Deutscher Bundestag Drucksache 18/2237 18. Wahlperiode 25.07.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/1943 – Mögliche Aktenvernichtung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen über Rechtsextremisten, V-Männer und MfS-Mitarbeiter Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In ihrem Buch „Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU“ schreiben die Autoren Stefan Aust und Dirk Laabs u. a. über den bundesdeutschen Rechtsterroristen Odfried Hepp, der auch für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) gearbeitet hatte. Die Autoren beschreiben , wie Odfried Hepp in den 1980er-Jahren vom MfS mit einem neuen gefälschten Reisepass und einer neuen Legende in den Nahen Osten geschickt wird. „Dort beginnt er erst für die PLO, später für die von Syrien unterstützte PLF zu arbeiten – und wird daneben von der CIA bezahlt. Im Auftrag der PLF reist er nach Frankreich. Als sich Hepp im April 1985 in einer Pariser Hotelbar mit Kontaktmännern aus dem Nahen Osten trifft, darunter einflussreiche Waffenhändler, wird er von Agenten des französischen Geheimdienstes DST observiert. Die nehmen ihn schließlich fest. Er bleibt zwei Jahre in Abschiebehaft . Dann wird er nach Deutschland ausgeliefert. Hepp entscheidet sich auszupacken . Loyalitäten, das wird sich auch später in der rechten Szene nicht ändern , sind reine Verhandlungssache. Regine Igel berichtet, dass ein anderer IM der Stasi behauptet hatte, Hepp hätte auch dem BfV [BfV: Bundesamt für Verfassungsschutz ] als V-Mann berichtet. Die Stasi habe Hepp deshalb zu dem Anwurf einen langen Fragenkatalog vorgelegt, die Stasi-Unterlagen-Behörde hat die Antworten jedoch geschwärzt.“ (Aust/Laabs, „Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU“, München 2014, S. 93). Die hier im Buch von Stefan Aust und Dirk Laabs erwähnte Wissenschaftlerin Regine Igel beschreibt in ihrem Buch „Terrorismus-Lügen – Wie die Stasi im Untergrund agierte“ das Ausmaß der Schwärzungen und Ausdünnungen von MfS-Akten durch die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), wenn es in den Akten um die Führung von rechtsextremen und rechtsDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom 24. Juli 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. terroristischen Vertrauenspersonen durch das BfV und den Bundesnachrichtendienst (BND) geht. Regine Igel führt aus, dass ihr von 15 MfS-Ordnern „die mit den Nummern 10 und 11 zur Gänze und Hunderte Seiten zwischendurch nicht ausgehändigt werden. Eine vollständige Aufklärung zu Hepp ist nicht er- Drucksache 18/2237 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode wünscht. Verständlich einerseits, denn Hepp war schließlich als Doppelagent auch für den Verfassungsschutz tätig“ (Regine Igel, „Terrorismus-Lügen – Wie die Stasi im Untergrund agierte“, München 2012, S. 260). Im Detail beschreibt die Autorin, wie in dem Ordner 1 zu Odfried Hepp eine Unzahl Seiten entnommen worden sind und so die wissenschaftliche Forschung behindert wurde. Dieser Ordner enthält auch den Zeitraum des Jahres 1980. Regine Igel weist mit Recht auf einen möglichen triftigen Grund hin: „Da ereignete sich nämlich der bis dato gravierendste Terroranschlag in Deutschland, das Oktoberattentat.“ (ebenda, S. 261). An anderer Stelle weist Regine Igel auf Schwärzungen über die Rechtsterroristen C. H. und K.-D. H. hin. Das Ehepaar H. und andere Neonazis waren „am 21. Oktober 1981 an einem Anschlag auf eine Synagoge in Antwerpen beteiligt gewesen, zwei Menschen wurden dabei getötet und 100 verletzt“ (ebenda, S. 266). Und zum Aktenbestand heißt es dann weiter: „Stasi-Kontakt zum Ehepaar [H.] wäre denkbar, lässt sich aus den zu ihnen vorgelegten gerade mal zwei Blatt MfS-Akten nicht belegen. Ihr Name ist – auch in anderen Akten – meist geschwärzt, was wundert, waren sie der Öffentlichkeit doch keine Unbekannten und auch keine Stasi-Opfer. Die Schwärzungen kann die BStU also nicht aus Gründen des Schutzes des Persönlichkeitsrechts vorgenommen haben. Sie deuten eher auch auf ihre Tätigkeit für einen oder mehrere Geheimdienste.“ (ebenda, S. 266/267). Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Mit der Kleinen Anfrage wird konkret nach den Verhältnissen zwischen Nachrichtendiensten des Bundes und einzelnen Personen gefragt. Dabei kann von der Bundesregierung zu der Frage, ob eine Person ein V-Mann eines Nachrichtendienstes war oder nicht war, aus Gründen des Staatswohls keine Auskunft gegeben werden. Der Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze bei geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder des Landes gefährden kann. Dies begründet sich im Einzelnen wie folgt: Die Verfassungsschutzbehörden sammeln im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags Informationen und werten diese aus. Die Führung von V-Leuten gehört zu den wichtigsten nachrichtendienstlichen Mitteln, die den Verfassungsschutzbehörden zur Informationsbeschaffung zur Verfügung stehen. Würden Einzelheiten zur V-Mann-Werbung und zur V-Mann-Führung bekannt, könnten dadurch Rückschlüsse auf den Einsatz von V-Leuten und die Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden gezogen werden. Es entstünde die Gefahr, dass Fähigkeiten , Methoden und Informationsquellen der Verfassungsschutzbehörden bekannt würden und damit die Funktionsfähigkeit der Verfassungsschutzbehörden nachhaltig beeinträchtigt wäre. Zudem ist zu beachten, dass sich sowohl die V-Leute selbst als auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden, die die V-Leute betreuen, regelmäßig in einem extremistischen und gewaltbereiten Umfeld bewegen . Die Preisgabe von Einzelheiten ihrer Einsätze und die damit verbundene Möglichkeit einer Aufdeckung ihrer Identität könnten dazu führen, dass Leben und körperliche Unversehrtheit der jeweiligen betroffenen Personen gefährdet wären. Aufgrund der Hochrangigkeit dieser Rechtsgüter, der möglichen Irreversibilität und der erhöhten Wahrscheinlichkeit ihrer Beeinträchtigung muss jede noch so geringe Möglichkeit des Bekanntwerdens zu Fragen des Einsatzes von V-Leuten ausgeschlossen werden. Die Auskunft muss auch dann verweigert werden, wenn die betreffende Person kein V-Mann ist oder war oder der Vorgang zeitlich weit zurückliegt, da ansonsten in allen übrigen Fällen aus der Antwortverweigerung auf das Vorliegen eines V-Leute-Einsatzes geschlossen werden könnte. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2237 Aus der Abwägung der verfassungsrechtlich garantierten Informationsrechte des Deutschen Bundestages und seiner Abgeordneten mit den negativen Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörden sowie den daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der Gefährdung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nachrichtendienste folgt, dass auch eine Beantwortung unter VS-Einstufung, die in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages einsehbar wäre, ausscheidet. Im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz der wehrhaften Demokratie und der Bedeutung der betroffenen Grundrechtspositionen hält die Bundesregierung die Informationen der angefragten Art für so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden kann. 1. Treffen die im Vortext dargelegten Sachverhalte aus den Büchern Aust/ Laabs „Heimatschutz“ und Regine Igel „Terrorismus-Lügen“ nach Kenntnis der Bundesregierung zu? Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) stellt auf Antrag und auf Grundlage des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) Unterlagen zur Verfügung und bewertet nicht die von Antragstellern gezogenen Schlussfolgerungen. Aus den Unterlagen ergeben sich für die in der Vorbemerkung der Fragesteller dargelegten Sachverhalte keine Anhaltspunkte. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 2. Mit welcher Begründung und auf welcher Rechtsgrundlage wurden Akten der BStU zu Rechtsextremisten und Rechtsterroristen durch Schwärzungen und Blattentnahmen sowie durch die Verweigerung, ganze Ordner auszugeben , der wissenschaftlichen Forschung entzogen? Es wurden keine Unterlagen der wissenschaftlichen Forschung bzw. der publizistischen Aufarbeitung entzogen. Der BStU bearbeitet jeden Antrag unabhängig vom Thema nach den gleichen Prinzipien des StUG. Bei dem vorliegenden Antrag von Regine Igel handelte es sich um einen Medienantrag für eine Fernsehdokumentation. Die Akte Hepp wurde der Antragstellerin auf eigenen Wunsch hin zunächst in der Form zugänglich gemacht, wie sie zuvor auch im Rahmen anderer Medienanträge zur Verfügung gestellt worden war. Die Antragstellerin hat die Ergebnisse der Recherchen zu ihrem Antrag und die Aufbereitung der Unterlagen zur Akteneinsicht nicht abgewartet. Die Publikation des genannten Buches erfolgte, bevor die Recherchen beim BStU abgeschlossen waren. Die Zugangsregelungen für die Verwendung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) für die politische und historische Aufarbeitung ergeben sich aus den §§ 32 ff. StUG. Grundsätzlich werden im Rahmen von Forschungs - und Medienanträgen alle aufgefundenen Unterlagen zur Verfügung gestellt , die einen Bezug zum Antragsthema haben. Gegebenenfalls werden nach den Regelungen des § 32 Absatz 1 und 2 StUG Anonymisierungen zum Schutz von Persönlichkeitsrechten der in den Unterlagen genannten Personen vorgenommen . Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich die rechtlichen Regelungen für Forschungs- und Medienanträge zum Teil unterscheiden. Wissenschaftler, die an Forschungseinrichtungen tätig sind, können beispielsweise gemäß § 32 Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 StUG verpflichtet werden und dann in Unterlagen unanonymisiert einsehen. Dies ist auch bei der gesamten Akte Hepp bereits Drucksache 18/2237 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode mehrfach erfolgt. Die Antragstellerin ist jedoch keine Wissenschaftlerin, sondern Publizistin, so dass eine Verpflichtung und Einsichtnahme nach § 32 Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 StUG nicht in Betracht kam. 3. Welche Regelungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (STuG) legitimieren diese Praxis, und welche darauf basierenden Vorschriften und Verwaltungsverfahren wurden daraus entwickelt? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 4. Welche Erkenntnisse und Probleme haben nach 1989 zu diesen Regelungen geführt, und wann wurden sie erstmals aus welchem Anlass angewandt? Da die MfS-Unterlagen zum großen Teil unter Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze entstanden sind, ist der Zugang zu den Unterlagen im StUG differenziert geregelt worden. Dadurch wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Schutz von Persönlichkeitsrechten entsprochen. Die in der Antwort zu Frage 2 angesprochenen Regelungen gelten seit Inkrafttreten des StUG und werden seitdem entsprechend angewandt. Das Zugangsrecht für die wissenschaftliche Forschung nach § 32 Absatz 1 Satz 1 Nummer 7 StUG wurde durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (7. StUÄndG) vom 21. Dezember 2006 eingeführt. 5. Trifft es zu, dass Odfried Hepp auch V-Mann des BfV, des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) und/oder des BND gewesen ist, und war dies der Grund, Akten der BStU zu schwärzen und nicht auszugeben? Zum Grund für die Anonymisierungen und die Nichtzurverfügungstellung von Seiten durch den BStU wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Im Falle Odfried Hepps sei angefügt, dass es in den Unterlagen umfangreiche Daten Dritter gibt, die zur beantragten Fragestellung von Regine Igel keinerlei Bezug hatten und deren Persönlichkeitsrechte zu schützen sind. Hinsichtlich einer möglichen V-Mann-Tätigkeit für das BfV, den MAD oder den BND kann aus Gründen des Staatswohls keine Auskunft erteilt werden. Zur Begründung wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 6. Wurden in den konkreten, hier befragten Fällen die entsprechenden Regelungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BStU eigeninitiativ angewendet (bitte die Entscheidungsebene für das Verfahren in der BStU angeben), oder gab es Rückfragen an BfV, BND oder andere Stellen des Bundes wie dem Bundesministerium des Innern (BMI), wann haben solche Gespräche mit welcher Beteiligung stattgefunden, und wer hat letzten Endes die konkreten Schwärzungen mit welcher genauen Begründung veranlasst ? Nur in den Fällen des § 32 Absatz 2 in Verbindung mit § 37 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe b bis d StUG ist eine Einwilligung und damit eine Beteiligung des BMI erforderlich. Diese Fälle lagen hier nicht vor; des Weiteren wurden auch keine anderen Stellen des Bundes befragt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2237 7. Welche Verfahren (Informations- und Entscheidungswege) sind vorgesehen und auf welche Weise (Anordnungen, Richtlinien, Vermerke oder Ähnliches) für die Fälle geregelt, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BStU bei ihren Forschungsarbeiten, Recherchen oder Akteneinsichtsvorgängen auf personelle Verbindungen (einschließlich Doppelagenten ) des MfS zu rechtsextremistischen Szenen oder Einzelpersonen stoßen, wenn sich hieraus wiederum Verbindungen zu westdeutschen Sicherheitsbehörden ergeben? Sofern bei der Bearbeitung Unterlagen recherchiert werden, die sich auf Mitarbeiter von Nachrichtendiensten des Bundes, der Länder und der Verbündeten beziehen und die sich deshalb gemäß § 37 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe c StUG in gesonderter Verwahrung befinden, dürfen solche Unterlagen nur mit Einwilligung des BMI verwendet werden (§ 32 Absatz 2 StUG). Dieses wird über den Geheimschutzbeauftragten des BStU um Zustimmung ersucht. Ergeben sich aus den Unterlagen Informationen über terroristische Straftaten, ist der BStU unter den Voraussetzungen des § 27 Absatz 3 StUG verpflichtet, dies von sich aus dem BMI mitzuteilen. 8. Wurde die ersatzlose Herausnahme der Akten aus dem Bestand der BStU zu Odfried Hepp und C. H. vom BMI angeordnet, und wenn ja, wann geschah es, und wie wurde dies begründet? Es wurden keine Akten aus dem Bestand des BStU herausgenommen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 2 und 4 verwiesen. 9. Hat die Bundesregierung das Parlamentarische Kontrollgremium über die Funde und Herausnahme von Akten und Aktenteilen zu Odfried Hepp und C. H. im Zusammengang mit Rechtsterrorismus, MfS, BfV und BND unterrichtet, und wenn ja, wann, und wie wurde die Herausnahme begründet , und wenn nein, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 8 wird verwiesen. 10. Existiert in der BStU ein Forschungsbereich oder Forschungsprojekt, oder sind solche geplant, die die Kooperation des MfS mit neofaschistischen oder rechtsterroristischen Gruppen der alten Bundesrepublik Deutschland systematisch erforschen? Nein. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333