Deutscher Bundestag Drucksache 18/2183 18. Wahlperiode 17.07.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/1926 – Ergebnisse und Konsequenzen aus der Studie PISA 2012 Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Studie PISA 2012 (PISA: Programme for International Student Assessment ) zeigt zwar in Teilbereichen einen erfreulich positiven Trend, jedoch weist PISA 2012 auch auf eine noch weiterhin bestehende große soziale Schieflage unseres Bildungssystems hin. Ferner besteht laut PISA 2012 bei Mädchen und Jungen im Fach Mathematik sowohl eine erhebliche Differenz in den Einschätzungen zum eigenen Leistungsvermögen als auch eine erhebliche Differenz in den gemessenen Ergebnissen. Diese Differenzen haben sich im Vergleich zu dem Jahr 2003 sogar noch verstärkt, während sie beispielsweise in anderen Ländern, wie z. B. Kanada, abgenommen haben. Bei der getesteten Lesekompetenz konnten die Jungen zwar aufholen, liegen jedoch mit 44 Punkten noch immer ein ganzes Schuljahr hinter den Mädchen. 31 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund liegen in Mathematik unterhalb der Kompetenzstufe 2, ihr Anteil an dieser sogenannten Risikogruppe ist damit doppelt so hoch wie der von Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund. Im gemeinsamen Pressestatement mit dem damaligen Präsidenten der Kultusministerkonferenz , Stephan Dorgerloh, kündigte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka, am 3. Dezember 2013 an: „Wir wollen in unseren Bemühungen um die Verbesserung von Bildungschancen für alle nicht nachlassen – so müssen wir weiterhin die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler unterstützen. Aber auch die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler müssen gezielt gefördert werden.“ Aus dieser Ankündigung ergeben sich die Fragen nach den genauen Schlüssen der Bundesregierung aus den Ergebnissen der Studie und nach den angekündigten Konsequenzen . Dabei kann es sich nach geltendem Verfassungsrecht sowohl um weitere Vereinbarungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des BildungsweDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 11. Juli 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. sens im internationalen Vergleich als auch um diesbezügliche Berichte und Empfehlungen sowie um Initiativen im Bereich der Bildungsforschung oder der beruflichen Bildung sowie der Stärkung der Teilhabe von Kindern und Jugendlichen gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) handeln. Mit Blick auf eine Drucksache 18/2183 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Öffnung des Grundgesetzes für weitere Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern kämen mittelfristig auch andere gemeinsame Initiativen infrage. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die international vergleichende Schulleistungsstudie PISA (Programme for International Student Assessment) misst die Kompetenzen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern in verschiedenen Bereichen: alle drei Jahre in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften sowie im Jahr 2012 zusätzlich in der Domäne „kreatives Problemlösen“. Anhand der Ergebnisse der PISA-Studien können Aussagen über den aktuellen Entwicklungsstand der Schülerinnen und Schüler in Deutschland im internationalen Vergleich, aber auch im Zeitverlauf, getroffen werden. Sie erlauben jedoch keine Rückschlüsse auf mögliche Ursachen festgestellter Befunde und keine kausalen Erklärungen für bestimmte Tatsachen und Entwicklungen. Vor dem Hintergrund der dargestellten Aussagemöglichkeiten der PISA-Studien werden die Fragen wie folgt beantwortet. 1. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen bei PISA 2012 hinsichtlich des nationalen Pakts für Frauen in MINT-Berufen (MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und der Studien- und Berufsorientierung bei jungen Frauen, und wurden diesbezüglich aus den Bundesländern Wünsche und Erwartungen an die Bundesregierung gerichtet? 2. Haben die Bundesländer an die Bundesregierung die Erwartung gerichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um hinsichtlich der Kompetenzen in Mathematik den Anteil jener Schülerinnen und Schüler zu reduzieren, die sich in der sogenannten Risikogruppe befinden? Wenn ja, welche Maßnahmen sind im Gespräch, wann soll über sie entschieden werden, und wann sollen sie beginnen? Welche Maßnahmen, die die Länder ins Gespräch gebracht haben, zieht die Bundesregierung nicht in Betracht, und warum nicht? Die Fragen 1 und 2 werden im Zusammenhang beantwortet. Die Ergebnisse von PISA 2012 haben bestätigt, dass Deutschland im internationalen Bildungsvergleich aufholt und sich nunmehr in allen Wissensgebieten über den OECD-Durchschnitt (OECD: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) hinaus verbessert hat. Zu diesem positiven Trend können auch außerschulische Maßnahmen und Angebote des Nationalen Pakts für Frauen in MINT-Berufen sowie die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützten bundesweiten Schülerleistungswettbewerbe, wie die Mathematik-Olympiade oder Jugend forscht, beigetragen haben. Die dem Nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen beigetretenen Länder engagieren sich dafür, mehr Mädchen und Frauen für MINT-Studiengänge und -Berufe zu begeistern, und bieten in eigener Zuständigkeit Maßnahmen an, die der Erreichung der im Memorandum niedergelegten Ziele des MINT-Pakts dienen. Der Hauptfokus liegt auf der Berufs- und Studienwahlorientierung von Schülerinnen und weist damit keine unmittelbaren Bezüge zu PISA auf. Weiterführende Informationen zu den Länderaktivitäten im MINT-Pakt hält die Projektlandkarte unter www.komm-mach-mint.de bereit. Die Länder haben im Kontext von PISA 2012 keine Erwartungen an die Bundesregierung in Bezug auf die Förderung von Frauen in MINT-Berufen oder Maßnahmen hinsichtlich der Kompetenzen in Mathematik bei Schülerinnen und Schülern in der so genannten Risikogruppe gerichtet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2183 3. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Einstellung zum Lösen von mathematischen Aufgaben, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Motivation zum Mathematiklernen sowie die Ausdauer und die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten hinsichtlich der Steuerung des eigenen Lernerfolgs hinsichtlich des Fachs Mathematik bei Mädchen schlechter ist als bei Jungen, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über die spezifischen Ursachen der unterschiedlichen Selbstkonzepte von Jungen und Mädchen im Hinblick auf Mathematik vor. 4. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass der Anteil der besonders leistungsschwachen Jungen unterhalb der Kompetenzstufe 2 hinsichtlich ihrer mathematischen Kompetenzen zwischen den Jahren 2003 und 2012 um fünf Prozentpunkte gesunken ist, es hier bei den Mädchen aber keinerlei Veränderungen gab, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus? Erfreulicherweise haben sich die Anteile der besonders leistungsschwachen Jungen und Mädchen, deren mathematische Kompetenzen unterhalb Kompetenzstufe 2 liegen, zwischen 2003 und 2012 reduziert. Sie liegen nun für beide Geschlechter unterhalb der 20-Prozent-Marke. Spezifische Informationen darüber, warum Mädchen in Mathematik in Deutschland und den meisten anderen Ländern schlechter abschneiden als Jungen, liegen der Bundesregierung nicht vor. 5. Wie erklärt sich die Bundesregierung den – im Vergleich zu den 14 Prozent an Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund – mit 31 Prozent mehr als doppelt so hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund , die in Mathematik lediglich die Kompetenzstufe 2 nicht erreichen, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Erfreulicherweise haben sich die Leistungen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Zeitverlauf deutlich verbessert. Es bleibt das Anliegen aller Beteiligten, dass die Kompetenzen von Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund so gut ausfallen wie die der Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund. Da die 15-Jährigen, die zuhause eine andere Sprache sprechen als Deutsch, in allen getesteten PISA-Kompetenzen deutlich schlechter abschneiden als Schülerinnen und Schüler, die zuhause Deutsch sprechen , ist es ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung, die sprachlichen Kompetenzen von Kindern von klein auf zu verbessern. Deshalb hat sie gemeinsam mit den Ländern das auf fünf Jahre angelegte Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS)“ auf den Weg gebracht, das im Herbst 2013 startete. Dabei arbeiten Verbünde von Kindertageseinrichtungen bzw. Schulen bei der Umsetzung und Weiterentwicklung abgestimmter Maßnahmen eng zusammen. Hierbei werden die von den Verbünden umgesetzten Konzepte und Maßnahmen der sprachlichen Bildung evaluiert und weiterentwickelt . Darüber hinaus unterstützt das Programm die erforderliche Fort- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Lehrkräfte. Der Bund fördert den wissenschaftlichen Teil des Programms mit jährlich rund 4,3 Mio. Euro. Der verbesserten Sprach- und Lesefähigkeit dient auch das Programm „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“, das die Stiftung Lesen im Auftrag des BMBF durchführt und das sich insbesondere an Kinder in Familien richtet, in denen nicht viel vorgelesen wird. Hierfür stellt das BMBF von 2011 bis 2018 insgesamt rund 24,5 Mio. Euro zur Verfügung. Drucksache 18/2183 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Wird die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, um hinsichtlich der Kompetenzen in Mathematik den Anteil jener Schülerinnen und Schüler zu reduzieren, die sich in der sogenannten Risikogruppe befinden, und wenn ja, welche? Die schulische Bildung – und damit auch der Mathematikunterricht – fällt in die Zuständigkeit der Länder. Das BMBF unterstützt die Länder in der Lehrerbildung mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung, um die Qualität des Unterrichts , die individuelle Förderung und den Umgang mit Heterogenität weiter zu verbessern. Insgesamt hat sich bei PISA 2012 der erfreuliche Befund gezeigt, dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die in die so genannte „Risikogruppe “ fallen, im Zeitverlauf stetig kleiner geworden ist und nun deutlich unter dem OECD-Durchschnitt liegt. 7. Wie erklärt sich die Bundesregierung den bei PISA 2012 ermittelten Kompetenzunterschied von 44 Punkten hinsichtlich der Lesekompetenz von Jungen und Mädchen sowie die Tatsache, dass der Anteil an Mädchen, die im Bereich Lesekompetenz besonders leistungsstark sind, mit 13 Prozent mehr als doppelt so hoch ist, wie der bei Jungen, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Alle PISA-Studien haben gezeigt, dass Mädchen in allen teilnehmenden Staaten im Lesen deutlich besser abschneiden als Jungen. Der Bundesregierung liegen keine spezifischen Erkenntnisse darüber vor, warum dies der Fall ist. Konsequenzen im Bereich frühkindlicher Bildung hat die Bundesregierung bereits mit dem Programm Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache und Integration“ gezogen (2011 bis 2014, 400 Mio. Euro zur Förderung von bundesweit 4 000 Kitas für die Verbesserung der sprachlichen Bildungsqualität), mit dem ein Konzept alltagsintegrierter sprachlicher Bildung in die Kita-Praxis eingeführt wird. Entsprechend der Vereinbarungen des Koalitionsvertrages wird die Bundesregierung die Implementierung dieses Konzeptes in dieser Legislaturperiode fortsetzen. Es wird auf die Antwort zu Frage 5 verwiesen. 8. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Fortschritte bei PISA in puncto Lesekompetenz sehr viel geringer sind, als jene in Mathematik oder den Naturwissenschaften, und welche Konsequenzen zieht sie daraus? Die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland haben sich in der Domäne Lesen im Zeitverlauf genauso verbessert wie in der Domäne Mathematik – nämlich von 2000 bis 2012 um jeweils 24 Punkte. Allerdings lag Deutschland zu Beginn der PISA-Studien im Bereich Lesen deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Deshalb ist es erfreulich, dass die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland stetig besser geworden sind und bei PISA 2012 erstmals signifikant oberhalb des OECD-Durchschnitts liegen. Zur Flankierung dieser Erfolge im Bereich der Lesekompetenzen bei 15-Jährigen werden mittelfristig auch die Programme „BiSS“ und „Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ beitragen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2183 9. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass hinsichtlich der Lesekompetenz der Anteil an Jungen unterhalb der Kompetenzstufe 2 mit 20 Prozent mehr als doppelt so groß ist, wie bei den Mädchen, und dass sich bei der Lesekompetenz der Anteil an besonders leistungsstarken Schülerinnen und Schülern zwischen den Jahren 2000 und 2012 nicht verändert hat? Erfreulicherweise hat sich der Anteil der Schülerinnen und Schüler in Deutschland , deren Lesekompetenz unterhalb der Stufe 2 liegt, im Zeitverlauf stetig verringert und liegt jetzt deutlich unterhalb des OECD-Durchschnitts. 10. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der bei PISA 2012 erfolgten Sonderauswertung zu kreativem Problemlösen, und was folgt daraus für die angekündigte Qualitätsoffensive Lehrerbildung der Bundesregierung ? PISA 2012 hat gezeigt, wie die Unterstützung des Lehrers und die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler den Zusammenhang von Unterrichtsmustern und Kompetenzentwicklung prägen. Deshalb bedarf es einer Qualitätsverbesserung in der Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Die Bundesregierung unterstützt die für die Lehrerausbildung zuständigen Länder mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung, in der auch gezielt Projekte gefördert werden sollen, die die Zusammenarbeit von Fachwissenschaften, Fachdidaktiken , Bildungswissenschaften und schulpraktischen Lernorten verbessern und zukünftige Lehrkräfte befähigen, besser mit Vielfalt und individueller Förderung im Unterricht umzugehen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333