Deutscher Bundestag Drucksache 18/2544 18. Wahlperiode 17.09.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Martina Renner und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/2434 – Referat Rechtsterrorismus im Bundesamt für Verfassungsschutz Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Erst in der drittletzten Beweisaufnahmesitzung des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages der 17. Wahlperiode zur Mord- und Anschlagserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wurde den Abgeordneten bekannt, in welcher Abteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) die Suche nach dem im Jahr 1998 abgetauchten Trio angesiedelt war. Der unter dem Namen Egerton auftretende Zeuge des BfV führte in der Sitzung am 13. Mai 2013 aus: „Mit dem Abtauchen ist die Zuständigkeit für diesen Fall, also für die Begleitung der Suche nach den drei Flüchtigen, an unser Terrorismusreferat 22F gewandert.“ (Protokoll der 70. Sitzung des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages der 17. Wahlperiode, S. 11). Alle Abgeordneten des 2. Untersuchungsausschusses waren überrascht, dass es ein solches Referat zum Thema Rechtsterrorismus im BfV zu diesem Zeitpunkt überhaupt gab und dass dessen Existenz und Verantwortung für die „Begleitung der Suche“ nach dem Trio dem 2. Untersuchungsausschuss erst am Ende seiner Arbeit offenbart wurde. Während rechtsterroristische Strukturen in den Verfassungsschutzberichten immer negiert wurden, gab es im Amt dennoch eine Abteilung zu diesem Thema und auch das Trio wurde offenbar als potenziell rechtsterroristisch eingeschätzt. Die unter dem Namen Dobersalzka aussagende Zeugin der 72. Sitzung des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages hat als ehemalige Referatsleiterin dieses Referates einige Einblicke in dessen Arbeit gegeben. Vor dem Hintergrund der zentralen Fragestellung des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zum NSU, ob, und wenn ja, wo es zu Fehlern staatlicher Behörden bei der Suche nach dem Trio und bei den Ermittlungen zur Mord- und Anschlagserie gekommen ist, verwundert es sehr, dass das zuständige Referat im BfV den Mitgliedern des 2. Untersuchungsausschusses von Seiten der Bundesregierung nicht eher benannt wurde. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 12. September 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Drucksache 18/2544 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Wann wurde im BfV erstmals ein Referat zum Thema Rechtsterrorismus eingerichtet, wie war es im BfV eingebunden, und welche Veränderungen der Einbindung hat es seit der Gründung des Referats bis heute gegeben? Im BfV wurde 1981 erstmals ein Referat eingerichtet, das sich – neben dem sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremismus – mit der Beobachtung des rechtsextremistischen Terrorismus befasst hat. Der Bereich des Rechtsterrorismus war seit 1981 durchgehend in die für die Bekämpfung des Rechtsextremismus bzw. Rechtsterrorismus zuständige Abteilung 2 des BfV eingebunden. Bei dem Referat wurden – ausweislich der Organigramme des BfV – folgende organisatorische Änderungen vorgenommen: 04/1981: Einrichtung Referat II A 6 „Rechtsextremistischer Terrorismus“ 11/1982: Regionale Aufteilung in zwei Auswertungsreferate Nord und Süd 07/1985: Erneute Zusammenführung in einem Referat 06/1992: Einrichtung der Referatsgruppe „Auswertung Rechtsterroris- mus“ mit vier Referaten (Grundsatz, Nord, Süd, neue Bundesländer ) 12/1994: Zusammenführung der Aufgaben in einer Projekteinheit „Kriminelle terroristische Gruppen (insbesondere WSG, KKK)“ 01/1995: Umbenennung der Projekteinheit in „Kriminelle/terroristische Gruppen“ 12/1995: Umbenennung der Projekteinheit in „Rechtsterrorismus, Söldner “ 06/1997: Bearbeitung in der Projekteinheit „Rechtsterrorismus“ 08/2001: Umbenennung der Projekteinheit in „Rechtsterrorismus, Anti- Antifa“ 10/2006: Zusammenführung im Referat „Rechtsterrorismus; Anti-Antifa; Neonazis und subkulturell geprägte sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten“ 12/2006: Umbenennung des Referats in „Neonazis; gewaltbereite Rechtsextremisten ; Rechtsterrorismus; Anti-Antifa; Erfassung rechtsextremistischer Straftaten“ 01/2009: Umbenennung des Referats in „Neonazismus, Gewaltbereiter Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus“ seit 02/2012: Bearbeitung des gesamten Spektrums des gewaltbereiten Rechtsextremismus und -terrorismus in der Referatsgruppe 2 C „Gewaltbereiter Rechtsextremismus, Nachrichtendienstliche Informations - und Analysestelle Rechtsextremismus (NIAS-R) im GETZ-R“ 2. Wie hat sich die Personalstärke des Referats für Rechtsterrorismus über die Jahre verändert, und wie stellt sich seine Größe im Vergleich zu anderen Referaten, auch des Referats Linksterrorismus, dar? Die Planstellen des BfV sind in einem nach § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung geheimzuhaltenden Wirtschaftsplan veranschlagt, da aus der Veröffentlichung der angefragten Informationen Rückschlüsse auf die interne Aus- stattung und Arbeitsweise des BfV gezogen werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2544 Aus der Abwägung der verfassungsrechtlich garantierten Informationsrechte des Deutschen Bundestages mit den negativen Folgen für die Aufgabenerfüllung des BfV sowie den daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland folgt, dass Zahlen zur Personalstärke des BfV nur als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad VSVERTRAULICH bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Einsichtnahme hinterlegt werden können.* 3. Was war der Anlass für die Einrichtung eines solchen Referats, und welche Bedeutung hatte es bis zur Enttarnung des NSU innerhalb der Abteilung 2 zum Thema Rechtsextremismus insgesamt? Das Referat „Rechtsextremistischer Terrorismus“ wurde vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Ereignisse im Jahr 1980 eingerichtet. Am 26. September 1980 ereignete sich das sogenannte Oktoberfest-Attentat mit 13 Toten und 211 zum Teil Schwerverletzten als die bis dato schwerste rechtsterroristische Tat. Weiterhin wurden im Sommer des Jahres 1980 mehrere Brandanschläge – z. T. mit Todesopfern – durch Angehörige der rechtsterroristischen „Deutschen Aktionsgruppen“ (DA) verübt. Das damalige Referat befasste sich daher mit erkannten militanten Rechtsextremisten , die als Gewalttäter, Unterstützer von Gewalttätern, Planer von Gewalttaten , Gewaltpropagandisten, als Androher von Gewalt, Waffenlagerer und Sprengstoffbesitzer hervorgetreten sind. 4. Gab es innerhalb des BfV und des Arbeitskreises IV der Innenministerkonferenz (IMK) Diskussionen und Forderungen nach einer Einrichtung einer solchen Abteilung, waren dabei besonders profilierte Beteiligte feststellbar , wurden diese Diskussionen schriftlich festgehalten, und in welcher Weise hat das BfV diese Diskussionen und die gegebenenfalls vorhandenen Dokumente bei seinen Überlegungen zu Schlussfolgerungen aus dem NSUDebakel berücksichtig? Der Bundesregierung sind Diskussionen und Forderungen im Sinne der Fragestellung nicht bekannt. 5. In welchen Bundesländern wurden nach Kenntnis der Bundesregierung wann ebenfalls ähnliche Abteilungen für Rechtsterrorismus eingerichtet? Die organisatorische Gliederung der Landesbehörden für Verfassungsschutz fällt in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Der Bundesregierung liegen hierüber keine historischen Erkenntnisse vor. 6. Welche Definition von Rechtsterrorismus lag und liegt der Arbeit des Referats zugrunde, und wie grenzt sich die Definition des Rechtsterrorismus von anderen Phänomenen des gewaltbereiten Rechtsextremismus ab? Nach der phänomenübergreifenden Definition der Verfassungsschutzbehörden ist Terrorismus der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt * Das Bundesministerium des Innern hat die Antwort als „VS – Vertraulich“ eingestuft. Die Antwort ist in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort nach Maßgabe der Geheimschutzordnung eingesehen werden. Drucksache 18/2544 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Zu den gewaltbereiten Rechtsextremisten werden sowohl Personen, die bereits an rechtsextremistischen Gewalttaten beteiligt waren, als auch solche, die sich für Gewaltanwendung aussprechen, gezählt. Als ein Abgrenzungskriterium des Rechtsterrorismus zur (allgemeinen) gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene gilt im Hinblick auf die genannte Definition ein auf Dauer angelegtes und planvolles Handeln gegenüber einem spontanen Handeln. 7. Gab es ab 1998 schriftliche Ausarbeitungen, Vermerke, Sprechzettel etc. des Referats 22F zum abgetauchten Trio aus Jena, wie viele solcher Ausarbeitungen gab es gegebenenfalls, und lagen alle diese etwaigen Ausarbeitungen dem NSU-Untersuchungsausschuss vor? Durch das damalige Referat II 2 F wurden unterschiedliche Dokumente mit entsprechendem Bezug zum Trio gefertigt. Hierbei handelte es sich um Beiträge für Publikationen des BfV (Wochenberichte etc.), Sachstandsberichte, Observationsaufträge , Korrespondenz mit Partnerdiensten (ausländische Nachrichtendienste , nationale Sicherheitsbehörden etc.). Die relevanten Erkenntnisse des BfV zum Trio wurden in zwei Sachakten gespeichert . Diese Akten umfassen mehrere Hundert Einzelstücke unterschiedlicher Ersteller. Die zwei genannten Sachakten wurden dem 2. Untersuchungsausschuss des 17. Deutschen Bundestages vollumfänglich vorgelegt (vgl. Beweisbeschluss BfV-11 vom 28. Juni 2012 zum „Thüringer Heimatschutz“ und Beweisbeschluss BfV-23 vom 16. Mai 2013 zur Beiziehung „sämtlicher Akten […] des Referates […] 2 II F, die sich auf den Vorgang ‚Rohrbombenfunde in Jena‘ sowie die Suche nach dem untergetauchten Trio beziehen“). 8. Wie viele Fälle von rechtsterroristischem Verdacht wurden in den Jahren 1998 ff. im Referat 22F im Jahr behandelt? Eine detaillierte Übersicht liegt dem BfV nicht vor. In einer Erkenntniszusammenstellung zum Thema „Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten – Entwicklungen von 1997 bis Mitte 2004“ finden rund 40 Sachverhalte mit Verdacht auf rechtsterroristisches Handeln in unterschiedlicher Ausprägung Erwähnung. 9. Wer entschied bzw. entscheidet über die Zuweisung eines Falls an das Referat Rechtsterrorismus, und handelt es sich hierbei um Entscheidungen nach festgelegten Kriterien (z. B. Waffen- oder Sprengstoffbesitz) oder um Einzelfallentscheidungen? Das damalige Referat II 2 F übernahm bei hinreichenden Anhaltspunkten für rechtsterroristische Aktivitäten die Federführung in der Bearbeitung eines (rechtsextremistischen) Sachverhalts. Hierbei handelte es sich grundsätzlich um Einzelfallentscheidungen aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse. Grundlage war der Geschäftsverteilungsplan und die in der Antwort zu Frage 6 wiedergegebene Definition des Begriffs „Terrorismus“. Dieselbe Verfahrensweise gilt auch für die nunmehr zuständige Referatsgruppe 2 C. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2544 10. Welche Differenzen zwischen dem Bundesministerium des Innern (BMI), Generalbundesanwalt, Bundeskriminalamt und BfV gab es hinsichtlich der Definition des Rechtsterrorismus seit dem Jahr 1992, und an welchen konkreten Ereignissen haben sich diese Differenzen festgemacht (bitte einzeln auflisten)? 11. Wie wurde mit diesen Differenzen praktisch umgegangen, und trifft es zu, dass das BfV eine weitergefasste Definition des Begriffs des Rechtsterrorismus hatte, während das BMI eine sehr eng gefasste Rechtsterrorismusdefinition hatte? 12. Wie beurteilt die Bundesregierung heute rückblickend diese Auseinandersetzungen zum Begriff Rechtsterrorismus? Die Fragen 10 bis 12 werden gemeinsam beantwortet. Der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt orientieren sich bei ihrer Aufgabenerfüllung an dem Begriff der terroristischen Vereinigung gemäß § 129a des Strafgesetzbuchs und den hierzu vom Bundesgerichtshof (BGH) aufgestellten Voraussetzungen, z. B. zur Mitgliederzahl von mindestens drei Personen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. November 2007, StB 43/07 = NStZ-RR 2008, 305). Im Gegensatz dazu ist die verfassungsschutzrelevante Definition von „Terrorismus“ (siehe die Antwort zu Frage 6) nicht zwingend an mehrere Täter gebunden. Dieser Unterschied resultiert aus den jeweiligen gesetzlichen Aufgaben- und Befugnisnormen der verschiedenen Behörden. Differenzen zwischen dem BMI, dem Generalbundesanwalt, dem Bundeskriminalamt und dem BfV sind der Bundesregierung insoweit nicht bekannt. 13. Warum wurde seitens der Bundesregierung dem NSU-Untersuchungsausschuss nicht eher ein Hinweis auf das Referat 22F im BfV und dessen Zuständigkeit für die Unterstützung der Suche nach dem Trio gegeben? Im Rahmen der Erledigung des Beweisbeschlusses BfV-3 vom 9. Februar 2012 wurden die Organisationsstrukturen des BfV für den Untersuchungszeitraum 1. Januar 1992 bis 8. November 2011 dem 2. Untersuchungsausschuss des 17. Deutschen Bundestages bereits mit Schreiben vom 24. Februar 2012 zur Verfügung gestellt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333