Deutscher Bundestag Drucksache 18/3021 18. Wahlperiode 03.11.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/2927 – Beabsichtigte Änderungen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und deren Auswirkungen auf die Eisenbahninfrastruktur und das Projekt „Stuttgart 21“ Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Laut aktuellen Medienberichten (STUTTGARTER ZEITUNG vom 8. Oktober 2014, SWR Landesschau Baden-Württemberg vom 9. Oktober 2014) beabsichtigt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eine weitreichende Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) und bringt diese selbst im Begründungsteil indirekt mit „Stuttgart 21“ in Zusammenhang („… z. B. Ersatz eines Kopfbahnhofes durch einen leistungsfähigen neuen Durchgangsbahnhof“). Heute schreibt das AEG vor, dass Strecken und für die Betriebsabwicklung wichtige Bahnhöfe nur stillgelegt werden dürfen, wenn sich niemand für deren Weiterbetrieb findet. Beabsichtigte Stilllegungen und mehr als unerhebliche Einschränkungen der bisher verfügbaren Infrastrukturkapazität müssen daher vor ihrer Genehmigung im Bundesanzeiger bzw. Internet veröffentlicht und dritten Eisenbahnunternehmen zur Übernahme angeboten werden. Findet sich kein weiterbetreibendes Eisenbahnunternehmen, bedarf die Stilllegung oder Kapazitätseinschränkung einer abschließenden Genehmigung durch die zuständige Eisenbahnaufsichtsbehörde – im Fall der DB Netz AG des EisenbahnBundesamtes (EBA). Dadurch wird vielfach die Eisenbahninfrastruktur erhalten , an deren Weiterbetrieb etwa die DB Netz AG kein Interesse mehr hat, die aber von anderen Eisenbahnunternehmen für den Schienenverkehr weiterbetrieben und genutzt werden kann. Angesichts der aktuellen Meldungen machen sich einige Bahnexperten Sorgen um den Erhalt solcher, insbesondere regionaler oder im Hauptnetz kapazitätsrelevanter Infrastrukturen. In dem neuen Gesetzentwurf soll laut dem Bericht in der „STUTTGARTER ZEITUNG“ vom 8. Oktober 2014 „ein Angebot an Dritte entbehrlich sein, wenn Anlagen nicht gesondert betrieben werden können oder Kapazitätsreduzierungen in geeigneter Weise kompensiert werden“. „Damit“, so weiter, „liefe Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 30. Oktober 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. die angestrengte Klage der Stuttgarter Netze AG zum Erhalt und Weiterbetrieb des bestehenden Stuttgarter Kopfbahnhofs ins Leere“. Drucksache 18/3021 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Trifft es zu, dass die Bundesregierung über eine Änderung des AEG (insbesondere betreffend § 11) die Stilllegung von Eisenbahninfrastruktur erleichtern möchte, und wenn ja, was genau möchte sie am AEG ändern (STUTTGARTER ZEITUNG vom 8. Oktober 2014)? 2. Weshalb hält die Bundesregierung eine solche Änderung des AEG gerade zum jetzigen Zeitpunkt für erforderlich? 3. Welche Bundesländer sind bisher in das Gesetzänderungsentwurfsverfahren mit eingebunden, und welche Bundesländer haben welche Änderungswünsche an das AEG formuliert? Die Fragen 1 bis 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat ein allein auf Vorschlägen der Länder basierendes Arbeitspapier zur Änderung des § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) erstellt. Die auf übergeordneten Interessen beruhenden Vorschläge der Länder sind das Ergebnis einer langjährigen Länderarbeitsgruppe zu §§ 6, 11 und 23 AEG. Auf der Gemeinsamen Konferenz der Verkehrs- und Straßenbauabteilungsleiter der Länder (GKVS) am 5. und 6. März 2014 in Berlin wurde der Bund mit einstimmigem Beschluss gebeten, auf Grundlage der Ergebnisse dieser Länderarbeitsgruppe Änderungen der §§ 6, 11 und 23 AEG herbeizuführen. Die Änderungsvorschläge dienen der Präzisierung der bestehenden Vorschriften und stehen nicht im Zusammenhang zu dem Vorhaben Stuttgart 21. 4. Trifft es zu, dass in der Begründung der „Ersatz eines Kopfbahnhofs durch einen leistungsfähigen Durchgangsbahnhof“ als Beispiel genannt wird (SWR Landesschau Baden-Württemberg vom 9. Oktober 2014), und was ist der Grund dafür, dass dieses Beispiel im Begründungsteil genannt wird? Ja, dieses Beispiel wird in dem Arbeitspapier genannt. Das Arbeitspapier gibt in diesem Teil der Begründung die Erwägungen der Länder wieder, die 1 : 1 aus dem Ländervorschlag übernommen wurden. 5. Ist der bereits durch die Deutsche Bahn AG (DB AG) begonnene Rückbau der bestehenden Eisenbahninfrastruktur des Kopfbahnhofes in Stuttgart auf aktuell geltender Rechtsgrundlage trotz der Klage der Stuttgarter Netz AG aus Sicht der Bundesregierung zulässig? Ja, soweit er durch die Planfeststellungsbeschlüsse erfasst wird. 6. Ist die Bundesregierung der Rechtsauffassung, dass der geplante Rückbau der Eisenbahninfrastruktur des Kopfbahnhofes in Stuttgart nach geltendem Recht über ein Stilllegungsverfahren nach § 11 AEG genehmigungspflichtig ist und es sich somit um eine Stilllegung von Eisenbahninfrastruktur handelt und um keine „Vollkompensation“ der bestehenden Infrastruktur? 7. Wie definiert die Bundesregierung in Bezug auf § 11 AEG das Merkmal „Stilllegung“ bzw. künftig möglicherweise „Kompensation“, und welches sind die Abgrenzungskriterien zwischen einer Vollkompensation, einer Kapazitätsreduzierung und einer Stilllegung? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3021 8. Welche Konsequenzen erwartet die Bundesregierung für das Projekt Stuttgart 21, wenn das AEG nicht derartig geändert würde und die Stuttgarter Netz AG mit ihrer Klage erfolgreich wäre? Die Fragen 6 bis 8 werden wegen des Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet . Ein Genehmigungsverfahren für die Stilllegung von Gleisflächen nach § 11 AEG ist nur erforderlich, wenn der Betreiber (hier: die DB AG) den Betrieb eines für die Betriebsabwicklung wichtigen Bahnhofes einstellt oder die dauerhafte Einstellung des Betriebs einer Strecke oder deren mehr als geringfügige Verringerung der Kapazität beabsichtigt. In Bezug auf den Planfeststellungsabschnitt 1.1, der bereits planfestgestellt ist, war kein Genehmigungsverfahren nach § 11 AEG erforderlich, da weder vorgesehen war, den Betrieb eines für die Betriebsabwicklung wichtigen Bahnhofes einzustellen – der Bahnhof sollte neu unterirdisch errichtet und betrieben werden – noch vorgesehen war, die Kapazität der im Abschnitt betroffenen Strecken zu reduzieren. Die Definition und Abgrenzung ergibt sich aus dem Wortlaut. Grundsätzlich gilt: Wenn ein Vorhaben nach § 11 AEG genehmigungspflichtig ist, wird im Vorfeld der planungsrechtlichen Zulassungsentscheidung ein entsprechendes Verfahren durchgeführt. 9. Wird sich die geplante Gesetzesänderung zum vorgesehenen Zeitpunkt des Inkrafttretens auf das Verfahren zwischen der Stuttgarter Netze AG und der DB AG auswirken? Da derzeit allein ein Arbeitspapier vorliegt und der weitere Verlauf des Verfahrens offen ist, ist eine Abschätzung von Auswirkungen nicht möglich. Zum Verfahrensstand wird auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen. 10. Sieht die Bundesregierung hinsichtlich eines, wie von ihr angestrebt, geänderten AEG die Gefahr, dass die DB AG auf Grundlage eines geänderten AEG kleine Nebenstrecken kurz vor der Neuausschreibung von Bahnverkehren stilllegt, um den drohenden Zuschlag für konkurrierende Eisenbahnverkehrsunternehmen zu verhindern? 11. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass die DB AG auf Grundlage eines wie von ihr angestrebt geänderten AEG kleine Nebenstrecken, auf denen Zugleistungen ausschließlich von konkurrierenden Eisenbahnverkehrsunternehmen erbracht werden, stilllegt, um dadurch das konkurrierende Eisenbahnverkehrsunternehmen zu behindern? 12. Welche Gefahren sieht die Bundesregierung für die Planungs- und Vertragsverlässlichkeit langlaufender Nahverkehrsverträge durch die Bundesländer , wenn Strecken (insbesondere kleinere Nebenstrecken) durch eine derartige Änderung des AEG vereinfacht stillgelegt werden können? 13. Wie wird die Bundesregierung Nachteile für den Wettbewerb durch die von ihr beabsichtigte Änderung des AEG vermeiden? 14. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass es ohne § 11 bzw. einem veränderten § 11 AEG heute durch Nahverkehrsverträge mit hohen Fahrgastzahlen betriebene Bahnstrecken, wie die Ermstalbahn oder die Schönbuchbahn , noch gäbe? Drucksache 18/3021 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die Fragen 10 bis 14 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Regelung des § 11 AEG hat sich prinzipiell bewährt. Äußerungen zu Auswirkungen der derzeit diskutierten Änderungen von § 11 AEG wären angesichts des frühen Verfahrensstandes rein spekulativ. Wie zu den Fragen 1 bis 3 dargelegt , wird derzeit zunächst der konkrete Regelungsbedarf der Länder auf Fachebene ermittelt. Um die zu Grunde liegenden Fachfragen zu klären, dient das erstellte Arbeitspapier. Mögliche Auswirkungen von Änderungen des § 11 AEG werden im weiteren Verfahren untersucht. 15. Wie viele Eisenbahnstrecken wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland in den letzten zehn Jahren durch nichtöffentliche Eisenbahninfrastrukturunternehmen von öffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmen übernommen (bitte tabellarisch nach örtlicher Lage und Streckenkilometer auflisten)? Der Bundesregierung liegen keine Kenntnisse zu nichtöffentlichen Eisenbahninfrastrukturunternehmen vor, da diese der Aufsicht der Länder unterliegen. Gesamtherstellung: H. 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