Deutscher Bundestag Drucksache 18/2109 18. Wahlperiode 14.07.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/1915 – Sicherheit der Atomanlagen in der Ukraine Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Knapp die Hälfte des Stroms aus der Ukraine stammt aus Atomkraftwerken. Insgesamt besitzt die Ukraine vier Atomkraftwerke mit insgesamt 15 Blöcken. Auch die weltweit größte Atomruine Tschernobyl befindet sich im Land. Die Atomkraftwerke sind allesamt russischer Bauart (WWER-1000/320) und mit 25 bis 30 Jahren nach Ansicht vieler Experten schon allein durch ihr Alter ein großes Risiko (www.tagesschau.de vom 28. Mai 2014, „Wie sicher sind die AKW in der Ukraine?“). Erst im März letzten Jahres wurden der Ukraine Gelder zur Instandhaltung ihrer maroden Atommeiler von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung bewilligt. Sicher ist die Situation keineswegs . Das Risiko wird nun durch die aktuellen politischen Spannungen – vor allem in der Ostukraine – massiv verschärft. Die Ukraine bat bereits im März dieses Jahres die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) die Frage der nuklearen Sicherheit mit den russischen Behörden zu besprechen. Weiterhin bat die Ukraine die USA, die Europäische Union und die North Atlantic Treaty Organization (NATO) um Unterstützung beim Schutz ihrer Atomanlagen. Am 19. Mai 2014 teilte nun der NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen auf einer Pressekonferenz mit, dass ein Expertenteam in die Ukraine entsandt worden ist, um die Sicherheit an den Atomanlagen zu verstärken. Auch die Situation in Tschernobyl ist nach wie vor besorgniserregend. Die Arbeiten am neuen sicheren Einschluss des havarierten Reaktors verzögern sich stetig. Es gibt keinen belastbaren Termin für seine Fertigstellung. Doch damit wäre auch nur ein akutes Problem gelöst. Wirklich sicher ist es erst, wenn auch die hochradioaktiven Altlasten endlich beseitigt worden sind. Auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN antwortete die Bundesregierung , dass es bereits zu Arbeitseinschränkungen ausländischer Experten am Standort Tschernobyl gekommen sei (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu Frage 16 auf Bundestagsdrucksache 18/1242). Die Situation dürfte sich durch den andauernden Konflikt weiter verschärft haben. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 10. Juli 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Viele Expertinnen bzw. Experten aus der Ukraine und anderen Nationen haben große Sorgen um die Sicherheit der Atomkraftwerke. Ein absichtlich oder un- Drucksache 18/2109 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode absichtlich herbeigeführter Reaktorunfall hätte auch direkte Folgen für die Bundesrepublik Deutschland. Zu der Krisensituation in der Ukraine kommt nun vielleicht noch eine weitere Gefahr an den ukrainischen Atomstandorten. Der US-amerikanische Atomkonzern Westinghouse und die ukrainische Atomenergiebehörde Energoatom verlängerten kürzlich einen Vertrag über die Lieferung US-amerikanischer Brennelemente für ukrainische Atomkraftwerke mit Reaktoren russischer Bauart . Aus russischen Expertenkreisen wurde Kritik laut, dass die Unterschiede zwischen westlichen Druckwasserreaktoren (DWR) und den russischen Druckwasserreaktoren (WWER) zu groß seien und deswegen Probleme beim Einsatz der amerikanischen Brennelemente in die russischen Reaktortypen entstehen können. Im Jahr 2012 soll es unter anderem bereits zu Vorfällen, aufgrund mechanischer Schäden beim Einsatz der Brennelemente, gekommen sein (vgl. Süddeutsche Zeitung „Armdrücken im Reaktorkern“ von Christopher Schrader vom 9. Mai 2014). Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ging der Thematik Sicherheit an den ukrainischen Atomstandorten sowie der Frage nach den Brennelementen der US-Firma Westinghouse bereits auf den Bundestagsdrucksachen 18/1089, 18/728 und 18/1589 nach, um einen öffentlich zugänglichen Überblick zu schaffen. Aufgrund der verschärften Krisensituation in der Ukraine ist für die Fragesteller eine erneute Abfrage relevant. 1. Hat die Bundesregierung neue Erkenntnisse bzgl. der Bedrohungssituation an den ukrainischen Atomstandorten (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu Frage 17 auf Bundestagsdrucksache 18/1242 und Antwort auf die Mündliche Frage 62 auf Bundestagsdrucksache 18/728)? Der Bundesregierung liegen keine über die in der Antwort zu Frage 17 der Kleinen Anfrage vom 4. April 2014 (Bundestagsdrucksache 18/1242) und auf die Mündliche Frage 62 vom 7. März 2014 (Plenarprotokoll 18/19) hinausgehenden neuen Erkenntnisse über die Bedrohungssituation an Standorten von Nuklearanlagen in der Ukraine vor. Nach Information der deutschen Botschaft in Kiew wurden seit dem Beginn der Unruhen erhöhte Sicherungsmaßnahmen (physischer Schutz) getroffen. 2. Welche Auswirkungen könnten nach Einschätzung der Bundesregierung der aktuelle Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sowie der Ausschluss Russlands aus der Gruppe der G8 auf die Arbeiten zur Sicherung der Reaktorruine in Tschernobyl haben? Der Bundesregierung liegen zurzeit keine Hinweise vor, dass Auswirkungen auf die Arbeiten am havarierten Reaktorblock vier in Tschernobyl zu erwarten wären. 3. Sind mittlerweile Bitten der Ukraine um Unterstützung zur Sicherung ihrer Atomanlagen an die Bundesregierung gestellt worden (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu Frage 18 auf Bundestagsdrucksache 18/1242)? Wenn ja, wie verhält sich die Bundesregierung dazu? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 18 der Kleinen Anfrage vom 4. April 2014 (Bundestagsdrucksache 18/1242) wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2109 4. Wie sieht die unterstützende Haltung der Bundesregierung bezüglich der Sicherung von ukrainischen Atomanlangen in internationalen Organisationen konkret aus (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zu Frage 18 auf Bundestagsdrucksache 18/1242, bitte mit Erläuterung)? Die Antwort der Bundesregierung zu Frage 18 der Kleinen Anfrage vom 4. April 2014 (Bundestagsdrucksache 18/1242) trifft weiterhin zu. 5. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die IAEO der Bitte der Ukraine gefolgt ist und Gespräche zur Sicherheitslage ihrer Atomstandorte mit den russischen Behörden aufgenommen hat (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Mündliche Frage 62 auf Bundestagsdrucksache 18/728)? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. 6. Werden bei den Abstimmungen zwischen der Bundesregierung und ihren Partnern bezüglich der Deeskalation des russisch-ukrainischen Konflikts auch die Sicherheitslage an den Atomanlagen thematisiert (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Mündliche Frage 62 auf Bundestagsdrucksache 18/728)? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Die Sicherheitslage an den Nuklearanlagen wurde bei den Abstimmungen zwischen der Bundesregierung und ihren Partnern bzgl. der Deeskalation des russisch -ukrainischen Konflikts nicht thematisiert. 7. Führt die Bundesregierung eigene Gespräche zur Sicherheitslage an den Atomkraftwerken, und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Die Bundesregierung führt keine eigenen Gespräche zur Sicherheitslage an den Kernkraftwerken. 8. Auf welche Weise kann nach Ansicht der Bundesregierung die NATO zur Verbesserung der Sicherheitslage an den ukrainischen Atomanlagen beitragen ? Zivile Notfallplanung im Rahmen der NATO ermöglicht Alliierten und Partnern , sich gegenseitig bei der Vorbereitung auf und der Bewältigung von Krisen, Naturkatastrophen oder Konflikten zu unterstützen. Der breite Ansatz der NATO – verankert im Neuen Strategischen Konzept – erkennt an, dass große zivile Notstände eine Gefahr für Sicherheit und Stabilität sein können. 9. Mit welcher Begründung haben ukrainische Behörden nach Kenntnis der Bundesregierung bei der NATO darum gebeten, die Verstärkung der Sicherheit der Atomkraftwerke zu unterstützen? Die ukrainischen Behörden baten um Unterstützung in Zusammenhang mit Bedenken hinsichtlich der physischen Sicherheit ihrer Nuklearanlagen in der anhaltenden Krisensituation. Konkret wurde die Hilfestellung eines Beratungsund Unterstützungsteams der zivilen Notfallplanung angefragt, um die ukraini- schen Notfallpläne und Krisenmanagementmaßnahmen im Hinblick auf kritische Energieinfrastruktur und Zivilschutzrisiken zu bewerten. Drucksache 18/2109 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 10. Welchen genauen Auftrag hat das zivile Expertenteam der NATO? Das Beratungs- und Unterstützungsteam sollte die ukrainischen zivilen Notfallpläne und Krisenmanagementmaßnahmen bewerten und hinsichtlich der Risiken einer radioaktiven Kontamination, ihrer Verbreitung, der Warnung der Bevölkerung sowie ggfs. einzuleitender Sicherheitsmaßnahmen beraten. 11. Inwiefern war die Bundesregierung in die Entscheidung, ein ziviles Expertenteam der NATO in die Ukraine zu schicken, eingebunden, und welche Position hat sie dabei vertreten? Die Bundesregierung hat der Entsendung eines zivilen Expertenteams im zuständigen NATO-Gremium zugestimmt. 12. Sind nach Informationen der Bundesregierung deutsche Experten an dieser NATO-Mission beteiligt, und falls ja, welche konkreten Aufgaben erfüllen sie diesbezüglich? Nach Information der Bundesregierung sind keine deutschen Experten an der Entsendung des Beratungs- und Unterstützungsteams der NATO beteiligt. 13. Inwiefern ist die nach Kenntnis der Bundesregierung IAEO in diesen Prozess eingebunden, bzw. wurde sie durch die NATO oder durch ukrainische Stellen im Vorfeld informiert? Die IAEO war nicht in den Prozess der Entsendung eines zivilen ExpertenTeams der NATO eingebunden. Eine Unterrichtung im Vorfeld seitens der NATO ist nicht erfolgt. 14. Welche Auswirkungen könnte nach Einschätzung der Bundesregierung der aktuelle Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sowie der Ausschluss Russlands aus der Gruppe der G8 auf die generelle Nuklearsicherheit („Nuklearterrorismus“) in der Ukraine und den umliegenden Ländern haben? Der Bundesregierung liegen keine Hinweise darauf vor, dass sich der aktuelle Konflikt in der Ukraine bzw. der Ausschluss Russlands aus der G8 auf die nukleare Sicherung in der Ukraine und den umliegenden Ländern ausgewirkt hat. Sie geht davon aus, dass die Ukraine auch weiterhin in der Lage ist, die nukleare Sicherung zu gewährleisten. 15. Welche Vorfälle an Atomanlagen, wie beispielsweise (versuchte) Besetzungen , hat es nach Kenntnis der Bundesregierung seit Beginn des Konflikts in der Ukraine gegeben (vgl. z. B. Ria Novosti vom 25. Januar 2014 „Ukrainischer Energieminister: Radikale rücken zum Atomkraftwerk Rowno vor“)? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, dass derartige Vorfälle in der Ukraine stattgefunden haben. 16. Hat die Bundesregierung neue Erkenntnisse zur Vertragsverlängerung zwischen der Ukraine und der US-Firma Westinghouse über die Lieferung von Brennelementen für ukrainische Reaktoren russischer Bauart (vgl. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2109 Antwort der Bundesregierung auf die Mündliche Frage 29 auf Bundestagsdrucksache 18/1589)? Die Bundesregierung hat hierzu keine neuen Erkenntnisse. Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Mündliche Frage 29 vom 4. Juni 2014 (Plenarprotokoll 18/38) wird verwiesen. 17. Hat die Bundesregierung einen Brief des stellvertretenden Vorsitzenden des Industrieausschusses der russischen Duma, Wladimir Gusenew, erhalten , in dem er die Gefahr erläutert, die durch den Einsatz amerikanischer Brennelemente in Reaktoren russischer Bauart ausgeht? Wenn ja, mit welchem Inhalt (bitte mit Angabe des genauen Wortlauts)? Wladimir Gusenew hat sich in seiner Eigenschaft als stellvertretender Leiter eines russischen Industrieverbands und als Duma-Abgeordneter Ende April 2014 an die Bundeskanzlerin gewandt und auf die aus seiner Sicht bestehende Situation der ukrainischen Kernkraftwerke hingewiesen. Die Bundesregierung hat Anfang Mai 2014 Wladimir Gusenew den Empfang des Schreibens bestätigt. Mögliche Folgen eines Einsatzes von Westinghouse Brennelementen in Reaktoren an ukrainischen Standorten können von der Bundesregierung nicht bewertet werden. Es ist Aufgabe der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde „State Nuclear Regulatory Inspektorate of Ukraine“ (SNRIU) der Ukraine, den Einsatz von Brennelementen zu genehmigen und zu überwachen. Vor diesem Hintergrund war eine Antwort, die inhaltlich auf die Vorwürfe eines russischen Industrieverbands bzw. eines einzelnen Duma-Abgeordneten zur Lage und zur Kernenergiesicherheit in der Ukraine eingeht, seitens der Bundesregierung nicht angezeigt. 18. Sofern die Bundesregierung das oben genannte Schreiben erhalten hat, hat sie bereits darauf reagiert, und wenn ja, mit welcher Positionierung? Auf die Antwort zu Frage 17 wird verwiesen. 19. Sieht die Bundesregierung sicherheitstechnische Probleme durch den Einsatz amerikanischer Brennelemente in Reaktoren russischer Bauart? Nach Kenntnis der Bundesregierung erfolgt der Einsatz der Brennelemente der Firma Westinghouse in Reaktoren russischer Bauart gegenwärtig ausschließlich im Testbetrieb im Kernkraftwerk Südukraine. Die sicherheitstechnische Bewertung obliegt der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde SNRIU, die den Einsatz dieser Brennelemente genehmigt und überwacht. 20. Handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung um fertigungstechnische oder systemische Mängel bei den Brennelementen? Die Bundesregierung hat hierüber keine Kenntnis. Drucksache 18/2109 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 21. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die ukrainische Atomaufsicht Energoatom den Einsatz amerikanischer Brennelemente bereits verboten hat? Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die ukrainische atomrechtliche Aufsichtsbehörde „State Nuclear Regulatory Inspektorate of Ukraine“ (SNRIU) im Jahr 2012 den Weiterbetrieb mit einem Teil der in dem Kernkraftwerk Südukraine (Block 2 und 3) eingesetzten Brennelemente der Firma Westinghouse untersagt . Ebenso wurden Neubeladungen mit baugleichen unbestrahlten Westinghouse -Brennelementen nicht mehr genehmigt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333