Deutscher Bundestag Drucksache 18/2406 18. Wahlperiode 27.08.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Christine Buchholz, Inge Höger, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/2307 – Verdacht auf Tod durch Uran-Munition Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 31. Januar 2000 verstarb der damals 23-jährige Bundeswehr-Hauptgefreite André Horn nach einem kurzen und heftigen Krankheitsverlauf im Feldlazarett Prizren (Kosovo). Er war seit Ende November 1999 als Angehöriger der Kosovo Force (KFOR) im Kosovo eingesetzt. Als offizielle Todesursache gilt eine atypisch verlaufene Meningokokken-Sepsis. Allerdings gibt es eine Reihe von Indizien, die eine andere Krankheit als Todesursache nahelegen. So sind zwei namhafte Wissenschaftler – Professor Peter Horn, Biotechnologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Experte für Isotopengeochemie der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), und der Arzt und Medizinwissenschaftler Horst Günther Siegwart – in ihren Expertisen zu dem Schluss gekommen, dass der Hauptgefreite André Horn an einer schweren Vergiftung durch Depleted uranium (DU, zu dt.: abgereichertes Uran) gelitten haben könnte, die er sich im Kosovo zugezogen hat. Diese Vergiftung könnte ursächlich gewesen sein für die Erkrankung des Soldaten, an der er verstarb. DU ist Bestandteil von Uran-Munition. Im Kosovo-Krieg 1999 wurden von NATO-Truppen mindestens 35 000 DU-Geschosse (etwa zehn Tonnen) abgefeuert . Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) hatte vor diesem Hintergrund in einem mit Datum vom 21. Juli 1999 verfassten Schreiben an die Bundeswehr im Zusammenhang mit dem Kosovo-Einsatz vor dem körperlichen Kontakt mit uranverseuchtem Erdstaub gewarnt. In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, „dass die Aufnahme von DU-Partikeln in den Körper wegen der radiologischen und toxischen Wirkung durch Tragen einer Staubmaske und Händewaschen vor dem Essen zu vermeiden“ sei. Dazu sei beim Besteigen eines Militärfahrzeugs „Erdstaub von Kleidung und Schutzwerk abzuklopfen, Schuhwerk abzuwaschen“. Der Hauptgefreite André Horn war nach Information der Fragesteller im Kosovo in einer Instandsetzungseinheit eingesetzt, die Bundeswehrfahrzeuge zu warten hatte, die zuvor durch früheres Kampfgebiet gefahren sind. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom 26. August 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Der Nachweis einer radiologischen Vergiftung, die sich der Hauptgefreite während seines Armeedienstes im Kosovo zugezogen haben könnte, wäre heute noch möglich, wenn der Leichnam von André Horn exhumiert und Gewebe da- Drucksache 18/2406 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode raus wissenschaftlich analysiert wird. Mehrfach von der Familie des toten Bundeswehrsoldaten geäußerte Bitten, eine solche Exhumierung durchführen zu lassen oder einen entsprechenden Antrag der Familie bei der Staatsanwaltschaft zu unterstützen, hat das BMVg nach Information der Fragesteller in den letzten Jahren jedoch stets abgelehnt. EUROMIL (European Organisation of Military Associations) veröffentlichte am 22. März 2004 eine Erklärung, wonach bis zu diesem Zeitpunkt 109 italienische Soldaten an den Folgen der Vergiftung durch Überreste von Uran-Munition verstorben seien. Laut der Organisation International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) wurden in Italien insgesamt 16 Veteranen von Gerichten Entschädigungen zugesprochen, weil sie an Gesundheitsschädigungen aufgrund von DU-Munition litten. Mindestens einer dieser Soldaten war nach Information der Fragesteller im Kosovo eingesetzt. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g In die bisherigen Bewertungen und Stellungnahmen des Bundesministeriums der Verteidigung an viele verschiedene Adressaten sind zu den tragischen Umständen von der Erkrankung und dem Tod des Hauptgefreiten André Horn auch die seit dem Jahr 2000 vorgebrachten verschiedenen Hypothesen mit fachlicher Expertise diskutiert und einbezogen worden. Sie stehen nicht im Zusammenhang mit der tatsächlich festgestellten Todesursache. Zur EUROMIL-Erklärung und zum Umgang von NATO-Partnern mit dieser Thematik wird auf die beigefügte auszugsweise sachgleiche Stellungnahme des Institutes für Radiobiologie der Bundeswehr vom 20. Februar 2014 verwiesen. 1. Sind der Bundesregierung Fälle von deutschen Bundeswehrangehörigen bekannt, die während ihres Auslandseinsatzes an Vergiftungserscheinungen durch Uran-Partikel aus verschossener DU-Munition bzw. an Krankheiten litten, deren Ursache auf eine Vergiftung durch Uran-Partikel aus verschossener DU-Munition zurückzuführen ist? a) Wenn ja, um wie viele Soldaten handelt es sich? b) Wo und wann waren diese Soldaten im Einsatz? Der Bundesregierung sind hierzu keine Fälle von deutschen Bundeswehrangehörigen bekannt. 2. Wie wurde sichergestellt und kontrolliert, dass die im Schreiben des BMVg vom 21. Juli 1999 empfohlenen Schutzmaßnahmen vor der Aufnahme radiologisch und toxisch verseuchten Erdstaubs im Kosovo in der Truppe durchgesetzt wurden? Für deutsche Einsatzkontingente, speziell erstmalig für den Einsatz im Kosovo, wurde beginnend ab dem Jahr 1999 präventiv eine Ausbildung mit der Thematik „Schutzmaßnahmen vor möglichen Gefahren, die von Munition mit abgereichertem Uran ausgehen können“ angewiesen. Auslöser hierfür waren Hinweise, dass von NATO-Partnern mit verschiedenen Waffensystemen Munition mit abgereichertem Uran eingesetzt wurde. Im Jahre 2001 löste der vermutete Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran und Krebserkrankungen bei SFOR- und KFOR-Soldaten in Bosnien und Herzegowina bzw. im Kosovo eine öffentliche Diskussion aus. Die Bundeswehr ordnete in diesem Zusammenhang vorsorglich eine gesundheitliche Überwachung des deutschen Einsatzkontingentes durch die Gesellschaft für Strahlenforschung an. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2406 Die Ergebnisse der Untersuchung, die vergleichbar auch durch andere truppenstellende Nationen durchgeführt wurde, führten zu dem Schluss, dass die Einsatzorte so gut wie keine radiologischen Gesundheitsrisiken bargen und toxikologische Risiken nur unter außergewöhnlichen Umständen bestanden hätten. Solche Umstände sind für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nicht eingetreten . 3. Benutzen die KFOR-Truppen im Kosovo das lokale Trinkwasser oder importieren sie es (bitte begründen)? Für die im Truppenkontingent eingesetzten Soldatinnen und Soldaten ist eine sichere Bereitstellung von Trinkwasser gewährleistet. Für den individuellen Trinkwasserbedarf erfolgt eine Abgabe in Form von zugekauftem Flaschenwasser aus dem Raum der Europäischen Union (EU). Zur Körperreinigung wird das lokal angebotene Wasser nach der Aufbereitung im Feldlager verwendet. Beides wird engmaschig überwacht. Die durch die deutschen und europäischen Normen und Gesetze vorgegebenen chemischen und mikrobiologischen Parameter werden eingehalten. Der Zukauf von Flaschenwasser erfolgt aufgrund des geforderten hohen Schutzniveaus für unsere Soldaten und um eine Unabhängigkeit von lokalen Anbietern zu gewährleisten. 4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, inwiefern die juristischen Schritte, die die serbische Regierung gegen die USA und Großbritannien wegen deren DU-Einsatzes während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien 1999 eingeleitet hat, Gegenstand der EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien waren oder sind? Die Beitrittsverhandlungen der EU mit Serbien haben im Januar 2014 begonnen. Verhandlungsgegenstand ist die Übernahme des EU-Acquis durch Serbien. 5. In welchen Auslandseinsätzen waren bzw. sind Bundeswehrsoldaten Belastungen durch DU-Munition ausgesetzt? a) Wie viele Bundeswehrsoldaten sind davon jeweils betroffen gewesen? b) Welche Streitkräfte haben DU-Munition in welchem Umfang in dem betroffenen Gebiet eingesetzt? Die Fragen 5, 5a und 5b werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung liegen keine belastbaren Informationen vor, in welchen Situationen bzw. in welchem Umfang auf dem Balkan DU-Munition eingesetzt wurde. Auch über das Ausmaß des Einsatzes von DU-Munition in Afghanistan liegen der Bundesregierung keine belastbaren Erkenntnisse vor. Aus den übrigen Einsatzgebieten der Bundeswehr liegen keine Hinweise über einen möglichen Einsatz von DU-Munition vor. Der Bundesregierung sind keine deutschen Soldatinnen und Soldaten bekannt, die in Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingesetzt waren und an den Folgen einer Uranexposition erkrankt oder verstorben sind. Drucksache 18/2406 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Welche Maßnahmen hat das BMVg getroffen, um die Soldaten vor den Belastungen durch DU-Munition zu schützen? Im Rahmen der Kontingentausbildung werden Soldatinnen und Soldaten über die mögliche geringgradige Risikoerhöhung informiert und über etwaige Schutzmaßnahmen unterrichtet. Mit dem Ziel des Ausschlusses eines Restrisikos wird seit dem Jahr 2001 in der einsatzvorbereitenden Kontingentausbildung im Rahmen der Ausbildung „Mine-Awareness“ dieser Bereich als vorbeugende Schutzmaßnahme unterrichtet. Es werden Handlungsanweisungen gegeben, die den im Einsatz befindlichen Soldatinnen und Soldaten Handlungssicherheit für den konkreten Fall geben, dass diese möglicherweise auf Reste dieser Munition aus früheren Kampfhandlungen stoßen. Diese Handlungsanweisungen decken die Bandbreite von der Anweisung, Munition oder Munitionsteile nicht unnötig zu berühren, bis zur Weitermeldung an den örtlichen Führer und die Durchführung persönlicher Schutzmaßnahmen ab. 7. Wie werden Bundeswehrsoldaten vor ihrem Auslandseinsatz über die gesundheitlichen Gefahren in ehemaligen Kampfgebieten, in den DU-Munition verschossen wurde, aufgeklärt? Aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes sind seitens der Bundeswehr bereits seit dem Jahr 1997 Regelungen für den Umgang mit von Munition mit abgereichertem Uran getroffenen Fahrzeugen bzw. DU-Munitionsfunden getroffen worden. Die Bundeswehr informiert und trainiert die Soldatinnen und Soldaten in der einsatzvorbereitenden Ausbildung. Aufgrund der Erkenntnisse aus dem Melde- und Berichtswesen der Bundeswehr, der fortgeschriebenen Risikoevaluierungen vor und während der Durchführung von Einsätzen und der Medical-Intelligence-Akut-Beiträge werden diese Informationen durch einsatzspezifische Vorträge, Unterricht und Ausbildungsvorhaben durch Fachexperten transportiert. Jeder Soldatin und jedem Soldaten wird eine Taschenkarte zu dieser Thematik ausgehändigt. Im Einsatz erfolgt für jede Soldatin und jeden Soldaten die Ein- und Unterweisung in die Gefährdungslage vor Ort. 8. Wurde oder wird auf deutschen Truppenübungsplätzen mit DU-Munition geschossen? Wenn ja, wann, und wo erfolgte dies? Nein, der Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran ist auf Truppenübungsplätzen der Bundeswehr nicht erlaubt. 9. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass eine mögliche Vergiftung des in Prizren verstorbenen Hauptgefreiten André Horn durch DU-Munition nur durch eine Exhumierung und Gewebeanalyse des Leichnams auszuschließen ist? Diese Ansicht teilt die Bundesregierung nicht. Die Erkrankung und der Tod des Hauptgefreiten André Horn sind nicht auf eine mögliche akute Vergiftung durch DU-Munition zurückzuführen. Durch eine Exhumierung und Gewebeanalyse sind deshalb keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2406 10. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass eine solche Untersuchung dazu dienen könnte, die gesundheitliche Gefährdung von Bundeswehrsoldaten in ehemaligen Kampfgebieten, in denen DU-Munition eingesetzt wurde, zu erkennen und effektive Schutzmaßnahmen für die Truppe durchzusetzen? Diese Ansicht teilt die Bundesregierung nicht. Der tragische Fall von der Erkrankung und dem Tod des Hauptgefreiten André Horn ist nicht geeignet, die gesundheitliche Gefährdung von Bundeswehrsoldaten in ehemaligen Kampfgebieten , in denen DU-Munition eingesetzt wurde, zu erkennen und daraus weitere Schutzmaßnahmen für die Truppe abzuleiten und durchzusetzen. 11. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, eine Exhumierung und Gewebeanalyse des Leichnams von André Horn zu beantragen bzw. einen entsprechenden Antrag der Familie zu unterstützen? Seitens der Bundesregierung werden keine Einwände gesehen, sollten die Eltern von André Horn eine Exhumierung bei der zuständigen Stelle beantragen. Gleichwohl liegen aus wissenschaftlich-fachlicher Sicht auch weiterhin keine Gründe vor, die eine Exhumierung rechtfertigen würden, da keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Deshalb kann die Bundesregierung einen solchen Antrag nicht unterstützen. Drucksache 18/2406 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/2406 Drucksache 18/2406 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/2406 Gesamtherstellung: H. 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