Deutscher Bundestag Drucksache 18/3114 18. Wahlperiode 07.11.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Diana Golze, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/2962 – Die Situation der Straßenkinder in Deutschland Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Der Alexanderplatz im Zentrum Berlins ist ein zentraler Anlaufpunkt für Straßenkinder . Dort, in aller Öffentlichkeit für jeden sichtbar, finden Kinder und Jugendliche, die aus vielfältigsten Gründen ihre Familien und Heimat verlassen haben, Anschluss an Gleichgesinnte. Hier auf und um den „Alex“ führen sie ein Leben zwischen Flucht, Freiheit und Existenzkampf (vgl. www.spiegel. de/kultur/gesellschaft/punks-am-berliner-alexanderplatz-fotos-von-goerangnaudschun -a-990112.html, 23. September 2014). Doch auch in anderen Großstädten , wie u. a. Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart, existieren Straßenkinderszenen . Jede/Jeder Einzelne, die/der auf der Straße landet, hat ihre/seine Gründe, warum sie/er das Leben auf der Straße gewählt hat. Diese Gründe wurden unter anderem auf dem ersten Bundeskongress der Straßenkinder in Deutschland thematisiert, der vom 19. bis 21. September 2014 unter dem Motto „Mein Name ist Mensch“ in Berlin stattfand. Mehr als 120 Straßenkinder aus ganz Deutschland nahmen an der Veranstaltung teil, haben sich ausgetauscht und einen Forderungskatalog an die Politik entwickelt. Nach Angaben von Karuna e. V., terre des hommes und dem Bündnis für Straßenkinder in Deutschland, den Organisatoren, haben über 20 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße. Die Bundesregierung geht in ihrem Armuts- und Reichtumsbericht aus dem Jahr 2005 dagegen von einer Zahl zwischen 5 000 und 7 000 aus (vgl. 2. Armuts- und Reichtumsbericht, S. 174 f.). Nachdem der Diskurs über die Situation der Straßenkinder in Deutschland in den 90er-Jahren von verschiedenen Akteuren aufgegriffen wurde, ist er im Laufe der letzten 15 Jahre wieder weitestgehend aus der öffentlichen Debatte verschwunden. Auch im Deutschen Bundestag wurde das Thema in den letzten 25 Jahren nur in zwei Schriftlichen Fragen einer Abgeordneten thematisiert. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 5. November 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Eine einheitliche Definition des Begriffes „Straßenkinder“ gibt es nicht. Der Begriff „Straßenkinder“ wurde in der Vergangenheit in Bezug auf die Lage in der Bundesrepublik Deutschland kontrovers diskutiert. Auf keinen Fall darf und kann die Situation der Straßenkinder in Deutschland mit der Situation von Straßenkindern in bspw. südamerikanischen Ländern verglichen werden (vgl. für eine Übersicht Manfred Liebel, in: Soziale Arbeit, Nr. 4/2000, S. 122–130). Drucksache 18/3114 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die UNICEF (United Nations International Children’s Emergency Fund) unterscheidet zwischen „Kindern der Straße“ und „Kindern auf der Straße“ (vgl. UNICEF, 1989). Zur ersten Gruppe zählen Kinder und Jugendliche, die die meiste Zeit ihres Tages auf der Straße verbringen und eventuell dort arbeiten, aber trotzdem bei ihren Eltern oder Freunden schlafen. Zur zweiten Gruppe zählen obdachlose Kinder und Jugendliche, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben und dort auch schlafen. Die Ursachen, warum Kinder und Jugendliche ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße suchen, sind verschieden. Bei der Mehrheit der Fälle kann nicht ein einzelner Faktor als Erklärung herangezogen werden, sondern ein gemeinsames Auftreten mehrerer Faktoren. Den meisten Straßenkindern gemeinsam ist, dass sie in ihrer Familie negativen Erlebnissen ausgesetzt waren und Strukturen der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe nicht in der Lage waren, durch präventive Angebote ein Abrutschen in ein Straßenmilieu zu vermeiden. Viele von ihnen waren in ihren Familien mit materieller und emotionaler Armut konfrontiert, die sich vor allem durch Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung manifestiert hat. Einige haben sich aufgrund dieser Erfahrungen und scheinbarer Alternativlosigkeit entschieden, ein Leben auf der Straße zu führen bzw. dorthin ihren Lebensmittelpunkt zu verlegen. Demgegenüber stehen die Fälle, in denen Kinder und Jugendliche von ihren Eltern auf die Straße gesetzt werden. Andere wiederum verlassen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, in denen sie gegen ihren Willen untergebracht worden sind. Daneben sind die Jugendlichen anzutreffen , die zwar noch bei ihren Eltern leben, aber so viel wie möglich auf die Straße fliehen, zum Teil Tage und Wochen nicht nach Hause zurückkehren. Die Straßenszene ist für die meisten Betroffenen ein attraktiver Anlaufpunkt, da sie dort auf Altersgenossen mit ähnlichen Erfahrungen treffen. Dies verbindet , und viele Straßenkinder berichten, dass sich auf der Straße eine Art Ersatzfamilie für sie entwickelt hat (vgl. www.strassenkinderreport.de/index.php? goto=209&user_name=#ursachen). Der Zusammenhalt zwischen den Straßenkindern wird auch dadurch verstärkt, dass sie mit einer Kriminalisierung durch Polizei und Justiz konfrontiert sind. Die Vertreibung der Jugendlichen aus öffentlichen Räumen (Bahnhöfen, Innenstadtlagen, Einkaufszentren) ist zu einer gängigen Praxis der Ordnungspolitik geworden. Doch auch innerhalb der Peergroup können sie Gewalt bis hin zu sexuellen Missbrauch erleben. Hinzu kommen mitunter vielfältige Suchtprobleme durch den Konsum von Drogen und Alkohol. Des Weiteren müssen minderjährige Jugendliche durch das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 1627 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) fürchten, dass sie, wenn sie von der Polizei aufgegriffen werden, gegen ihren Willen zu ihren Familien oder in Jugendhilfeeinrichtungen gebracht werden. Die Jugendlichen werden damit einem permanenten Verfolgungsdruck ausgesetzt . Sie werden als Täter wahrgenommen und nicht als häufig aus der Not heraus handelnde Kinder und Jugendliche. Sanktionierungen statt Unterstützung stehen nach Wahrnehmung der Betroffenen im Vordergrund. Als eine besondere Methode der Sanktionierung kann bspw. die Form der Geschlossenen Unterbringung exemplarisch angeführt werden, die durch die Skandale in der Haasenburg an die Öffentlichkeit drangen (vgl. „Alternativen zur Geschlossenen Unterbringung“, Dokumentation des Fachgesprächs am 3. Dezember 2013 in Potsdam, Fraktion DIE LINKE. im Landtag Brandenburg). Diese Art der Ordnungspolitik ersetzt nicht nur eine Jugendpolitik, die auf die Bedürfnisse dieser Jugendlichen eingeht, sie erschwert auch die Arbeit der Jugendsozialarbeit . Die Jugendlichen suchen sich immer wieder neue Räume, um sich diesen ordnungspolitischen Instrumenten zu entziehen, und sind damit auch für die Fachkräfte der Jugendsozialarbeit schwieriger zu erreichen. Noch viel schlimmer ist, wenn aufgrund negativer Erfahrungen mit der Jugendhilfe kein Vertrauen seitens der Jugendlichen mehr zu den Angeboten der Jugendhilfe besteht – Angebote, die ihnen eigentlich das Leben erleichtern und Zukunftsoptionen anbieten sollten. Die Hartz-IV-Gesetze befördern in dieser Altersgruppe den sozialen Ausschluss. Hilfeleistungen können komplett sanktioniert werden, womit Wohnungslosig- keit gefördert wird. Diese Sanktionen treffen und berücksichtigen nicht die in- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3114 dividuelle Lebens- und Notsituation der Jugendlichen (vgl. www.taz.de/!91296, 11. April 2012). Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, schreibt hingegen in ihrem Grußwort an den Bundeskongress der Straßenkinder: „Auch das Bundesjugendministerium und ich als Ministerin tun etwas, damit junge Menschen nicht auf der Straße leben müssen. Wir fördern Projekte, die deutlich machen, wo Hilfe nicht funktioniert und welche Unterstützung erforderlich ist, damit junge Menschen den Weg von der Straße in ein Leben mit Schule und Ausbildung gehen können“ (www.facebook.com/ bundesstrassenkinderkonferenz vom 22. September 2014). Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Der Fragesteller spricht in den meisten Fragen von „Straßenkindern“, in manchen Fragen von „Kindern und Jugendlichen“ und zum Teil von „Jugendlichen“. Bei der Beantwortung wird, falls nicht anders genannt, die gesamte Altersgruppe der unter 27-Jährigen betrachtet. 1. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „Straßenkinder“? Eine einheitliche Definition von Straßenkindern existiert nicht. Der 13. Kinder- und Jugendbericht versteht unter dem Begriff „dauerhaft obdachlose “ Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. 2. Wie viele Straßenkinder leben nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland (bitte jährlich nach Geschlecht, den Altersstufen bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, vom 15. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sowie 18 bis 25 Jahre seit dem Jahr 1990 aufschlüsseln)? 3. Durch wen, und auf welcher Grundlage wurden diese Zahlen ermittelt? Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Valide zahlenmäßige Angaben zu Kindern und Jugendlichen, die in Deutschland auf der Straße leben, liegen der Bundesregierung nicht vor. Straßenkinder und -jugendliche sind für private und staatliche Unterstützungsinstitutionen schwer zugänglich, da sie häufig den Aufenthaltsort wechseln und sich teils bewusst den Hilfestrukturen entziehen. Angaben zur bundesweiten Zahl von Straßenkindern und -jugendlichen basieren auf Schätzungen, die allerdings aufgrund fehlender empirischer Grundlagen, aber auch vor dem Hintergrund einer nicht einheitlichen Definition des Begriffs „Straßenkinder“ kaum vergleichbar sind. Im 13. Kinder- und Jugendbericht heißt es unter der Überschrift „Exkurs 9.1 Wohnungslose Heranwachsende in Deutschland“ hierzu (13. Kinder- und Jugendbericht . Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, Bundestagsdrucksache 16/12860): „Im Unterschied zu erwachsenen Wohnungslosen verfügen junge Wohnungslose häufig über einen offiziellen festen Wohnsitz, da sie noch bei ihren Eltern gemeldet sind. Da in der Bundesrepublik keine Statistik über die Zahl der Wohnungslosen geführt wird, gibt es hierzu nur Schätzwerte. Die Zahl der dauerhaft obdachlosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen bewegt sich in der Spanne zwischen Drucksache 18/3114 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 2 000 und 9 000 Heranwachsenden (30 bis 40 Prozent sind davon Mädchen; Terre des Hommes 2008); jährlich kommen 1 500 bis 2 500 neue Fälle hinzu (Off Road Kids 2008).“ 4. Welche sozialen Ursachen sieht die Bundesregierung in der Existenz des Phänomens von Straßenkindern? Nach empirischen Befunden des Deutschen Jugendinstituts e. V. (DJI) sind drastische Erscheinungen sozialer Ausgrenzung bis hin zur Obdachlosigkeit auf folgende individuelle Gefährdungspotenziale zurückzuführen: Bildungsbenachteiligung , Suchthintergrund, fehlende Aufenthaltsgenehmigung (insbesondere bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen), fehlende soziale Kompetenzen, schwierige familiäre Rahmenbedingungen, häufig auch sexueller Missbrauch und teils nicht diagnostizierte psychische Erkrankungen. Als strukturelle Ausgrenzungsrisiken gelten Langzeitarbeitslosigkeit und nach den Erkenntnissen des DJI Totalsanktionierung im SGB-II-Bezug (SGB II – Zweites Buch Sozialgesetzbuch ), Abbrüche von Ausbildung und Maßnahmen sowie Exklusion im Anschluss an eine Haftentlassung. 5. Welche regionalen Schwerpunkte bzgl. öffentlich in Erscheinung tretender Straßenkinder sind der Bundesregierung bekannt? Welche Strategien werden nach Kenntnis der Bundesregierung von den Verantwortlichen vor Ort gewählt, um mit den Jugendlichen umzugehen (bitte nach ordnungs- und sicherheitspolitischen Maßnahmen sowie Jugendhilfemaßnahmen unterscheiden)? Da Straßenkinder und -jugendliche überwiegend aus hoch belasteten Familien stammen und ihr zu Hause häufig aufgrund von Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch verlassen, versucht die Straßensozialarbeit vorrangig, sie in betreute Wohngruppen zu integrieren, die sie aus dem schädigenden Umfeld der Straße herauslösen und eine Rückkehr dorthin verhindern. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 4, 7 bis 9 und 10 bis 12 verwiesen. 6. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung auch zunehmend Jugendliche aus anderen europäischen Staaten in der hiesigen Straßenkinderszene anzutreffen , und wenn ja, gibt es hier bestimmte Schwerpunkte? Der Bundesregierung liegen keine quantitativ-empirischen Befunde zur Zusammensetzung der Straßenkinderszene nach den Herkunftsländern der jungen Menschen vor. 7. Welche Projekte hat die Bundesregierung in Bezug auf die Situation der Straßenkinder in Deutschland seit dem Jahr 1990 gefördert und fördert sie aktuell? a) Welche Projekte hat die Bundesregierung im Einzelnen gefördert bzw. fördert sie aktuell, „die deutlich machen, wo Hilfe nicht funktioniert und welche Unterstützung erforderlich ist, damit junge Menschen den Weg von der Straße in ein Leben mit Schule und Ausbildung gehen können“ (Bundesjugendministerin Manuela Schwesig, in ihrem Grußwort an den Bundeskongress der Straßenkinder)? b) Wer führte bzw. führt diese Projekte aus? c) In welchem Zeitraum werden die Projekte durchgeführt, und welche Kosten entstehen dadurch? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3114 d) Liegen der Bundesregierung Ergebnisse dieser Projekte vor? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? e) Sind Ergebnisse dieser Projekte bereits umgesetzt worden? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 7a bis 7e werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung fördert seit dem Jahr 2000 erstmals Projekte für Straßenkinder und -jugendliche. Im Rahmen des Innovationsfonds Eigenständige Jugendpolitik , Handlungsfeld Jugendsozialarbeit, fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) für 2 Jahre (2015 und 2016) vier Modellprojekte mit einem Fördervolumen von insgesamt 400 000 Euro aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes. Folgende Träger und Projekte werden gefördert: ● Bündnis für Straßenkinder in Deutschland e. V., Berlin – Verbreitung der Werkschule Sophisticated People, ● KuB Kontakt- und Beratungsstelle Berliner Jugendclub e. V., Berlin – Thea- terprojekt mit Straßenjugendlichen, ● OffRoadKids Jugendhilfe gGmbH, Bad Dürrheim – Integration des Fern- schulsystems in die überregionale Straßensozialarbeit für Straßenkinder und Ausreißer in Deutschland, ● Straßenkinder e. V., Berlin – StreetWorkstatt. Die Projekte starten in den nächsten Monaten und enden am 31. Dezember 2016, daher liegen noch keine Projektergebnisse vor. 8. Welche Hilfsprojekte für Straßenkinder in Deutschland sind der Bundesregierung darüber hinaus bekannt? Folgende weitere Hilfsprojekte, die bereits mit Straßenkindern arbeiten, sind der Bundesregierung bekannt: ● Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e. V., Stuttgart – schulische und berufliche Bildung für Straßenjungs, ● Evangelische Jugendhilfe Bochum – „Sprung.Chance“: Aufbau Mobile An- laufstelle, ● Jugendbildung Hamburg gGmbH – aufsuchende Sozialarbeit, ● KARUNA Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not International e. V., Berlin – Straßenkinder zurück in die Schule, ● Landesarbeitsgemeinschaft Mobile Jugendarbeit/Streetwork Brandenburg e. V., Potsdam – „Sofahopping“: Aufbau vernetzter Angebote, ● OUTLAW gGmbH – Region Sachsen, Dresden – „Du entscheidest“: niedrig- schwellige Zugänge, ● Treberhilfe Dresden e. V. – „SPIELMOBIL“: Streetwork, Beratung, Krea- tivangebote. Drucksache 18/3114 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Darüber hinaus sind folgende Träger und Projekte bekannt, die in Forschungsvorhaben des DJI eingebunden waren: ● Auf-Achse-gGmbH, Köln – „B.O.J.E.“-Beratungsbus, ● Basis e. V., Hamburg – „KIDS“: Anlaufstelle für Straßenkinder, ● ConAction e. V., München – Streetwork für Straßenkinder und -jugendliche, ● Projekt „Zinkhütte“, Mühlheim a. d. R. – Unterstützung für Straßenkinder und -jugendliche, ● S.C.H.I.R.M.-Projekt der Jugendwerkstatt „Frohe Zukunft“, Halle (Saale) – sozialpädagogische Arbeit mit exkludierten Jugendlichen, ● OffRoadKids e. V., Hamburg, Berlin, Köln, Dortmund, Bad Dürrheim – Un- terstützungsstellen, Notruf- und Kontakttelefonen für (ehemalige) Straßenkinder und Eltern-Hotline, ● Outlaw gGmbH, Leipzig – Projekt „Strohhalm“: betreutes Einzelwohnen und „City-WGs“ ● knapp 100 Bahnhofsmissionen in Deutschland in kirchlicher Trägerschaft – niedrigschwellige Anlaufstellen, Notversorgung. Die Hilfsprojekte konzentrieren sich vorrangig auf den großstädtischen Bereich, da sich die Straßenkinder und -jugendlichen meist dort aufhalten. 9. Werden diese Hilfsprojekte für Straßenkinder in Deutschland von der Bundesregierung finanziell unterstützt? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Die in der Antwort zu Frage 8 aufgezählten Hilfsprojekte werden von der Bundesregierung finanziell nicht unterstützt. Nach der grundgesetzlich vorgesehenen Aufgabenteilung sind die Länder für die soziale, schulische und berufliche Integration von Straßenkindern und -jugendlichen zuständig. In den Ländern nimmt die kommunale öffentliche Jugendhilfe (§§ 13, 35 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VIII) diese Aufgabe wahr. Die in Antwort zu Frage 7 genannten Projekte werden als Modellvorhaben des Bundes auf der Grundlage von § 83 SGB VIII gefördert. 10. Welche präventiven Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe sind nach Kenntnis der Bundesregierung geeignet, um Kinder und Jugendliche vorbeugend vor einem Abrutschen in die Straßenszene zu schützen, welche Rolle kommt nach Auffassung der Bundesregierung dabei Methoden einer Sozialraumorientierung verbunden mit einer Sozialraumanalyse zu, und wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die andauernde Aktualität der Straßenkinderproblematik (bitte detailliert ausführen)? 11. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über konkrete Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe für wohnungslose Jugendliche? 12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zur Wirkung mobiler Jugendarbeit bzw. Streetwork in Deutschland mit der Zielgruppe Straßenkinder? Die Fragen 10 bis 12 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die besondere Lebenssituation und die spezifischen Gründe, die Kinder und Ju- gendliche in die Obdachlosigkeit treiben, erfordern gerade im präventiven Bereich das gesamte Spektrum der Leistungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/3114 Auch können insbesondere die präventiven Maßnahmen des Bundeskinderschutzgesetzes helfen. Die lokalen Kinderschutznetzwerke sind wichtige Anlaufstellen , die die rechtssichere Zusammenarbeit aller im Kinderschutz beteiligten Akteure befördern und Unterstützung vor Ort anbieten. Darüber hinaus leisten Hilfen zur Erziehung (§§ 27 bis 35 SGB VIII), Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a SGB VIII) und Hilfen für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) ebenfalls präventive Unterstützung . Die steigende Komplexität der Herausforderungen für junge gefährdete Menschen und die daraus resultierenden Verunsicherungen für ihr Leben und ihre Zukunft machen lebenswelt- und subjektorientierte Angebote für junge Menschen unentbehrlich. Gemeinwesensorientierte Angebote, die sich gerade in sozialen Brennpunkten entwickelt haben, spielen für präventive Hilfen eine besondere Rolle. Häufig wird Jugendarbeit als Teil eines Quartierkonzepts oder Sozialraumkonzepts in den jeweiligen Kommunen angeboten. Solche aufsuchenden Angebote der mobilen Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit bilden einen wichtigen Zugang zur Zielgruppe. Neben den Jugendämtern vor Ort und den freien Trägern der Jugendhilfe, die für die Straßenkinder und -jugendlichen verantwortlich sind und entsprechende Hilfsangebote vorhalten, gibt es in Deutschland auch überregional arbeitende Hilfsorganisationen. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 4, 5 und 7 bis 9 verwiesen. 13. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten nach Kenntnis der Bundesregierung insgesamt in Deutschland, und wie viele von ihnen arbeiten direkt mit der Zielgruppe Straßenkinder (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? Durch Erhebungen zu den Einrichtungen und dort tätigen Personen der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik (KJH-Statistik) liegen statistische Informationen zur Anzahl der tätigen Personen in der Kinder- und Jugendhilfe vor. Die KJH-Statistik erfasst allerdings nicht die Zahl der Personen in Einrichtungen , die explizit mit der Zielgruppe der Straßenkinder arbeiten (vgl. Tabelle 1). Drucksache 18/3114 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 14. Welche Beratungsangebote und Maßnahmen speziell für lesbische, schwule, transsexuelle, transgender und intersexuelle (LSBTTI) Straßenkinder stehen zur Verfügung, und inwieweit hält die Bundesregierung diese für ausreichend? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Vertreibung und Kriminalisierung von Straßenkindern aus öffentlichen Räumen, und plant die Bundesregierung , Maßnahmen zu ergreifen, um der Kriminalisierung der betroffenen Jugendlichen wirkungsvoll entgegenzutreten (bitte detailliert ausführen und begründen)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Spezielle Maßnahmen der Bundesregierung sind nicht geplant. 16. Wie beurteilt die Bundesregierung die medizinische Versorgung von Straßenkindern , und plant die Bundesregierung konkrete Maßnahmen, um den betroffenen Jugendlichen den Zugang zur medizinischen Versorgung zu verbessern (bitte detailliert ausführen und begründen)? Die Bundesregierung hat keine Kenntnisse über den Grad der medizinischen Versorgung von Straßenkindern beziehungsweise über die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen durch Straßenkinder. Auch über den Versichertenstatus der Straßenkinder liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Es ist als wahrscheinlich anzunehmen, dass ein erheblicher Teil der Straßenkinder , die ihr Zuhause verlassen haben, in der gesetzlichen Krankenversiche- Tabelle 1: Tätige Personen in der Kinder- und Jugendhilfe nach Tageseinrichtungen für Kinder und sonstigen Einrichtungen (Deutschland; 2010/2011; Angaben absolut)1 Personal insgesamt Tageseinrichtungen für Kinder Sonstige Einrichtungen 2 Personen in Einrichtungen , die mit der Zielgruppe Straßen- kinder arbeiten Deutschland 663.453 443.460 219.993 Hierzu werden über die amtliche Statistik zu den Einrichtungen und tätigen Personen keine Informationen erhoben. Baden-Württemberg 81.535 58.488 23.047 Bayern 92.874 63.866 29.008 Berlin 33.722 20.683 13.039 Brandenburg 22.226 15.809 6.417 Bremen 6.479 4.112 2.367 Hamburg 17.250 11.378 5.872 Hessen 56.982 37.983 18.999 Mecklenburg-Vorpommern 13.632 9.751 3.881 Niedersachsen 58.879 39.306 19.573 Nordrhein-Westfalen 140.971 85.720 55.251 Rheinland-Pfalz 35.192 23.706 11.486 Saarland 7.185 4.765 2.420 Sachsen 36.558 26.791 9.767 Sachsen-Anhalt 19.932 14.367 5.565 Schleswig-Holstein 22.685 14.132 8.553 Thüringen 17.351 12.603 4.748 1 Die Angaben beziehen sich für den Zeitraum 2010/2011 auf die Angaben zu den Beschäftigten in Tageseinrichtungen für Kinder vom März 2011 sowie zu den anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe vom Dezember 2012. Die Angaben zum Personal berücksichtigen nicht die Angaben zu den Beschäftigten in öffentlicher geförderter Kindertagespflege. Mit eingeschlossen sind die tätigen Personen in den Bereichen Verwaltung, Hauswirtschaft und Technik. 2 Zu den sonstigen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gehören beispielsweise solche in den Arbeitsfeldern Hilfen zur Erziehung oder auch Beratungsleistungen, Kinder- und Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, aber u. a. auch die Beschäftigten in den Jugendämtern. Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Kindertagesbetreuung und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, verschiedene Jahrgänge; Zusammenstellung und Berechnung: Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik rung versichert sind. Sie haben damit Anspruch auf eine ausreichende, bedarfsgerechte , dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/3114 entsprechende medizinische Versorgung. Soweit es um flankierende Maßnahmen zur Unterstützung von Personen, die aufgrund sozialer Umstände besonderer gesundheitlicher Fürsorge bedürfen, geht, sind an erster Stelle die Länder und Kommunen im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge sowie der Gesundheitshilfe des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zuständig. 17. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung bezüglich chronischer Krankheiten und sexuell übertragbarer Infektionen bei Straßenkindern vor, und welche Schlussfolgerungen und Maßnahmen zieht sie daraus? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 18. Inwieweit hält die Bundesregierung die vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten und Notaufnahmeeinrichtungen von Straßenkindern für ausreichend, und plant die Bundesregierung konkrete Maßnahmen, um den betroffenen Jugendlichen den Zugang zu entsprechenden Einrichtungen zu verbessern (bitte detailliert ausführen und begründen)? Alle Kinder und Jugendliche in Deutschland haben Zugang zu den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und ihren Einrichtungen. Zuständig für die Unterbringung von Straßenkindern und -jugendlichen sind die Kreise und kreisfreien Städte und – aufgrund landesrechtlicher Regelung – auch kreisangehörige Gemeinden als örtliche Träger der kommunalen Selbstverwaltung. Hilfe und Betreuung erhalten die betroffenen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Regel im Rahmen des SGB VIII durch Hilfen zur Erziehung (§§ 27 bis 35), durch Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a), durch Hilfe für junge Volljährige (§ 41) sowie durch die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen (§ 42). Im Rahmen der Jugendsozialarbeit (§ 13) haben sich vor allem aufsuchende Angebote sowie Anlaufstellen für die Grundversorgung (Essen, Waschen, Duschen, Schlafen), die auch medizinische und die psychosoziale Beratung umfassen, bewährt. Die Grundversorgung von Straßenkindern und -jugendlichen beispielsweise mit Nahrung, Kleidung, Gesundheitsvorsorge ist somit durch das SGB VIII gewährleistet. Konkrete Angebote reichen von Notschlafstellen, über Beratung und Unterstützung , bis hin zu der individuellen Vermittlung von Hilfestellungen zum Ausstieg . Begleitend erhalten auch die Familien Unterstützungsangebote. 19. Wie viele Jugendliche waren nach Kenntnis der Bundesregierung von einer Komplettkürzung ihres Arbeitslosengelds II nach § 31 Absatz 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) betroffen (bitte seit dem Jahr 2005 sowie nach Geschlecht, den Altersstufen 15 bis 17 Jahren sowie 18 bis 25 Jahre aufschlüsseln)? Es wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend „Überprüfung der Sondersanktionen im Rahmen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für Leistungsberechtigte unter 25 Jahren“ (Bundestagsdrucksache 18/1404) verwiesen. Im Juni 2014 waren in den gemeinsamen Einrichtungen insgesamt 4 417 Jugendliche im Alter von 15 bis einschließlich 25 Jahren von einer Vollsanktionierung betroffen. Statistische Angaben zu vollsanktionierten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten stehen ab dem Jahr 2008 zur Verfügung. Die Zeitreihe in der Differenzierung nach Alter und Geschlecht können der Tabelle 2 entnommen werden. Drucksache 18/3114 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 20. Wie viele Jugendliche sind nach Kenntnis der Bundesregierung als Folge einer Komplettkürzung ihres Arbeitslosengelds II nach § 31 Absatz 5 SGB II obdachlos geworden (bitte seit dem Jahr 2005 sowie nach Geschlecht , den Altersstufen 15 bis 17 Jahren sowie 18 bis 25 Jahre aufschlüsseln )? Statistiken dazu, wie viele Jugendliche aufgrund einer Vollsanktionierung obdachlos geworden sind, liegen der Bundesregierung nicht vor. 21. Welche Forschungseinrichtungen und Studien befassen sich nach Kenntnis der Bundesregierung mit der Situation ausgegrenzter und obdachloser Jugendlicher in Deutschland seit dem Jahr 1980 (bitte detailliert und chronologisch ausführen)? Folgende abgeschlossene Forschungsprojekte und wissenschaftliche Publikationen zu ausgegrenzten und obdachlosen Jugendlichen sind der Bundesregierung bekannt: ● Köhler, A.-S./König, J. (2014): „Die im Dunkeln sieht man nicht“ – Margi- nalisierte und schwer erreichbare junge Menschen mit komplexen Problemlagen als Zielgruppe der Jugendsozialarbeit, Nürnberg: Ev. Hochschule Nürnberg (Studie der Evangelischen Hochschule Nürnberg im Auftrag der LAG JSA, finanziert aus Mitteln des Freistaates Bayern), ● Tillmann, F./Gehne, C. (2012): Situation ausgegrenzter Jugendlicher – Expertise unter Einbeziehung der Perspektive der Praxis; BAG Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS), Düsseldorf. (Erstellt vom DJI im Auftrag der BAG KJS, finanziert aus Mitteln des BMFSFJ), ● Mögling, T./Tillmann, F./Skrobanek, J. (2010): Verlorene Jugendliche am Übergang Schule–Beruf. Expertise für die BAG KJS, München/Halle: DJI. (Erstellt vom DJI im Auftrag der BAG KJS, finanziert aus Mitteln des BMFSFJ), Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) Deutschland Zeitreihe Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen absolut absolut absolut absolut absolut absolut absolut absolut absolut absolut 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 7.853 4.417 3.233 1.184 269 189 80 4.148 3.044 1.104 8.887 5.268 3.851 1.417 319 209 110 4.949 3.642 1.307 9.824 6.067 4.411 1.656 360 232 128 5.707 4.179 1.529 10.400 6.836 4.931 1.905 456 301 155 6.380 4.630 1.750 11.412 7.911 5.742 2.169 538 360 178 7.373 5.382 1.991 10.938 7.555 5.474 2.082 568 368 200 6.987 5.106 1.882 12.089 8.077 5.822 2.255 660 438 222 7.417 5.384 2.033 © Statistik der Bundesagentur für A 1) Bei vollsanktionierten Personen übersteigt die Höhe des Sanktionsbetrages die Höhe des laufenden Leistungsanspruchs im Berichtsmonat, d.h. es liegt eine komplette Leistungskürzung vo Tabelle 2: Bestand vollsanktionierte erwerbsfähige Leistungsberechtigte (eLb) nach Strukturmerkmalen Berichtszeitraum Bestand vollsanktionierte eLb 1) Ingesamt darunter 15 bis einschl. 25 Jahre davon 15 bis einschl. 17 Jahre davon 18 bis einschl. 25 Jahre Jahresdurchschnitt 2009 Jahresdurchschnitt 2008 davon Juni 2014 Jahresdurchschnitt 2013 Jahresdurchschnitt 2012 Jahresdurchschnitt 2011 Jahresdurchschnitt 2010 © Statistik der Bundesagentur für Arbeit 1) Bei vollsanktionierten Personen übersteigt die Höhe des Sanktionsbetrages die Höhe des laufenden Leistungsanspruchs im Berichtsmonat, d. h. es liegt eine komplette Leistungskürzung vor. ● Auf Achse gGmbH (2006): Lebenswelten obdachloser Jugendlicher und junger Erwachsener in Köln – eine schriftliche Befragung im Beratungsbus Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/3114 B.O.J.E. (Wissenschaftliche Begleitung des gleichnamigen aufsuchenden Angebotes in Köln), ● Lembeck, H. J./Schneider, K. (2003): Zur Qualität der psychosozialen Versorgung von „Straßenkindern“, Münster: ISA. (Studie „Qualität psychosozialer Versorgung von Straßenkindern“ erstellt vom ISA Münster, finanziert aus Mitteln des BMFSFJ), ● Buchholz, S. (1998): „Suchen tut mich keiner“ – obdachlose Jugendliche in der individualisierten Gesellschaft, Münster: Lit-Verlag (Qualitative Forschungsarbeit unter Einbeziehung zurückliegender Studien), ● Permien, H./Zink, G. (1998): Straßenkarrieren aus der Sicht von Jugendlichen , München: Verlag DJI. (Erstellt vom DJI im Auftrag des BMFSFJ), ● DJI München/Projektgruppe Straßenkarrieren von Kindern und Jugendlichen (Hrsg.) (1995): Straßenkinder. Annäherungen an ein soziales Phänomen, München: DJI (Projekt zu Straßenkarrieren von Kindern und Jugendlichen im Auftrag des BMFSFJ), ● Pfennig, G. (1995): Lebenswelt Bahnhof: sozialpädagogische Hilfen für obdachlose Kinder und Jugendliche. Neuwied: Luchterhand. (Bestandsaufnahme sozialpädagogischer Interventionsansätze für Straßenkinder und -jugendliche ), ● Bodenmüller, M. (1995): Auf der Straße leben: Mädchen und junge Frauen ohne Wohnung, Münster: Lit. (Qualitatives Forschungsprojekt zur Betrachtung von Lebensumständen weiblicher obdachloser Jugendlicher), ● Kluge, K.-J. (1980): Wir wollen hier raus!: obdachlose Jugendliche, Eingliederungshilfen für Familie, Schule, Beruf und Freizeit; Ergebnisse eines bundesweiten Modellversuches, München: Minerva Publ. (Projektbericht der wissenschaftlichen Begleitung im Auftrag des Bundesjugendministeriums für Familie und Jugend). Folgende laufende Forschungsprojekte sind der Bundesregierung bekannt: ● „Disconnected Youth – Hilfestrukturen am Übergang ins junge Erwachse- nenalter“, Untersuchung von Gefährdungs- und Integrationspotenzialen im Rahmen des Projektverbundes OffRoadKids, durchgeführt vom DJI im Auftrag der Vodafone-Stiftung, ● „Disconnected Youth: Entkopplung beim Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf“, qualitative Regionalstudie für Ludwigshafen und Worms, durchgeführt vom ISG Köln und der Universität Siegen im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit. Außerdem hat das DJI, finanziert aus Mitteln des BMFSFJ, von Ende 2014 bis 2016 die wissenschaftliche Begleitforschung der Projekte des Innovationsfonds, Handlungsfeld Jugendsozialarbeit übernommen. Sie soll rechtliche und soziale Integrationsbarrieren identifizieren sowie zur Quantifizierung der in Deutschland lebenden Straßenkinder und -jugendlichen beitragen. 22. Wie viele Jugendliche werden nach Kenntnis der Bundesregierung in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe betreut? Wie viele Jugendliche sind in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe postalisch oder melderechtlich erfasst (bitte nach Bundesländern und den Altersstufen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sowie 18. bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres seit dem Jahr 1990 aufschlüsseln)? Drucksache 18/3114 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Es liegen keine bundesweiten Angaben über die Anzahl von jungen Menschen in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe vor. Zudem gibt es keine bundesweite amtliche Statistik zu den Einrichtungen der Obdachlosenhilfe. 23. Wie haben sich die Ausgaben der Jugendhilfe seit dem Jahr 1990 in Bezug auf Hilfen für diese Jugendlichen nach § 13 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und der Einzelfallhilfe entwickelt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? Über die KJH-Statistik werden jährlich Ausgaben der öffentlichen Gebietskörperschaften der Kinder- und Jugendhilfe für Einrichtungen und Leistungen der Jugendsozialarbeit erfasst. Hierbei kann auch zwischen Ausgaben für Einrichtungen und denen für Einzel- und Gruppenhilfe unterschieden werden. Die finanziellen Aufwendungen für die Einzel- und Gruppenhilfen im Kontext von Leistungen gemäß § 13 SGB VIII sind zwischen den Jahren 1991 und 2012 gestiegen. Es ist allerdings nicht möglich zu identifizieren, wie hoch der Anteil der jährlichen Aufwendungen für obdachlose junge Menschen ist. 24. Welche Zahlen liegen der Bundesregierung zur Rückführung von minderjährigen Jugendlichen nach dem Aufenthaltsbestimmungsrecht § 1627 BGB vor (bitte nach Geschlecht, den Altersstufen bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, vom 15. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sowie 18 bis 25 Jahre, Rückführung in das Elternhaus oder Jugendhilfeeinrichtungen sowie Bundesland der Rückführung aufschlüsseln)? Tabelle 3: Ausgaben der öffentlichen Gebietskörperschaften für Einzel- und Gruppenhilfen im Rahmen der Jugendsozialarbeit gem. § 13 SGB VIII (Deutschland; 1991 bis 2012; Angaben in 1.000 EUR absolut) Jahr Höhe der Aufwen- dungen* 1991 59.037 1992 91.161 1993 93.750 1994 97.685 1995 111.945 1996 173.719 1997 149.497 1998 141.748 1999 133.965 2000 140.853 2001 148.950 2002 155.107 2003 175.039 2004 169.627 2005 167.036 2006 162.536 2007 250.795 2008 273.779 2009 309.763 2010 319.384 2011 363.576 2012 358.565 * Ausgaben für Einzel- und Gruppenhilfen für Leistungen gem. § 13 SGB VIII. Eine Konkretisierung bezogen auf Hilfen für obdachlose junge Menschen ist nicht möglich. Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Ausgaben und Einnahmen, verschiedene Jahrgänge ; Zusammenstellung und Berechnung: Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/3114 25. Welche Zahlen liegen der Bundesregierung zu typischen Straftaten in der Straßenkinderszene und der Entwicklung der Strafverfahren seit dem Jahr 1990 vor? Über die Anzahl, Verteilung und Entwicklung von Straftaten in der „Straßenkinderszene “ liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 26. Wie viele Einrichtungen der Geschlossenen Unterbringung für Jugendliche und Einrichtungen, die auch mit Methoden der Geschlossenen Unterbringung arbeiten, gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in Deutschland (bitte nach Bundesländern, Einrichtungen der Geschlossenen Unterbringung und Einrichtungen, die auch mit Methoden der Geschlossenen Unterbringung arbeiten sowie nach öffentlicher, freier und privater Trägerschaft sowie Entwicklung seit dem Jahr 1990 aufschlüsseln)? Über die KJH-Statistik wurden zum 31. Dezember 2010 – aktuellere Daten liegen derzeit nicht vor – 14 „Einrichtungen/Abteilungen/Gruppen für gesicherte/ geschlossene Unterbringung auf der Grundlage einer richterlichen Entscheidung “ ausgewiesen, die sich jeweils in freier Trägerschaft befinden. (Vgl. Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Einrichtungen und tätige Personen [ohne Tageseinrichtungen für Kinder], 31. Dezember 2010, Wiesbaden 2012). Hierbei muss es sich allerdings nicht zwingend um eigenständige Einrichtungen handeln. Diese Zahl hat sich in den 2000er-Jahren nur geringfügig verändert. Bei der turnusmäßigen Erhebung 2002 werden ebenfalls 14 sowie bei der Erfassung 2006 16 Einrichtungen/Abteilungen/Gruppen gezählt (vgl. Statistisches Bundesamt 2012a a. a. O.). Diese Angaben aus der amtlichen Statistik für die 2000er-Jahre decken sich mit einem Forschungsprojekt des DJI, deren Rechercheergebnis 13 Heime mit geschlossener Unterbringung war (vgl. Hoops, S.: Die „Geschlossene Unterbringung“ nach § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Heimen der Jugendhilfe, in: Sozial Extra, 2004, Heft 10, S. 20–25). Für das Jahr 1998, in dem diese Angaben erstmals über die KJH-Statistik erhoben worden waren, weist die KJH-Statistik zehn dieser Einrichtungen aus. Die über die KJH-Statistik ausgewiesenen 14 Organisationseinheiten mit bundesweit 182 Plätzen für die geschlossene Unterbringung zum 31. Dezember 2010 verteilen sich wie folgt auf die Länder: Die Daten weisen für Bayern 5 Organisationseinheiten (OE) und 68 Plätze (Pl) auf. Es folgen Baden-Württemberg (4 OE; 52 Pl), Nordrhein-Westfalen (3 OE; 52 Pl), Berlin (1 OE; 8 Pl) sowie Sachsen-Anhalt (1 OE; 2 Pl). 27. Wie üben die zuständigen Landesbehörden nach Kenntnis der Bundesregierung ihre Kontrollfunktion gegenüber diesen besonderen Einrichtungen aus (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes führen die Länder die Kinderund Jugendhilfe des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII) als eigene Angelegenheit aus. In den Ländern wird die Ausführung von den Jugendbehörden übernommen . Die Kreise und kreisfreien Städte und – aufgrund landesrechtlicher Regelung – auch kreisangehörige Gemeinden führen die Aufgaben der örtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen kommunaler Selbstverwaltung aus. Sie unterliegen insoweit der Rechtsaufsicht der durch Landesrecht bestimmten Aufsichtsbehörden. Drucksache 18/3114 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Wichtigste Aufsichtsmittel sind insbesondere die Beanstandung bei rechtswidrigem Handeln sowie die Anordnung bei rechtswidrigem Unterlassen. 28. Wie viele Jugendliche sind nach Kenntnis der Bundesregierung in einer Geschlossenen Unterbringung nach § 1631b BGB untergebracht (bitte nach Bundesländern und Alter seit dem Jahr 1990 sowie nach Unterbringung ohne Genehmigung nach § 1631b Satz 3 BGB sowie mit Genehmigung nach § 1631b Satz 1 und 2 BGB aufschlüsseln)? Nachfolgender Tabelle 4 kann entnommen werden, wie viele Verfahren auf Erteilung der familiengerichtlichen Genehmigung der Unterbringung nach § 1631b BGB im Zeitraum 2007 bis 2012 vor den Amtsgerichten, aufgeschlüsselt nach Bundesländern, abgeschlossen wurden. Darüber hinaus liegt kein Zahlenmaterial vor. 29. Sind der Bundesregierung die Forderungen des ersten Bundeskongresses der Straßenkinder bekannt, und wenn ja, inwieweit unterstützt die Bundesregierung die Forderungen? Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, und welche Rolle kommt dabei den betroffenen Jugendlichen zu (bitte detailliert ausführen )? Die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wird im November 2014 die Forderungen der Straßenkinder und -jugendlichen entgegennehmen, die im Rahmen des ersten Bundeskongresses der Straßenkinder erstellt wurden. Über den weiteren Umgang mit den Forderungen wird nach Sichtung entschieden. Bundesland / Jahr BadenWürttem - berg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg - Vorpommern 2007 584 1 480 189 165 52 172 679 99 2008 757 1553 175 131 64 169 731 99 2009 566 1167 126 96 31 137 585 58 2010 1081 2031 249 195 59 236 892 86 2011 1246 2258 207 259 56 249 962 98 2012 1323 2619 257 210 51 306 1042 119 Bundesland / Jahr Niedersachsen Nordrhein - Westfalen Rheinland - Pfalz Saar-land Sachsen SachsenAnhalt SchleswigHolstein Thüringen 2007 1242 2381 346 112 k.A. 324 195 220 2008 1309 2559 406 96 443 333 226 201 2009 908 1743 301 58 308 197 157 126 2010 1354 2726 510 101 567 361 289 250 2011 1452 2846 537 126 548 391 290 266 2012 1829 2951 599 131 586 384 335 282 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333