf die Antwort zu den Fragen 5 und 6 verwiesen. Drucksache 18/1785 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 20. Welche Vertreter welcher Institutionen oder Organisationen waren an FRONTEX-Sammelabschiebungen (FRONTEX = Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union) beteiligt und sind anlässlich welcher Rückführungsaktionen gemäß Artikel 8 Absatz 6 der Richtlinie 2008/115/ EG tätig geworden? Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass das wirksame System zur Überwachung von Rückführungen bereits im Wege der Dienst- und Fachaufsicht über die Ausländerbehörden, die Bundespolizei und die Polizeien der Länder sowie im Wege der Kontrolle durch unabhängige Gerichte gewährleistet ist. Eine rechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Begleitung von Sammelrückführungen durch externe Beobachter besteht nach Ansicht der Bundesregierung nicht. Entsprechend waren für den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung keine Personen im Sinne der Fragestellung an deutschen Sammelrückführungen beteiligt. Im Rahmen FRONTEX-koordinierter Rückführungen nehmen jedoch regelmäßig Rückführungsbeobachter teil. So wurde eine solche Rückführung mit deutscher Beteiligung beispielsweise im März 2014 durch einen spanischen Rückführungsbeobachter sowie die Grundrechtsbeauftragte der EU-Agentur FRONTEX beobachtet und positiv evaluiert. In diesem Sachzusammenhang hebt das BMI seinen Vorschlag gegenüber FRONTEX hervor, die Beobachtung von Sammelrückführungen durch Personal der Agentur selbst oder zentral für die Agentur tätiges Personal durchzuführen, der bislang nicht aufgegriffen wurde. Darüber hinaus hat das BMI der Bundesstelle zur Verhütung von Folter, die auf der Grundlage des Fakultativprotokolls zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe tätig ist – ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung – freigestellt, an nationalen und internationalen Sammelrückführungen teilzunehmen, soweit Deutschland hieran beteiligt ist. Hiervon hat die Bundesstelle bislang einmal bei einer FRONTEX-koordinierten Maßnahme (am 5. März 2013) Gebrauch gemacht. Zudem erfolgte eine Begleitung bei einem nationalen Charter-Flug am 13. August 2013. Die Ergebnisse können den periodischen Veröffentlichungen der Bundesstelle auf ihrer Internetseite entnommen werden. 21. Beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an dem von der Europäischen Kommission benannten ICMPD-Projekt (ICMPD = International Centre for Migration Policy Development), das „objektive, transparente Kriterien und gemeinsame Regeln für die Überwachung“ entwickeln soll (s. S. 7, vorletzter Absatz)? Für den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung ist eine Beteiligung an dem benannten Projekt nicht vorgesehen. 22. Welche Kriterien und Regeln für die Überwachung von Rückführungen hält die Bundesregierung für sinnvoll, und aufgrund welcher Erwägungen ? Die Bundesregierung hält es für wichtig, dass Rückführungen vor allem für alle hieran beteiligten Personen (Rückzuführende, Sicherheitsbegleiter und unbeteiligte Dritte) sicher und unter Wahrung der Menschenrechte durchgeführt werden. Die hierfür europaweit geltenden Standards, etwa die Entscheidung des Rates vom 29. April 2004 betreffend die Organisation von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die individuellen Rückführungsmaß- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/1785 nahmen unterliegen, aus dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten , sind durch deutsche Behörden maßgeblich geprägt und national fortgeschrieben worden. Die Einhaltung dieser Standards erfolgt wirksam im Rahmen der Verfahren, die in den Antworten zu den Fragen 5 und 20 dargestellt sind. 23. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass sie aufgrund der Existenz kirchlicher Beobachtungsprojekte (Abschiebemonitoring an den Flughäfen Frankfurt/Main, Hamburg, Düsseldorf und Berlin-Schönefeld) ihrer Pflicht zur Umsetzung von Artikel 8 Absatz 6 der Richtlinie 2008/115/EG, wonach sie ein wirksames System zur Überwachung von Abschiebungen schaffen muss, nachgekommen ist? Wenn ja, auf welche Weise trägt sie dann dafür Sorge, dass die Sicht der kirchlichen Träger angemessen in diesem Beratungsprozess berücksichtigt wird? Wenn nein, wie, und in welchem Zeitrahmen beabsichtigt sie, dann ihrer Pflicht zur Umsetzung von Artikel 8 Absatz 6 der Richtlinie 2008/115/EG nachzukommen? Aus den in der Antwort zu Frage 20 dargelegten Gründen ist die Beobachtung von Rückführungen durch Vertreter der Kirchen an den genannten Flughäfen nicht Bestandteil einer Beobachtung im Sinne der Rückführungsrichtlinie. Sämtliche Maßnahmen finden auf Grund behördlicher Zustimmung und ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung der Behörden statt. Vertreter öffentlicher Stellen (Innenministerien, Ausländerbehörden, Bundespolizei) nehmen an den quartalsmäßig tagenden „Flughafenforen Abschiebungsbeobachtung“ teil und untersuchen dort mit Vertretern der Kirchen und diverser Nichtregierungsorganisationen die Erkenntnisse der Abschiebungsbeobachter. Bereits die Tatsache, dass die Beobachtung von Rückführungen in Düsseldorf deutlich vor den Verhandlungen über die Rückführungsrichtlinie ermöglicht wurde, unterstreicht nach Ansicht der Bundesregierung den Willen der beteiligten Behörden, den Vollzug von Rückführungen für Vertreter der Kirchen und Nichtregierungsorganisationen transparenter zu machen und Fragen des Vollzugs dieser Maßnahmen zu erörtern. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333