Deutscher Bundestag Drucksache 18/1832 18. Wahlperiode 24.06.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Heike Hänsel, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/1712 – Aufwuchs der Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen um weitere polizeiliche Datensammlungen Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 1. Dezember 2012 hatte die Europäische Kommission die Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen gestartet (Verordnung (EU) Nr. 1077/2011). Unter dem Kürzel „eu-LISA“ sollten zunächst drei polizeiliche Informationssysteme administriert werden. Das Visa-Informationssystem (VIS) und die Fingerabdruckdatenbank Eurodac wurden sofort angeschlossen . Die Verwaltung des Schengener Informationssystems (SIS) musste hingegen einige Monate verzögert werden, bis die seit Jahren geplante Migration zum „SIS der zweiten Generation“ (SIS II) vollzogen war (Telepolis, 21. Februar 2013). Offiziell ist Tallinn der Sitz von eu-LISA. Die eigentliche (technische) Arbeit wird allerdings in Strasbourg verrichtet, wo auch das SIS II angesiedelt ist. Frankreich und Estland hatten sich zuvor beide für den Sitz von eu-LISA beworben. Wie das SIS II bleibt auch das VIS in einem französischen Rechenzentrum. Eurodac wird weiter in Räumlichkeiten der Europäischen Kommission in Luxemburg und Brüssel betrieben, aber über eine „Fernverwaltungsverbindung “ ebenfalls aus Frankreich administriert. Auch Eurodac soll endgültig nach Strasbourg migrieren. Um die Datenbanken auch bei einem Ausfall verfügbar zu halten, wurde ein Back-up-System in den Alpen bei Salzburg installiert. Wieder dürfte das SIS II Pate gestanden haben, dessen redundante Strukturen wie beim Visa-Informationssystem in einem Tunnel in Sankt Johann im Pongau gepflegt werden. Später soll auch Eurodac hinzukommen. Die Standorte in Estland, Frankreich und Österreich sind über eine gesicherte private Kommunikationsinfrastruktur und eine Breitbandverbindung vernetzt. Zunächst hatte eu-LISA die Anstrengungen darauf gerichtet, ihre Arbeit zu konsolidieren: Neben der Installation der erforderlichen Ausrüstung musste eine Verwaltungsstruktur aufgebaut und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefunden werden, die über Erfahrungen im „Management von Zentraleinheiten Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 20. Juni 2014 übermittelt . Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. von IT-Systemen“ verfügen (eu-LISA Tätigkeitsbericht 2012). Mittlerweile hat sich eu-LISA zum Backbone der europäischen Migrationskontrolle gemausert: So ist auch offiziell die Rede davon, dass die Agentur die Politiken der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten in den Bereichen „Asyl, Migration, Einwanderung, Grenzschutz“ unterstützen soll (eu-LISA Tätigkeitsbericht 2013). Drucksache 18/1832 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Eine Befürchtung, eu-LISA könnte zu einer Art „Superdatenbank“ mutieren, scheint sich nun zu bestätigen: Das Bundesministerium des Innern drängt die Europäische Kommission zur Einrichtung eines „Ein-/Ausreisesystems“, das alle Übertritte der EU-Außengrenzen protokollieren soll. Unabhängig von der Herkunft der Reisenden und Zweck ihres Grenzübertritts sollen alle zehn Fingerabdrücke abgenommen werden. „Vielreisende“ können ihre biometrischen Daten auf Wunsch auf einer Chipkarte hinterlegen, um dann automatische Kontrollgates zu nutzen. Gemeinsam bilden beide Systeme das Paket „Intelligente Grenzen“. Der frühere Bundesminister des Innern Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte das Thema gleich zweimal auf die Tagesordnung der informellen G6-Treffen gesetzt, wo sich die Innenminister der sechs einwohnerstärksten EU-Mitglieder mit den US-Ministern für Heimatschutz und Justiz organisieren (Bundestagsdrucksache 17/14833). Nun wird festgelegt, wo die von Deutschland gewünschte Superdatensammlung angesiedelt werden könnte. Es zeichnet sich ab, dass trotz aller Kritiken eu-LISA in die engere Wahl kommt. Dadurch erhielte die ohnehin bereits zentralisierte DatenbankArchitektur eine Art Monopol für migrationspolitische Informationssysteme. Gegenwärtig wird die „Fortentwicklung“ von eu-LISA im Rahmen einer Machbarkeitsstudie analysiert (Antwort auf die Schriftliche Frage 28 auf Bundestagsdrucksache 18/1434). Ein Ergebnis soll im September 2014 vorliegen. Dabei geht es bei weitem nicht nur um die zusätzliche Verwaltung des neuen Pakets „Intelligente Grenzen“. So werde laut der Bundesregierung auch die „Unterstützung der Verwaltung dezentraler Verfahren“ geprüft. Gemeint sind Vereinbarungen zum Datenaustausch in nichtzentralisierten Informationssystemen . Hierzu gehört beispielsweise der „Vertrag von Prüm“, der den Austausch von Fingerabdruck- und DNA-Daten unter einzelnen EU-Mitgliedstaaten regelt . Untersucht wird auch, wie weitere „Lücken in den bestehenden polizeilichen Informationsaustauschsystemen geschlossen werden können“. So entwickelt sich die ursprünglich für drei überschaubare Datensammlungen eingerichtete Agentur zu einem „zentralen IT-Dienstleister“ mit dem Privileg, weitere neue EU-Vorratsdatenspeicherungen zu verwalten. Umso mehr muss sichergestellt werden, dass eu-LISA nicht auch die polizeilichen Abfragen vereinheitlicht : So wäre es möglich, dass im Rahmen von Überprüfungen bei Grenzübertritten alle bei eu-LISA angesiedelten Datenbanken abgefragt würden . Dies könnte die Bedingungen des Datenschutzes für die Betroffenen deutlich verschlechtern. 1. Wo sind das VIS, die Fingerabdruckdatenbank Eurodac sowie das SIS II nach Kenntnis der Bundesregierung technisch und administrativ angesiedelt , und welche Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten werden dort jeweils übernommen? Die durch die Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geschaffene Europäische Agentur eu-LISA ist für das Betriebsmanagement der Systeme SIS II, VIS und Eurodac zuständig. Dies umfasst alle Aufgaben des Betriebs dieser IT-Großsysteme sowie der von ihnen verwendete Kommunikationsinfrastruktur. Dabei handelt es sich im Einzelnen um die a) effiziente und in finanzieller Hinsicht rechenschaftspflichtige Verwaltung von SIS II, VIS und Eurodac von IT-Großsystemen, b) Sicherstellung der ununterbrochene Verfügbarkeit sowie einer angemessen hohen Dienstqualität für die Nutzer der Systeme, c) Gewährleistung eines hohen Datenschutzniveaus im Einklang mit den geltenden Vorschriften einschließlich der spezifischen Bestimmungen für jedes IT-Großsystem, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1832 d) Sicherstellung eines angemessenen Niveaus an Datensicherheit und physischer Sicherheit im Einklang mit den geltenden Vorschriften, einschließlich der spezifischen Bestimmungen für jedes IT-Großsystem, und e) Verwendung einer angemessenen Projektmanagementstruktur für die effiziente Entwicklung der Systeme. Eine Übermittlung personenbezogener Daten zwischen den von eu-LISA betriebenen IT-Großsystemen ist nicht möglich. Hierzu wäre eine gesonderte Rechtsgrundlage notwendig. 2. Wo sind die Back-up-Systeme von VIS, Eurodac und SIS II nach Kenntnis der Bundesregierung technisch und administrativ angesiedelt, und welche Firmen sind hierfür für welche Leistungen unter Vertrag genommen worden ? Der Sitz der Agentur ist Tallinn (Estland), während die Aufgaben im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Betriebsmanagement der Systeme in Straßburg (Frankreich) ausgeführt werden. Ein Back-up-System für die Sicherstellung des Betriebs beim Ausfall eines Systems in Straßburg wurde in Sankt Johann im Pongau (Österreich) installiert. Die für den Betrieb dieses Systems notwendigen Aufgaben werden von Straßburg aus wahrgenommen (entweder über Fernwartung oder durch entsendetes Personal). Die Systeme sind in einem Rechenzentrum der Republik Österreich untergebracht und Unterstützungsleistungen werden durch Beamte der Republik Österreich vor Ort geleistet. Ob dabei Privatunternehmen eingebunden sind, ist der Bundesregierung nicht bekannt . 3. Welche Firmen sind nach Kenntnis der Bundesregierung für den Betrieb von VIS, Eurodac und SIS II für welche Leistungen unter Vertrag genommen worden? Nach Kenntnis der Bundesregierung betreibt ein Konsortium aus den Firmen Accenture (Konsortialführer), Safran Morpho und Hewlett Packard (HP) das VIS zuständig. Ein weiteres Konsortium bestehend aus den Firmen Cogent und Steria Norway betreibt das System Eurodac. Für das SIS II besteht ein Wartungsvertrag mit den Firmen ATOS Belgium SA/NV (Konsortialführer) und den Partnern Accenture NV/SA und Hewlett Packard Belgium BVBA/SPRL. a) Inwiefern ist der geplante Umzug von Eurodac von Räumlichkeiten der Europäischen Kommission in Luxemburg und Brüssel nach Strasbourg mittlerweile umgesetzt, bzw. welche weiteren Schritte sind der Bundesregierung hierzu bekannt? Der Umzug des Eurodac-Zentralsystems von Luxemburg nach Straßburg soll nach Kenntnis der Bundesregierung am 21. Juni 2014 abgeschlossen sein. b) Worin bestand bzw. besteht die „Fernverwaltungsverbindung“ für Eurodac, und welche Firma hatte diese nach Kenntnis der Bundesregierung errichtet und/oder betrieben? Die Europäische Kommission verwendete das kommissionseigene Netzwerk „SNET“ für die Systemadministration aus nicht in Luxemburg gelegenen Standorten (Remote Management) Mit Übernahme der Administration durch eu-LISA am 1. Juni 2013 wurde auf den „SNET“-Nachfolger „sTESTA“ umgestellt . Drucksache 18/1832 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 4. Wie hatte sich die Bundesregierung zur Bewerbung von Frankreich und Estland positioniert, und welche Haltung vertrat sie zum gemeinsamen Betrieb von eu-LISA durch die beiden Länder? Deutschland hat im Rat der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zugestimmt, in der die Sitzfrage festgelegt wird. Der Betrieb der IT-Systeme erfolgt nicht durch die beiden Länder, sondern durch die eu-LISA mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie besitzt in jedem Mitgliedstaat die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit , die juristischen Personen nach nationalem Recht zuerkannt wird und kann mit den Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet sie ihren Sitz hat und sich die technischen und die Back-up-Standorte befinden, Sitzabkommen schließen. 5. Auf welche Weise werden die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für eu-LISA nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen den Standorten Tallinn, Strasbourg und Sankt Johann im Pongau verteilt? Am Sitz der Agentur in Tallinn werden Verwaltungs- und Querschnittsaufgaben wahrgenommen, während in Straßburg die Entwicklung und das Betriebsmanagement der Systeme erfolgt. Der Betrieb des Back-up-Systems in Sankt Johann erfolgt von Straßburg aus. Ergänzend wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 6. Welche Firmen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung für die Errichtung und den Betrieb einer gesicherten privaten Kommunikationsinfrastruktur und eine Breitbandverbindung zwischen Estland, Frankreich und Österreich unter Vertrag genommen? Hierzu wird nach Kenntnis der Bundesregierung das „sTESTA“-Netzwerk verwendet . Dieses wurde bisher nach Kenntnis der Bundesregierung durch ein Konsortium aus OBS (Orange Business Services) und HP (Hewlett-Packard) bereitgestellt und wird derzeit nach einer Neuausschreibung auf ein System der Firma T-Systems migriert. 7. Inwieweit haben auch deutsche Behörden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur eu-LISA entsandt, woher stammen diese, und über welche Qualifikationen verfügen sie? Behörden des Bundes haben keine Mitarbeiter zu eu-LISA entsandt. 8. Welche Haltung vertrat die Bundesregierung zur Frage, inwiefern eu-LISA weitere Datenbanken verwalten könnte, und um welche hätte es sich dabei handeln können? Es kann sinnvoll sein, das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen zusammenzufassen , um Größenvorteile nutzen zu können und eine größtmögliche Auslastung von Kapital und Humanressourcen zu erreichen. Sowohl der Verordnungsvorschlag der Kommission über ein Ein-/Ausreisesystem (EES) (COM(2013) 95 final) als auch der Verordnungsvorschlag der Kommission über ein Registrierungsprogramm für Reisende (RTP) (COM(2013) 97 final) sehen vor, dass eu-LISA mit der Entwicklung und dem Betriebsmanagement des Zentralsystems, der einheitlichen Schnittstelle und der Kommunikationsinfrastruktur der jeweiligen Systeme betraut werden soll. Die Bera- tungen in den Gremien des Rates und im Europäischen Parlament sowie die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1832 Meinungsbildung der Bundesregierung zu den Kommissionsvorschlägen sind noch nicht abgeschlossen. a) Welche eigenen Überlegungen hatte die Bundesregierung zur „Fortentwicklung “ von eu-LISA angestellt? Bezüglich der Optionen zur Fortentwicklung der Europäischen Agentur für IT-Großsysteme zu einem zentralen IT-Dienstleister für die europäischen Sicherheitsbehörden hat die Bundesregierung die Europäische Kommission um Vorlage einer Studie gebeten. Die Studie soll u. a. Aussagen über die Unterstützung der Verwaltung dezentraler Verfahren (z. B. Prümer Beschlüsse) und die Entwicklung zukunftsweisender Dienstleistungen durch eu-LISA (wie z. B. das Anbieten von umfassenden Servicedienstleistungen auch im Infrastrukturbereich – „infrastructure as a service“) einschließen. Darauf aufbauend sollte die Europäische Kommission ein strategisches Konzept zur künftigen Rolle der ITAgentur im polizeilichen europäischen Informationsaustausch vorlegen. b) Welche Defizite sieht die Bundesregierung in der Verwaltung polizeilicher Datenbanken auf EU-Ebene, und wieso hat sie schließlich für die Erstellung einer entsprechenden Machbarkeitsstudie für entsprechende Lösungen votiert? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Diskussion zur künftigen Rolle der IT-Agentur im polizeilichen europäischen Informationsaustausch faktenbasiert erfolgen sollte und hat deshalb die genannte Studie angeregt. 9. Wer ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit der Erstellung der Studie beauftragt, und welche Kosten entstehen dafür? a) Welche weiteren Firmen, Behörden oder sonstigen Institutionen sind als Unterauftragnehmer an der Studie beteiligt? b) Welche Behörden welcher Mitgliedstaaten sowie Firmen, Behörden oder sonstige Institutionen werden hierzu um Beiträge gebeten? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob und ggf. in welchem Umfang die Kommission die Anregung zur Durchführung einer Studie aufgreifen wird. 10. Welche Haltung vertrat die Bundesregierung zur Frage, inwiefern auch das anvisierte neue Paket „Intelligente Grenzen“ durch eu-LISA verwaltet werden könnte? a) Welcher Mehrwert soll dadurch erzielt werden? b) Welche Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung hierzu von der Machbarkeitsstudie? Nach Artikel 1 Absatz 3 der eu-LISA-Verordnung (EU) vom 25. Oktober 2011 können der Agentur auch die Zuständigkeit für die Konzeption, die Entwicklung und das Betriebsmanagement anderer als der in Artikel 1 Absatz 2 genannten IT-Großsysteme (SIS II, VIS und Eurodac) übertragen werden, wenn die den jeweiligen Systemen zugrundeliegenden Rechtsinstrumente dies vorsehen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. Drucksache 18/1832 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 11. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich des „Ein-/Ausreisesystems “ hinsichtlich von Überprüfungen beim Grenzübertritt? a) Inwiefern trifft es zu, dass die deutsche Delegation darauf besteht, hierfür die gleichen Maßstäbe wie beim Visa-Verfahren anzulegen (http:// tinyurl.com/ohu7mug)? Die Aussage in dem zitierten Link ist unzutreffend. Die deutsche Delegation hat in den bisherigen Verhandlungen zu dem von der Kommission vorgeschlagenen Ein-/Ausreisesystem zu keinem Zeitpunkt die Auffassung vertreten, dass mit Blick auf die dort angesprochenen Sicherheitsüberprüfungen an das Ein-/Ausreisesystem die gleichen Maßstäbe anzulegen seien wie beim Visumverfahren. Dies dürfte im Übrigen bereits praktisch nicht möglich sein. b) Inwiefern würde dies aus Sicht der Bundesregierung bedeuten, dass auch die „Antiterrordatei“ abgefragt werden könnte? Die Antiterrordatei (ATD) wird beim Grenzübertritt nicht systematisch abgefragt . Dies ist auch beim Ein-/Ausreisesystem nicht vorgesehen. Eine Abfrage in der ATD kann ausschließlich unter den spezifischen Voraussetzungen des Antiterrordateigesetzes (ATDG) im Einzelfall erfolgen. c) Mit welchen Datenbanken werden derzeit an den deutschen EU-Außengrenzen Einreisende aus visabefreiten Herkunftsstaaten abgeglichen ? Bei der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs an den Schengen-Außengrenzen erfolgt unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Artikel 7 des Schengener Grenzkodex (SGK) ein systematischer Abgleich mit dem Schengener Informationssystem (SIS II), INPOL (Personen- und Sachfahndungsbestand ) sowie der für die Grenzfahndung geführten Datei (Geschützter Grenzfahndungsbestand – GGFB). Bei Personen, die nach Unionsrecht Anspruch auf Personenfreizügigkeit haben, erfolgt auf nicht systematische Weise im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Voraussetzungen ein Abgleich mit den entsprechenden nationalen und europäischen Datenbanken. Nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ist zusätzlich noch ein Abgleich mit dem Ausländerzentralregister, dem INTERPOL ASF-SLTD (Stolen and Lost Travel Document Database) und vereinzelt unter den spezifischen Voraussetzungen des ATDG auch der ATD möglich. d) Mit welchen Datenbanken werden derzeit an den deutschen EU-Außengrenzen Einreisende aus nichtvisabefreiten Herkunftsstaaten abgeglichen ? Auf die Antwort zu Frage 11c wird verwiesen. Zusätzlich erfolgt eine Abfrage der visapflichtigen Personen im Visainformationssystem (VIS) gemäß dem Schengener Grenzkodex (Verordnung (EG) Nr. 562/2006) und der VIS-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 767/2008). In besonderen Fällen ist eine Abfrage der Visa-Warndatei möglich. e) In welchen Fällen werden beim Grenzübertritt welche Datenbanken des Bundeskriminalamts abgefragt? Beim Grenzübertritt wird bei Drittstaatsangehörigen die vom BKA geführte INPOL-Datei abgefragt, bei freizügigkeitsberechtigten Personen auf nicht systematischer Grundlage. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1832 f) In welchen Fällen werden beim Grenzübertritt welche Datensammlungen des SIS II abgefragt? Im Rahmen der Einreisekontrolle gemäß Artikel 7 des Schengener Grenzkodex werden alle im SIS II gespeicherten Ausschreibungen – Einreise- und Aufenthaltsverweigerung (Artikel 24 SIS II – VO (EG) Nr. 1987/2006-) – Übergabe- oder Auslieferungshaft (Artikel 26 SIS II – Beschluss 2007/533/JI) – Vermisste Personen (Artikel 32 SIS II – Beschluss 2007/533/JI) – Aufenthaltsermittlung (Artikel 34 SIS II – Beschluss 2007/533/JI) – Verdeckte oder gezielte Kontrolle (Artikel 36 SIS II – Beschluss 2007/533/JI) – Sachfahndungen zur Sicherstellung oder Beweissicherung im Strafverfahren (Artikel 38 SIS II – Beschluss 2007/533/JI) abgefragt, bei freizügigkeitsberechtigten Personen auf nicht systematischer Grundlage. 12. Welche Defizite bei dezentralen Verfahren zum polizeilichen Datenaustausch unter einzelnen oder mehreren EU-Mitgliedstaaten sieht die Bundesregierung derzeit? a) Inwiefern könnten diese aus Sicht der Bundesregierung durch eine zentrale Verwaltung behoben werden? b) Welche Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung hierzu von der Machbarkeitsstudie? Die technischen Abstimmungsprozesse gestalten sich bei dezentralen Verfahren schwierig. Durch eine zentrale Verwaltung könnten einheitliche Vorgehensweisen definiert und koordiniert werden. Dazu gehören beispielsweise die Fortschreibung von Schnittstellenspezifikationen, Testbeschreibung und -koordinierung sowie das Anforderungsmanagement. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie sollte überprüft werden, ob eu-LISA eine koordinierende Rolle für den technischen Betrieb dezentraler Verfahren übernehmen kann. 13. Welche weiteren Lücken in den bestehenden polizeilichen Informationsaustauschsystemen sieht die Bundesregierung auf EU-Ebene? a) Wie hat sie dies im Zusammenhang mit der Einrichtung von eu-LISA auf EU-Ebene vorgetragen? b) Welche Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung hierzu von der Machbarkeitsstudie? Im Rahmen einer von der Europäischen Kommission beauftragten Machbarkeitsstudie über einen Europäischen Kriminalaktennachweis (European Police Records Index – EPRIS) wurde als Ergebnis der grundsätzliche polizeifachliche Bedarf für einen EU-weiten Fundstellennachweis bestimmter polizeilicher Daten festgestellt. Dieser besteht darin, eine Erstauskunft darüber zu erbringen, ob und wenn ja in welchem EU-Mitgliedstaat bzw. welchen Mitgliedstaaten zu bestimmten abgefragten Personendaten polizeiliche Informationen vorliegen. Die Studie kommt weiterhin zu der Erkenntnis, dass keines der verschiedenen gegenwärtig für den polizeilichen Informationsaustausch nutzbaren Systeme und Verfahren in der Europäischen Union diesen Bedarf vollständig deckt. Somit ergibt sich aus Sicht der Bundesregierung die Aufgabe zu prüfen, wo die Lücken bestehen – etwa bei der Auskunft über Kriminalakten – und wie diese Drucksache 18/1832 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode gegebenenfalls geschlossen werden können. Etwaige Lücken in den bestehenden polizeilichen Informationsaustauschsystemen wurden im Zusammenhang mit der Einrichtung von eu-LISA nicht erörtert. 14. Welche Überlegungen hat die Bundesregierung angestellt, inwiefern ein von der Europäischen Kommission geplantes Passagierdatenregister (EUPNR ) ebenfalls von eu-LISA verwaltet werden könnte? a) Welche Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung hierzu von der Machbarkeitsstudie? b) Welche Defizite könnten auf diese Weise überbrückt werden? c) Welche Überlegungen oder Haltungen anderer EU-Mitgliedstaaten sind der Bundesregierung hierzu bekannt? Der Richtlinien-Vorschlag der Europäischen Kommission vom 2. Februar 2011 „über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Zwecken der Verhütung, Aufdeckung, Aufklärung und strafrechtlichen Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität“ (KOM(2011) 32 endgültig) sieht eine dezentrale Erfassung und Verarbeitung von PNR-Daten durch die Mitgliedstaaten in den jeweiligen PNR-Zentralstellen der Mitgliedstaaten vor, keine zentrale Erfassung und Verarbeitung von PNR-Daten auf EU-Ebene, für die es im Rat auch keine Mehrheit gab. Vor diesem Hintergrund bestehen bislang keinerlei Überlegungen der Bundesregierung in Bezug auf eine Verwaltung eines zentralen EUPNR -Datenregisters durch eu-LISA. Der Bundesregierung ist auch nicht bekannt , ob sich die Machbarkeitsstudie mit der Frage einer Verwaltung von PNRDaten durch eu-LISA befassen wird, und erwartet somit auch keine diesbezüglichen Erkenntnisse aus der Machbarkeitsstudie. Überlegungen anderer EUMitgliedstaaten zu einer Verwaltung eines zentralen EU-PNR-Datenregisters durch eu-LISA sind der Bundesregierung nicht bekannt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333