Deutscher Bundestag Drucksache 18/2265 18. Wahlperiode 04.08.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Monika Lazar und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/2155 – Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die in Wissenschaft und Politik seit Jahren andauernde Diskussion darüber, ob und inwieweit die bestehenden Regelungen des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) zur Weisungsgebundenheit von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten reformiert werden sollten, haben in jüngster Zeit durch den Abhörskandal der National Security Agency (NSA) neuen Vorschub erhalten. Die infrage stehenden Vorschriften im Gerichtsverfassungsgesetz lauten wie folgt: „§ 146 GVG [Weisungsgebundenheit] Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen. § 147 GVG [Dienstaufsicht] Das Recht der Aufsicht und Leitung steht zu: 1. dem Bundesminister der Justiz hinsichtlich des Generalbundesanwalts und der Bundesanwälte; 2. der Landesjustizverwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlichen Beamten des betreffenden Landes; 3. dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks.“ Die Einlassungen einzelner Mitglieder der Regierungskoalition zur Frage der Zukunft der Weisungsgebundenheit von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie des Generalbundesanwalts als politischem Beamten waren zuletzt unterschiedlich . Eine eindeutige Positionierung der Bundesregierung zu dieser Debatte steht nach wie vor aus. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 1. August 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Drucksache 18/2265 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Sieht die Bundesregierung Änderungsbedarf an der nach den §§ 146, 147 GVG bestehenden Weisungsgebundenheit des Generalbundesanwalts gegenüber dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz? Wenn ja, will sie dieses Weisungsrecht abschaffen? Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung hat in der Vorbemerkung ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. zur Dienstaufsicht des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz über den Generalbundesanwalt Folgendes ausgeführt (vgl. Bundestagsdrucksache 18/1318, S. 2 f.): „Gemäß §§ 146, 147 Nummer 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) steht dem Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz die Aufsicht und Leitung gegenüber dem Generalbundesanwalt zu. Diese Dienstaufsicht berechtigt zur Erteilung von allgemeinen Weisungen und Weisungen im Einzelfall, sowohl im Hinblick auf die rechtliche als auch auf die tatsächliche Sachbehandlung (Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 56. Auflage 2013, § 146 GVG, Rn. 1). Allerdings unterliegt die Dienstaufsicht Grenzen, die sich wiederum aus dem Legalitätsprinzip (§ 152 Absatz 2 der Strafprozessordnung – StPO) und aus der Bindung an Gesetz und Recht (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes – GG) ergeben. Soweit das Gesetz keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zulässt , kommt die Ausübung des Weisungsrechts somit von Vornherein nicht in Betracht. Das Weisungsrecht darf aber auch sonst nicht von rechts- oder sachwidrigen Erwägungen geleitet sein (Meyer-Goßner, a. a. O., Rn. 5; Franke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2010, § 146 GVG, Rn. 22 f.; vgl. auch BVerfG, Entscheidung vom 19. März 1959 – 1 BvR 295/58 –, BVerfGE 9, 223, 229).“ Die 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat sich im November 2013 mit dem in §§ 146 und 147 GVG verankerten externen Weisungsrecht und der Stellung der Staatsanwaltschaften als Teil der Exekutive befasst, dabei aber keine Veranlassung für eine Prüfung im Rahmen einer Bund-LänderArbeitsgruppe gesehen, ob und in welchem Umfang das externe Weisungsrecht in Einzelfällen notwendig und noch zeitgemäß ist. Darüber hinaus steht die Frage des Weisungsrechts im Zusammenhang mit der ebenfalls aktuellen Diskussion über eine Selbstverwaltung der Justiz. Mit diesem Thema befasst sich die Kommission „Judicial System“, die seit dem Jahr 2013 mit Repräsentanten von Richterräten anderer Staaten ergebnisoffen diskutiert . Wissenschaftlicher Moderator der Kommission ist Prof. Dr. Peter-Alexis Albrecht (Goethe-Universität Frankfurt am Main). Die Frage, wie und auf welche Weise das Verhältnis zwischen parlamentarischer und ministerieller Verantwortung auf der einen und der Gewährleistung einer unabhängigen Justiz auf der anderen Seite ausgestaltet und welche Rolle die Staatsanwaltschaften im Gewaltenteilungssystem einnehmen sollen, ist Gegenstand einer andauernden kontroversen rechtspolitischen Diskussion, die noch nicht abgeschlossen ist. Die Bundesregierung verfolgt die derzeitig vorskizzierten Arbeits- und Diskussionsprozesse wie auch sonstige Beiträge zum Thema des ministeriellen Weisungsrechts gegenüber den Staatsanwaltschaften aufmerksam und wird zu gegebener Zeit prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich gesetzliche Änderungen empfehlen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2265 2. Will die Bundesregierung an der Rechtsstellung des Generalbundesanwalts als politischer Beamter festhalten? Wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung hat derzeit nicht in Aussicht genommen, gesetzliche Änderungen zum Status des Generalbundesanwalts als politischen Beamten vorzuschlagen . Die Stellung des Generalbundesanwalts als politischer Beamter ergibt sich aus § 54 Absatz 1 Nummer 5 des Bundesbeamtengesetzes und bedeutet, dass er jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann. 3. Hält die Bundesregierung die vollständige Gleichstellung der Staatsanwälte im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit mit den Richterinnen und Richtern für geboten, und wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht? Völlige Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit garantiert das Grundgesetz (GG) nur Richtern und Richterinnen sowie Mitgliedern des Bundesrechnungshofs (Artikel 97, 114 Absatz 2 Satz 1 GG). Die Staatsanwaltschaften und ihre Beamten sind zwar eigenständige Organe der Rechtspflege, nicht aber Teil der rechtsprechenden Gewalt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, indem es trotz der Eingliederung der Staatsanwaltschaft in die Justiz die Zugehörigkeit der Staatsanwaltschaft zur Exekutive betont hat (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001, 2 BvR 1444/00, Absatz Nummer 49). 4. Hält die Bundesregierung die Beschränkung des Weisungsrechtes für erforderlich , und wenn ja, in welcher Hinsicht? Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. 5. Beabsichtigt die Bundesregierung die Abschaffung des externen Weisungsrechtes im Einzelfall? Wenn nein, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. 6. Hält die Bundesregierung den jetzigen § 146 GVG für verfassungswidrig? Nein. Auf die Antwort zu Frage 3 wird Bezug genommen. 7. Betrachtet die Bundesregierung die Staatsanwaltschaft als Teil der Exekutive oder als Teil der Dritten Gewalt? Auf die Antwort zu Frage 3 wird Bezug genommen. Drucksache 18/2265 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 8. Hält die Bundesregierung die Unterrichtungspflicht der Staatsanwälte gegenüber den Justizministern über einzelne Verfahren für verzichtbar, und wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht? Die von § 147 GVG vorgegebene Aufgabe der Aufsicht und Leitung der Staatsanwaltschaften setzt voraus, dass die Justizministerien über die wesentlichen Vorgänge bei den Staatsanwaltschaften unterrichtet sind. Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften stellen sich insoweit als notwendiger Bestandteil des geltenden Systems dar. 9. Ist der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz verpflichtet, seine Aufsichtspflichten gegenüber dem Generalbundesanwalt auszuüben ? Eine mit dem Aufsichts- und Weisungsrecht korrespondierende Verpflichtung gründet in der allgemeinen Verantwortung der Regierung für das Handeln der Exekutive, zu der, wie in der Antwort zu Frage 3 ausgeführt, auch der Generalbundesanwalt gehört. 10. Ist nach Ansicht der Bundesregierung im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit zu differenzieren zwischen dem Generalbundesanwalt und den Staatsanwaltschaften der Länder? Das geltende Recht enthält hinsichtlich der Weisungsgebundenheit keine entsprechende Differenzierung. 11. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang nach Ansicht der Bundesregierung der besondere Zuständigkeitszuschnitt des Generalbundesanwalts , der insbesondere Staatsschutzsachen umfasst? Auf die Antworten zu den Fragen 2 und 10 wird Bezug genommen. 12. Besteht nach Auffassung der Bundesregierung grundsätzlich das Recht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages , den Generalbundesanwalt zum Stand der Ermittlungen in einem laufenden Verfahren zu befragen? Nach Artikel 43 Absatz 1 GG können der Deutsche Bundestag und seine Ausschüsse jederzeit die Anwesenheit eines Mitglieds der Bundesregierung verlangen . Unmittelbare Rechte gegenüber den Leiterinnen oder Leitern oder Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern nachgeordneter Behörden ergeben sich daraus nach Auffassung der Bundesregierung nicht. 13. Sieht die Bundesregierung in der Befragung des Generalbundesanwalts im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages eine Überschreitung der Informationsrechte oder den Versuch einer unzulässigen Einflussnahme? Auf die Antwort zu Frage 12 wird Bezug genommen. Stellt sich der Generalbundesanwalt den Fragen des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages, so sieht die Bundesregierung darin keine Überschreitung der Informationsrechte oder den Versuch einer unzulässigen Einfluss- nahme. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2265 14. Sieht die Bundesregierung den Generalbundesanwalt in der Lage, bei Fragen zu laufenden Ermittlungsverfahren selbst zu entscheiden, welche Informationen er ohne Gefährdung der Ermittlungen preisgeben kann, und zu anstehenden Entscheidungen in Ermittlungsverfahren seine Entscheidungskompetenz zu wahren? Ja. Auf die Antworten zu den Fragen 1 und 9 wird verwiesen. 15. Vertritt die Bundesregierung die Ansicht, dass das Weisungsrecht des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz in Einzelfällen auch dann nicht ausgeübt werden sollte, wenn ein Anfangsverdacht vorliegt, aber dennoch keine Ermittlungen eingeleitet werden? Wie begründet sie diese Auffassung, auch im Hinblick auf das in § 152 Absatz 2 der Strafprozessordnung festgeschriebene Legalitätsprinzip? Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz nimmt die ihm von § 147 GVG zugewiesenen Aufsichts- und Leitungsbefugnisse dem Gesetz entsprechend wahr. Ob ein Anfangsverdacht vorliegt, obliegt zuvörderst der Prüfung durch den Generalbundesanwalt. Dieser ist im Rahmen seiner Zuständigkeit nach § 152 Absatz 2 StPO verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen und keine besonderen Gründe gegeben sind, bei deren Vorliegen das Gesetz ein Absehen von der Verfolgung erlaubt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333