Deutscher Bundestag Drucksache 18/2552 18. Wahlperiode 17.09.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/2441 – Tarnfirmen und Tarneinrichtungen der Sicherheitsbehörden Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Neben dem Einsatz von V-Personen bzw. Informanten bedienen sich die Nachrichtendienste des Bundes auch Tarneinrichtungen in Form von Firmen oder Vereinen. So beschreibt der Historiker Agilolf Keßelring, dass durch als Fuhrunternehmen getarnte Firmen Waffen für eine Geheimarmee aus alten NS-Elitedivisionen („Unternehmen Versicherungen“) transportiert werden sollten (Agilolf Keßelring, Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945 – 1968, Band 3, „Die Organisation Gehlen und die Verteidigung Westdeutschlands“, S. 51). Ende der 90erJahre gründete der damalige Präsident des Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Thüringen, Helmut Roewer, einen Tarnverlag unter dem Namen „Heron“, mit dessen Hilfe eine hohe Geldsumme veruntreut wurde (u. a. DER SPIEGEL vom 18. Juli 2005). Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll u. a. nach Recherchen des Magazins „FAKT“ über die als Tarnfirma der Behörde fungierende GTS, Gesellschaft für technische Sonderlösungen KG, Spionagesoftware erworben haben (MDR-Magazin „FAKT“ vom 16. Juli 2013, Süddeutsche Zeitung vom 26. März 2013, S. 9). Vor kurzem wurde bekannt, dass wiederum das LfV Thüringen unter der Tarnbezeichnung „TeFor System“ eine geheime Außenstelle mit Schwerpunkt für operative Abteilungen führte (www.mdr.de/ thueringen-journal/verfassungsschutz_aussenstelle100_zc-b06a3d37_zsae 6d99c0.html). In einem Interview der Tageszeitung „DIE WELT“ schließlich kommentierte der damals neue BND-Präsident die als Frage vorgetragene Feststellung , ob es sich um eine Strategie handele, dass der BND in einem wahren Gründerfieber stecke und derzeit weltweit Tarnfirmen ins Leben rufe, die teils sogar gute Gewinne abwürfen, folgendermaßen: „Wir setzen nachrichtendienstliche Mittel gezielt und angemessen nur dort ein, wo es nötig ist. Ich bitte aber um Verständnis, dass ich nicht im Einzelnen darlegen kann, wie wir vorgehen. Mein Ziel ist es, dass der BND generell operativ schlagkräftiger wird.“ (DIE WELT vom 11. August 2012). Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 12. September 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung erfüllt die im Zusammenhang mit dem Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestags bestehenden Pflichten umfassend und vollständig. Die Antwortpflicht ist allerdings begrenzt, wenn dies aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist. Drucksache 18/2552 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die Beantwortung der Fragen 3, 6, 7 und 12 würde die Preisgabe von Informationen beinhalten, die das Staatswohl in besonderem Maß berühren. Sie können daher nicht beantwortet werden. Eine Beantwortung der angefragten Informationen birgt die Gefahr, dass Einzelheiten zur konkreten Methodik und zu in hohem Maße schutzwürdigen Fähigkeiten der Nachrichtendienste bekannt würden. Infolgedessen könnten Rückschlüsse auf spezifische Methoden, Vorgehensweisen und Fähigkeiten der Nachrichtendienste gezogen werden. Dies würde zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung oder Unmöglichkeit ihrer gesetzlich festgelegten Aufgabenerfüllung führen. Soweit das Gewinnen von Informationen der Nachrichtendienste entfällt oder wesentlich zurückgeht, also empfindliche Informationslücken entstehen , ist auch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Eine Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen als Verschlusssache beim Deutschen Bundestag würde der Bedeutung der Informationen im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste nicht ausreichend Rechnung tragen. Die Beantwortung der angefragten Inhalte würde die Fähigkeiten und Arbeitsweisen der Dienste so detailliert beschreiben müssen, dass eine Bekanntgabe auch gegenüber dem begrenzten Kreis von Empfängern dem Schutzbedürfnis nicht Rechnung tragen kann. Auch die nur geringe Gefahr des Bekanntwerdens kann nicht hingenommen werden, da gegebenenfalls kein Ersatz durch andere Instrumente der Informationsgewinnung möglich ist. Daraus folgt, dass die erbetenen Informationen derartig schutzbedürftige, evidente Geheimhaltungsinteressen berühren, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt. In der Abwägung des Informationsrechts und -interesses der Abgeordneten einerseits und den Geheimhaltungsinteressen andererseits muss das Recht der Abgeordneten daher ausnahmsweise zurückstehen. 1. Auf welcher rechtlichen Grundlage betreiben die Bundesbehörden BND, BfV und Militärischer Abschirmdienst (MAD) Tarnfirmen und Tarneinrichtungen , und welchen besonderen rechtlichen Status oder einzelne Sonderrechte genießen diese Firmen und Einrichtungen? Die Einrichtung bzw. das Betreiben von Tarnfirmen und Tarneinrichtungen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) erfolgt auf der Grundlage von § 8 Absatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG), auch in Verbindung mit § 3 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) sowie § 4 Absatz 1 des Gesetzes über den Militärischen Abschirmdienst (MADG). Tarnfirmen und Tarneinrichtungen genießen keinen besonderen rechtlichen Status oder Sonderrechte. 2. Welche fachlichen, also nachrichtendienstlichen Erwägungen führen zur Einrichtung von Tarnfirmen oder sonstigen Einrichtungen (bitte allgemein und anhand einiger Beispiele konkreter Erwägungen darstellen)? Die Einrichtung von Tarnfirmen oder sonstigen Einrichtungen dient neben der gesetzlichen Auftragserfüllung nach § 3 BVerfSchG auch zum Schutz der Mitarbeiter , Operationen und nachrichtendienstlichen Methoden des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Für den BND dienen sie zur Erfüllung der Aufgaben des aus § 1 Absatz 2 BNDG resultierenden Auftrags an den Bundesnachrichtendienst , zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen zu sammeln und diese auszuwerten. Tarnfirmen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2552 oder sonstige Einrichtungen werden genutzt, um den Hintergrund z. B. für Beschaffungen oder Reisen zu verdecken. Dadurch werden Mitarbeiter, Operationen und Methoden der Informationsbeschaffung des Bundesnachrichtendienstes geschützt. Die Tarnfirmen des MAD dienen ausschließlich der Erhöhung der operativen Sicherheit und dem persönlichen Schutz der Mitarbeiter. 3. Wie viele Tarnfirmen und Tarneinrichtungen wurden durch BND, BfV und MAD in den Jahren 1990 bis 2014 gegründet bzw. betrieben (bitte unter Angabe von Jahreszahl, Behörde, Geschäftsbereich der Tarnfirma, Gesellschaftsform und Zweck sowie Beschäftigtenzahl)? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 4. Beschäftigen die Tarnfirmen und Tarneinrichtungen ausschließlich Behördenmitarbeiterinnen oder auch zivile Beschäftigte? Wenn ja, sind die zivilen Beschäftigten über den eigentlichen Charakter der Firma bzw. deren Zweck informiert, und zu welchem Zeitpunkt erhalten sie diese Information (Werbung, Bewerbung, nach Abschluss des Arbeitsvertrages oder wann sonst)? Tarnfirmen und -einrichtungen werden lediglich durch behördeneigenes Personal betrieben. 5. Inwieweit wird bei den entsprechenden Institutionen und Kammern bei der Firmenanmeldung deren Anbindung an einen Nachrichtendienst und der beabsichtigte Zweck mitgeteilt? Bei der Anmeldung einer Tarnfirma oder -einrichtung werden die betroffenen Institutionen und Kammern nicht über den beabsichtigten nachrichtendienstlichen Zweck in Kenntnis gesetzt. 6. Werden die Tarnfirmen und Tarneinrichtungen zur V-Personen-Werbung eingesetzt? Wenn ja, wie gelangen die Tarnfirmen und Tarneinrichtungen an die Daten der Betroffenen (werden Inserate/Anzeigen geschaltet, nehmen die Tarnfirmen und Tarneinrichtungen an Veranstaltungen teil, sprechen sie gezielt Schul- bzw. Hochschulabsolventen an usw.)? 7. Inwieweit werden durch die Tarnfirmen und Tarneinrichtungen Gegenstände /Technik/Dienstleistungen u. a. von ausländischen Nachrichtendiensten oder mit diesen verbundenen Firmen erworben, gelagert, transportiert oder in Anspruch genommen, und wenn ja, welche Behörden einschließlich des Parlamentarischen Kontrollgremiums besitzt diesbezüglich in welchem Umfang die Fach- und Rechtsaufsicht? Die Fragen 6 und 7 werden gemeinsam beantwortet. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 8. Woher stammt das Kapital für Gründung und Betrieb der Tarnfirmen und Tarneinrichtungen? Das Kapital für die Gründung und den Betrieb der Tarnfirmen und -einrichtungen des BfV und des BND werden aus deren Haushalt zur Verfügung gestellt. Tarnfirmen des MAD erfordern keinen Kapitaleinsatz. Drucksache 18/2552 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 9. Werden Steuern entrichtet, wenn ja, wie (pauschal oder per Erklärung), und welches Finanzamt ist jeweils zuständig? Es werden keine Steuern entrichtet, da Tarnfirmen und -einrichtungen keine Gewinne erzielen, weil sie nicht am „Wirtschaftsleben“ teilnehmen. 10. Inwieweit kam es bei der Führung von Tarnfirmen und Tarneinrichtungen zu Verstößen gegen Gesetze und Vorschriften (bitte nach Jahreszahl, Behörde , Verstoß und Ahndung sowie In- und Ausland auflisten)? Bei der Führung von Tarnfirmen und -einrichtungen kommt es nicht zu Verstößen gegen deutsches Recht. 11. Inwieweit hat der BND gegenüber den Behörden MAD und BfV die Funktion , bei der Gründung von Tarnfirmen und Tarneinrichtungen Expertise zu liefern, bzw. übernimmt der BND bei der Tarnfirmengründung und Tarnfirmenführung eine besondere Rolle? Der BND hat keine solche Funktion. 12. Werden durch die bundesdeutschen Nachrichtendienste Tarnfirmen und Tarneinrichtungen im Ausland betrieben, und wenn ja, von welcher Behörde , seit wann, und wo? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 13. Inwieweit stehen die Tarnfirmen und Tarneinrichtungen in Kontakt zu öffentlichen Einrichtungen bzw. zu Einrichtungen, die aus öffentlichen Geldern finanziert werden? Wie ist das Verhältnis zu den jeweiligen Einrichtungen? Das BfV unterhält im Rahmen seiner Ausgabenerfüllung vielfältige Kontakte zu öffentlichen Einrichtungen. Dies geschieht unabhängig vom Betrieb etwaiger Tarnfirmen und -einrichtungen. Tarnfirmen und Tarneinrichtungen des BND stehen in keinem Kontakt zu öffentlichen Einrichtungen bzw. zu Einrichtungen, die aus öffentlichen Geldern finanziert werden. Gleiches gilt für den MAD. 14. Werden durch die Tarnfirmen auch Mittel der Wirtschaftsförderung in Anspruch genommen (Gründungsförderung, regionale Förderung durch Bund, Länder bzw. EU etc.)? Auf die Antwort zu Frage 8 wird verwiesen. 15. Wie ist der Umgang mit personenbezogenen Daten geregelt, in deren Besitz die Tarnfirmen und Tarneinrichtungen beim Vollzug ihrer geschäftlichen Aufgaben gelangen? Der Umgang mit personenbezogenen Daten, in deren Besitz Tarnfirmen und -einrichtungen gelangen können, richtet sich nach den einschlägigen Vorschriften des BVerfSchG, des BNDG und des MADG. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333