Deutscher Bundestag Drucksache 18/1802 18. Wahlperiode 23.06.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Cem Özdemir, Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/1668 – Zur Entwicklung der Bürgerrechte in China Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Vorfeld des 25. Jahrestags der Protestbewegung am 4. Juni 1989 haben Polizeibehörden am 6. Mai 2014 mindestens vier Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler wegen der „Auslösung von Streitigkeiten und der Erregung öffentlichen Ärgernisses“ festgenommen (vgl. dazu etwa www.merics.org, China Update, Nummer 23, 30. April bis 8. Mai 2014 und www.livewire.amnesty.org vom 20. Mai 2014 „China’s Tiananmen anniversary blackout“). Neben dem prominenten Menschenrechtsanwalt Pu Zhiqiang stellte die Beijinger Polizei auch entsprechende Haftbefehle gegen den liberalen Wissenschaftler Xu Youyu, die Bloggerin Liu Di und den Schriftsteller Hu Shigen aus. Darüber hinaus wurde auch der Beijinger Filmprofessor Hao Jian festgenommen und viele weitere Aktivistinnen und Aktivisten und Bürgerinnen und Bürger, wie zum Beispiel die Umwelt-Aktivistin und Historikerin Liang Xiaoyan, vernommen. Hintergrund der Verhaftung war ein am 3. Mai 2014 abgehaltenes, privates „Gedenksymposium anlässlich des 4. Juni“ in Beijing. Nach der Konferenz hatten die Beteiligten ein Foto und ein Statement von der Veranstaltung im Internet veröffentlicht. Darin hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer u. a. gefordert, die Proteste nicht länger offiziell als „politische Tumulte“ zu bezeichnen . Die Unterdrückung der Proteste hätten gegenwärtige Probleme, wie den moralischen Verfall, die weit verbreitete Korruption und soziale Ungerechtigkeiten , befördert. In den folgenden Tagen gab es weitere Verhaftungen aus dem beruflichen Umkreis der oben genannten Teilnehmerinnen und Teilnehmer, u. a. die Kollegin von Anwalt Pu Zhiqiang in der Huayi Anwaltskanzlei, die ihn auch anwaltlich vertritt. Qu Zhenhong wurde wegen „illegalen Zusammentragens persönlicher Informationen“ angeklagt, eine Maßnahme, die für weitere große Besorgnis in der chinesischen Anwaltschaft sorgt, da sie die Arbeit von Strafverteidigern kriminalisiert. Am 7./8. Mai 2014 wurde auch die bereits im April 2014 festgeDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 19. Juni 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. nommene Journalistin Gao Yu angeklagt, die wie Pu Zhiqiang zur Studentengeneration von 1989 gehört. Ihr wirft man den „Verrat von Staatsgeheimnissen “ vor. Bei einer Verurteilung drohen allen Beschuldigten lange Gefängnisstrafen. Drucksache 18/1802 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Welchen Erkenntnisstand hat die Bundesregierung über den derzeitigen Verbleib und die strafrechtlichen Beschuldigungen gegen die in der Vorbemerkung der Fragesteller genannte Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler ? Nach dem Kenntnisstand der Bundesregierung wurden die genannten fünf Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler am 4. bzw. 5. Mai 2014 verhaftet, nachdem sie an einem nichtöffentlichen Symposium zum Gedenken an den 4. Juni 1989 (Jahrestag der Niederschlagung der Proteste am Platz des Himmlischen Friedens ) teilgenommen hatten. Ihnen wird „Auslösen von Streitigkeiten und Erregung öffentlichen Ärgernisses“ vorgeworfen. Der Anwältin Qu Zhenhong wird das „Zusammentragen von Informationen“ zur Last gelegt. Am 5. Juni 2014 wurden nach Medienberichten der Wissenschaftler Xu Youyu, die Bloggerin Liu Di und der Schriftsteller Hu Shigen nach Hinterlegung einer Kaution auf freien Fuß gesetzt. Sie dürfen ihren Heimatort bis auf weiteres nicht verlassen und müssen sich in regelmäßigen Abständen auf der für sie zuständigen Polizeidienststelle melden. Der Anwalt Pu Zhiqiang und seine Kollegin Qu Zhenhong sowie der Filmprofessor Hao Jian verbleiben in Haft. 2. Wie schätzt die Bundesregierung die Fälle, insbesondere der nach Artikel 293 des chinesischen Strafgesetzes angeklagten Anwälte Pu Zhiqiang und seiner Kollegin, ein a) in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Verhaftung nach chinesischem Recht und bzw. im Kontext internationaler Menschenrechtsstandards, Das chinesische Recht hat sehr breit gefasste Rechtsbegriffe. Nach offizieller chinesischer Darstellung wurden die Verhaftungen auf Grundlage des geltenden chinesischen Rechts vorgenommen. Nach Aussagen der Anwälte der Verhafteten , mit denen die Deutsche Botschaft in Peking in Kontakt steht, ist der Zugang der Anwälte zu ihren Klienten nicht oder allenfalls stark eingeschränkt möglich. Im chinesischen Recht ist dies unter bestimmten Ausnahmetatbeständen – wie beispielsweise zum Schutz der staatlichen Sicherheit – möglich. b) in Bezug auf einen möglichen Prozessausgang? Die Bundesregierung kann keine Aussage zu einem Prozessausgang treffen. Der Straftatbestand des „Auslösens von Streitigkeiten und Erregung öffentlichen Ärgernisses “ (Artikel 293) kann mit einer Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren geahndet werden. 3. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung bislang unternommen, um in Bezug auf die genannten Fälle bei der chinesischen Regierung zu intervenieren ? Welche konkreten Reaktionen hat es darauf gegeben? Die Bundesregierung hat sich am 14. Mai 2014 durch die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz sehr besorgt über die Festnahmen chinesischer Bürgerrechtler, die nach der Teilnahme an einem nichtöffentlichen Gedenken an die Opfer der Studentenproteste im Juni 1989 festgenommen worden sind, gezeigt . Sie hat die chinesische Führung dazu aufgefordert, alle in diesem Zusammenhang Inhaftierten freizulassen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Christoph Strässer, hat am 3. Juni 2014 an die Opfer vom Juni 1989 erinnert und an die chinesische Führung appelliert, sowohl die noch immer im Zusammenhang mit dem 4. Juni 1989 Inhaftierten, als auch Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1802 die im Vorfeld zum 25. Jahrestag am 4. Juni 2014 Inhaftierten, freizulassen. Beide Äußerungen wurden von der chinesischen Regierung als Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen. Der Staatssekretär Dr. Markus Ederer hat sich bei den Staatssekretärskonsultationen in Peking am 13. Juni 2014 erneut für die Freilassung der noch Inhaftierten eingesetzt. 4. Beabsichtigt die Bundesregierung, diese Fälle künftig mit ihrem Gegenüber in China zu thematisieren a) z. B. im Rahmen der Reise der Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, nach China im Juli 2014, b) im Rahmen des Symposiums zum deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog am 1./2. September 2014 in Leipzig? Menschenrechtsfragen und Einzelfälle werden von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und den Mitgliedern der Regierung regelmäßig und hochrangig bei deren Treffen mit chinesischen Gesprächspartnern thematisiert. Auch Kontakte zur Zivilgesellschaft werden soweit wie möglich bei jeder Reise wahrgenommen . Das Thema wird auch bei der nächsten Reise der Bundeskanzlerin in die Volksrepublik China im Juli 2014 eine wichtige Rolle spielen. Die Deutsch-Chinesische Vereinbarung zum Austausch und der Zusammenarbeit im Rechtsbereich („Rechtsstaatsdialog“) soll einen langfristigen Ansatz für den Aufbau eines Rechtsstaats und die Durchsetzung der Menschenrechte in China bieten. Im Vordergrund des Rechtsstaatsdialogs steht der wissenschaftliche und praktische Austausch über Rechtsthemen. Dabei spielen auch Fragen der Menschenrechte eine Rolle. Die unmittelbare Ansprache von Menschenrechtsthemen und Einzelfällen erfolgt im jährlichen Menschrechtsdialog unter Leitung des Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt. Die aus dem Rechtsstaatsdialog herrührenden Erkenntnisse und Anregungen haben Einfluss auf die Ausgestaltung von Rechtsnormen in China und unterstützen dadurch auch die Bestrebungen der chinesischen Regierung, Rechtsnormen in bestimmten Bereichen durchzusetzen. Die damit einhergehende angestrebte Verbesserung des Rechtssystems in China ist geeignet, mittelbar und über einen längeren Zeitraum hinweg auch den Schutz des Einzelnen zu fördern. 5. Welche weiteren geeigneten Foren und/oder Kanäle sieht die Bundesregierung gegenwärtig, um über die Gewährung von Bürgerrechten in China einen Dialog zu führen? Die Bundesregierung versucht, sowohl über den deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialog , als auch über die bestehenden vielseitigen Dialogformate (u. a. Mediendialoge, Rechtsstaatsdialog, Cyber-Konsultationen) das Thema Menschenrechte und Bürgerrechte mit chinesischen Vertretern auf allen Ebenen zu thematisieren. 6. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung im Anschluss an den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs im Juli 2012 in München unternommen , um der Rechtsverletzung und Rechtsdurchsetzung im Internet gegenüber Bürger- und Menschenrechtlern in China entgegenzutreten? Liegen Auswertungen/Evaluierungen des Rechtsstaatsdialogs „Bürger- rechte im digitalen Zeitalter“ vor, die Aufschluss über die Wirksamkeit geben ? Drucksache 18/1802 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die seit dem Jahr 2000 jährlich durchgeführten deutsch-chinesischen Rechtssymposien verfolgen das Ziel, deutsche und chinesische Juristen in einen Dialog über aktuelle Rechtsfragen und Fragen der Rechtsstaatlichkeit zu bringen. Das 12. deutsch-chinesische Rechtssymposium stand unter dem Titel: „Bürgerrechte und staatliche Gesetzgebung im digitalen Zeitalter“. Auf dem Symposium befassten sich deutsche und chinesische Rechtsexperten mit den Themen: ● Rechtsverletzungen und Rechtsdurchsetzung im Internet, ● Schutz personenbezogener Daten im Internet und ● Bürgerbeteiligung an der Gesetzgebung im Internet. Die Vorträge und Reden des Symposiums wurden als Tagungsband auf deutsch und chinesisch veröffentlicht und stehen auch im Internet für jedermann zum Abruf bereit (www.Law-reform.cn). Die Auswirkungen eines einzelnen Symposiums auf die Rechtsentwicklung der beteiligten Staaten lassen sich kaum konkret evaluieren. Die Bundesregierung steht jedoch in einem fortlaufenden Dialog mit China über Menschenrechtsfragen und Rechtsthemen. Sie ist der Ansicht , dass dieser Austausch im beiderseitigen Nutzen liegt und fortgeführt werden sollte. 7. Welche Foren nutzt die Bundesregierung im europäischen Kontext, um für die Einhaltung von Menschenrechten in China zu werben, insbesondere um für den Schutz von sogenannten Menschenrechtsverteidigern oder „human rights defenders“ einzutreten? Die Bundesregierung nutzt die Ratsarbeitsgruppen zu Menschenrechten und zu Asien, um sich mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Situation und die gemeinsame Haltung gegenüber China eng abzustimmen. Die Bundesregierung war bei der Anregung und Formulierung von Erklärungen der Europäischen Union zur Menschenrechtssituation in China maßgeblich beteiligt und steht in engem Austausch mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst zum Menschenrechtsdialog zwischen der Europäischen Union und China. 8. Inwieweit nutzt die Bundesregierung die im Jahr 2010 vereinbarte deutschchinesische strategische Partnerschaft für entwicklungspolitische Zusammenarbeit , um insbesondere die Einhaltung von Menschenrechten in China zu thematisieren? Die Bundesregierung nutzt, wie in der Antwort zu Frage 7 erwähnt, alle Plattformen , um das Thema Menschenrechte in passender Weise anzusprechen. 9. Welche globalen Foren nutzt die Bunderegierung, wie zum Beispiel den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, um die Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern in China zu thematisieren? Die Bundesregierung thematisiert die Lage von Menschenrechtsverteidigern in China regelmäßig im VN-Menschenrechtsrat durch eigene Erklärungen und Erklärungen der Europäischen Union, insbesondere in den Aussprachen zum Tagesordnungspunkt vier des Rates „Menschenrechtssituationen, die die Aufmerksamkeit des Rates erfordern.“ Die Bundesregierung hat die Problematik außerdem im universellen Staatenüberprüfungsverfahren zu China im Oktober 2013 aufgegriffen und Empfehlungen dazu ausgesprochen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1802 10. Welche sonstigen Initiativen wird die Bundesregierung ergreifen, um den Schutz von Menschenrechtsverteidigern in China zu verbessern? Die Bundesregierung bleibt weiterhin dem Schutz der Menschenrechte und der Menschenrechtsverteidiger verpflichtet. Sie wird sich auf allen Ebenen dafür einsetzen und weiterhin konkrete Einzelfälle ansprechen. Die Modernisierung des Rechtsstaats soll aus Sicht der Bundesregierung auch ein Bestandteil der geplanten deutsch-chinesischen Innovationspartnerschaft werden. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333