Deutscher Bundestag Drucksache 18/3237 18. Wahlperiode 18.11.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/2960 – Die Politik der Deutschen Regierung, der EU, USA und NATO in der Ukraine-Krise Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r „Über eine Assoziierung hätte man reden können, aber zeitgleich mit Russland ! Das ,Entweder oder‘ – also entweder Assoziierung mit der EU oder Zollunion mit Russland – war der Anfangsfehler“ (Altkanzler Gerhard Schröder in WELT am SONNTAG, 11. Mai 2014). „Die Aufbruchsstimmung in der Ukraine wurde nicht mehr klug begleitet“, kritisiert der Altkanzler Dr. Helmut Kohl laut „BILD Zeitung“. „Ebenso hat es an Sensibilität im Umgang mit unseren russischen Nachbarn gemangelt, insbesondere mit Präsident Putin“ (Dr. Helmut Kohl in BILD Zeitung, 12. März 2014). Im Jahr 2013 hat die Europäische Union (EU) ihre Assoziierungsverhandlungen mit den postsowjetischen Ländern Moldawien, Georgien und der Ukraine vorangetrieben. Damit hat sie den bereits schon lange schwelenden Konflikt um die Ukraine verschärft und die schwerste Krise in Europa seit dem Ende der Ost-West-Blockkonfrontation ausgelöst. „Der grundlegende Fehler lag in der EU-Assoziierungspolitik“, sagte Altkanzler Gerhard Schröder der „WELT am SONNTAG“ (WELT am SONNTAG, 11. Mai 2014). Die Ukraine ist für die EU und die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) von höchstem wirtschaftlichem Interesse, weil sie über große Vorkommen an Rohstoffen und einen großen Markt von über 45 Millionen Einwohnern verfügt. Mit der Integration der Krim in die Russische Föderation hat Russland seinen bisherigen prinzipiellen Kurs der Völkerrechtstreue, der berechtigten Kritik am Völkerrechtsbruch der EU und NATO in Jugoslawien bei der völkerrechtswidrigen EU-Anerkennung des Kosovo (IMI-Standpunkt 2007/023, vgl. auch: Der Kosovo als Blaupause für die Krim, Altbundeskanzler Gerhard Schröder, 9. März 2014), nicht konsequent fortgesetzt. Die Ukraine ist aufgrund der historisch gewachsenen Arbeitsteilung, aber auch für Russland ökonomisch von zentraler Bedeutung. Nach wie vor ist die Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 13. November 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Ukraine Lieferant wichtiger Komponenten für die russische Industrie. Konkret fürchtet Russland, dass die Übernahme europäischer Standards und Regulationen faktisch den Weg für russische Produkte auf den ukrainischen Markt versperren . Die EU habe in den Verhandlungen mit Kiew nicht ausreichend die Drucksache 18/3237 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode historisch starke Verflechtung der ukrainischen mit der russischen Wirtschaft berücksichtigt. Zudem bestünde für Russland die Gefahr, dass über die Ukraine illegal europäische Waren in das Gebiet der Zollunion kommen (www.mdzmoskau .eu/assoziiert-und-nun/#sthash.ZbxHlhp1.dpuf). Für Russland ist es auch eine Auseinandersetzung um die Aufrechterhaltung der eigenen industriellen technologischen Basis. Das hat Präsident Wladimir Putin auch mehrfach in seinen Reden deutlich gemacht. Russland will keine industrielle Peripherie sein. Auch geostrategisch und militärisch ist die Ukraine sowohl für den Westen als auch für Russland von Bedeutung. Russland fühlt sich von einer expandierenden NATO bedroht. Die Ukraine spielt aus russischer Sicht allein schon aufgrund ihrer Größe und aufgrund ihrer strategischen Lage eine endscheidende Rolle. „Sollte Russland Weißrussland oder die Ukraine verlieren, verliert es seine strategische Tiefe, die wesentlich mit seiner Fähigkeit zusammenhängt, das russische Kernland verteidigen zu können“ (George Friedland Strategic Forecast). Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine wäre eine ernste Bedrohung für Russland. Mehrfach hat die NATO angedeutet, dass sie die Ukraine aufnehmen will. Der Westen, die USA und die EU, kritisierte der russische Außenminister Sergei Lawrow jüngst in der Generalversammlung der Vereinten Nationen (27. September 2014) „habe, nachdem sie ihren Sieg im Kalten Krieg erklärt hatten, eine Erweiterung des von ihnen kontrollierten geopolitischen Raums anvisiert“. Die Vorschläge Russlands hinsichtlich der Schaffung einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur wurden vom Westen ausgeschlagen. Alle Versprechen an Russland wurden nicht eingehalten. Auch viele Altpolitiker der Bundesrepublik Deutschland sehen es ähnlich. Ex-Außenminister HansDietrich Genscher äußerte sich gegenüber dem Sender „Phoenix“, dass er Wladimir Putins Empörung über die Stationierung von Truppen und Waffensystemen an der russischen Westgrenze für berechtigt halte. Von der Mehrheit des EU-Parlaments gehen keine Entspannungssignale nach Moskau aus. Das EU-Parlament hat am 18. September 2014 eine Resolution gegen Russland im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise verabschiedet. Die Resolution fordert die Aufkündigung der strategischen Partnerschaft mit Russland . Ebenso soll die Kooperation im Nuklearbereich beendet sowie die Aufkündigung der strategischen Partnerschaft Russland im Energiebereich erklärt werden (Lage in der Ukraine und Sachstand in den Beziehungen zwischen der EU und Russland, Entschließung des EU-Parlaments vom 18. September 2014). Die NATO verschärft ihren Kurs gegenüber Russland und beschließt in Wales die Stationierung einer schnellen Eingreiftruppe im Baltikum und in Polen. Die jüngsten NATO-Beschlüsse widersprechen der Grundakte des NATO-Russland -Rates. Die Grundakte beschränkt u. a. die Stationierung von Soldaten in Osteuropa. Zugleich finden in der Ukraine und im Schwarzen Meer mehrere NATO-Manöver statt. Darunter ein Manöver unter dem Namen „Schneller Dreizack“, der zu Irritationen führt, da der Dreizack das Symbol der ukrainischen Bandera-Faschisten ist. Die deutsche Politik wirkt nach Auffassung der Fragesteller derzeit alles andere als deeskalierend im Konflikt. Wider besseren Wissens macht der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung Russland für die Zuspitzung der Krise verantwortlich und die Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, verhärtet ihre Position zur Aufrechterhaltung von Sanktionen gegen Russland. Statt entsprechend der Vereinbarung zwischen Russland, der EU, den MaidanParteien und Präsident Wiktor Janukowitsch vom 22. Februar 2014 zur Bildung einer Regierung der Einheit, die auch die Interessen des russischen Ostens mit einbezieht, stürmten die Maidan-Parteien am 22. Februar 2014 das ukrainische Parlament und putschten den legitimen Präsidenten weg. Die Maidan-Parteien bildeten eine Regierung unter Einschluss von Faschisten. Dies geschah mit Billigung der EU einschließlich der Bundesregierung. Keine der EU-Regierungen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3237 protestierte gegen die putschartige Machtübernahme und die Absetzung eines legitim gewählten Präsidenten unter Bruch der geltenden ukrainischen Verfassung . Keine der EU-Regierungen protestierte gegen die Beteiligung faschistischer Kräfte an der Übergangsregierung (Freitag, 18. September 2014). Dies stellt nach Ansicht vieler Kritiker einen Tabubruch dar. Dazu veröffentlichte die „Jüdische Allgemeine“ vom 19. September 2014 einen Kommentar: „Wir als Bürger der Bundesrepublik Deutschland haben die Pflicht, uns dagegen zu wehren, dass wir uns einer ukrainischen Regierung verpflichtet fühlen sollen, die bereit ist, ihre politischen Ziele mit allen Mitteln zu erreichen – wenn es sein muss, auch mit nazistischen Gruppierungen“. Die ukrainische Übergangsregierung vertiefte die Spaltung der Ukraine. Sie provozierte den russisch-sprachigen Süden und Osten des Landes mit dem Dekret , russisch als Amtssprache zu verbieten. Dies spitzte die Lage zu und führte zum Aufstand in der Ostukraine. Dafür trägt die EU ebenfalls eine hohe Verantwortung : „Die EU hat ignoriert, dass die Ukraine ein kulturell tief gespaltenes Land ist.“ Schon immer hätten sich die Menschen im Süden und Osten der Ukraine eher an Russland orientiert, sagte Altkanzler Gerhard Schröder. Zur gleichen Zeit begann die Verfolgung linker Parteien und der Partei der Regionen , die im Wesentlichen die Interessen der Bevölkerung des Ostens der Ukraine vertritt. Rechte Schlägerbanden verfolgten und bedrohten linke Politiker , darunter den Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU). Gegen die KPU läuft ein Verbotsverfahren, mit einer rechtstaatlich wenig belastbaren Anklageschrift. Im Oktober 2014 sollen in der Ukraine Wahlen stattfinden. Wie repräsentativ und demokratisch können diese Wahlen sein, wenn wichtige politische Akteure wie die KPU – sie erhielt bei den letzten freien Wahlen am 28. Oktober 2012 schließlich 13,8 Prozent der Stimmen – und die Partei der Regionen vom Verbot bedroht sind. Sollten diese Parteien nicht zugelassen werden, so wird es keine Vertretung der großen russischen Bevölkerungsanteile geben. Der Wahl wird die demokratische Legitimität fehlen und den Konflikt in der Ukraine vertiefen . Das einflussreiche rechte Lager in der Ukraine sowie das Kriegslager, zu dem der amtierende Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk und die Dnipropetrowsker Oligarchen gehören, wollen die Kriegsoption in der Ukraine lange offenhalten. Am 30. September 2014 erklärte Andrej Lysenko, offizieller Sprecher des Sicherheits - und Verteidigungsrates der Ukraine: „Wir werden den Modus der Waffenruhe befolgen. Sobald aber der Beschluss kommt, unsere Territorien zu befreien, werden wir das tun.“ Die ist zwar bankrott, aber die ukrainische Führung will milliardenschwere Waffenkäufe vornehmen. Die Frage stellt sich nun, mit welchen finanziellen Mitteln. Einige ukrainische Beamte und Politiker fordern gar die nukleare Wiederbewaffnung der Ukraine. Auf den nuklear freien Status der Ukraine soll, nach dem Willen gewichtiger Teile der ukrainischen Regierung, verzichtet werden. Der ukrainische Verteidigungsminister Valeri Geletej sagte hingegen kürzlich, dass die Ukraine auf ihren nuklearfreien Status verzichten müsste (www.german.ruvr.ru/2014_09_19/Die-Ukraineangstigt -den-Westen-mit-einer-Atombombe-8549/). Mit ihrer Sanktionspolitik hat die EU gegenüber Russland nicht zur Entspannung der Lage beigetragen. Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel erklärte am 29. September 2014, dass sie diese Sanktionen beibehalten wolle. Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher plädiert indes für eine Aufhebung der Sanktionen und für ein Ende der verbalen Aufrüstung gegen Russland . Die den Streitkräften der Ukraine unterstellten bewaffneten Formationen, sowie den prorussischen Milizen werden schwere Menschenrechtsverstöße vorgeworfen . In dessen sind in der Ostukraine Massengräber getöteter Zivilisten entdeckt worden. Viele Indizien deuten darauf hin, dass diese Verbrechen von den rechtsextremen ukrainischen Freiwilligen Bataillonen begangen wurden. Leider hat der Westen bisher daraufhin nicht reagiert. Bisher ist die Forderung nach Errichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission nicht von der EU und den USA erhoben worden. In einem Bericht der Beobachtermission Drucksache 18/3237 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode des Amtes des UNO-Menschenrechtskommissars wird darauf hingewiesen, dass „die den Streitkräften der Ukraine unterstellten bewaffneten Formationen weiterhin gegen die Prinzipien des internationalen humanitären Rechts verstoßen (Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights on the situation of human rights in Ukraine, 19. September 2014). Besonders besorgniserregend für die UNO-Menschenrechtsmission sind die Berichte über andauernde Menschenverschleppungen, Erpressungen und willkürliche Festnahmen , die von den Kiew unterstellten Bataillonen Aidar, Dnepr-1, Kiew-1 und Kiew-2 vorgenommen werden. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der ukrainischen Regierung vor, Menschenrechtsbrüche zu tolerieren. Konkret heißt es, die Regierung in Kiew würde ukrainischen Freiwilligenverbänden, die an der Seite des regulären Militärs kämpfen, freie Hand lassen. 1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der Ukraine im Sinne der Aussage von Altkanzler Gerhard Schröder „Das Entweder oder“ – also entweder Assoziierung mit der EU oder Zollunion mit Russland durch Vertreter der EU in den Assoziierungs-Verhandlungen mit Präsident Wiktor Janukowitsch als Entscheidung abverlangt wurde? Es liegt weder an der Europäischen Union noch an Russland, sondern in erster Linie an den Staaten der Östlichen Partnerschaft selbst, über die Ausrichtung ihrer Außenpolitik zu entscheiden. Die Ukraine hat wie andere Staaten der gemeinsamen Nachbarschaft für sich entschieden, eine engere Partnerschaft mit der EU zu suchen. Eine solche Partnerschaft bietet der Ukraine eine Vielzahl von Chancen, von denen im Übrigen auch Russland profitieren kann. Engere Beziehungen der Ukraine zur EU schließen enge Beziehungen zu Russland nicht aus. Ganz im Gegenteil ist es seitens der EU sogar wünschenswert, dass die Staaten der östlichen Nachbarschaft nicht nur mit der EU, sondern auch untereinander und mit ihren Nachbarn, insbesondere mit Russland, gute Beziehungen pflegen. Die Verhandlung eines tiefen und umfassenden Freihandelsabkommens (DCFTA) zwischen der Ukraine und der EU war kein zwingender, aber ein gewünschter Bestandteil des Assoziierungsabkommens. Die Errichtung einer tiefen und umfassenden Freihandelszone zwischen der EU und der Ukraine schafft keine Hürden für den Handel zwischen der Ukraine und Russland. Das GUSFreihandelsabkommen und andere Verpflichtungen der Ukraine gegenüber Russland werden nicht berührt. Die Ukraine hat auch weiter die Möglichkeit, andere Freihandelsbeziehungen mit Nachbarländern, so zum Beispiel auch ein Freihandelsabkommen mit der Eurasischen Zollunion, einzugehen. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine etabliert keinen gemeinsamen Außenzoll, anders als dies bei einem Beitritt der Ukraine zur Zollunion der Fall wäre. Deshalb würde die Mitgliedschaft der Ukraine in der Eurasischen Zollunion die Beendigung eigener Freihandelsabkommen der Ukraine mit Drittstaaten nach sich ziehen. Eine selbstständige ukrainische Außenhandelspolitik wäre dann nicht mehr möglich. 2. Sollte dies nicht zutreffen, gibt es Dokumente, die das Gegenteil belegen? Die Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine wurden vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und der Europäischen Kommission für die EU und die Mitgliedstaaten geführt. Im Bereich der Handelspolitik hat die Europäische Union gemäß des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die ausschließliche Zuständigkeit. Der EAD und die Kommission handeln aufgrund eines Mandats, das alle Mitgliedstaaten der EU im Rat gemeinsam beschlossen haben. Die Mitgliedstaaten sind über die Ratsarbeitsgruppe COEST und den Handelspolitischen Ausschuss in das Ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3237 fahren eingebunden, werden dort regelmäßig über den Stand der Verhandlungen unterrichtet und erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Bundesregierung unterrichtet wiederum den Deutschen Bundestag gemäß dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) schriftlich und im Rahmen von Expertenbefragungen durch einzelne Bundestagsausschüsse auch mündlich. 3. Sollte dies zutreffen, wer ist innerhalb der EU oder ihren Kommissionen dafür verantwortlich? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 4. Haben die Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer in irgendeinem ihrer Treffen eine solche Verhandlungsstrategie festgelegt, um der Ukraine eine Entscheidung zwischen Zollunion und EU abzuverlangen? Auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. 5. Wenn ja, welche Analyse oder Strategie lag der Entscheidung zugrunde? Auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. 6. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass von den USA erheblicher Druck auf Europa ausgeübt wurde, um Sanktionen gegen Russland zu verhängen (Schweiz Magazin vom 3. Oktober 2014)? Die Verhängung von Sanktionen ist eine souveräne Entscheidung der EU, die vom Rat einstimmig getroffen werden muss. Die EU sucht bei solchen Fragen stets den engen Austausch mit befreundeten Staaten, um auf eine Übernahme gleicher oder ähnlicher Maßnahmen hinzuwirken, damit die Sanktionseffekte optimiert und eine Umgehung der Sanktionen erschwert werden. 7. Haben nach Ansicht der Bundesregierung die Verantwortlichen der EU zu irgendeinem Zeitpunkt die russischen Interessen in der Ukraine mitberücksichtigt ? Zunächst ist anzumerken, dass die Ukraine ein souveräner Staat ist, mit dem die EU wie mit anderen souveränen Staaten auch Beziehungen pflegt und Verhandlungen führt. Die Ukraine ist seit dem Jahr 2009 Mitglied der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union. Mit Russland besteht seit vielen Jahren ein enger Austausch, u. a. im Rahmen der regelmäßigen EU-Russland-Gipfel, zu allen Themen gemeinsamen Interesses . Dabei war auch wiederholt die Östliche Partnerschaft der EU Thema. Diese hat laut öffentlichem Gründungsdokument (Gipfelerklärung vom 7. Mai 2009) die politische Assoziierung und wirtschaftliche Integration, inklusive der Schaffung tiefer und umfassender Freihandelszonen, der Partnerländer mit der EU zum Ziel. Konkrete Befürchtungen über negative Auswirkungen des tiefen und umfassenden Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine hat die russische Seite jedoch erst im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Vilnius geplanten Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens geäußert. Erst im Januar 2014 wurden die wirtschaft- lichen Bedenken genauer dargelegt. Die EU hat deshalb seit Januar 2014 begon- Drucksache 18/3237 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode nen, konkrete Gespräche mit Russland über die im Assoziierungsabkommen vorgesehene Freihandelszone mit der Ukraine zu führen. 8. Sollten russische Interessen berücksichtigt worden sein, welche Angebote wurden Moskau unterbreitet? Die Bundesregierung hat sich stets für einen intensiven Dialog und Austausch mit der russischen Regierung eingesetzt. So kamen auch maßgeblich auf Initiative der Bundeskanzlerin die derzeit laufenden trilateralen Gespräche zwischen der Ukraine, Russland und der EU zustande, in denen russische Bedenken mit Blick auf das EU-Ukraine-Freihandelsabkommen diskutiert und, sofern diese begründet sind, nach Lösungen gesucht wird. Zudem verhandelt die EU seit dem Jahr 2008 mit Russland ein neues Abkommen , das das bestehende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA, seit dem 1. Dezember 1997) ablösen soll. Dieses sieht auch umfassende Regelungen im Bereich Handel und Investitionen vor. Im Zuge der EU-Sanktionen gegen Russland wurden die Verhandlungen über das neue Abkommen ausgesetzt . 9. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass russische Interessen in der Ukraine berücksichtigt werden müssen, um zu gut nachbarschaftlichen Beziehungen mit der Russischen Föderation zu gelangen und so Frieden und Stabilität in Europa abzusichern? Die gegenseitige Anerkennung von Souveränität und staatlicher Integrität bildet die Grundlage der heutigen europäischen Friedensordnung und muss somit auch grundlegend für die russisch-ukrainischen Beziehungen sein. Nur auf dieser Basis lassen sich Kompromisse bei Interessengegensätzen finden und gute Beziehungen zum Wohle aller pflegen. Auch die Ukraine hat das Recht, über ihre Zukunft selbständig und frei zu entscheiden. Mit der illegalen Annexion der Krim und der systematisch geförderten Destabilisierung der Ostukraine missachtet Russland diese Grundprinzipien zum Schaden der Ukraine. Im Zuge des Ukraine-Krise hat die ukrainische Regierung durch ihr Handeln mehrfach ihre Bereitschaft zu Frieden und Stabilität untermauert, u. a. durch die Ausrufung eines einseitigen Waffenstillstands im Juni 2014 oder die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen durch die Verabschiedung eines Sonderstatusgesetzes für einige Gebiete im Donbass. Seitens Russlands und der nach eigenen Aussagen wesentlich auf Basis russischer Unterstützung agierenden Separatisten fehlt es bislang an derartigem Handeln beispielsweise bei der vollen Anerkennung und Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. 10. Worin bestehen die „Strukturreformen“ aus dem Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU? Das Assoziierungsabkommen sieht umfassende Reformen in den verschiedensten Bereichen vor, um die Ukraine an internationale und EU-Standards heranzuführen . In einer mit der Ukraine vereinbarten Assoziierungsagenda werden einzelne Reformschritte detailliert. Diese umfassen unter anderem politische Reformen zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Verbesserung des Schutzes der Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung aber auch Maßnahmen zur Angleichung von Standards und Verwaltungspraxis in den Bereichen Handel, Zoll, Steuern, Wettbewerbsrecht, Energiefragen und Umwelt- und Kli- maschutz. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/3237 11. Plant die ukrainische Regierung nach Kenntnis der Bundesregierung, die Korruption im Lande zu bekämpfen, und welche Maßnahmen sind bereits oder sollen nach Kenntnis der Bundesregierung zur Bekämpfung der Korruption in der Ukraine eingeleitet werden? In den letzten Wochen wurden in der Ukraine u. a. mehrere Anti-Korruptionsgesetze verabschiedet und in Kraft gesetzt. Als Mitglied der „Staatengruppe gegen Korruption“ (GRECO) des Europarats hat sich die Ukraine den entsprechenden Monitoring-Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung unterworfen. Die Bundesregierung wird die Ukraine bei der Umsetzung dieser Gesetze und bei der generellen Bekämpfung der Korruption unterstützen und kritisch begleiten. 12. Gibt es nach Kenntnislage der Bundesregierung Empfehlungen der Europäischen Union an Kiew, dass die Vermögen der ukrainischen Oligarchen besteuert werden sollen? Die Assoziierungsagenda sieht die Entwicklung eines ukrainischen Steuersystems gemäß internationaler und europäischer Standards sowie die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen ukrainischen und europäischen Steuerbehörden vor. 13. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Forderungen der EU an die ukrainische Regierung, dass die ins Ausland transferierten milliardenschweren Vermögen der ukrainischen Oligarchen repatriiert werden sollen , um den Staatsbankrott abzuwenden? Derartige Forderungen sind der Bundesregierung nicht bekannt. 14. Welche Auswirkungen haben nach Kenntnis der Bundesregierung die aus dem Assoziierungsvertrag der EU mit der Ukraine abverlangten Strukturmaßnahmen auf die Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik der Ukraine? Das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ist ein umfassendes Dokument , das eine Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine in vielen Bereichen begründen und intensivieren soll. Dies schließt eine Zusammenarbeit in den Bereichen Sozialpolitik, öffentliche Gesundheit und Bildung mit ein. Das Abkommen fördert die Implementierung sozialer Mindeststandards, indem es die Einhaltung von internationalen arbeitsrechtlichen Mindestnormen und von menschenwürdiger Arbeit verlangt, um auf diese Weise eine nachhaltige Entwicklung des Handels zu fördern. Eine größere Kohärenz zwischen Handelsund Sozialpolitik kann für mehr Wohlstand und Wohlfahrt in der Ukraine sorgen . Auch von anderen Regelungen des Abkommens, die Reformen beispielsweise im Bereich der öffentlichen Ausschreibungen in der Ukraine erforderlich machen, erhofft sich die Bundesregierung über mehr Transparenzgebote, Verbraucherschutzregelungen oder Standards bei der Produktsicherheit Verbesserungen für das Leben aller Ukrainer. Auf die Antwort zu Frage 10 wird verwiesen. Drucksache 18/3237 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 15. Welche Auswirkungen hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Inkraftsetzung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine im Jahr 2015 auf die ukrainische Industrieproduktion? Mit den durch das Freihandelsabkommen in Kraft tretenden Marktöffnungen kann die Ukraine sich künftig neue Absatzmärkte erschließen. Auch wird bei konsequenter Umsetzung der nötigen Reformen die ukrainische Industrie für Investoren von hohem Interesse sein. Der Modernisierungsdruck in einzelnen Sektoren wird sicherlich steigen, jedoch bieten die von der EU derzeit der Ukraine einseitig gewährten Handelspräferenzen und langen Übergangsfristen sowie Anpassungshilfen der ukrainischen Wirtschaft zusätzlich Zeit, sich auf verschärfte Wettbewerbsbedingungen vorzubereiten und sich schon im Vorfeld Märkte in der EU zu erschließen. 16. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der wichtigste Export der Ukraine, hochwertige Industrieprodukte mit einen hohen Anteil an Wertschöpfung, mit Russland stattfindet, während sich der Export in den Westen eher auf Rohstoffe, Agrarerzeugnisse und Stahl beschränkt? Ja. 17. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass infolge eines Wegbrechens des Russland-Exportes die ukrainische Luftraum-, Flugzeugbau- und Maschinenbauindustrie in ihrer Existenz gefährdet ist und die Ostukraine, in der im Wesentlichen die industrielle Basis der Ukraine angesiedelt ist, von der Deindustrialisierung bedroht ist? Die Bundesregierung sieht diese Gefahr nicht. 18. Wenn die Bundesregierung nicht dieser Auffassung ist, worauf gründet sie ihre Auffassung? Die europäische Integration anderer osteuropäischer Länder in den 1990er- und 2000er-Jahren mit vergleichbar schwieriger Ausgangslage, wie sie in der Ukraine derzeit bestehen, hat gezeigt, dass diese Volkswirtschaften über ausreichend Potenzial und Anpassungsfähigkeit verfügen, um sich Kunden und Absatzmärkte zu sichern. Exemplarisch steht dafür die rasante Entwicklung Polens, dessen Wohlstandsniveau vor 20 Jahren noch unter jenem der Ukraine lag, heute dieses aber etwa um das Vierfache übersteigt. Im Übrigen wird darauf verwiesen, dass auch Russland und die Ukraine über das GUS-Freihandelsabkommen miteinander verwoben sind. Das DCFTA zwischen der EU und der Ukraine erlaubt die Fortführung dieser Handelsbeziehungen. 19. Auf welche Projektion gründet die Bundesregierung ihre Annahme, dass der Industriestandort Ukraine mit seinem bisherigen hohen Wertschöpfungsanteil und seiner eigenständigen technologischen Basis auch in Zukunft aufrechterhalten werden kann? Auf die Antwort zu Frage 18 wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/3237 20. Hat es nach Kenntnis der Bundesregierung Gespräche der EU mit Russland über die Folgen einer EU-Assoziierung für die russische Wirtschaft gegeben? Seit Beginn der Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine im Jahr 2007 war die Östliche Partnerschaft und mit ihr der geplante Abschluss derartiger Abkommen mit den Östlichen Partnern wiederholt Thema bei den EU-Russland-Gipfeln. Konkrete Befürchtungen über negative Auswirkungen des tiefen und umfassenden Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine hat die russische Seite jedoch erst im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Vilnius geplanten Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens geäußert. Diese sind Gegenstand der trilateralen Gespräche zwischen der Ukraine, Russland und der EU. 21. Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Die trilateralen Gespräche zwischen der Ukraine, Russland und der EU laufen noch. 22. Hat die russische Seite in diesen Gesprächen nach Kenntnis der Bundesregierung auf die negativen Folgen einer EU-Assoziierung der Ukraine für die russische Wirtschaft hingewiesen? Auf die Antwort zu Frage 20 wird verwiesen. 23. Ist der Bundesregierung bekannt, welche Wirtschaftszweige der Russischen Föderation durch den Einbruch des Ukraineexportes negativ betroffen sein werden? Bislang konnten die Behauptungen, dass zukünftige russische Exporte in die Ukraine durch die Anwendung des DCFTA zwischen der EU und der Ukraine betroffen sind, nicht substantiiert werden. Im Gegenteil: Die engen russischukrainischen Verbindungen könnten auch Russland wirtschaftliche Vorteile aus dem DCFTA verschaffen. Ein höheres Wirtschaftswachstum in der Ukraine und ein Mehrbedarf für Vorleistungen könnte eine höhere Nachfrage für russische Produkte auslösen. 24. Hat nach Kenntnis der Bundesregierung die EU in ihrer Verhandlungsstrategie zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine russische ökonomische Interessen berücksichtigt? Beim Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine handelt es sich um einen bilateralen völkerrechtlichen Vertrag. Bei den Verhandlungen hat zunächst jede Vertragspartei ihre eigenen Interessen sowie ihre bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen, etwa aus der WTO-Mitgliedschaft (WTO – Welthandelsorganisation) oder aus bereits bestehenden Verträgen mit Drittstaaten , zu beachten. Die Östliche Partnerschaft, inklusive des Ziels einer politischen Assoziierung und wirtschaftlichen Integration der östlichen Partner mit der EU, war aber auch regelmäßig Gesprächsthema bei den EU-RusslandGipfeln . Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 7 und 8 verwiesen. Drucksache 18/3237 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 25. Wenn nein, mit welcher Begründung? Auf die Antwort zu Frage 24 wird verwiesen. 26. War nach Kenntnis der Bundesregierung der aufziehende Konflikt mit Russland wegen der Ukraine und wegen den schwerwiegenden geopolitischen und ökonomischen Interessen Russlands an der Ukraine nicht absehbar ? Die Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die fortlaufende Destabilisierung der Ostukraine durch Russland waren nicht vorhersehbar. 27. Wenn ja, welche konfliktmindernde Strategie verfolgte die Bundesregierung im Rahmen der bilateralen Beziehungen zu Russland und im Rahmen der EU? Auf die Antwort zu Frage 26 wird verwiesen. Die Bundesregierung hat sich stets für einen vertrauensvollen Dialog mit Russland eingesetzt. 28. Warum erkannte die Bundesregierung die aus dem gewaltsamen Umsturz vom 22. Februar 2014 hervorgegangene Regierung an, obwohl es zur Entschärfung der ukrainischen Krise ein trilaterales Abkommen vom 21. Februar 2012 zwischen EU, Russland und der Ukraine unter Präsident Wiktor Janukowitsch gab, um vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahlen durchzuführen? Am 27. Februar 2014 bildete sich im ukrainischen Parlament eine neue Regierungskoalition , der 250 (von insgesamt 450) Abgeordneten, darunter ehemalige Angehörige der vorherigen Regierungspartei „Partei der Regionen“, angehörten . Am selben Tag bestätigte das Parlament Arsenij Jazenjuk als neuen Premierminister mit 371 Stimmen und seine Regierung mit 330 Stimmen. Die Bundesregierung sieht keinen Grund, an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorgänge zu zweifeln. 29. War der Bundesregierung nicht bekannt, dass in der neuen Regierung, die in Kiew gebildet wurde, der russisch geprägte Osten des Landes nicht mehr vertreten und somit der Konflikt vorprogrammiert war? Russischsprachige oder ukrainisch-russisch-mischsprachige Ukrainer stellen nicht nur in der Hauptstadt Kiew oder in der Ostukraine die Bevölkerungsmehrheit . Auch der derzeitigen Regierung Jazenjuk gehören russischsprachige Ukrainer an, etwa die Arbeits- und Sozialministerin Ljudmyla Denissowa. Mehrere Regierungsmitglieder sind in Russland oder im Osten der Ukraine geboren. 30. Stellt nach Auffassung der Bundesregierung die Bildung der Kiewer Regierung vom 22. Februar 2014 nicht ein Bruch der mit Russland erzielten Vereinbarungen dar? Die Bildung einer Regierung ist die nationale Angelegenheit eines souveränen Staates und kann folglich kein Verhandlungsgegenstand mit anderen Staaten sein. Es wird auf die Antwort zu Frage 28 verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/3237 31. Wenn die Bundesregierung nicht dieser Meinung ist, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 30 wird verwiesen. 32. Wurde nach Auffassung der Bundesregierung bei der Abwahl des legitim gewählten Präsidenten Wiktor Janukowitsch die damals geltende ukrainische Verfassung eingehalten? Ja, wobei der Fall der Flucht eines Präsidenten ins Ausland nicht explizit geregelt und somit analog zu anderen Verfassungsgrundsätzen zu behandeln war. 33. Wenn ja, worauf stützt die Bundesregierung ihr Urteil? Präsident Viktor Janukowitsch hatte am 21. Februar 2014 die Ukraine fluchtartig verlassen, womit er sich seinen Amtspflichten verfassungswidrig entzog und sein Amt nicht mehr ausübte. Die Werchowna Rada hat diesen Zustand als Unfähigkeit zur Amtsausübung festgestellt (in Analogie zu Artikel 108 Absatz 2 der ukrainischen Verfassung (Unfähigkeit der Amtsausübung aus Gesundheitsgründen )) und gemäß Artikel 85 Absatz 7 der ukrainischen Verfassung Neuwahlen angesetzt. Die Abwesenheit des Präsidenten wurde als eine Gefährdung für das Funktionieren des Staatwesens gesehen. Gemäß Artikel 112 der ukrainischen Verfassung übte daraufhin Parlamentspräsident Oleksandr Turtschynow bis zur vorgezogenen Neuwahl im Mai 2014 vorübergehend eine Reihe von Befugnissen des Präsidenten aus. 34. Wie viele der ukrainischen Parlamentarier nahmen nach Kenntnis der Bundesregierung an der Abstimmung teil? Bei der Abstimmung am 22. Februar 2014 waren 334 Abgeordnete anwesend, von denen 328 mit „Ja“ stimmten, sechs stimmten nicht ab. 35. Wurde nach Auffassung der Bundesregierung laut geltender Verfassung der Ukraine das nötige Quorum anwesender Parlamentarier erreicht, um die Absetzung des Präsidenten Wiktor Janukowitsch abzusichern? Wurde nach Auffassung der Bundesregierung, der durch die ukrainische Verfassung von 2004 vorgegebene Weg zur Amtsenthebung eingehalten? Auf die Antwort zu Frage 33 wird verwiesen. 36. Was unternahm die Bundesregierung nach der Einbringung des Gesetzentwurfs in das ukrainische Parlament, der den Gebrauch der russischen Sprache als offizielle Sprache verbieten wollte, um in diesem Konflikt deeskalierend auf die neue ukrainische Regierung einzuwirken? Der am 23. Februar 2014 eingebrachte Gesetzentwurf zur Rücknahme der Sprachengesetzgebung aus dem Jahr 2012 wurde vom ukrainischen Parlament nie ausgefertigt, hat aber in der Tat ein negatives politisches Signal in der damaligen Krisensituation gesetzt. Die Bundesregierung hatte diese Initiative auch gegenüber der Ukraine als kontraproduktiv kritisiert. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Ukraine als Vertragspartei der Europäischen Charta für Regionalund Minderheitensprachen in diesen Fragen weiterhin eng mit dem Europarat und dem Expertenkomitee der Charta zusammenarbeiten wird. Drucksache 18/3237 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass das Sprachengesetz des Jahres 2012 beispielsweise zur Schließung aller 38 ukrainischsprachigen Schulen in der Ostukraine geführt hatte. Generell hat dieses Gesetz dazu beigetragen, dass das in der Sowjetzeit lange verbotene Ukrainisch im allgemeinen Sprachgebrauch seit dem Jahr 2012 wieder leicht rückläufig war. Das Sprachengesetz aus dem Jahr 2012 widersprach somit Grundsätzen der Europäischen Charta für Regional - oder Minderheitensprachen. 37. Wurde der ukrainischen Regierung seitens der Bundesregierung der Vorschlag nach einer Föderalisierung des Landes unterbreitet, noch bevor die Konflikte im Osten ausbrachen und an Schärfe zunahmen? 38. Wenn ja, wie reagierte die neue ukrainische Regierung auf diesen Vorschlag ? 39. Wenn nein, wieso wurde so ein nach Auffassung der Fragesteller zentraler Vorschlag, der zur Deeskalation hätte beitragen können, nicht unterbreitet ? Die Fragen 37 bis 39 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . In der Ukraine findet nicht erst seit den aktuellen politischen Ereignissen eine rege Debatte zur stärkeren Dezentralisierung des Landes in Orientierung an den Verwaltungsstrukturen im Nachbarland Polen statt. Einzelne Reformen wurden bereits konkret in Angriff genommen. Die Bundesregierung unterstützt die Ukraine bei diesen Reformen beratend. 40. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung Widerstände gegen die Föderalisierung der Ukraine seitens der rechtsnationalistischen und faschistischen Parteien innerhalb der Kiewer-Koalitionsregierung? Dies ist nach Kenntnis der Bundesregierung nicht der Fall. Faschistische Parteien waren im Übrigen an der Koalitionsregierung nicht beteiligt. 41. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Größe und Umfang neonazistischer Kräfte in der Ukraine? Wie in vielen europäischen Staaten gibt es auch in der Ukraine neofaschistische Gruppierungen. Diese spielen in der politischen Landschaft der Ukraine jedoch kaum eine Rolle und sind parteipolitisch wenig organisiert. Auch die Ergebnisse der Parlamentswahl vom 26. Oktober 2014 haben deutlich werden lassen, dass rechtspopulistische Positionen in der Ukraine nur einen kleinen Unterstützerkreis haben. 42. Ist der Bundesregierung bekannt, dass auf der Budapester Tagung von 2013 des Jüdischen Weltkongresses ein Verbot der ukrainischen SvobodaPartei wegen ihrer neonazistischen, antisemitischen und völkischen Ausrichtung gefordert wurde (taz.die tageszeitung vom 20. März 2014, Freitag vom 22. Februar 2014? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass auf der Tagung des Jüdischen Weltkongresses 2013 in Budapest ein derartiges Verbot gefordert wurde. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/3237 43. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Svoboda-Partei? Swoboda ist eine rechtspopulistische Partei mit nach eigenen Angaben ca. 15 000 Mitgliedern, die unter diesem Namen seit dem Jahr 2004 existiert. Vorgängerorganisation war die im Jahr 1991 gegründete Sozial-Nationale Partei der Ukraine. Sie findet ihre Stammwählerschaft hauptsächlich in der Westukraine. Bei der Parlamentswahl am 26. Oktober 2014 scheiterte die Partei mit 4,7 Prozent der Stimmen an der Fünfprozenthürde. Sie ist mit fünf über Direktmandate gewählten Abgeordneten im neuen Parlament vertreten. 44. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Svoboda-Partei eine Parteischule unterhielt, die den Namen Josef Goebbels trug (Tadeusz Olszansky vom 4. Juni 2011 „Svoboda Party – The New Phenomenon on the Ukrain Right Wing Scene“)? Der Bundesregierung ist bekannt, dass das Swoboda-Mitglied Juri Mychaltschyschyn im Jahr 2005 das so genannte Josef-Goebbels-Zentrum für politische Forschungen gründete, das später in „Ernst-Jünger-Zentrum“ umbenannt wurde. 45. Sind der Bundesregierung die Berichte der polnischen Wochenzeitung „Nei“ vom 18. April 2014 bekannt, die darüber berichtete, dass rechte Aktivisten, die auf dem Maidan-Platz bewaffnete Auseinandersetzungen gegen die Staatsgewalt entfachten, in Polen im Rahmen eines Regierungsprogrammes militärisch ausgebildet wurden? Der Bundesregierung ist bekannt, dass die von Jerzy Urban, dem früheren Pressesprecher von General Jaruzelski, herausgegebene Satire-Wochenzeitung „NIE“ in ihrer Ausgabe vom 28. März bis 3. April 2014 einen Artikel solchen Inhalts veröffentlichte. In der nachfolgenden Ausgabe vom 4. bis 11. April 2014 gab die Zeitung „NIE“ bekannt, dass es sich bei dem Artikel um einen Aprilscherz gehandelt habe. Das Außenministerium der Republik Polen sprach in einer Pressemitteilung hierzu von „Unterstellungen auf Gossen-Niveau“ und „provokativen Veröffentlichungen“. Das in dem Artikel erwähnte Polizeischulungszentrum Legionowo betonte in seiner Pressemitteilung, dass alle Informationen und Kommentare über das Schulungszentrum in dem Artikel nicht der Wahrheit entsprächen . 46. Sollte dies nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffen, wurde dann von Seiten der Bundesregierung bei der polnischen Regierung über die Gründe nachgefragt, ukrainische Neonazis militärisch auszubilden? Auf die Antwort zu Frage 45 wird verwiesen. 47. Hat die Bundesregierung von der ukrainischen Regierung zu irgendeinem Zeitpunkt den Ausschluss der völkischen neonazistischen Parteien aus der ukrainischen Regierungskoalition gefordert, weil dies mit den selbsterklärten Prinzipien der Europäischen Union und dem Kampf gegen Neonazismus und Antisemitismus in Deutschland nicht im Einklang steht? In der ukrainischen Regierungskoalition gibt es keine Parteien im Sinne der Fragestellung . Drucksache 18/3237 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 48. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Antisemitismus in der Ukraine? Es gibt keine öffentliche Stelle, die Ereignisse oder Vorfälle mit antisemitischem Hintergrund systematisch registriert. Ebenso wenig gibt es eine ukrainische Nichtregierungsorganisation, die diesen Anspruch erhebt. Informationen über Antisemitismus werden durch örtliche Gemeinden, Massenmedien sowie soziale Netzwerke geliefert und in ukrainischen und ausländischen Medien aufbereitet . Die Bundesregierung verfolgt diese Berichte aufmerksam, sieht jedoch derzeit keine Häufung antisemitischer Vorfälle. 49. Ist der Bundesregierung die hohe Zahl von Auswanderungen ukrainischer Juden nach Israel bekannt, weil diese sich vor den faschistischen Kräften in der Ukraine fürchten (Haaretz vom 8. April 2014, Express vom 21. April 2014 „Ukraine jewish residents look for a refuge in Israel“)? Der Bundesregierung sind Berichte bekannt, wonach die Zahl ukrainischer Juden, die nach Israel auswandern, seit Anfang des Jahres angestiegen ist. Es wird darauf hingewiesen, dass für die Entscheidung zur Auswanderung viele Gründe infrage kommen, insbesondere auch wirtschaftliche Überlegungen und Flucht vor dem bewaffneten Konflikt im Osten des Landes. 50. Ist Deutschland nach Auffassung der Bundesregierung aufgrund der deutschen Geschichte nicht dazu verpflichtet, deutlich Stellung gegen Antisemitismus in der Ukraine zu beziehen und für den Schutz der ukrainischen Juden einzutreten? Nach Auffassung der Bundesregierung ist Deutschland gerade vor dem Hintergrund seiner Geschichte in besonderer Weise gefordert, gegen Antisemitismus und für den Schutz von jüdischen Menschen und Einrichtungen einzutreten, nicht nur in der Ukraine. 51. Wie kann nach Auffassung der Bundesregierung der Antisemitismus im eigenen Land bekämpft werden, ohne dem in Osteuropa grassierenden Antisemitismus entgegenzutreten? Nach Auffassung der Bundesregierung ist Antisemitismus durch nichts zu rechtfertigen , weder in Deutschland noch anderswo. Die Bundesregierung setzt sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln dafür ein, dass dieses Phänomen sowohl in Deutschland als auch international wirksam bekämpft wird. 52. Womit begründet die Bundesregierung ihre Unterstützung für die militärische Offensive im Osten des Landes, die mehr als 3 500 zivile Opfer gefordert hat (vgl. Handelsblatt vom 16. April 2014)? Die Bundesregierung hat stets betont, dass es keine militärische Lösung des Konflikts geben kann. Es muss aber auch das Recht der Ukraine zur Aufrechterhaltung ihrer staatlichen Ordnung anerkannt werden. Die Bundesregierung hat die Ukraine stets zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel aufgefordert. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15 – Drucksache 18/3237 53. Hat die Bundesregierung Initiativen ergriffen, um im frühen Stadium des Konfliktes die ukrainische Regierung dazu zu bewegen, auf die russischsprachige Bevölkerung und ihre Interessensvertreter zuzugehen und die Eskalation des Bürgerkrieges abzuwenden? Die Bundesregierung hat entsprechende Initiativen ergriffen. Die Durchführung eines Nationalen Dialogs unter OSZE-Ägide in Form von Runden Tischen im Mai 2014 in der Ostukraine unter Vorsitz des Leiters der Münchener Sicherheitskonferenz Botschafter Wolfgang Ischinger war ein Ergebnis dieser Bemühungen . 54. Hat die Bundesregierung im frühen Stadium der Auseinandersetzung in der Ukraine Initiativen ergriffen, um die ukrainische Regierung von einer Föderalisierung des Landes zu überzeugen, so dass bereits in diesem Stadium eine weitere Eskalation hätte vermieden werden können? Auf die Antwort zu Frage 37 wird verwiesen. 55. Welche Kräfte waren nach Kenntnis der Bundesregierung innerhalb der ukrainischen Regierung gegen eine föderale Struktur des Landes? Den öffentlichen Verlautbarungen ist zu entnehmen, dass fast alle politischen Parteien die Initiative von Präsident Petro Poroschenko bezüglich der Dezentralisierung des Landes unterstützen. Bei der Vorstellung der Initiative in der Werchowna Rada im Juli 2014 stieß diese nur auf Widerstand von Abgeordneten der Kommunistischen Partei und der Partei der Regionen. Aus den Regierungsfraktionen äußerte sich niemand dagegen. 56. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über dem Einfluss rechter und neonazistischer Kräfte innerhalb der umstrukturierten ukrainischen Nationalgarde? Der Bundesregierung ist die Aussage des Vorsitzenden der Partei „Rechter Sektor “ von Mai 2014 bekannt, wonach ca. 1 000 Mitglieder der Partei in der insgesamt 60 000 Mann umfassenden Nationalgarde dienen sollen. 57. Welche Konsequenzen für die künftige Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk gedenkt die Bundesregierung angesichts seiner Zugehörigkeit zur rechtsextremen Partei Volksfront zu ziehen (www.hintergrund.de vom 15. September 2014 „Der Mann des Westens und die Neonazis“)? Aus Sicht der Bundesregierung ist die Partei „Volksfront“, die Ministerpräsident Jazenjuk zusammen mit ehemaligen Mitgliedern der Partei „Batkiwschtschyna“ kurz vor den Wahlen gebildet hat, eine liberal-patriotische Partei, die sich dem europäischen Wertekanon von Demokratie und Menschenrechten verpflichtet sieht. 58. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine? Der Bundesregierung sind Berichte der VN, der OSZE und anderer Organisa- tionen über schwere Menschenrechtsverletzungen in den Konfliktgebieten der Ostukraine sowie auf der Krim infolge der russischen Annexion bekannt. Drucksache 18/3237 – 16 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 59. Ist der Bundesregierung bekannt, das Amnesty International (Amnesty International vom 22. September 2014) gravierende Menschenrechtsverletzungen durch die Nationalgarde und freiwillige Verbände in der Ostukraine an der russischsprachigen Bevölkerung aufgedeckt hat sowie den Ministerpräsidenten Arsenij Janzenjuk dazu aufforderte, weitere Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden und die Verantwortlichen zu bestrafen ? Dies ist der Bundesregierung bekannt. Nach Kenntnis der Bundesregierung haben die zuständigen ukrainischen Behörden hierzu Ermittlungen eingeleitet und untersuchen die Vorwürfe. 60. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung in ihrer Zusammenarbeit mit der ukrainischen Regierung angesichts der Vorwürfe, die der UN-Bericht (Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights on the situation of human rights in Ukraine vom 19. September 2014) über Menschenrechtsverletzungen in der Ostukraine erhoben hat, die von den Streitkräften der Ukraine unterstellten bewaffneten Formationen begangen wurden? Die VN-Berichte zur Lage in der Ostukraine werfen beiden Konfliktparteien Menschenrechtsverletzungen vor. Die Bundesregierung ist daher weiterhin um eine schnellstmögliche Beilegung des Konflikts auf Basis der Minsker Vereinbarungen vom September 2014 bemüht. Die erhobenen Vorwürfe müssen untersucht und juristisch aufgeklärt werden. 61. Hat die Bundesregierung darüber mit der ukrainischen Regierung gesprochen ? Die Bundesregierung hat über dieses Thema mit der ukrainischen Regierung gesprochen . 62. Beabsichtigt die Bundesregierung, darüber mit der ukrainischen Regierung zu reden? Auf die Antwort zu Frage 62 wird verwiesen. 63. Wenn nein, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 64 wird verwiesen. 64. Hat die Bundesregierung von sich aus die Unterbindung möglicher weiterer Menschenrechtsverletzungen seitens der ukrainischen Regierung sowie die Bestrafung der Verantwortlichen, vergleichbar mit der Ahndung von Menschenrechtsverletzungen während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, gefordert? Die Bundesregierung setzt sich weltweit für die Unterbindung und Ahndung von Menschenrechtsverletzungen ein. 65. Wenn nein, aus welchem Grund? Auf die Antwort zu Frage 64 wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17 – Drucksache 18/3237 66. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die mögliche Beteiligung der rechtsextremen ukrainischen Organisationen am Massaker in Odessa vor? Nach Kenntnis der Bundesregierung gibt es noch kein Untersuchungsergebnis zu diesem Thema seitens der Generalstaatsanwaltschaft. Bisher liegt lediglich der Abschlussbericht der Ad-hoc-Kommission der Werchowna Rada vor. Zur mutmaßlichen Urheberschaft kann die Bundesregierung sich somit noch kein Urteil bilden. 67. Liegen der Bundesregierung oder ihr unterstellte Behörden (Bundesnachrichtendienst ) Erkenntnisse über die Beteiligung von etwa 500 Rechtsextremen vor, die mit Hilfe des Gouverneurs der Region, Wladimir Nemirowsky, nach Odessa gebracht und aufgestachelt wurden, das Gewerkschaftshaus anzugreifen (Russia Today vom 11. September 2014)? Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse dazu vor. 68. Ist der Bundesregierung bekannt, dass der offizielle Bericht der ukrainischen Regierung zu den Vorgängen in Odessa verändert wurde (www. kopp-verlag.de vom 11. September 2014)? Nach Kenntnis der Bundesregierung liegt ein Abschlussbericht des Parlaments, aber nicht der ukrainischen Regierung vor. Es wird auf die Antwort zu Frage 66 verwiesen. 69. Liegen der Bundesregierung Kenntnisse darüber vor, dass in der überarbeiteten Fassung des Berichtes zu den Vorgängen im Gewerkschaftshaus in Odessa Zeugenaussagen fehlen, die sich auf die Beteiligung von Andrij Parubij, den damaligen Sekretär des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates , bei der Vorbereitung des Massakers in Odessa beziehen? Andri Parubi ist Gründungsmitglied der Sozial-Nationalen Partei (Gründung im Jahr 1991), die im Jahr 2004 in Swoboda umbenannt wurde. Er gehörte dieser Partei bis zum Jahr 2005 an. Des Weiteren wird auf Antworten zu den Fragen 66 und 68 verwiesen. 70. Ist der Bundesregierung bekannt, dass neben dem rechtsextremen Andrij Parubij sich ebenso der Chef des Sicherheitsrates der Ukraine Valentin Naliwatschenko, sowie der Innenminister Arsen Awakow geweigert haben , am Untersuchungsausschuss mitzuarbeiten? Der Bundesregierung sind Berichte bekannt, wonach sich Mitglieder des Untersuchungsausschusses über mangelnden Kooperationswillen seitens einiger Regierungsvertreter beschwert haben sollen. 71. Ist der Bundesregierung bekannt, ob bereits gegen Beschuldigte Anklage erhoben worden ist? Gegen 25 Personen wurde Anklage erhoben, die Untersuchung gegenüber drei weiteren Personen läuft noch. Drucksache 18/3237 – 18 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 72. Wie viele Beschuldigte stehen nach Kenntnissen der Bundesregierung vor Gericht oder sind angeklagt? Die vorgerichtliche Untersuchung läuft noch. 73. Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele der Angeklagten einen rechtsextremen und ukrainisch-nationalistischen Hintergrund aufweisen? Die Namen der Angeklagten und die ihnen zur Last gelegten Tatbestände wurden noch nicht bekanntgegeben. 74. Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich die meisten Anklagen (100 von 103) gegen Teilnehmer des Anti-Maidan-Protestes richten? Auf die Antwort zu Frage 73 wird verwiesen. 75. Gibt es eine Prozessbeobachtung vonseiten der Bundesregierung? Ein Prozess hat bisher nicht stattgefunden. 76. Plant die Bundesregierung eine Entsendung von Prozessbeobachtern? Die Bundesregierung beobachtet die Lage aufmerksam und wird über die Entsendung von Prozessbeobachtern zu gegebener Zeit entscheiden. 77. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verfolgung linker Parteien in der Ukraine? Hat sie bereits dieses Problem bei Konsultationen mit Vertretern der ukrainischen Regierung angesprochen? Nach Informationen der Bundesregierung findet in der Ukraine keine Verfolgung linker Parteien statt. So war es u. a. der Kommunistischen Partei möglich, an der Parlamentswahl am 26. Oktober 2014 teilzunehmen. 78. Hat die Bundesregierung gegenüber ihren ukrainischen Partnern über das drohende Verbot der KPU und anderer linker Parteien und Organisationen gesprochen? 79. Wenn ja, mit welchem Ergebnis? 80. Wenn nein, aus welchem Grund erfolgte dies nicht? Die Fragen 78 bis 80 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung beobachtet das laufende Verbotsverfahren gegen die Kommunistische Partei der Ukraine. Sollten sich hierbei Unregelmäßigkeiten ergeben , wird die Bundesregierung diese gegenüber der ukrainischen Seite ansprechen . Es wird zudem auf die Antwort zu Frage 77 verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 19 – Drucksache 18/3237 81. Ist der Bundesregierung das Dokument bekannt, mit dem das Verbotsverfahren gegen die KPU begründet wird? Das Verbotsverfahren wurde auf der Basis der Verletzung einschlägiger Verfassungsartikel eingeleitet. Der KPU wird vorgeworfen, u. a. gegen Artikel 2 und 3 (insbesondere hier Passus zur Unteilbarkeit des Staatsgebiets), Artikel 133 (Zusammensetzung des Staatsgebiets), Artikel 134 (Status der Autonomen Republik Krim im Staatsverbund), Artikel 73 und 85 (Exklusivität des Volksentscheids zur Änderung der Staatsgebiets) und Artikel 37 (Verbot von Parteien, die die verfassungsmäßige Ordnung und die Integrität des Staatsgebiets infrage stellen ) der ukrainischen Verfassung verstoßen zu haben, indem sie den Separatisten in der Ostukraine Unterstützung hat zukommen lassen und an der Vorbereitung und bei der Durchführung der Pseudoreferenden am 11. Mai 2014 im Donbass mitgewirkt hat. 82. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus? Nach Auffassung der Bundesregierung hat jeder souveräne Staat das Recht, gegen Bestrebungen, die die verfassungsmäßige Ordnung oder die nationale Souveränität gefährden, mit rechtlichen Mitteln vorzugehen. 83. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Wahlen ohne Beteiligung der Interessensvertreter der russischen Bevölkerung im Osten und Süden der Ukraine nicht demokratisch sein können? Aus Sicht der Bundesregierung ist es bedauerlich, dass die Bewohner auf der Krim und in den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Ostukraine, die allesamt ukrainische Staatsbürger sind, an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert werden. Die ukrainische Regierung hat alles ihr unter diesen Umständen Mögliche getan, um Binnenflüchtlingen und ins Ausland geflohenen Bewohnern der Krim und der Ostukraine eine Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen. Das Office for Democratic Institutions and Human Rights der OSZE (ODIHR) hat diese Bemühungen ausdrücklich gelobt wie auch die allgemeine Durchführung der Parlamentswahlen vom 26. Oktober 2014. 84. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die bevorstehenden Wahlen in der Ukraine? Werden diese in allen Regionen der Ukraine stattfinden? Die Wahlen vom 26. Oktober 2014 konnten in den 12 Wahlkreisen der Krim und in 15 unter Kontrolle separatistischer Kräfte stehenden Wahlkreisen der ostukrainischen Oblaste Donezk und Luhansk nicht durchgeführt werden. Gleichwohl war über 30 Prozent der Wahlberechtigten in den beiden genannten ostukrainischen Oblasten die Wahlteilnahme möglich. 85. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des früheren Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher, dass die NATO Zusagen gegenüber Russland verletzt habe? Das Prinzip der freien Bündniswahl ist im Jahr 1975 in der Helsinki-Schlussakte für den euro-atlantischen Raum anerkannt worden und wurde in der NATORussland -Grundakte 1997 von der NATO und Russland bestätigt. Zwischen der NATO und Russland gab und gibt es keine verbindliche Regelung oder Zusagen über eine Erweiterung des Bündnisgebietes der NATO. Drucksache 18/3237 – 20 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 86. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die atomare Wiederbewaffnung der Ukraine vor? Die Ukraine war im Zuge der Auflösung der UdSSR in den Besitz von Nuklearwaffen gekommen. Als Gegenleistung für einen Nuklearwaffenverzicht der Ukraine verpflichten sich im Budapester Memorandum vom 5. Dezember 1994 die USA, Großbritannien und Russland gegenüber der Ukraine, u. a. die Souveränität und die bestehenden Grenzen (Artikel 1) sowie ihre politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu achten (Artikel 2 f.). Der Abtransport der nuklearen Sprengköpfe aus der Ukraine nach Russland war am 1. Juni 1996 abgeschlossen . Das Budapester Memorandum und damit einhergehend der Verzicht auf Nuklearwaffen waren für die Ukraine Vorbedingung der Unterzeichnung und Ratifizierung des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) und des Atomteststoppvertrags (CTBT). Zuletzt hat der ukrainische Premierminister Arsenij Jazenjuk anlässlich seiner Rede bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York am 24. September 2014 das Bekenntnis der Ukraine zum Nichtverbreitungsvertrag bekräftigt. 87. Liegen der Bundesregierung Kenntnisse über ein eigenes Uran-Anreicherungsprogramm oder eine Beteiligung der Ukraine an internationalen Uran-Anreicherungsprogrammen (www.dw.de/ukraine-diskussion- %C3%BCber-atomare-wiederbewaffnung/a-3157125) vor? Die Ukraine hat seit dem Jahr 2010 eine Beteiligung von 10 Prozent an dem International Uranium Enrichment Center (IUEC) in Angarsk, Russland. Anteilseigner sind Russland (Rosatom) zu 70 Prozent und Kasachstan, Ukraine und Armenien mit jeweils 10 Prozent. Die Anreicherung von Uran und die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe sind sog. Dual-Use-Technologien. Sie sind wichtig für die Produktion von Brennstäben für zivile Kernkraftwerke, aber auch relevant für den Bau von Kernwaffen. Die Ukraine hat als Unterzeichnerstaat des Nichtverbreitungsvertrags mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO ein Sicherungsabkommen („Safeguards “, seit 22. Januar 1998 in Kraft) für die Überwachung von Nuklearmaterial , sowie das Zusatzprotokoll (in Kraft seit dem 24. Januar 2006) abgeschlossen . Das Zusatzprotokoll zum Sicherungsabkommen ermöglicht der IAEO durch die zusätzlich vereinbarten Informationsverpflichtungen und Kontrollmaßnahmen zu bestätigen, dass es in einem Mitgliedsland keine Hinweise auf nicht deklarierte Aktivitäten auf dem Nuklearsektor gibt und somit das gesamte Nuklearmaterial ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Bereits im Jahr 2010 hat die IAEO im Rahmen der so genannten broader conclusion die Unbedenklichkeit der nuklearen Aktivitäten der Ukraine bescheinigt. Die IAEO als zuständige Behörde hat bezüglich der zivilen nuklearen Aktivitäten der Ukraine auch in den Folgejahren keine Beanstandungen erhoben. 88. Wenn ja, handelt es sich um waffenfähiges Uran? Auf die Antwort zu Frage 87 wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21 – Drucksache 18/3237 89. Wenn ja, mit welchen Ländern kooperiert die Ukraine nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Uran-Anreicherung? Auf die Antworten zu den Fragen 86 und 87 wird verwiesen. 90. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des neuen NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg, der die Auffassung vertritt, dass die NATO-Pläne zur Steigerung der militärischen Präsenz in Osteuropa den internationalen Verpflichtungen der Allianz entsprechen und nicht der Grundakte Russland -Nato von 1997 zuwiderlaufen (RIA Novosti vom 7. Oktober 2014)? Die Bundesregierung teilt diese Meinung. 91. Wenn nicht, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 90 wird verwiesen. 92. Welche Auswirkungen haben nach gegenwärtiger Einschätzung die Sanktionen der EU auf die deutsche Wirtschaft? Die Auswirkung der EU-Sanktionen auf die deutsche Wirtschaft ist nach Einschätzung der Bundesregierung nicht direkt quantifizierbar. Veränderungen in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland sind durch ein Ineinandergreifen unterschiedlicher wirtschaftlicher Faktoren bedingt. Die deutschen Ausfuhren nach Russland sinken bereits seit Mai 2013. In den ersten acht Monaten dieses Jahres sind die deutschen Exporte nach Russland um 16,6 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Grundsätzlich gehört Russland für die deutsche Wirtschaft aber nicht zu den zahlenmäßig bedeutsamsten Absatzmärkten. Im Jahr 2013 gingen nur etwa 3,3 Prozent aller deutschen Exporte nach Russland. Dieser Anteil ist in den ersten acht Monaten 2014 auf 2,7 Prozent gefallen. 93. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Massengräber von Zivilisten in der Region Luhansk und Donezk, die infolge des Bürgerkrieges zu Tode kamen? Der Tagesbericht der OSZE-Beobachtermission vom 23. September 2014 erwähnt Gräber im Oblast Donezk, die die Leichen von bis zu neun Personen enthalten könnten, deren Todesumstände völlig ungeklärt sind. Weitergehende Behauptungen über aufgefundene Gräber sind nach Kenntnis der Bundesregierung bislang nicht mit Beweisen und Dokumentationen unterlegt. Ähnliche Berichte über Massengräber, für die pro-russische Kämpfer verantwortlich gemacht wurden , gab es auch nach der Rückeroberung der Gebiete um Slowjansk im Juli 2014. Die Bundesregierung setzt sich für die Untersuchung aller dieser Berichte ein. 94. Befürwortet die Bundesregierung, wie im Falle der Massengräber, die im ehemaligen Jugoslawien aufgefunden wurden, hierfür die Bildung einer internationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Vorfälle? Ein Vergleich des Ukraine-Konflikts mit dem jugoslawischen Bürgerkrieg scheint der Bundesregierung in Umfang und Ursache abwegig. Der Ukraine- Drucksache 18/3237 – 22 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Konflikt ist wesentlich begründet durch das eskalierende und die separatistischen Kämpfer massiv unterstützende Handeln Russlands. 95. Kann die Bundesregierung die Information bestätigen, dass laut Aussage des Sprechers des ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andrej Lyssenko, vom 7. Oktober 2014, die Hilfsgüter, die die Bundesregierung auf Initiative des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, per Lastwagenkolone aus 17 deutschen Städten kommend in die Ukraine geschickt hat, nur für die Gebiete in der Ostukraine bestimmt sein, die von den ukrainischen Regierungstruppen kontrolliert werden und nicht in die von den pro-russischen Milizen kontrollierten Gebiete? Die ukrainische Regierung oder in ihrem Auftrag handelnde Hilfsorganisationen sind für die Annahme und Verteilung von Hilfsgütern verantwortlich. Nachdem die Separatisten bereits zuvor Hilfslieferungen der ukrainischen Regierung an die Menschen in den von ihnen kontrollierten Gebieten abgelehnt hatten, war eine Verteilung der deutschen Hilfsgüter dort ebenfalls nicht möglich. Die Hilfsmittel leisten einen Beitrag zur Versorgung von 400 000 Binnenflüchtlingen, von denen sich die meisten nach wie vor im Ostteil des Landes aufhalten. 96. Worauf begründet die Bundesregierung diese Entscheidung? Auf die Antwort zu Frage 95 wird verwiesen. 97. Hat die Bundesregierung Kenntnis von der humanitären Situation in den von den pro-russischen Milizen kontrollierten Gebieten der Ostukraine? Die humanitäre Lage in den von Separatisten besetzten Gebieten gibt aufgrund zerstörter Infrastruktur und dem Verlust der Verwaltungshoheit der Ukraine über diese Gebiete Anlass zu großer Sorge. Die Bundesregierung ist daher um eine rasche politische Lösung des Konflikts bemüht. 98. Was verspricht sich die Bundesregierung durch diese selektive Verteilung der Hilfsgüter? Auf die Antwort zu Frage 95 wird verwiesen. 99. Wie ist diese Entscheidung zustande gekommen? Auf die Antwort zu Frage 95 wird verwiesen. 100. Sind das Bundeskanzleramt und das Auswärtige Amt über die Hilfssendung vorab informiert worden? Der deutsche Hilfstransport wurde im Ressortkreis eng abgestimmt unter Beteiligung aller zuständigen Bundesministerien und Behörden. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333