Deutscher Bundestag Drucksache 18/2128 18. Wahlperiode 16.07.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Martina Renner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/1986 – Überprüfung der Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nach Auffassung führender deutscher Verfassungsrechtler agiert der Bundesnachrichtendienst (BND) bei seiner Auslandsaufklärung nicht etwa im rechtsfreien Raum, sondern verstößt evident gegen das Grundgesetz, weil diese Ausspähung der Telekommunikation ohne die erforderliche, hinreichend bestimmte und verhältnismäßige gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erfolgt. Namentlich der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident, Prof. Dr. HansJürgen Papier, und die beiden übrigen Sachverständigen, die ehemaligen Richter des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem und Prof. Dr. Matthias Bäcker, wiesen bei ihrer Anhörung durch den 1. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages der 18. Wahlperiode, der den Spähskandal um den US-Nachrichtendienst NSA (National Security Agency) wegen massenhafter Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Politikern durchleuchten soll, am 22. Mai 2014 nicht nur darauf hin, dass das Sammeln und Speichern von Daten ohne konkreten Verdacht auf schwere Straftaten im Einzelfall hierzulande „strikt untersagt“ ist. Die Grundrechte der Bürger müssten vom Staat auch gegenüber ausländischen Einrichtungen geschützt werden, die in der Bundesrepublik Deutschland in die Freiheitsrechte eingriffen. Ebenso dürften deutsche Stellen Daten, die ihnen von ausländischen Geheimdiensten überlassen werden, nur auf der Grundlage hiesigen Rechts nutzen. Gleiches gelte für die Übermittlung von hierzulande erfassten Daten an ausländische Nachrichtendienste. Der Staat müsse Sorge dafür tragen, dass die Nutzung dieser Erkenntnisse im Ausland nach deutschen Standards erfolge. Einig waren sich alle Sachverständigen auch darin, dass eine Auslandsaufklärung des Telekommunikationsverkehrs im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst verfassungswidrig ist, weil die Bindung deutscher Hoheitsgewalt an den grundgesetzlichen Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses nach ArDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundeskanzleramtes vom 11. Juli 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. tikel 10 des Grundgesetzes (GG) auch die Überwachung der Telekommunikation im Ausland erfasse, es insoweit aber an der erforderlichen verhältnismäßigen , hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, die das Zitiergebot des Artikels 19 GG wahrt, fehlt. Die Überwachungspraxis des Bun- Drucksache 18/2128 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode desnachrichtendienstes sei daher rechtswidrig. Die Ansicht der Bundesregierung , die Aufgabenzuweisung des BND-Gesetzes an den BND, Erkenntnisse über das Ausland zu gewinnen, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, biete eine ausreichende Rechtsgrundlage, wurde von allen Sachverständigen ausdrücklich zurückgewiesen . Ihr liege die Annahme zugrunde, dass das grundrechtliche Fernmeldegeheimnis des Artikels 10 GG diese Auslandskommunikation nicht schütze. Danach würde das Recht dieser Auslandsaufklärung eigentlich keinerlei Grenzen setzen. Dies sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. In welchem Ausmaß der BND Telekommunikationsdaten im Ausland erhebt, bevorratet und weiterübermittelt , dürfe nicht von politischen Erwägungen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und dessen personellen und technischen Ressourcen abhängen, sondern müsse abschließend in einer hinreichend bestimmten und verhältnismäßigen gesetzlichen Eingriffsbefugnis geregelt sein. Schließlich meldeten die Sachverständigen auch Bedenken gegenüber der Verfassungsmäßigkeit des § 5 des Artikel 10-Gesetzes (G 10) an. Diese Ermächtigung des BND zur Überwachung internationaler Telekommunikationsbeziehungen sei im Jahr 1999 zwar vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die Relevanz oder das Gewicht der Gefahrenbereiche und auf die Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes, eben gerade eine Vorfeldaufklärung vor akuten Krisenlagen zu betreiben, für vereinbar mit Artikel 10 GG erachtet worden. Während diese Ermächtigung damals auf die nicht leitungsgebundene Kommunikation beschränkt war, darf seit dem Jahr 2011 indes jede Form von internationaler Telekommunikation überwacht werden, wodurch der Gegenstandsbereich erheblich ausgeweitet wurde, ohne dass im Gegenzug wirksame Einschränkungen der Tatbestandsvoraussetzungen erfolgt wären, die diese Ausweitung des Gegenstandsbereichs verfassungsrechtlich zu legitimieren vermöchten. Zudem würde die gesetzliche Begrenzung der Zugriffsmöglichkeiten des BND auf maximal 20 Prozent der Übertragungskapazität des jeweiligen Übertragungsweges ins Leere gehen, da die Übertragungswege im Regelfall in wesentlich geringerem Ausmaße ausgelastet seien und dem BND damit eine Totalerfassung des jeweiligen Übertragungsweges gestattet sei. Angesichts all dessen seien Zweifel angebracht, ob die Vorschrift in ihrer heutigen Form immer noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge (vgl. www.bundestag.de, Video vom 22. Mai 2014 „Grundrechte wahren“). 1. Hat die Bundesregierung aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen zur mutmaßlichen Rechtswidrigkeit der Auslandsaufklärung von Telekommunikationsverbindungen , die auf § 1 des BND-Gesetzes gestützt werden, in der Anhörung des 1. Untersuchungsausschusses des 18. Deutschen Bundestages am 22. Mai 2014 eine Überprüfung dieser Praxis vorgenommen oder veranlasst? 2. Falls dies der Fall sein sollte, was war das Ergebnis der Überprüfung dieser Praxis? 3. Falls dies nicht der Fall sein sollte, ist eine solche Überprüfung im Hinblick auf die Ausführungen der Sachverständigen zu deren mutmaßlicher Rechtswidrigkeit der in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Anhörung des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages noch beabsichtigt ? 4. Hat insbesondere das Bundeskanzleramt im Rahmen seiner Fachaufsicht über den BND im Hinblick auf die Zweifel der Gutachter an der Verfassungsmäßigkeit der Auslandsaufklärung eine (erneute) Sichtung und Bewertung der Rechtsgrundlagen für die Auslandsaufklärung des BND vorgenommen ? 5. Falls dies der Fall sein sollte, was war das Ergebnis? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2128 6. Falls eine (erneute) Sichtung und Bewertung der Rechtslage durch das Bundeskanzleramt bisher nicht erfolgt sein sollte, ist eine solche vor dem Hintergrund der Ausführungen der Sachverständigen der in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Anhörung des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages noch beabsichtigt? 7. Gibt es in der Bundesregierung aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen zur mutmaßlichen Verfassungswidrigkeit der Auslandsaufklärung von Telekommunikationsverbindungen, welche auf die Aufgabenzuweisung in § 1 des BND-Gesetzes gestützt wird, wegen des möglichen Fehlens einer verhältnismäßigen und hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage sowie der Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Überwachung der internationalen Telekommunikationsbeziehungen, die auf § 5 G 10 gestützt werden, in der Anhörung des 1. Untersuchungsausschusses des 18. Deutschen Bundestages am 22. Mai 2014 geäußert werden, Bestrebungen, die gesetzlichen Grundlagen für die Überwachung internationaler Telekommunikationsbeziehungen nach § 5 G 10 und/oder für die Auslandsüberwachung nach dem BND-Gesetz zu reformieren? 8. Welche Ressorts haben Prüfungen und/oder Vorbereitungen für eine Reform der gesetzlichen Grundlagen der Überwachung nach § 5 G 10 und nach dem BND-Gesetz vorgenommen? 9. Hat es zwischen den beteiligten Ressorts dazu Ressortabstimmungen gegeben ? 10. Wenn dies der Fall sein sollte, was war das Ergebnis dieser Ressortabstimmungen ? 11. Falls dies (noch) nicht der Fall (gewesen) sein sollte, sind dazu Ressortabstimmungen geplant, und wenn ja, zwischen welchen Ressorts? Die Fragen 1 bis 11 werden wegen des inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Der BND handelt bei seiner Aufgabenerfüllung im Einklang mit den bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften. Die Bundesregierung hat die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem und Prof. Dr. Matthias Bäcker zur Kenntnis genommen. Die Ausführungen der Sachverständigen werden Gegenstand weiterer Erörterungen im Untersuchungsausschuss sein. Der Respekt vor dem Deutschen Bundestag gebietet, dass die Bundesregierung zunächst die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses abwartet. Die Arbeit des Untersuchungsausschuss steht erst am Anfang. Aus den Ergebnissen wird die Bundesregierung die notwendigen Konsequenzen ziehen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333