Deutscher Bundestag Drucksache 18/3382 18. Wahlperiode 01.12.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Alexander S. Neu, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3099 – Blindgänger-Gefahr in Afghanistan auf verlassenen Trainingsgeländen der Bundeswehr Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Laut Angaben des Auswärtigen Amts setzt sich Deutschland aktiv für humanitäre Minen- und Kampfmittelräumung ein und zählt seit Jahren zu den wichtigsten internationalen Mittelgebern in diesem Bereich. Im Rahmen der Partnerschaft mit den erfahrenen Durchführungsorganisationen unterstützt die Bundesregierung Projekte zur Räumung der Gelände von explosiven Hinterlassenschaften bewaffneter Konflikte. Trotz des Wissens über schwerwiegende humanitäre Auswirkungen auf die Bevölkerung hinterlässt die Bundeswehr nun aber ihre eigenen Trainingsgelände in Afghanistan oberflächlich geräumt und frei zugänglich für Zivilisten, berichtete „Panorama“ am 23. September 2014. Das kann zu weiteren Opfern und Verletzten unter der Bevölkerung führen, die unbewusst die ehemaligen Schießbahnen betritt. Laut United Nations (UN) sind seit dem Jahr 2010 mindestens 32 Menschen durch Blindgänger getötet und mehr als 80 verletzt worden (www.ndr.de vom 25. September 2014 „NATOBlindgänger gefährden afghanische Bevölkerung“). Die Frage nach der tiefgründigen Räumung der schon verlassenen Bundeswehr-Trainingsgelände bleibt offen. Die gegenseitigen Ansprüche von den an ISAF (ISAF – International Security Assistance Force) beteiligten Staaten führten zur Unterschreibung des CCW-Abkommens (CCW – Convention on Certain Conventional Weapons), das die Verantwortung für die Räumung der Gelände auf das truppenstellende Land überträgt. Die Gefahr besteht auch schon bei den an die afghanische Armee übergebenen Trainingsgeländen, die wegen ihrer Größe nur zum Teil belegt werden können. Die unbenutzten Teile müssten laut UNO-Mission UNAMA (UNAMA – United Nations Assistance Mission in Afghanistan) gründlich geräumt werden. Ein Beispiel für belassene Blindgänger ist die Schießbahn „Wadi“ bei Kundus, wie im „Panorama“-Bericht des „Norddeutschen Rundfunks“ (NDR) am 23. September 2014 erläutert wurde. Nach der oberflächlichen Überprüfung der Gelände wurden mehr als 100 weitere BlindDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom 27. November 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. gänger gefunden. Außerdem stellten die Gutachter fest, dass die weitere Prüfung des Untergrunds dringend erforderlich ist. Eine andere Herausforderung stellt die Räumung von Blindgängern auf Gefechtsfeldern dar. Hier besteht Bedarf zur Klärung der rechtlichen Zuständigkeit. Drucksache 18/3382 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Am 30. September 2014 hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. FrankWalter Steinmeier, erläutert, dass die Unterzeichnung des bilateralen Sicherheitsabkommens zwischen den USA und Afghanistan eine Fortsetzung des Engagements der NATO in Afghanistan im Jahr 2015 ermöglicht (www.auswaertigesamt .de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2014/140930-BM_BSA.html). Das Sicherheitsabkommen soll nach dem Willen der Bundesregierung zur Basis eines weiteren Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Ausbildungs- und Beratungsmission „Resolute Support“ werden. 1. Wie viele Personen (afghanische Zivilisten, afghanische Sicherheitskräfte, NATO-Personal) sind – nach Kenntnis der Bundesregierung – in den Jahren des ISAF-Mandats durch nicht geräumte Munition in Afghanistan ums Leben gekommen oder verletzt worden? Die Bundesregierung verfügt nicht über ausreichende Erkenntnisse, um hierzu eine belastbare Aussage treffen zu können. Im Bereich der Bundeswehr sind während des ISAF-Einsatzes vier deutsche Soldaten im Zusammenhang mit nicht explodierter Munition gefallen. Drei deutsche Soldaten wurden verwundet . 2. Konnte bei solchen Unfällen die Herkunft der Munition festgestellt werden? In wie vielen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass es sich um nicht geräumte Munition der NATO-Mitgliedsarmeen gehandelt hat? Die für die oben genannten Fälle jeweils ursächliche Munition beziehungsweise ursächlichen Kampfmittel wurden nicht von den NATO-Mitgliedstaaten hinterlassen . Die Masse dieser Kampfmittel ist sowjetischer Herkunft. 3. Inwieweit sieht die Bundesregierung grundsätzlich eine Verpflichtung zur Beräumung von deutscher Munition auf Übungsgeländen und an Schauplätzen von Kampfhandlungen im Bereich des ehemaligen RC North (RC – Regional Command) gemäß des CCW-Abkommens? Auch wenn das Protokoll V über explosive Kampfmittelrückstände des VNWaffenübereinkommens (Protokoll V CCW) für das deutsche Engagement im Rahmen der ISAF in Afghanistan rechtlich nicht einschlägig ist, fördert die Bundesregierung Projekte des humanitären Minen- und Kampfmittelräumens insbesondere von Hilfsorganisationen, die mit dem „Mine Action Coordination Centre for Afghanistan“ (MACCA) zusammenarbeiten. 4. Welche versicherungsrechtlichen Verbindlichkeiten ergeben sich aus der Präsenz von Blindgängern aus Sicht der Bundesregierung? Ist die Bundesregierung bereits mit Versicherungsforderungen von afghanischen Opfern konfrontiert? Versicherungsrechtliche Verbindlichkeiten werden nicht gesehen. Entsprechende Forderungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bisher nicht geltend gemacht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3382 5. Wurde vonseiten der ISAF eine grundsätzliche Gesamtbestandsaufnahme aller gefährdeten Lokalitäten nach Artikel 3 Absatz 3 des Protokolls V des CCW-Abkommens aufgenommen? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 6. Was wird die Bundeswehr über die bisher nicht erfolgte Räumung im Untergrund der 13 schon verlassenen oder übergebenen Schießbahnen hinaus unternehmen, so dass die Räumungen den afghanischen „Mine Action Standards “ und den Selbstverpflichtungen entsprechen, die sich ISAF in Reaktion auf die Befunde des UNAMA des Halbjahresberichts 2013 auferlegt hat (ISAF Statement vom 30. Juli 2013)? a) Wird die Bundeswehr bzw. das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) den Auftrag zur Räumung an Unternehmen aus der freien Wirtschaft geben, und wird es in diesem Fall ein öffentliches Ausschreibungsverfahren geben? b) Wann wird mit dem Räumungsbeginn gerechnet? c) Welche Kosten sind damit verbunden? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundeswehr daraus, dass bei der Überprüfung der erfolgten Räumung der ehemaligen Schießbahn „Wadi“ von den 20 Suchern und fünf Kampfmittelbeseitigern innerhalb von zwei Tagen 100 Blindgänger gefunden wurden? Die Beseitigung der Gefahren durch Blindgänger, Munition und Munitionsreste bedarf unabhängig vom Verursacher 35 Jahre nach Beginn des sowjetischen Einmarschs und Krieg bzw. kriegsähnlicher Zustände in Afghanistan insgesamt eines international koordinierten Vorgehens nach den Regularien des MACCA. Im Rahmen des humanitären Minen- und Kampfmittelräumens fördert die Bundesregierung in Afghanistan Maßnahmen zur Räumung kontaminierter Flächen, die eine unmittelbare Gefährdung für Leib und Leben der betroffenen Bevölkerung darstellen. 8. Ist es geplant, die anderen geräumten ehemaligen Gelände der Bundeswehr noch einmal nach möglichen Blindgängern zu überprüfen? Wenn nein, weshalb nicht? Diese Trainingsplätze werden durch die afghanischen Sicherheitskräfte weiter genutzt. Ein nochmaliges Überprüfen dieser Gelände durch die Bundeswehr ist nicht geplant. 9. Plant die Bundeswehr, Daten über Gefechtsfelder weiterzugeben, d. h. Orte, an denen sie in Feuergefechte verwickelt wurde oder Luftunterstützung angefordert hat? a) Wenn ja, warum ist das gegebenenfalls bisher nicht geschehen, und bis wann werden die Daten übergeben sein? b) Wenn nein, weshalb nicht? Drucksache 18/3382 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode c) Wird die Bundeswehr in diesem Kontext auch Daten über die an entsprechenden Orten zum Einsatz gekommenen Munitionen bzw. Explosivmittel weitergeben? Die Daten zu Kampfschauplätzen werden im Rahmen des ISAF-Melde- und Berichtswesens („Operational Reporting“) durch ISAF kontinuierlich erfasst. Die ISAF-Dienststellen haben Zugriff auf diese Informationen. Insofern erübrigt sich eine gesonderte Weitergabe. Die im Rahmen des ISAF-Melde- und Berichtswesens erfassten Daten enthalten auch Angaben zur Munition und den Kampfmitteln. Das MACCA, welches Räummaßnahmen in Gesamt-Afghanistan anweist und überwacht, erhält Daten zu den Kampfschauplätzen aus dem ISAF-Hauptquartier beziehungsweise aus dem ISAF Joint Command bei monatlichen Koordinierungsbesprechungen und darüber hinaus in anlassbezogenen Meldungen. Dadurch ist die Weitergabe der Meldungen mit den Angaben zu Gefechtshandlungen von ISAF-Kräften aller beteiligten Nationen an die zuständigen Behörden gewährleistet. 10. Bedeutet die Beendigung der jetzigen ISAF-Mission die Schließung der noch betriebenen Schießbahnen bis zum Ende des Jahres 2014? Das einzig derzeit noch durch Deutschland betriebene Trainingsgelände in Mazar-e Sharif wird nach derzeitigen Planungen auch im Rahmen der Resolute Support Mission genutzt werden. a) Wird die Bundeswehr dann für ihre Räumung die komplette Verantwortung übernehmen? Die Frage nach der Beräumung des Trainingsgeländes ist nach dessen Übergabe oder Schließung im Einklang mit der dann geltenden Rechts- und Weisungslage zu beantworten. b) Wird die Bundeswehr rechtzeitig vor ihrem Abzug selbst für die Räumung sorgen oder Dritte mit der Räumung beauftragen? Auf die Antwort zu Frage 10a wird verwiesen. c) Wie hoch werden die möglichen Kosten für die Räumung geschätzt? Derzeit können keine belastbaren Aussagen zu den Kosten getroffen werden. d) Wie hoch ist die Differenz der Kosten für die Finanzierung einer oberflächlichen und einer tiefgründigen Räumung? Auf die Antwort zu Frage 10c wird verwiesen. 11. Ist schon bekannt, welche Aufgabengebiete seitens der Bundeswehr für die NATO-Mission „Resolute Support“ geplant sind? Wenn ja, welche? Die Kernaufgabe der Resolute Support Mission (RSM) besteht in der Ausbildung , Beratung und Unterstützung („Train, Advise and Assist“) der afghanischen Sicherheitskräfte und Behörden. Dabei ist ein adäquater Schutz der eingesetzten Kräfte gegen Bedrohungen vorgesehen. Ein weiterer Auftrag für RSM besteht in der Gewährung von „in extremis support“ zu Gunsten der Angehöri- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3382 gen der internationalen Gemeinschaft in Abstimmung mit Afghanistan unter Berücksichtigung der begrenzten Kräfte und Fähigkeiten. Die Einzelheiten des Auftrages des deutschen Einsatzkontingents werden sich ggf. aus dem Beschluss des Deutschen Bundestages über den entsprechenden Antrag der Bundesregierung ergeben. 12. Hat die Bundesregierung die festgelegten Regeln des internationalen Abkommens für die Sicherung der Zivilbevölkerung vor Blindgängern in Afghanistan befolgt? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 13. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundeswehr aus dem Problem mit Blindgängern aus Gefechten und Übungen in Afghanistan für andere Einsätze ? Der sachgerechte und verantwortungsvolle Umgang mit nicht zur Wirkung gelangten Kampfmitteln – unabhängig vom Verursacher – ist und bleibt ein Bestandteil der einsatzvorbereitenden Ausbildung. 14. Inwieweit nimmt die Bundeswehr Einfluss auf andere NATO-Länder bezüglich der Räumung der von diesen NATO-Ländern in Afghanistan betriebenen Trainingsgelände und bezüglich der Übermittlung der Daten über ihre Gefechtsorte an MACCA (MACCA – Mine Action Coordination Centre of Afghanistan), und vor allem auf solche Länder im Kommandobereich der Bundeswehr, dem RC North bzw. Nordafghanistan? Andere NATO-Staaten handeln – wie Deutschland auch – im Rahmen ihrer jeweiligen nationalen Rechts- und Weisungslage sowie im Rahmen ihrer Beteiligung am ISAF-Einsatz gemäß der insoweit verbindlichen ISAF-Weisungslage. Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, darauf Einfluss zu nehmen. 15. Ist die Bundesregierung beim Aufbau des MACCA-Budgets speziell in Afghanistan und im Allgemeinen beteiligt? a) Wenn ja, welche Mittel sind für das nächste Jahr geplant? b) Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung unterstützte den Aufbau von Kapazitäten des MACCA im Jahr 2012. Die Bundesregierung beabsichtigt, auch im Jahr 2015 Maßnahmen des humanitären Minen- und Kampfmittelräumens in Afghanistan zu fördern. Eine Beteiligung am Aufbau des Budgets des MACCA ist nicht vorgesehen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. Drucksache 18/3382 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 16. Wird die Bundesregierung eine Entschädigungszahlung im Zusammenhang des am 25. Juli 2011 durch einen Blindgänger auf der ehemaligen Schießbahn „Wadi“ getöteten Jungen und eines anderen dabei Schwerverletzten vornehmen? Falls ja, in welcher Höhe? Falls nicht, aus welchen Gründen nicht? Es liegen keine Erkenntnisse vor, dass von der Bundeswehr verursachte Blindgänger zu Personenschäden auf der Schießbahn „Wadi“ in Kunduz geführt haben. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333