Deutscher Bundestag Drucksache 18/2979 18. Wahlperiode 24.10.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Steffi Lemke, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/2782 – Erhalt des Kormoranschutzes Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Seit der Verabschiedung der EU-Vogelschutzrichtlinie im Jahr 1979 steht der Kormoran europaweit unter Schutz. Auch das Bundesnaturschutzgesetz weist den Kormoran als besonders geschützte Art aus. Der Kormoran war aufgrund seines Fressverhaltens massiv bejagt worden und in seinen Beständen soweit dezimiert , dass die Population nicht überlebensfähig war. Seit der Unterschutzstellung haben sich die Bestände erholt. Die Wissenschaft (www.intercafeproject. net/pdf/European_Environment_Manual_FOR_WEB.pdf) geht mittlerweile davon aus, dass sich die Kormoranzahlen stabilisiert haben, ein Erfolg für den Artenschutz. Seit einigen Jahren gibt es einen schwelenden Konflikt und starke Proteste von Fischern und Anglern, die dem Kormoran die Bestandsdezimierung , sogar mögliche Ausrottung einzelner Fischarten sowie erhebliche wirtschaftliche Einbußen anlasten. Einige Landesregierungen haben daher Kormoranverordnungen erlassen, welche den Abschuss von Kormoranen sowie Eingriffe in Schutzgebiete und an Brutstätten ermöglichen. Zuletzt wurde in Sachsen -Anhalt eine entsprechende Verordnung erlassen. In den letzten Jahren wurden allein in Deutschland pro Jahr ca. 15 000 Kormorane legal geschossen (www.sz-online.de vom 10. Oktober 2009 „Komoran ist Vogel des Jahres“). 1. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung bezüglich der Entwicklung der Kormoranpopulation in Deutschland und in der Europäischen Union vor? Nach einer langen Phase mit einem Anstieg der Kormoranbestände hat sich der Brutbestand in den letzten Jahren in vielen Regionen Europas nicht mehr weiter erhöht oder sogar abgenommen. Der Brutbestand in der westlichen Paläarktis (d. h. hier: die Kontinentalmassen Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 23. Oktober 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. um Nord-Ost-Atlantik, Ostsee, Mittelmeer und Schwarzes Meer, somit Europa und die Türkei, plus Teile Russlands, Armeniens, Georgiens und Aserbaidschans ) wird auf ca. 406 000 bis 421 000 Brutpaare geschätzt. Insgesamt haben sich die Zahlen seit dem Jahr 2006 wenig verändert, aber es gab regionale Un- Drucksache 18/2979 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode terschiede, mit Anstiegen der Brutpaare in einigen Gebieten und Rückgang des Brutbestandes in anderen. In einigen EU-Mitgliedstaaten sind allerdings wieder deutliche Abnahmen zu verzeichnen. Der Brutbestand in Deutschland lag 2013 bei etwas über 20 000 Paaren und damit wieder deutlich niedriger als im Jahr 2012 – in fast allen Bundesländern gab es Bestandsrückgänge. Nach dem milden Winter zeichnet sich für das Jahr 2014 bundesweit eine Bestandserhöhung im Vergleich zum Vorjahr ab. 2. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie sich die Zunahme der Brutpopulation der Kormorane in Deutschland verändert hat (bitte für den Zeitraum von 1998 bis 2009 und den Zeitraum von 1985 bis 2009 auflisten)? Die Bestände des Kormorans in Deutschland erholten sich von ihrem durch Verfolgung verursachten Tiefstand Ende der 1970er- bzw. Anfang der 1980er-Jahre bis zu einem Maximalwert von ca. 25 000 Brutpaaren im Jahre 2008. Danach sanken die Bestände wieder und pendeln seither um Werte von 20 000 bis 22 000 Brutpaaren. 3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Kormoranpopulation in einem günstigen Erhaltungszustand ist? Wenn nicht, was unternimmt sie dagegen? Ja. 4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Kormoranpopulation weiter ansteigen wird? Die nicht mehr kontinuierlich anwachsenden Brutpaarzahlen deuten darauf hin, dass der Kormoran in Deutschland die Kapazitätsgrenzen seines Lebensraums erreicht hat, somit auch die innerartliche Konkurrenz zunimmt und daher nicht mehr mit relevanten Wachstumsraten zu rechnen ist. Die Fortpflanzungsrate hat in den letzten Jahren in vielen Bereichen in Anpassung an die Lebensraumkapazität stark abgenommen. Witterungsbedingte Schwankungen – wie z. B. aktuell nach einem milden Winter – pegeln sich erfahrungsgemäß aufgrund der übrigen einwirkenden ökologischen Parameter wieder ein. Darüber hinaus können die teilweise leicht gesunkenen Kormoranzahlen auch mit Eingriffen in Nachbarländern z. B. in Brutkolonien in Dänemark zusammenhängen. 5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Verordnungen in den Ländern, die den Kormoranabschuss erlauben? In welchen Bundesländern werden solche Verordnungen geplant (bitte nach Bundesländern und Datum der Verordnungen auflisten)? In Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Schleswig-Holstein, und Thüringen bestehen Verordnungen , die den Kormoranabschuss unter Erteilung einer allgemeinen Ausnahme gemäß § 45 Absatz 7 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) erlauben . Sachsen-Anhalt hat am 15. September 2014 eine Kormoranverordnung verabschiedet, die am 1. Januar 2015 in Kraft treten wird. Die Kormoranverordnung in Rheinland-Pfalz befindet sich in der Überarbeitung. Hessen und Nordrhein-Westfalen haben einen Kormoranerlass mit Maßgaben für Einzelfallausnahmen herausgegeben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2979 Berlin, Bremen, Hamburg und das Saarland haben nach Kenntnis der Bundesregierung keine Verordnungen oder Erlasse in diesem Bereich herausgegeben und planen dies auch nicht. 6. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Verordnungen den wissenschaftlichen Standards entsprechen und die Notwendigkeit der Verordnung ausreichend dokumentiert worden ist (bitte begründen)? Die Feststellung der Voraussetzungen von § 45 Absatz 7 BNatSchG, der die Vorgaben des europäischen Artenschutzrechts für Ausnahmen umsetzt, ist Aufgabe der Länder. 7. Sieht die Bundesregierung rechtliche Unvereinbarkeiten zwischen dem europäischen Artenschutzrecht (der Kormoran ist nach Artikel 2, 5, 6 und 4 Absatz 2 der europäischen Vogelschutzrichtlinie geschützt) und den in einigen Bundesländern erlassenen Verordnungen, die den Kormoranabschuss ermöglichen? Wegen der Zuständigkeit der Länder wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. Die Europäische Kommission hat 2013 einen Leitfaden zur Anwendung der Ausnahmen (Artikel 9 der Vogelschutzrichtlinie, V-RL) hauptsächlich von den Verboten des Artikels 5 V-RL herausgegeben: http://ec.europa.eu/environment/ nature/pdf/guidance_cormorants.pdf. 8. Hat die Bundesregierung Kenntniss darüber, wie die in § 45 Absatz 7 Nummer 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) formulierten Anforderungen für Ausnahmen dokumentiert wurden? Auf die Antwort zu Frage 6 wird Bezug genommen. 9. Ab wann stuft die Bundesregierung einen wirtschaftlichen Schaden für land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger wirtschaftlicher Schäden als erheblich ein? Die bestehenden Kormoranverordnungen stützen sich nur auf fischereiwirtschaftliche Schäden und teilweise auf Belange des Fischartenschutzes. Die Bundesregierung teilt die Auffassung der Europäischen Kommission im o. a. Kormoran -Leitfaden, dass die Erheblichkeit eines Schadens im Einzelfall zu beurteilen ist. Diese Beurteilung ist nicht anhand eines fixen Grenzwerts für die Kormoranpopulation oder die vom Kormoran entnommene Fischmenge möglich . Wichtig ist, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass die Präsenz von Kormoranen in einem bestimmten Gebiet tatsächlich für einen erheblich reduzierten fischereiwirtschaftlichen Ertrag verantwortlich ist. 10. Welche wirtschaftlichen Schäden in welcher Höhe sind der Bundesregierung bekannt, die nachweislich Kormoranen zuzuweisen sind? Darüber liegen der Bundesregierung keine aussagekräftigen Daten für das Bundesgebiet vor. Drucksache 18/2979 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 11. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über Studien oder Gutachten, die die Ertragsschwankungen bei den Fangerträgen untersucht? Und inwiefern wurden veränderte Klimaabläufe, sinkender Phosphorgehalt der Gewässer, Undurchlässigkeit der Gewässerkörper als Faktoren für die Ertragsschwankungen untersucht? In der aufgrund eines Beschlusses der Agrarministerkonferenz (AMK) eingerichteten ressortübergreifenden Arbeitsgruppe des Bundes und einiger Länder zum nationalen Kormoran-Management wurden verschiedene Studien aus den Ländern aus dem Bereich der Kormoran-Fisch-Interaktionen zusammengestellt. Dabei hat sich deutlich gezeigt, dass zwar zahlreiche Einzelstudien vorliegen, dass aber Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studien nicht immer von allen Seiten einheitlich beurteilt bzw. anerkannt werden. Daher ist im Jahr 2013 ein in der Arbeitsgruppe abgestimmtes Papier mit Kriterien zur Prüfung und Beurteilung von Kormoran-Fisch-Studien entwickelt worden, das u. a. die Anforderung enthält, dass andere Faktoren als (Haupt-)Ursache einer beobachteten Veränderung im Fischbestand ausgeschlossen werden. Dieses abgestimmte Kriterienpapier ermöglicht eine bessere Beurteilung der im Einzelfall vorliegenden Untersuchungen zu Kormoran-Fisch-Interaktionen. 12. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über die Entwicklung der Kormoranpopulationen in Bundesländern, in denen eine Bejagung erlaubt ist? Der Bundesregierung liegen hierzu Informationen aus den einzelnen Bundesländern vor. Die Bundesländer, die Ausnahmen von den Schutzvorschriften zulassen , haben jeweils ein Monitoring der Kormoranbestände eingerichtet. 13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über bestandsregulierende Maßnahmen, und wie bewertet sie diese? Bestandsregulierung kann sowohl auf eine Verringerung der Bestände einer Art abzielen als auch auf eine Änderung der räumlichen Verteilung der Individuen einer Art. Beides spielt beim Kormoran eine Rolle. Hinsichtlich Maßnahmen zur Verringerung der Bestände wird auf die Antwort zu Frage 12 verwiesen. Zu den Methoden der so genannten Vergrämung zählen nicht nur Vergrämungsabschüsse , sondern auch andere, rein optisch und/oder akustisch wirkende Maßnahmen (z. B. Knalleffekte oder nächtlicher Einsatz von Lasern). Zur Wirksamkeit der Vergrämungsmaßnahmen liegen unterschiedliche Ergebnisse vor. Pauschale Aussagen sind meist nicht möglich, da die Auswirkungen von verschiedenen Rahmenbedingungen abhängen (Art, Dauer, Intensität und Regelmäßigkeit der Anwendung; Kombination verschiedener Maßnahmen; Jahreszeit; Witterung etc.). 14. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie viele Kormorane jährlich in Deutschland geschossen werden? Aus den von den Ländern für die Ausnahmeberichterstattung gemäß Artikel 9 Absatz 3 V-RL gemeldeten Zahlen ergibt sich folgendes Bild: Die Abschüsse haben bis zum Jahr 2009 zugenommen. Seitdem pendeln sie um einen Wert von jährlich etwa 25 000 Abschüssen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333