Deutscher Bundestag Drucksache 18/2402 18. Wahlperiode 26.08.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/2318 – Gleichstellungspolitische Ziele und Grundannahmen der Bundesregierung Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In ihrer „Bewertung des nationalen Reformprogramms und des Stabilitätsprogramms DEUTSCHLANDS 2014“ hat die Europäische Kommission im Rahmen des EU-Reformprogramms Europa 2020 Deutschland zum wiederholten Mal wegen einer strukturellen Diskriminierung von Frauen kritisiert. So moniert die Europäische Kommission, dass „steuerliche Fehlanreize für Zweitverdiener “ und das „nach wie vor unzureichende Angebot an ganztägigen Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen […], das Ehegattensplitting und die kostenfreie Mitversicherung von nicht berufstätigen Ehepartnern insbesondere Frauen von einer Erhöhung ihrer Arbeitsstunden ab[halten].“ Demnach ist „die Zahl der von Frauen im Durchschnitt geleisteten Arbeitsstunden eine der niedrigsten in der EU.“ Das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) regelt seit dem Jahr 2001 für die Bundesverwaltung, dass in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, diese bei Einstellungen und Beförderungen bei gleicher Qualifikation bevorzugt berücksichtigt werden müssen, wenn nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen. Dennoch sind Frauen im höheren Dienst und besonders unter den Führungskräften weiter unterrepräsentiert. Mit steigender Hierarchieebene sinkt der Frauenanteil in den Verwaltungen weiter, die Frauen stoßen an die sprichwörtliche „gläserne Decke“. So waren im Jahr 2009 in den obersten Bundesbehörden 36 Prozent der Beschäftigten im höheren Dienst weiblich. Gleichzeitig wurden nur 14 Prozent der Abteilungen von Frauen geleitet und nur 3 Prozent der beamteten Staatssekretäre waren Frauen (vgl. Erfahrungs- und Gremienbericht 2010). Nun plant die Bundesregierung mit dem „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ parallel zur Einführung einer Frauenquote für Spitzenpositionen der Wirtschaft das BGleiG zu reformieren. Künftig soll es geDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 22. August 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. schlechtsneutral verfasst sein („Geschlechteransprache“). Demnach könnten in einzelnen Bereichen der Bundesverwaltung, in denen Männer unterrepräsentiert sind, diese gegenüber Frauen bevorzugt berücksichtigt werden. Drucksache 18/2402 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Gegen diese Umgestaltung richtet sich die Hauptkritik diverser Arbeitszusammenhänge von Gleichstellungsbeauftragten. So kritisiert der interministerielle Arbeitskreis der Gleichstellungsbeauftragten von etwa 200 Bundesbehörden, die „Akzentverschiebung“ von der Frauenförderung hin zu einer gleichrangigen Förderung von Männern“ „verwässere“ „das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen“ (Schreiben vom 23. Juni 2014). Ähnlich äußerten sich nach Kenntnis der Fragesteller bisher die Gleichstellungsbeauftragten der Berliner und Brandenburger Jobcenter. „Zur Frage der Zulässigkeit von Zielquoten für Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst sowie zur Verankerung von Sanktionen bei Nichteinhaltung “ hat das Land Nordrhein-Westfalen im Juli 2014 ein Rechtsgutachten von Prof. em. Dr. Dres. h. c. Hans-Jürgen Papier vorgestellt. Darin vertritt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts die Position, dass „mit einer Quote Frauen – auch durch eine verhältnismäßige Bevorzugung gegenüber Männern – nur gleiche Chancen eingeräumt werden sollen“, dass es „aber nicht darum gehen [soll], in jedem Bereich unabhängig von weiteren Umständen eine paritätische Verteilung nach Geschlechtern herzustellen“. Vor diesem Hintergrund der strukturellen Diskriminierung von Frauen und dem bisher als Referentenentwurf vorliegenden Gesetzentwurf, der einen Paradigmenwechsel in der Gleichstellungspolitik vollzieht, stellt sich die Frage nach dem gleichstellungspolitischen Grundverständnis der Bundesregierung. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Der von den Fragestellenden erwähnte Entwurf des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst befindet sich noch in der Ressortabstimmung ; er liegt noch nicht in endgültiger Fassung vor. 1. Hält es die Bundesregierung – von Antidiskriminierungspolitik abgesehen – langfristig für erstrebenswert, alle Arbeitsbereiche im öffentlichen wie im privaten Sektor geschlechterparitätisch zu besetzen? Wenn ja, weshalb? 2. Wie will die Bundesregierung alle Arbeitsbereiche im öffentlichen wie im privaten Sektor geschlechterparitätisch besetzen? 3. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Ungleichbehandlung der Geschlechter durch die bevorzugte Einstellung von Frauen bei gleicher Qualifikation , sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen, rechtlich? Die Fragen 1 bis 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Gemäß Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) fördert der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Die Verfassungsnorm zielt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern. In diesem Zusammenhang sind auch geschlechtsspezifische Förderungen von Frauen zulässig, solange noch keine faktische Gleichstellung erreicht ist. Dem entspricht auch die Regelung in § 5 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Ziel der Bundesregierung ist die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit sowohl auf der strukturellen als auch auf der individuellen Ebene. Gerade Frauen sind noch häufig strukturell benachteiligt, z. B. bei den Entgelten oder bei ihrer Repräsentanz in Führungspositionen. Die Bundesregierung setzt in ihrer Gleich- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2402 stellungspolitik deshalb mit einem Bündel von Maßnahmen an. Ziel ist, eine Kultur der Gleichstellung von Frauen und Männern zu schaffen, insbesondere in Unternehmen, Behörden und Institutionen. 4. Wie wäre im umgedrehten Falle einer Unterrepräsentanz von Männern deren bevorzugte Einstellung bei gleicher Qualifikation, sofern nicht in der Person einer Mitbewerberin liegende Gründe überwiegen, rechtlich zu rechtfertigen? Sofern eine solche Maßnahme in Betracht gezogen würde, müsste sie ebenfalls den Vorgaben aus Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG sowie § 5 AGG entsprechen. 5. Teilt die Bundesregierung die im genannten Gutachten von Prof. em. Dr. Dres. h. c. Hans-Jürgen Papier vertretene Position, dass mit einer Quote Frauen – auch durch eine verhältnismäßige Bevorzugung gegenüber Männern – nur gleiche Chancen eingeräumt werden sollen, dass es aber nicht darum gehen soll, in jedem Bereich unabhängig von weiteren Umständen eine paritätische Verteilung nach Geschlechtern herzustellen? Der Bundesregierung ist das zitierte Gutachten bekannt. Es bezieht sich allerdings nicht auf Bundesrecht. 6. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen bereits in der Vergangenheit in obersten Bundesbehörden in Bereichen mit einem Frauenüberhang Männer eingestellt oder befördert wurden, obwohl Bewerbungen gleich oder höher qualifizierter Frauen vorlagen? Der Bundesregierung sind derartige Fälle nicht bekannt. 7. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Frauen in Deutschland strukturell diskriminiert werden? Wenn ja, wo, und weshalb? Auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3 wird verwiesen. 8. Hält es die Bundesregierung auf mittelbare Sicht für denkbar und wahrscheinlich , dass es in Deutschland zu einer strukturellen Diskriminierung von Männern kommen wird? 9. Gibt es bereits Bereiche, in denen eine Unterrepräsentanz von Männern auf deren strukturelle Diskriminierung zurückzuführen ist? Die Fragen 8 und 9 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der Bundesregierung liegen dazu bisher keine Erkenntnisse vor, die über die Aussagen des Ersten Gleichstellungsberichts hinausgehen. Drucksache 18/2402 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 10. Liegt die Ursache der Unterrepräsentanz von Männern in Bereichen, in denen die Bundesregierung eine Erhöhung des Männeranteils anstrebt (wie etwa bei der Kinderbetreuung), an einer strukturellen Diskriminierung oder an einer zu geringen finanziellen und gesellschaftlichen Anerkennung der entsprechenden Arbeit? Die Ursachen dieser Unterrepräsentanzen sind vielschichtig (siehe hierzu auch die Ergebnisse der Untersuchung „Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten“ www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=150286.html). 11. Wie geht die Bundesregierung bei der geschlechterparitätischen Besetzung von Gremien nach dem Bundesgremienbesetzungsgesetz mit Menschen um, die nach dem neuen Personenstandsrecht keiner der beiden Geschlechtskategorien männlich und weiblich zugeordnet sind (sowohl nach dem 1. November 2013 geborene Intersexuelle sowie ältere Intersexuelle, die sich das Recht, keiner Geschlechtskategorie anzugehören, gerichtlich erstritten haben)? Bisher sind keine entsprechenden Fälle bekannt. Gesamtherstellung: H. 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