Deutscher Bundestag Drucksache 18/3419 18. Wahlperiode 03.12.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3207 – Rückführungspolitik und Strategie für Migration und Entwicklung Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode haben die CDU, CSU und SPD das Ziel formuliert, Migrationsfragen u. a. zur Steuerung der Zuwanderung stärker und konkreter in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu verankern. Die Koalition strebt ein stärkeres Ineinandergreifen von Migrations-, Außen- und Entwicklungspolitik an, die den Bereich Rückkehrförderung und Identitätsklärung mit einschließt. Insbesondere soll die Bereitschaft von Herkunfts- und Transitstaaten bei der Bekämpfung „illegaler“ Migration geweckt und gestärkt werden. Dazu, so der Koalitionsvertrag, bedürfe es der Erarbeitung einer „Strategie für Migration und Entwicklung“. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Koalitionsparteien im Rahmen dieser Strategie die Entwicklungspolitik zunehmend in den Dienst einer repressiven Migrationspolitik stellen wollen. Bei der Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer sind deutsche Behörden in vielen Fällen auf Passersatzpapiere angewiesen, die nur durch Angehörige der Auslandsvertretungen oder andere Bevollmächtigte der Herkunftsstaaten ausgestellt werden können (vgl. Bundestagsdrucksachen 18/204; 17/8042; 17/664; 16/10515¸ 16/164; 16/4723; 14/6746). Die Bundesregierung beschrieb im Jahr 2005 das fehlende Kooperationsverhalten der Herkunftsstaaten als ein Vollzugshindernis bei Abschiebungen, da eine Reihe von Herkunftsländern die Rückführungen u. a. durch die schleppende Erteilung von Heimreisedokumenten , langwierige Identitätsklärungen oder das Verlangen nach persönlicher Vorsprache der Betroffenen erschweren würden (Bundestagsdrucksache 16/164). Bereits im Jahr 2000 arbeitete eine Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz einen Forderungskatalog für den Umgang mit Herkunftsstaaten aus, der neben Botschaftereinbestellungen und Visabeschränkungen auch den Stopp bzw. starke Einschränkungen der Entwicklungszusammenarbeit enthielt (DER SPIEGEL 20/2000: „Hilfe nur bei Wohlverhalten“). Die vom damaligen Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 2. Dezember 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Bundesinnenminister Otto Schily eingesetzte „Unabhängige Kommission Zuwanderung“ forderte in ihrem Bericht vom Juli 2001 ebenfalls, dass zur Verbesserung der Rückführungspraxis eine einvernehmliche Lösung zwischen widerstreitenden Politikbereichen gefunden werden müsse. Neben Außen-, Innen-, und Wirtschaftspolitik zählte die Kommission dazu auch die Entwicklungshilfepolitik . Drucksache 18/3419 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Koalitionsfraktionen CDU, CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode vom 29. November 2013 Folgendes vereinbart: „Zur konsequenten Rückführung nicht schutzbedürftiger Menschen werden wir eine abgestimmte Strategie begründen. Angesicht der weltweit zunehmenden Mobilität und Migration sollten Migrationsfragen mit dem Ziel einer besseren Steuerung der Zuwanderung und zur Bekämpfung der Ursachen von unfreiwilliger Migration und Flucht stärker und konkreter in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Drittstaaten verankert werden. Hierdurch soll ein besseres Ineinandergreifen von Migrations-, Außen- und Entwicklungspolitik geschaffen werden, die den Bereich Rückkehrförderung und Identitätsklärung einschließt. Die Bereitschaft von Herkunfts- und Transitstaaten bei der Bekämpfung der illegalen Migration, der Steuerung legaler Migration und dem Flüchtlingsschutz besser zu kooperieren soll geweckt oder gestärkt werden. Hierzu bedarf es der Erarbeitung einer Strategie für Migration und Entwicklung.“ Aufgrund der anhaltenden Flüchtlings- und Migrationsbewegungen über das Mittelmeer nach Europa muss die Zusammenarbeit mit den Transit- und Herkunftsländern der Flüchtlinge und Migranten gestärkt werden. Hierbei kann die Entwicklungszusammenarbeit durch Bekämpfung der Armut und ökologischen Zerstörung einen Beitrag leisten, um Fluchtursachen zu vermindern. Die Bundesregierung verfolgt bei ihrer Rückkehrpolitik (Rückführung, freiwillige Rückkehr, Reintegration) den strategischen Ansatz eines integrierten Rückkehrmanagements , bestehend aus Rückkehrberatung im Vorfeld der Ausreise, finanzieller und organisatorischer Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der freiwilligen Rückkehr sowie der nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Reintegration im Herkunftsstaat. Unter gemeinsamem Vorsitz des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Innern (BMI) unter Beteiligung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration hat sich am 15. Oktober 2014 eine Staatssekretärs-Arbeitsgruppe „Internationale Migration“ konstituiert , deren Aufgaben und Ziele in nachfolgender Antwort zu den Fragen 2 und 3 näher dargestellt sind. 1. Inwiefern hatte der im Jahr 2000 erarbeitete Forderungskatalog der Innenministerkonferenz Auswirkungen auf die Arbeit der Bundesregierung und den Umgang mit Herkunftsstaaten? Der im Jahr 2000 erarbeitete Forderungskatalog der Innenministerkonferenz zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten wird wie folgt fortgesetzt : – Erörterung der Rückführungsprobleme im Rahmen der politischen Kontakte; – Erörterung der bestehenden Probleme mit den Botschaften der betroffenen Staaten; – Demarchen des deutschen Botschafters im Heimatstaat; – Verfahrensabsprachen mit Herkunftsstaaten unterhalb der Ebene förmlicher Rückübernahmeabkommen; – Abschluss von Rückübernahmeabkommen, derzeit insb. auf EU-Ebene; – Aufnahme von Rückübernahmeklauseln in Abkommen – z. B. in Mobilitäts- partnerschaften – zwischen der EU und den Herkunftsstaaten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3419 Bei erheblichen Schwierigkeiten in Rückführungsfragen werden die Probleme mit den betroffenen Staaten im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, den Bundesländern und soweit erforderlich den betroffenen Bundesressorts verhandelt. 2. Inwieweit sind die im Koalitionsvertrag formulierten Bemühungen der Bundesregierung, eine Strategie für Migration und Entwicklung zu erarbeiten , gediehen, und unter der Federführung welches Bundesministeriums wird die Strategie ausgearbeitet? 3. Gibt es eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Ausarbeitung der Strategie für Migration und Entwicklung beschäftigt? Wenn ja, wann kam es zu Sitzungen dieser Arbeitsgruppe, Mitarbeiter welcher Fachreferate welcher Bundesministerien haben an ihnen teilgenommen , und welche Tagesordnungspunkte wurden besprochen? Wenn nein, ist die Gründung einer solchen Arbeitsgruppe vorgesehen, und wie soll sie sich zusammensetzen? Die Fragen 2 und 3 werden gemeinsam beantwortet. Am 15. Oktober 2014 hat sich unter gemeinsamem Vorsitz des Auswärtigen Amtes und des BMI unter Beteiligung des BMZ und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration eine StaatssekretärsArbeitsgruppe „Internationale Migration“ konstituiert, deren Auftrag es ist, im Sinne einer kohärenten und ganzheitlichen Migrationspolitik für eine engere Abstimmung im Ressortkreis zu den Zielen, Möglichkeiten und Notwendigkeiten eines modernen Migrationsmanagements Sorge zu tragen. Die Arbeitsgruppe soll außerdem Strategien zur Positionierung der Bundesregierung in der europäischen Debatte und im Umgang mit Herkunfts- und Transitländern von Migranten erarbeiten. Ob hierbei auch die im Koalitionsvertrag vorgesehene „Strategie für Migration und Entwicklung“ erarbeitet werden soll, ist noch zu klären. Die Staatssekretärs-Arbeitsgruppe „Internationale Migration“ hat Unterarbeitsgruppen zu den Themen „Beziehungen zu Drittstaaten und internationalen Foren“, „Bekämpfung illegaler/irregulärer Migration“, „Migration und Entwicklung “, „Flüchtlingsschutz“ und „Steuerung legaler Migration“ eingesetzt, die in Kürze ihre Arbeit aufnehmen werden. Mit ersten Ergebnissen der Staatssekretärs -Arbeitsgruppe „Internationale Migration“ ist im Verlauf des kommenden Jahres zu rechnen. 4. Welche Gremien bestehen zwischen Vertretern des Bundesministeriums des Inneren (BMI) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), um sich regelmäßig zu Migrationsthemen auszutauschen? 5. Wie heißen diese Gremien, wann kam es in den letzten fünf Jahren zu Sitzungen, Mitarbeiter welcher Fachreferate haben an ihnen teilgenommen, und welche Tagesordnungspunkte wurden besprochen? Die Fragen 4 und 5 werden gemeinsam beantwortet. Zwischen dem BMI und dem BMZ bestehen keine gemeinsamen Gremien der in den Fragen angesprochenen Art. Drucksache 18/3419 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Welche Anfragen zur Zusammenarbeit in den Bereichen freiwillige und zwangsweise Rückkehr hat das BMI an das BMZ in den vergangenen zehn Jahren gestellt? In den vergangenen zehn Jahren hat das BMI gegenüber BMZ in Bezug auf nationale Projekte keine Anfragen zur Zusammenarbeit in dem Bereich der zwangsweisen Rückkehr bzw. in dem Bereich der Rückübernahme ausreisepflichtiger Personen gestellt. Auf EU-Ebene wird gegenwärtig ein Pilotprojekt zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich der Rückkehr erarbeitet, an dem sich die Mitgliedstaaten beteiligen können. Das BMI prüft derzeit gemeinsam mit mehreren potentiell betroffenen Ressorts, zu denen auch das BMZ gehört, ob und inwieweit Deutschland an dem Projekt teilnehmen wird. Für den Bereich „freiwillige Rückkehr“ war das BMZ ab dem Jahr 2007 an Erwägungen des BMI beteiligt, mit Ghana über eine gemeinsame bilaterale Absichtserklärung über Zusammenarbeit im Bereich Migration zu verhandeln. Dies wurde jedoch nicht realisiert. Darüber hinaus wurde im Jahr 2011 eine engere Zusammenarbeit zwischen BMI und BMZ im Rahmen des Reintegrationsprojekts „URA 2“ in Kosovo erwogen. 7. In Bezug auf welche der folgenden Länder hat das BMI das BMZ in den vergangenen zehn Jahren angefragt, die Entwicklungszusammenarbeit zu modifizieren: Ägypten, Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Äthiopien, Bangladesch, Benin, Burkina Faso, China, Côte d’Ivoire, Eritrea, Ghana, Guinea, Indien, Iran, Jemen, Jordanien, Kamerun, Liberia, Marokko, Mali, Nigeria, Pakistan, Russland, Somalia, Syrien, Sierra Leone? 8. Welchen Anfragen wurde im Einzelnen stattgegeben, und welche konkreten Maßnahmen wurden ergriffen? 9. Für welche weiteren Länder wurden entsprechende Anfragen vom BMI an das BMZ gerichtet, und welchen Anfragen wurde gegebenenfalls stattgegeben ? Die Fragen 7 bis 9 werden gemeinsam beantwortet. Es wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. 10. Welchen Beitrag kann und sollte die Entwicklungszusammenarbeit nach Ansicht der Bundesregierung im Migrationsmanagement im Allgemeinen und bei der Rückführung von ausreisepflichtigen Ausländern im Besonderen spielen? Die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung leistet einen Beitrag zur Verringerung von Fluchtursachen, zur Stabilisierung der Aufnahmeregionen und zur entwicklungsförderlichen Gestaltung von Migration. Unter anderem wird das Zusammenwirken dieser Ansätze mit weiteren migrationspolitisch relevanten Handlungsfeldern im Rahmen der Staatssekretärs-Arbeitsgruppe „Internationale Migration“ erörtert (vgl. hierzu auch die Antwort zu den Fragen 2 und 3). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3419 11. Ist das BMZ grundsätzlich oder gelegentlich an der Ausarbeitung bzw. Verhandlung von Rückübernahmeabkommen (RÜA) beteiligt? Falls ja, welchen Beitrag hat das BMZ in den jeweiligen Fällen beigesteuert ? 12. War das BMZ an den Verhandlungen über die RÜA mit Bulgarien, Georgien, Kasachstan, Kroatien, Kosovo, Südkorea und Syrien, den Verhandlungen über Migrationsabkommen mit Guinea und Ghana und über die Absichtserklärung über die Zusammenarbeit im Bereich der irregulären Migration mit Nigeria beteiligt, und falls ja, in welcher Weise? 13. Wie sieht der Beitrag des BMZ zur Umsetzung der jeweiligen Abkommen aus? Die Fragen 11 bis 13 werden gemeinsam beantwortet. Sowohl die von der Bundesrepublik Deutschland bilateral als auch die von der Europäischen Union abgeschlossenen Rückabnahmeabkommen mit Hauptherkunftsstaaten konkretisieren auf Verlangen des Aufenthaltsstaates über ihre Verfahrensregelungen die bestehende allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung eines Staates zur Rückübernahme eigener Staatsangehöriger, welche die Voraussetzungen zum Aufenthalt auf dem Hoheitsgebiet der jeweils anderen Vertragspartei nach deren Rechtsvorschriften nicht oder nicht mehr erfüllen. Die Rückübernahmeabkommen haben insoweit primär eine wenn auch politisch Bedeutsame deklaratorische Funktion. Da Gegenstand der Rückübernahmeabkommen ausschließlich die bestehende völkerrechtliche Verpflichtung zur Rückübernahme eigener Staatsangehöriger ist, wird der Vertragsabschluss mit keinen über die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Rückübernahmeverfahrens hinausgehende weitere Bedingungen versehen , wie z. B. die Gewährung wirtschaftlicher Vorteile – auch der Entwicklungszusammenarbeit – oder die Aufhebung von Visarestriktionen. Das BMZ war daher weder bei der Ausarbeitung bzw. Verhandlung eines Rückübernahmeabkommen beteiligt noch hat das BMZ einen Beitrag zum Abschluss der vorgenannten Rückübernahmeabkommen geleistet. 14. Für welche Zielstaaten und in welchem Umfang unterstützt das BMZ die freiwillige Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer? Im Rahmen des speziellen Rückkehr- und Reintegrationsprogramms von SOLWODI e. V. wird die berufliche und soziale Wiedereingliederung von in Not geratenen Frauen in Entwicklungsländern und in mittel- und osteuropäischen Staaten gefördert. SOLWODI e. V. unterstützt mit diesem Programm vor allem weibliche Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. In dieser Zielgruppe befinden sich auch ausreisepflichtige Frauen. Der Aufenthaltsstatus der Bewerberinnen ist jedoch kein Kriterium für die Aufnahme oder Nichtaufnahme in das Programm. Das BMZ fördert SOLWODI e. V. mit rund 190 000 Euro jährlich. Darüber hinaus wird die freiwillige Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer vom BMZ nicht gefördert. Drucksache 18/3419 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 15. Welche Rolle spielt die Rückübernahme ausreisepflichtiger Ausländer durch Herkunfts- oder Transitstaaten bei der Umsetzung der Sonderinitiative des BMZ „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“? Die Rückübernahme ausreisepflichtiger Ausländer durch Herkunfts- oder Transitstaaten spielt keine Rolle bei der Umsetzung der Sonderinitiative des BMZ „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“. 16. Welche Rolle spielt die Kooperationsbereitschaft der Partnerländer bei der Rückübernahme von Flüchtlingen in der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union? Die Kooperationsbereitschaft der Partnerländer bei der Rückübernahme von Flüchtlingen spielt keine Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333