Deutscher Bundestag Drucksache 18/2758 18. Wahlperiode 08.10.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Martina Renner, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/2582 – Südafrika-Reise von 17 deutschen Neonazis und eines V-Mannes aus dem Umfeld des NSU im Oktober 1999 Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die „WELT am SONNTAG“ berichtete, dass der V-Mann Tino Brandt des thüringischen Verfassungsschutzes offenbar doch tiefer „in die internationale NaziSzene verstrickt“ war (WELT am SONNTAG, 31. August 2014). Die Autoren des Artikels der „WELT am SONNTAG“, Stefan Aust und Per Hinrichs, stützen ihren Artikel auf die rechtsextremistische Zeitung „Zuerst“ 9/2014, die von einer siebzehnköpfigen Reisegruppe aus mehreren deutschen Städten berichtete, die im Oktober 1999 nach Südafrika reiste. Einer der Teilnehmer dieser Reisegruppe war der Neonazi und langjährige V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Thüringen Tino Brandt. Die Zeitung „Zuerst“ dokumentierte die offenbare Anwesenheit des V-Manns mit zwei abgedruckten Fotos. Die „WELT am SONNTAG“ schreibt dazu: „Der junge Mann auf dem Bild reckt ein Gewehr in den Himmel, trägt eine Sonnenbrille und ist von Männern umgeben, die meist eine Glatze haben und ebenfalls Waffen präsentieren. Aufgenommen wurde das Bild 1999 in Südafrika, und der Sonnenbrillenträger ganz links auf dem Foto ist ein alter Bekannter von Polizei und Geheimdiensten: Tino Brandt, Gründer der NSU-Vorläuferorganisation Thüringer Heimatschutz (THS) und bis zum Mai 2001 V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes. […] Die Bilder belegen, dass Brandt mit Waffen umgehen konnte und dass er Verbindungen in die internationale Neonazi-Szene pflegte. Und sie werfen die Frage auf, was die Sicherheitsbehörden von den militanten Eskapaden ihres V-Manns wussten. Möglich ist, dass Brandt das teure Flugticket aus der Staatskasse bezahlt wurde, um an Informationen über die Szene am Kap zu kommen. Der Nebenklage-Anwalt im Verfahren gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe, Alexander Hoffmann, ist überzeugt, dass Brandt die Szene in Richtung bewaffneter Kampf radikalisierte. Und zwar ‚im Auftrag und mit Geld des Verfassungsschutzes‘, so Hoffmann gegenüber dieser Zeitung. Die 17-köpDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 6. Oktober 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. fige Reisegruppe besuchte damals unter anderem Claus Nordbruch. Der 53-jährige lebt seit Jahren in Südafrika und publiziert in rechten Medien; zeitweilig gehörte er der NPD an. Auch nach Deutschland pflegt der Publizist Kontakte zu Gleichgesinnten. So hielt er am 19. September für den THS im Stadtteilzentrum Drucksache 18/2758 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Lisa in Jena-Lobeda einen Vortrag über den Verfassungsschutz – unter dem Deckmantel eines ‚Bildungswerks für Politik und Kultur‘. Die Gruppe um Brandt besuchte eine Gedenkfeier am Voortrekker-Denkmal, anschließend Nordbruch und reiste zu einem mittlerweile verstorbenen Weltkriegsveteran. Mit ihm fuhr die Neonazi-Truppe zu einer Farmerschule bei Johannesburg, auf der das Schießtraining stattfand. Nordbruch soll Ende der 1990er Jahre auch angesprochen worden sein, ob er nicht die drei untergetauchten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt bei sich aufnehmen wolle“ (WELT am SONNTAG, 31. August 2014). 1. Wann hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erstmals Kenntnis von der Reise der 17 Neonazis, u. a. V-Mann Tino Brandt, aus mehreren deutschen Städten im Oktober 1999 nach Südafrika (bitte unter Angabe des Datums)? Das BfV erhielt Anfang August 1999 Kenntnis von der bevorstehenden Reise bzw. den Reiseplanungen. 2. Wann hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) erstmals Kenntnis von der Reise der 17 Neonazis, u. a. V-Mann Tino Brandt, aus mehreren deutschen Städten im Oktober 1999 nach Südafrika (bitte unter Angabe des Datums)? Dem BND lagen hierzu keine Informationen vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 20 verwiesen. 3. Wann hatte der Militärische Abschirmdienst (MAD) erstmals Kenntnis von der Reise der 17 Neonazis, u. a. V-Mann Tino Brandt, aus mehreren deutschen Städten im Oktober 1999 nach Südafrika (bitte unter Angabe des Datums)? Der MAD erhielt im Juli 1999 Kenntnis von der bevorstehenden Reise bzw. den Reiseplanungen und informierte daraufhin das BfV. 4. Sind die Erkenntnisse des BfV über die neonazistische Reisegruppe und ihre Aktivitäten und Schießtrainings in Südafrika auch an die Abteilung Rechtsterrorismus beim BfV übermittelt worden? Und wenn ja, wann ist diese Übermittlung erfolgt? Eine „Abteilung Rechtsterrorismus“ existierte zur damaligen Zeit im BfV nicht. Zu Fragen der Aufbauorganisation wird auf die Antwort zu Frage 1 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/2544 verwiesen. Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung wurden in der seinerzeit zuständigen Abteilung Rechtsextremismus /-terrorismus im BfV bearbeitet. 5. Welche genauen Kenntnisse haben das BfV und der BND über die Reise von 17 Rechtsextremisten aus mehreren deutschen Städten im Oktober 1999 nach Südafrika? 6. Welche Person oder welche Gruppierung hat bzw. haben diese Reise im Oktober 1999 nach Südafrika nach Kenntnis der Bundesregierung organisiert? Die Fragen 5 und 6 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam be- antwortet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2758 Das BfV hat Kenntnis von einer 16-köpfigen Reisegruppe aus Deutschland, die zu Feierlichkeiten anlässlich des 100. Jahrestages des sogenannten Burenkriegs nach Südafrika reiste. Die Reise wurde seinerzeit durch das „Hilfskomitee Südliches Afrika“ (HSA) bzw. durch einen Funktionär des HSA organisiert. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. 7. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Zweck und das genaue Programm dieser Reise? Zum damaligen Zeitpunkt gedachten burische Südafrikaner der 100. Wiederkehr des Ausbruchs des zweiten Burenkrieges. Die Delegation des HSA nahm nach eigenen Aussagen an den entsprechenden Feierlichkeiten („Gedenkfeierlichkeiten , 100 Jahre Zweiter Freiheitskrieg“) teil. 8. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwiefern die Reisekosten für den V-Mann Tino Brandt für die Reise nach Südafrika durch das LfV Thüringen teilweise oder ganz finanziert wurden? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 9. Zu welchen Personen hatten die Reisegruppe bzw. einzelne Mitglieder der Reisegruppe nach Kenntnis der Bundesregierung Kontakt in Südafrika? Die Reisegruppe wurde vor Ort von einem in Südafrika wohnhaften deutschen Rechtsextremisten und Publizisten mit südafrikanischer Staatsangehörigkeit betreut . 10. Welche genauen Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Schießtraining der Reisegruppe im Oktober 1999 in der Nähe des Ortes Balmoral östlich von Johannesburg? 11. Wie wurde das damalige Schießtraining der Reisegruppe in Südafrika von den bundesdeutschen Sicherheitsbehörden bewertet (bitte genau nach den jeweiligen Behörden sowie dem Bundesministerium des Innern – BMI, und Bundeskanzleramt darstellen)? Die Fragen 10 und 11 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung verfügt über keine Informationen zu dem in Rede stehenden Schießtraining. Eine „Bewertung“ des Sachverhalts konnte deshalb nicht erfolgen . 12. Welche der Teilnehmer dieser Reisegruppe nach Südafrika waren bzw. sind in Deutschland zum Führen und Besitz einer Waffe berechtigt (bitte einzeln aufführen)? 13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu Straftaten, die durch Mitglieder der Reisegruppe in Südafrika begangen wurden? 14. Gegen wie viele dieser Teilnehmer der Reisegruppe nach Südafrika ist wegen Verstößen gegen das Waffengesetz seit November 1999 ermittelt worden (bitte einzeln aufführen)? Drucksache 18/2758 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 15. Gegen wie viele dieser Teilnehmer wurde seit November 1999 in Deutschland wegen Teilnahme an sogenannten Wehrsportübungen ermittelt (bitte einzeln aufführen)? 16. Gegen wie viele dieser Teilnehmer wurde seit November 1999 in Deutschland wegen bewaffneter Straftaten ermittelt (bitte einzeln aufführen)? Die Fragen 12 bis 16 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Auf die Antwort zu Frage 10 wird verwiesen. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse im Sinne der jeweiligen Fragestellung vor. 17. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung diese Reisegruppe bezogen auf die Organisationszugehörigkeit und Herkunft nach Bundesländern zusammengesetzt? Die Reisegruppe setzte sich u. a. aus Mitgliedern der NPD, des „Thüringer Heimatschutz “ (THS) und der „Hilfsorganisation Südliches Afrika e. V.“ zusammen , die in Bayern und Thüringen wohnhaft waren. 18. Welche der Teilnehmer der Reisegruppe haben nach Kenntnis der Bundesregierung Verbindungen zu rechtsterroristischen Gruppierungen in Deutschland und/oder zu ausländischen rechtsterroristischen Gruppierungen? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 19. Welche anderen bundesdeutschen Behörden wurden wann vom BfV und dem BND über diese Reise informiert? Weder BfV noch BND haben Informationen im Sinne der Fragestellung weitergegeben . 20. Wurden das BMI und das Bundeskanzleramt über diese Reise von 17 Rechtsextremisten im Oktober 1999 nach Südafrika informiert, und wenn ja, wann? Das BMI wurde mit Schreiben vom 22. März 2012 darüber unterrichtet, dass Tino Brandt einen in Südafrika wohnhaften deutschen Rechtsextremisten und Publizisten mit südafrikanischer Staatsangehörigkeit besucht haben soll. Das Bundeskanzleramt hat im Rahmen des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages Kenntnis über die Reise erlangt. 21. Hat die Bundesregierung – vor dem Hintergrund, dass der V-Mann Tino Brandt, sich daran beteiligte, mit anderen Neonazis eine potenzielle Flucht von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt nach Südafrika zu organisieren – den 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages über die Südafrikareise der Reisegruppe unterrichtet , und wenn ja, in welcher Form, und wann geschah dies, und wenn nein, warum wurde dies unterlassen? Die im Zusammenhang mit dem „Thüringer Heimatschutz“ bearbeiteten Er- kenntnisse zu Tino Brandt und der Südafrika-Reise wurden im BfV in der Sachakte zum „Thüringer Heimatschutz“ erfasst. Diese wurde gemäß Beweis- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2758 beschluss BfV-11 vom 28. Juni 2012 des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode dem Ausschuss vollumfänglich vorgelegt. Für den Bereich des MAD bzw. des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) gilt, dass auf der Grundlage der Beweisbeschlüsse MAD-2 und BMVg-5 die vorliegenden Erkenntnisse des BMVg vollumfänglich an den 2. Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode überstellt wurden. 22. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, welche Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Reisegruppe Gegenstand von Ermittlungen und/oder Zeugenvernehmungen durch die Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München waren oder sind? Tino Brandt und ein weiterer Teilnehmer der Reisegruppe wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts gegen Beate Zschäpe und andere als Zeugen vernommen. Der weitere Teilnehmer war zudem Betroffener einer Durchsuchungsmaßnahme als Unverdächtiger gemäß § 103 der Strafprozessordnung (StPO). Verfahrensrelevante Erkenntnisse haben sich aus dieser Durchsuchung nicht ergeben. Die Zeugenvernehmungen und die Durchsuchung waren nicht durch die Südafrikareise veranlasst. 23. Wann hat die lageorientierte Sonderorganisation im BfV welche Informationen zu dieser Reise an die Ermittlungsbehörden – Generalbundesanwaltschaft oder BKA – weitergegeben? 24. Falls Frage 23 verneint wird, warum hat die lageorientierte Sonderorganisation im BfV keine Informationen zu dieser Reise an die Ermittlungsbehörden – Generalbundesanwaltschaft oder BKA – weitergegeben? Die Fragen 23 und 24 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Im Rahmen der Lageorientierten Sonderorganisation wurden Bezüge von Rechtsextremisten nach Südafrika untersucht. Die vorliegende Information wurde aufgrund seinerzeit fehlender Ermittlungsrelevanz nicht an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333