Deutscher Bundestag Drucksache 18/2699 18. Wahlperiode 30.09.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/2435 – Lage von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Tunesien Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Infolge des Bürgerkriegs in Libyen ab Februar 2011 und der Bombardierungen durch das Militär der NATO-Staaten flohen Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten aus den Staaten südlich der Sahara sowie Flüchtlinge aus diesen Staaten , die zumeist auf ihrer Flucht in die Europäische Union (EU) in Libyen gestrandet waren. Ein Teil dieser Gruppe, zeitweise bis zu 6 000 Menschen, fanden Aufnahme im Lager Choucha in der Nähe des tunesischen Ortes Ben Guerdane. Das Lager wurde durch die UN-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR geführt. Die UNHCR führte dort auch Verfahren zur Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention durch und bemühte sich um eine Umsiedlung (resettlement) der anerkannten Flüchtlinge in Aufnahmestaaten in Europa und Nordamerika. Für internationale Schlagzeilen sorgte das Camp, als dort im Mai 2011 vier Menschen bei einem Brand der Zelte starben. Der Brand stand im Zusammenhang mit pogromartigen Angriffen aus der lokalen Bevölkerung auf das Camp. Das tunesische Militär schützte das Camp nicht, sondern beteiligte sich an den Angriffen auf seine Bewohner. Das Camp sollte schließlich geschlossen werden, nachdem Ende 2011 keine Flüchtlinge mehr in das Resettlement-Programm aufgenommen wurden. Dies wurde von Campbewohnerinnen und Campbewohnern und ihren zivilgesellschaftlichen Unterstützerinnen und Unterstützern kritisiert, weil neben anerkannten Flüchtlingen auch weiterhin eine Reihe von Menschen dort lebten, die zwar kein Anerkennungsverfahren durchlaufen hatten oder abgelehnt worden waren, die aber nicht in ihre Herkunftsstaaten zurückkehren konnten oder wollten . Als begleitende Maßnahme zur Schließung des Camps wurde deshalb unter Beteiligung der UNHCR und der Hilfswerke „Islamic Relief“ und des Roten Halbmondes ein Programm der „Lokalen Integration“ in Ben Guerdane, Medenine und Zarzis aufgelegt. Dieses Programm hat drei Bestandteile: die Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 26. September 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Implementierung eines gesetzlichen Flüchtlingsschutzes in Tunesien gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention, die Vermittlung der Flüchtlinge in Arbeit und die Förderung von Akzeptanz für Flüchtlinge in der Mehrheitsgesellschaft, die von rassistischen Ressentiments gegen „schwarze“ Afrikaner geprägt ist. Drucksache 18/2699 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Mit dem Programm endeten auch die Bemühungen der UNHCR um ein Resettlement der Choucha-Flüchtlinge, an dem sich auch die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2012 beteiligt hatte. Nach der Darstellung eines Berichts von Mitgliedern des Netzwerks „AfriqueEurope -Interact“, die im Januar dieses Jahres eine Recherchereise nach Tunesien unternommen haben, ist die „lokale Integration“ weitgehend gescheitert (www.afrique-europe-interact.net/index.php?article_id=1140&clang=0). Zum damaligen Zeitpunkt befanden sich mindestens 200 Menschen, darunter ein großer Teil „verletzlicher Personen“ (Frauen, Kinder, alte und kranke Menschen), in dem Camp, das ohne jegliche Versorgung ist. Viele der Choucha-Flüchtlinge, v. a. jüngere Männer zur Arbeitssuche, pendeln zudem zwischen Camp und den naheliegenden Städten. Auf dem Gelände sei in naher Zukunft im Rahmen eines Abkommens zwischen Tunesien und Libyen eine „free trade zone“ geplant. Spätestens wenn dieser Plan umgesetzt werde, solle Choucha geräumt werden. Unter den Campinsassen seien etwa hundert anerkannte Flüchtlinge und ebenso viele abgelehnte, darüber hinaus Migrantinnen und Migranten und Schutzsuchende , die nach einem gescheiterten Überfahrtsversuch nach Italien in Tunesien gestrandet seien. Trotz der drohenden Räumung des Campgeländes und der ohnehin extrem schwierigen Lebensbedingungen in der Wüste kehrten immer mehr der ehemaligen Choucha-Bewohnerinnen und Choucha-Bewohner dorthin zurück. Als Hauptgründe schildert der Bericht das Scheitern der Bemühungen innerhalb der „Lokalen Integration“, die Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in eine existenzsichernde Beschäftigung oder Selbständigkeit zu vermitteln , den deutlichen Anstieg der Miet- und sonstigen Lebenshaltungskosten, die mit den Beihilfen von 120 Dinar/Monat nicht zu bewältigen seien, vor allem aber die zunehmende Angst vor rassistischen Angriffen und dem fehlenden Schutz durch die Polizei. Keiner der Personen, auf die das Programm ziele, habe bislang eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für Tunesien erhalten. Im Ergebnis dieser Entwicklungen wird die Befürchtung geäußert, dass die betroffenen Menschen in den nächsten Monaten versuchen werden, die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer Richtung Italien zu versuchen. Den Fragestellern liegt ein aktueller Bericht vor, nach dem die tunesische Küstenwache Boote mit Flüchtlingen und Migranten, die in Richtung Italien abgelegt haben, abfange und nach Tunesien (Zarzis) zurückbringe. Von dort würden sie nach Medenine in die Obhut des Tunesischen Roten Kreuzes gebracht und aufgeteilt: Menschen aus Herkunftsländern wie Syrien, Palästina oder Somalia kämen in eine Unterkunft des Roten Kreuzes und der UNHCR, sie könnten dort einen Antrag auf Feststellung ihrer Flüchtlingseigenschaft stellen. Ihnen werde dann die Möglichkeit geboten, in Tunesien am Programm der „Lokalen Integration “ teilzunehmen. Menschen, die aus als „sicher“ eingestuften Ländern kämen, wie beispielsweise Ghana oder Nigeria, würden in einer anderen Unterkunft untergebracht. Sie erhielten weder humanitäre Hilfe noch real die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Im Rahmen entsprechender Programme der International Organisation on Migration (IOM, eine UN-Agentur) könnten sie sich bei ihrer Rückkehr in ihre Herkunftsländer unterstützen lassen. Unter denjenigen , die auf See abgefangen würden, befänden sich auch Personen aus dem Camp Choucha; einer von ihnen sei für zwei Monate als „illegaler Migrant“ in einem Gefängnis in Quardia. 1. Wie viele der von der UNHCR registrierten Flüchtlinge sind seit dem Jahr 2011 im Rahmen eines Resettlements in die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen worden, und sind für das Jahr 2014 noch weitere Aufnahmen geplant? Wenn ja, wie viele und nach welchen Kriterien? Wenn nein, warum nicht? Im Rahmen des deutschen Resettlement-Programms wurden in den Jahren 2012 und 2013 jeweils 300 Schutzsuchende in Deutschland aufgenommen. Aus dem Flüchtlingslager in Choucha/Tunesien sind im Jahr 2012 202 Personen im Rahmen des Programms in Deutschland aufgenommen worden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2699 Die Schutzsuchenden werden nach den Resettlement-Prioritäten des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in Absprache mit der Bundesregierung ausgewählt und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Aufnahme vorgeschlagen. Das BAMF entscheidet über die Aufnahme der einzelnen Personen anhand der zwischen Bund und Bundesländern abgestimmten Aufnahmeanordnung. Die Aufnahmeanordnung des Bundesministeriums des Innern vom 7. Juli 2014 sieht vor, 2014 bis zu 300 Flüchtlinge aufzunehmen, die sich gegenwärtig in Syrien, Indonesien oder der Türkei aufhalten. 2. Inwieweit wurden die im Rahmen des Resettlements aufgenommenen Flüchtlinge zu ihren Erfahrungen und Eindrücken in Choucha und Tunesien befragt, und inwieweit gingen die Ergebnisse dieser Befragungen in die Einschätzung zur asylrelevanten Lage in Tunesien ein? Im Rahmen des Resettlement-Verfahrens haben Interviews sowohl vor Ort in Choucha/Tunesien, als auch mit einigen ausgewählten Personen nach ihrer Ankunft in Deutschland stattgefunden. Inhalt dieser Interviews waren die Aufnahmeperspektive in Deutschland bzw. die Erfahrungen im Rahmen des deutschen Aufnahmeverfahrens. Die asylrelevante Lage in Tunesien war nicht Gegenstand der Befragungen. 3. In welcher Form beteiligt sich die Bundesregierung an der Durchführung des eingangs beschriebenen Programms zur „Lokalen Integration“, welche Evaluationen, Auswertungen, Berichte etc. sind ihr dazu bekannt, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht sie gegebenenfalls daraus? Die Bundesregierung hat in den Jahren 2012 und 2013 das UNHCR-Projekt „Peaceful co-existence and self-reliance for refugees in Tunisia“ mit jeweils 300 000 Euro pro Jahr unterstützt. Projektziele sind die Erleichterung der lokalen Integration für Asylsuchende und Flüchtlinge, Unterstützung von Möglichkeiten zur Lebensunterhaltssicherung, Stärkung nationaler Nichtregierungsorganisationen bei deren Unterstützung von Flüchtlingen und die Erhöhung der Akzeptanz von Flüchtlingen in der lokalen Bevölkerung. Der Evaluierungsbericht durch den UNHCR ist zum 30. November 2014 fällig. 4. Welche weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind nach Kenntnis der Bundesregierung mit finanziellen Beiträgen an dem Programm zur „Lokalen Integration“ beteiligt? Nach hiesigem Kenntnisstand haben sich keine anderen EU-Länder an der Finanzierung des Programms beteiligt. 5. Wie lange wird das Programm zur „Lokalen Integration“ noch durch die UNHCR finanziert, und bis wann läuft die Unterstützung durch die Bundesregierung ? Das Programm lief bis Juni 2014. Es wurde seitdem nicht wieder aufgenommen. Die Bundesregierung hat es bis Februar 2013 unterstützt. Drucksache 18/2699 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung zur finanziellen Unterstützung der ehemaligen Bewohner des Camps Choucha nach seiner offiziellen Schließung (einmalige und regelmäßige Zahlungen, Zahl der Leistungsempfänger etc.)? Das Camp in Choucha wurde am 30. Juni 2013 geschlossen. Der UNHCR gewährte den Flüchtlingen bis Ende 2013 eine finanzielle Unterstützung , um sich in Tunesien niederlassen zu können. Diese reichte von 1 500 Tunesischen Dinar (TD) für Alleinstehende bis zu 3 200 TD für eine achtköpfige Familie. Darüber hinaus erhielten die finanziell am schwächsten gestellten Flüchtlinge die Möglichkeit einer zusätzlichen monatlichen Unterstützung in Höhe von 120 TD bis 350 TD. Nach Angaben des UNHCR haben insgesamt etwa 200 Personen/Familien Leistungen aus diesem Programm bezogen. 7. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung zum Umfang, zur Inanspruchnahme und zum Erfolg der unterschiedlichen Maßnahmen des Programms, die die selbständige Existenzsicherung der Programmteilnehmer zum Ziel haben? Flüchtlingen wurde innerhalb des UNHCR-Programms zur „Lokalen Integration “ die Möglichkeit geboten, sich für berufliche und Sprachfortbildungen einzuschreiben . 49 Flüchtlinge meldeten sich für eine Fortbildung als Automechaniker , Elektriker oder Frisöre an. Um eine Selbständigkeit zu gründen, konnten Flüchtlinge darüber hinaus auch finanzielle oder Sachunterstützung in Anspruch nehmen. Mit Hilfe von UNHCR und Islamic Relief Worldwide (IRW) wurden elf solcher Selbständigkeits-Projekte gefördert, von denen neun Ende 2013 noch liefen. Flüchtlinge und Asylsuchende erhalten in Tunesien Zugang zu Grund- und Sekundarschulausbildung. Etwa 50 Kinder aus dem Camp Choucha waren Ende 2013 in Schulen in Ben Guerdane, Medenine und Zarzis eingeschrieben. 17 hatten sich für Französischkurse eingeschrieben. Innerhalb des UNHCR-Programms erhielten Erwachsene Zugang zu Arabisch- und Französisch-Sprachkursen sowie zu IT-Kursen der Partnerorganisation Islamic Relief in Medenine. Bis Juni 2014 erhielten Flüchtlinge und Asylsuchende in Tunesien kostenfreien Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung. Im Jahr 2012 übergab der UNHCR medizinische Ausstattung im Wert von 1 Mio. US-Dollar an Krankenhäuser im Süden des Landes. Für Flüchtlinge und Asylsuchenden erstattet der UNHCR die Kosten für medizinische Not- und Erstversorgung, sowie die Kosten für ärztlich verschriebene Medikamente und in Ausnahmefällen auch für spezialisierte Behandlungen. 8. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung zu den Umständen, unter denen die ehemaligen Bewohner des Camps Choucha in Tunesien ihren Lebensunterhalt bestreiten, insbesondere zu den rechtlichen Rahmenbedingungen und zu den typischen Tätigkeitsfeldern und Verdienstmöglichkeiten (bitte zum Vergleich den durchschnittlichen Verdienst in Tunesien angeben)? Über die Anzahl der Beschäftigten innerhalb der Gruppe der Choucha-Flüchtlinge hat die Bundesregierung keine Kenntnisse. Eine Anzahl von ihnen befindet sich noch in den in der Antwort zu Frage 7 erwähnten Fördermaßnahmen des UNHCR. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2699 9. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von den Bemühungen innerhalb des Programms zur „Lokalen Integration“, mit Durchführung von Sensibilisierungsmaßnahmen in der tunesischen Bevölkerung und insbesondere beim Lehr- und Krankenhauspersonal für einen würdigen und nichtrassistischen Umgang mit den subsaharischen Flüchtlingen und Migranten zu werben? Der UNHCR hat gemeinsam mit seiner Partnerorganisation Islamic Relief Worldwide Seminare und Workshops für lokale Behörden, Lehrer und Vertreter der Zivilgesellschaft im Süden Tunesiens durchgeführt, um über den Zugang von Asylsuchenden und Flüchtlingen zum tunesischen Schul- und Gesundheitssystem aufzuklären. 10. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung zum Problem rassistischer Übergriffe auf Flüchtlinge und Migranten in Tunesien und zu Vorwürfen, die Polizei schütze sie nicht vor solchen Angriffen und greife auch bei anderen strafrechtlich relevanten Vorfällen (Lohnprellerei, Beleidigung etc.) nicht ein, so dass die Betroffenen sich außerhalb ihrer eigenen Comunity ungeschützt fühlen? Nach Auskunft des UNHCR hat es seit der Plünderung des Choucha-Camps im Mai 2011 nur vereinzelte Angriffe auf Flüchtlinge seitens der tunesischen Bevölkerung gegeben. Die Flüchtlinge seien von den tunesischen Behörden und der Zivilgesellschaft im Allgemeinen gut aufgenommen und behandelt worden. 11. Ist das UNHCR-Programm zur „Lokalen Integration“ in Süd-Tunesien Teil des Regionalen Schutzprogramms (regional protection programme, RPP) der EU in Ägypten, Libyen und Tunesien, und wie sind ggf. Institutionen der Europäischen Union mit diesem Programm verbunden? Die Europäische Kommission finanziert bis Ende 2014 ein „Regionales Schutzprogramm “ (RPP) für Nordafrika mit dem Schwerpunkt Tunesien (neben Ägypten und Libyen). Der UNHCR fungiert hierbei als lokale Durchführungsorganisation . Das separate UNHCR-Programm zur „Lokalen Integration“ ergänzt das RPP der EU. Letzteres bietet hauptsächlich jenen Flüchtlingen Hilfe an, die weder freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren können oder wollen, noch Aufnahmen in einem Drittland finden. 12. Welche weiteren Bestandteile hat das Regionale Schutzprogramm der EU in Ägypten, Libyen und Tunesien (unterstützte Projekte und Programme, Zielgruppen etc.) nach Kenntnis der Bundesregierung, und an welchen ist sie beteiligt? Das RPP der EU für Nordafrika hat folgende Ziele: die Verbesserung des Schutzes der Flüchtlinge durch Fürsprache und Fortbildung; die Registrierung, Beratung und Unterstützung für Asylsuchende; die Verstärkung der Kapazitäten zur Organisation einer freiwilligen Rückkehr oder Übersiedlung bzw. Aufnahme in einem Drittland. Die Bundesregierung ist an dem Projekt nicht beteiligt. Das Programm läuft Ende 2014 aus. Die Europäische Kommission beabsichtigt, demnächst Vorschläge für ein erweitertes und überarbeitetes regionales Schutzund Entwicklungsprogramm vorzustellen. Die Bundesregierung ist bereit, eine Unterstützung des künftigen Programms im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu prüfen, sobald die Europäische Kommission hierzu nähere Einzelheiten übermittelt hat. Drucksache 18/2699 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 13. Welche Projekte existieren in Bezug auf Tunesien im Rahmen des Gesamtansatzes zu Migration und Mobilität (GAMM) der EU und im Rahmen der „Task Force Mediterranean“, und an welchen dieser Projekte und Maßnahmen ist die Bundesrepublik Deutschland in welcher Form beteiligt ? Die EU hat am 3. März 2014 eine Mobilitätspartnerschaft mit Tunesien geschlossen , an der sich Deutschland – zusammen mit neun weiteren Mitgliedstaaten – beteiligt. Die Zusammenarbeit orientiert sich an den Zielen des EUGesamtansatzes für Migration und Mobilität. Die Verhandlungen mit der tunesischen Regierung über den Annex zur Mobilitätspartnerschaft, der die von EU und Mitgliedstaaten angebotenen Projekte der Zusammenarbeit auflistet, sind noch nicht abgeschlossen. Deutschland beabsichtigt, den Schwerpunkt seiner Zusammenarbeit auf den Bereich Asylaufbau und entwicklungssensible Fachkräftemigration zu legen. Im August 2014 hat im Rahmen der Mobilitätspartnerschaft ein von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH durchgeführtes Projekt zur Förderung legaler Migration begonnen, das tunesischen Ingenieuren Praktikumsplätze in deutschen Unternehmen mit der Perspektive einer Anstellung vermittelt. Die EU-Mitgliedstaaten haben im Oktober 2013 die Einrichtung einer Mittelmeer -Taskforce unter Vorsitz der Europäischen Kommission beschlossen. Die Europäische Kommission legte im Dezember 2013 einen Vorschlag mit Maßnahmen vor, wie Solidarität und gegenseitige Unterstützung verstärkt werden können, um den Tod von Migranten im Mittelmeer zu verhindern, Schleuserkriminalität zu bekämpfen und die Bewältigung von Migrationsströmen zu verbessern . Projekte, die diese vorgeschlagenen Maßnahmen der Europäischen Kommission ausführen sollen, werden zurzeit noch in den zuständigen Gremien der Europäischen Union beraten. 14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Zahl syrischer Flüchtlinge in Ägypten, Libyen und Tunesien (bitte jeweils einzeln angeben), und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, inwieweit Libyen und Tunesien von syrischen Flüchtlingen lediglich als Transitstaaten für eine Flucht in die EU genutzt werden, die Flüchtlinge dann aber wegen fehlender (legaler) Weiterreisemöglichkeiten dort Opfer krimineller Schleuserbanden werden? Nach Kenntnis des UNHCR hielten sich Ende August 2014 knapp 140 000 syrische Flüchtlinge in Ägypten sowie 100 000 bis 150 000 in Libyen auf. Laut Angaben des UNHCR kamen im Jahr 2013 insgesamt 12 000 syrische Bootsflüchtlinge in Italien an, die über Ägypten oder Libyen geflohen waren. Bis Ende August 2014 stieg diese Zahl um weitere 20 000 Flüchtlinge an. Die Anzahl der syrischen Flüchtlinge in Tunesien ist demgegenüber laut Angaben des UNHCR gering, bedingt durch die von Tunesien geforderte Visumspflicht für Syrer. Genaue Zahlen liegen der Bundesregierung nicht vor. 15. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen oder sind in Planung, um insbesondere syrischen Flüchtlingen auf dem Transit durch Libyen oder Tunesien eine ungefährliche Einreise in die EU zu ermöglichen oder sie vor Ort zu unterstützen? Deutschland nimmt insgesamt 20 000 Schutzsuchende aus Syrien im Rahmen von humanitären Aufnahmeprogrammen auf. Die aktuelle Aufnahmeanordnung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/2699 vom 18. Juli 2014 für 10 000 dieser Schutzsuchenden bezieht Libyen als Erstaufnahmestaat , aus denen die Schutzsuchenden aufgenommen werden, mit ein. 16. Welche Maßnahmen sind der Bundesregierung bekannt, mit denen italienischen Stellen in Kooperation mit tunesischen Stellen versuchen, die Ausfahrt von Flüchtlingsbooten aus tunesischen Gewässern zu verhindern ? Die Bundesregierung hat hierüber keine eigenen Erkenntnisse. 17. Was ist der Bundesregierung über den Umgang der tunesischen Behörden mit Flüchtlingen und Migranten bekannt, die beim Versuch der Ausfahrt aus tunesischen Gewässern abgefangen wurden? Die tunesischen Behörden nehmen Betroffene gemeinsam mit dem Tunesischen Roten Halbmond in Empfang und leisten Erstversorgung (Gesundheitsversorgung , Wasser, Nahrung). Die Betroffenen werden in von der tunesischen Regierung gestellten Unterkünften in Ben Guerdane oder Tunis untergebracht oder kommen in vom UNHCR oder dem Tunesischen Roten Halbmond zur Verfügung gestellten Unterkünften in Medenine unter. Der UNHCR prüft die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) unterstützt die freiwillige Rückkehr in ihre Heimatländer. Bis dahin erhalten sie Unterstützung vom Tunesischen Roten Halbmond und IOM. 18. Wie ist der Zugang zu internationalem Schutz in Tunesien bislang geregelt , und welche Änderungen sind diesbezüglich angekündigt? Das Recht auf politisches Asyl mit Auslieferungsverbot wurde in Artikel 26 der tunesischen Verfassung vom Januar 2014 festgeschrieben. Der UNHCR unterstützt die tunesische Regierung bei der Ausarbeitung einer nationalen Asyl- und Flüchtlingsgesetzgebung. 19. Wie ist der Umgang mit Migranten, denen eine illegale Einreise bzw. ein illegaler Aufenthalt vorgeworfen wird, und inwieweit werden in den gesetzlichen Regelungen und in der Praxis der Behörden Asylsuchende von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen wegen Verstößen gegen Einreiseund Aufenthaltsregelungen ausgenommen? Illegal eingereiste Flüchtlinge werden in Tunesien einem Richter vorgeführt, der die Rückführung in ihr Heimatland verfügen und zusätzlich eine Geldstrafe verhängen kann. Eine Asyl- und Flüchtlingsgesetzgebung steht in Tunesien noch aus. Die Verabschiedung einer entsprechenden Gesetzgebung ist für die kommende Legislaturperiode vorgesehen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333