Deutscher Bundestag Drucksache 18/3396 18. Wahlperiode 02.12.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/3223 – Jugendberufsagenturen – Aufgaben, Finanzierung, Unterstützung Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Junge Menschen ohne Berufsabschluss sind häufiger arbeitslos, stehen öfter in prekären Beschäftigungsverhältnissen und haben deutlich geringere Einkommen als Gleichaltrige mit Berufsabschluss. Trotzdem schafften allein im Jahr 2013 mehr als 250 000 Jugendliche keinen direkten Einstieg in eine Berufsausbildung und landeten in einer der zahlreichen Maßnahmen des Übergangsbereichs . Etwa 1,4 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren haben derzeit keinen Berufsabschluss. Angesichts dieser Zahlen offenbart sich deutlicher Handlungsbedarf. In ihrem Koalitionsvertrag kündigten CDU, CSU und SPD die flächendeckende Einführung von Jugendberufsagenturen an. In diesen Jugendberufsagenturen sollen die Angebote aus dem Zweiten, Dritten und Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II, SGB III und SGB VIII) gebündelt und so die Übergänge von Schule in Ausbildung und Beruf verbessert werden. Doch wie genau die Bundesregierung die Verantwortlichen vor Ort bei der flächendeckenden Einführung von Jugendberufsagenturen unterstützen will, ist bisher nicht bekannt . Der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 18/913) lässt sich entnehmen, dass es weder finanzielle Unterstützung noch Leitlinien oder Mindeststandards seitens der Bundesregierung geben wird. Problematisch ist dies insbesondere deswegen, weil die Einrichtung von Jugendberufsagenturen viele Kommunen vor schwerwiegende finanzielle Herausforderungen stellt und zahlreiche rechtliche Unsicherheiten mit sich bringt, die der Klärung bedürfen. Auch die konkrete Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Akteuren gestaltet sich häufig schwierig. Grundsätzlich bestehen also zahlreiche Hürden, die eine flächendeckende Einführung von Jugendberufsagenturen erschweren. Allein mit einem neuen Türschild ist Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 28. November 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. noch längst keine funktionierende Jugendberufsagentur geschaffen. Die Bundesregierung möchte jedoch lediglich den „weiteren Prozess, in dem die Verantwortlichen vor Ort ihre Zusammenarbeit unter Beachtung der jeweils Drucksache 18/3396 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen organisatorisch und inhaltlich ausgestalten , begleiten und ggf. notwendige rechtliche Änderungen prüfen“ (Bundestagsdrucksache 18/913). Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Eine Zusammenarbeit an den Schnittstellen des SGB II, SGB III und SGB VIII findet für junge Menschen unter unterschiedlichen Bezeichnungen vielerorts statt, wobei sich die Ausgestaltungen der Kooperationen unterscheiden. Wie bereits in der Vorbemerkung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/913 ausgeführt, erfolgt an Standorten wie Hamburg, Mainz oder Darmstadt die Zusammenarbeit unter der Bezeichnung Jugendberufsagentur, wobei sich auch diese Modelle unterscheiden . Ähnliche Ansätze finden sich unter der Bezeichnung Jugend-Jobcenter zum Beispiel in Frankfurt am Main und Düsseldorf. Auch in ländlicheren Regionen existieren Formen koordinierter Zusammenarbeit auf Grundlage von Kooperationsverträgen. Nach dem Verständnis der Bundesregierung kommt es nicht auf die Bezeichnung der Modelle vor Ort an, sondern darauf, dass die beteiligten Träger zum Wohle der jungen Menschen die Leistungserbringung an den bestehenden Schnittstellen auf einer tragfähigen Grundlage untereinander koordinieren. Im Folgenden wird der Begriff Arbeitsbündnis als Sammelbegriff für die unterschiedlichen Kooperationen in diesem Bereich verwendet. Bundesweit sind nach Kenntnis der Bundesregierung bis Ende September 2014 186 Arbeitsbündnisse entstanden. Beteiligt sind 118 Agenturen für Arbeit (rund 76 Prozent aller Agenturen für Arbeit), 166 gemeinsame Einrichtungen (rund 55 Prozent aller gemeinsamen Einrichtungen) und 34 zugelassene kommunale Träger (rund 32 Prozent aller zugelassener kommunaler Träger). Seit Ende März 2014 hat sich die Anzahl der Arbeitsbündnisse damit von 147 um rund 27 Prozent erhöht. Zahlreiche weitere Standorte haben die Einführung von Arbeitsbündnissen für die Jahre 2015 oder 2016 geplant. 1. Welche rechtlichen Änderungen und welche „datenschutzrechtlichen Hemmnisse “ (Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 18/913, S. 8) hat die Bundesregierung bisher geprüft, und zu welchen Ergebnissen ist sie gekommen? Um mögliche sozialdatenschutzrechtliche Hemmnisse bei der Zusammenarbeit an den Schnittstellen der Sozialgesetzbücher für junge Menschen zu identifizieren , stehen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Informationsaustausch mit Praktikern vor Ort. In der Praxis hat sich gezeigt, dass das geltende Recht rechtssichere und praktikable Lösungen für die trägerübergreifende Übermittlung von Sozialdaten ermöglicht. Dabei haben sich insbesondere gemeinsame Fallbesprechungen der verschiedenen Träger (Agentur für Arbeit, Jobcenter und Jugendamt) mit dem jungen Menschen bewährt. Eine trägerübergreifende Übermittlung von Sozialdaten zwischen den Trägern ist mit schriftlicher Einwilligung möglich. Darüber hinaus ist nach § 69 Absatz 1 Nummer 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Übermittlung von Sozialdaten ohne Einwilligung möglich, soweit sie erforderlich ist für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe der übermittelnden Stelle nach dem Sozialgesetzbuch oder einer solchen Aufgabe des Dritten, an den die Daten übermittelt werden, wenn er – wie bei den vorliegenden Trägern gegeben – eine in § 35 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) genannte Stelle ist. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3396 Wie bereits in der Antwort zu den Fragen 23 und 24 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/913 ausgeführt, wird die Bundesregierung im Zuge des weiteren Prozesses auch datenschutzrechtliche Hemmnisse erörtern und bei Bedarf im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten einer Lösung zuführen. 2. Sind der Bundesregierung Problemanzeigen seitens der Länder oder Kommunen bzw. von Akteuren der Jugendsozialarbeit bezüglich der praktischen Umsetzung rechtskreisübergreifender Zusammenarbeit bekannt? Wenn ja, welche? Leistungen für junge Menschen werden auf der Grundlage des SGB II, SGB III und SGB VIII durch unterschiedliche Träger erbracht. Wenn junge Menschen Unterstützung von mehreren Akteuren erhalten sollen, entsteht ein Bedarf nach Koordinierung und Abstimmung. Es ist der Bundesregierung bekannt, dass in der Praxis bei dieser Koordinierung und Abstimmung an den Schnittstellen der Aufgabenbereiche der Träger der Sozialleistungen Probleme entstehen können, die vor Ort unterschiedlich gelöst werden. Es ist ein Anliegen der Bundesregierung , die Zusammenarbeit an diesen Schnittstellen zu verbessern und Reibungsverluste zum Wohle der jungen Menschen zu minimieren. Die Bundesregierung tauscht sich dazu regelmäßig unter anderem mit Vertretern der Länder, der Kommunen und der Sozialleistungsträger aus. 3. Existieren seitens der Bundesregierung Pläne, die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit der Akteure zu erleichtern? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung verfolgt zur Verbesserung der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit bei der beruflichen Eingliederung junger Menschen einen Bottom-up-Ansatz, um die zahlreichen bestehenden guten Ansätze nicht zu gefährden und praxisgerechte Formen der Zusammenarbeit zu fördern. Da die erfolgreiche Etablierung einer Zusammenarbeit vor Ort voraussetzt, dass die beteiligten Akteure von dem entstehenden Mehrwert überzeugt sind, wirbt sie in einem politischen Prozess für eine flächendeckende Einführung von Jugendberufsagenturen . Die Bundesregierung hat die Länder gebeten, zu überprüfen, ob die jeweiligen Schulgesetze zur Verbesserung der Kooperation der allgemeinbildenden Schulen mit den Sozialleistungsträgern einer Anpassung bedürfen, sodass jeder junge Mensch durch frühzeitige Verzahnung der Maßnahmen die bestmögliche Unterstützung beim Übergang ins Berufsleben erhalten kann. Die Bundesregierung beabsichtigt zudem, mit den Ländern im Jahr 2015 im Kontext des aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten Modellprogramms „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ einen Dialog zur Weiterentwicklung von § 13 SGB VIII zu beginnen. Ob darüber hinaus noch gesetzgeberischer Handlungsbedarf entsteht, wird die Bundesregierung prüfen. Drucksache 18/3396 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 4. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung den Vorschlag des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit, die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure im Rahmen einer gesetzlichen Verpflichtung zu verankern? Die maßgeblichen Sozialgesetzbücher sehen bereits Verpflichtungen der Sozialleistungsträger zur Zusammenarbeit vor (§ 18 SGB II; § 9 Absatz 3 SGB III; § 9a SGB III; § 81 SGB VIII). Diese gelten auch für die berufliche Eingliederung junger Menschen. 5. Mittels welcher Maßnahmen und Angebote begleitet die Bundesregierung die Verantwortlichen vor Ort bei der Einführung von Jugendberufsagenturen , und in wie vielen Fällen haben diese Maßnahmen bisher Akteure vor Ort konkret unterstützt (bitte möglichst ausführlich darlegen, in welchen Phasen die Bundesregierung wie unterstützend oder beratend tätig wird oder war)? Das BMAS hat mit der BA im Jahr 2010 das Projekt „Arbeitsbündnisse Jugend und Beruf“ initiiert, in dessen Rahmen Best-Practice-Ansätze identifiziert und Prozesse und Verfahren an verschiedenen Standorten erprobt wurden, um gute Ansätze für eine gut koordinierte Umsetzung der Leistungen für möglichst viele Regionen nutzbar zu machen. Das BMAS führt auf allen Ebenen Gespräche vor Ort. Es lässt sich informieren und diskutiert die regionalen Ansätze mit den Verantwortlichen . Mit dem ESF-geförderten Modellprogramm „JUGEND STÄRKEN: Aktiv in der Region“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wurden von Oktober 2010 bis Dezember 2013 in 35 Kommunen Ansätze zur rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Jobcentern, Agenturen für Arbeit und der Jugendhilfe (Jugendsozialarbeit) vor Ort erprobt. Hierauf aufbauend leistet das neue ressortübergreifende ESF-Modellprogramm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ des BMFSFJ und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) ab 2015 in rund 200 Modellkommunen bundesweit einen Beitrag zur Einführung und zum Ausbau von Arbeitsbündnissen, indem unter anderem effektive und effiziente Strukturen der Zusammenarbeit zwischen den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, freien Trägern im Bereich Jugendsozialarbeit, Agenturen für Arbeit, Jobcentern, Schulen und weiteren Akteuren gestärkt werden. 6. Wie werden nach Kenntnis der Bundesregierung die bestehenden Jugendberufsagenturen finanziert, und welche alternativen Finanzierungswege und Finanzierungsquellen stehen den Kommunen und Ländern offen, die eine Jugendberufsagentur einrichten wollen (bitte möglichst detailliert aufschlüsseln )? Arbeitsbündnisse bzw. Jugendberufsagenturen sind Bezeichnungen für eine Kooperation von verschiedenen Trägern und keine rechtlich selbstständigen Institutionen . Entsprechend hat ein Arbeitsbündnis bzw. eine Jugendberufsagentur keinen eigenen Haushalt. Die Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger ist eine gesetzliche Aufgabe, die jeweils aus eigenen Mitteln der Träger finanziert wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3396 7. Sind der Bundesregierung Problemanzeigen aus Ländern und Kommunen bzw. von Akteuren der Jugendsozialarbeit bekannt, aus denen hervorgeht, dass die Einrichtung von Jugendberufsagenturen für Länder und Kommunen eine große finanzielle Herausforderung darstellt, die in einigen Fällen die Einrichtung bzw. Arbeit einer Jugendberufsagentur erschwert bzw. unmöglich machen wird? Wenn ja, wie, und in welchem Umfang plant die Bundesregierung die betroffenen Länder und Kommunen finanziell zu unterstützen? Der finanzielle Spielraum der Sozialleistungsträger ergibt sich aus ihren jeweiligen Haushalten. Problemanzeigen von Ländern, Kommunen und Akteuren der Jugendsozialarbeit, ob und ggf. wo fehlende finanzielle Mittel die Entstehung eines Arbeitsbündnisses erschwert oder unmöglich gemacht haben, sind der Bundesregierung nicht bekannt. Die Bundesregierung plant nicht, Länder und Kommunen bei der Einführung von Arbeitsbündnissen finanziell zu unterstützen . Insoweit sind auch die verfassungsrechtlichen Grenzen zu beachten. 8. Sind der Bundesregierung Problemanzeigen aus Ländern und Kommunen bzw. von Akteuren der Jugendsozialarbeit bekannt, aus denen hervorgeht, dass die rechtskreisübergreifende Finanzierung Rechtsunsicherheiten birgt? Wie plant die Bundesregierung bei der rechtskreisübergreifenden Finanzierung von Jugendberufsagenturen Rechtssicherheit zu schaffen? Derartige Problemanzeigen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Aus Sicht der Bundesregierung besteht Rechtssicherheit bei der rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit verschiedener Träger. 9. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die jeweilige Landesregelung zur Dauer der Schulpflicht eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzbarkeit des Modells „Jugendberufsagentur“ darstellt , und welche Problemanzeigen sind ihr diesbezüglich im Rahmen bereits bestehender Jugendberufsagenturen bekannt? Die Bundesregierung hat die Länder gebeten, zu überprüfen, ob deren Schulgesetze einer Anpassung bedürfen, um die Kooperation der allgemeinbildenden Schulen mit den Sozialleistungsträgern zu verbessern. Dazu kann auch die Überprüfung der Dauer der Schulpflicht gehören. Die Entscheidung darüber obliegt den Ländern. Konkrete Problemanzeigen im Rahmen bereits bestehender Arbeitsbündnisse hinsichtlich der Dauer der Schulpflicht sind der Bundesregierung nicht bekannt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333