Deutscher Bundestag Drucksache 18/3424 18. Wahlperiode 03.12.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/3233 – Bundesteilhabegesetz und kommunale Entlastung Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist festgelegt, dass die Kommunen im Zuge der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes um jährlich 5 Mrd. Euro von den Kosten der Eingliederungshilfe entlastet werden sollen . Gegenwärtig werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, in welcher Form sich der Bund finanziell an diesen Kosten beteiligen könnte. Ein Konzept , das bereits seit mehr als zehn Jahren diskutiert wird, ist ein sogenanntes Teilhabegeld. Sofern es dem Zweck eines finanziellen Transfers von Bundesmitteln auf die kommunale Ebene dienen soll, könnte es in Form einer pauschalen Geldleistung an Personen, die Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, gestaltet werden. Es würde auf eben diese Leistungen wieder angerechnet. Auf diese Weise soll eine sachgerechte Mitfinanzierung der Kosten von Teilhabeleistungen durch den Bund möglich werden. Als alternatives Modell wurde kürzlich die (schrittweise) Übernahme der Kosten der Unterkunft (Zweites Buch Sozialgesetzbuch – SGB II) durch den Bund vorgeschlagen . Es ist sowohl behindertenpolitisch als auch mit Blick auf die finanzielle Belastung der Kommunen entscheidend, dass die inhaltliche Reform der Eingliederungshilfe und die finanzielle Entlastung der Kommunen nicht voneinander getrennt werden, sondern in einem Gesetzgebungsverfahren stattfinden. Es ist seit Jahren offensichtlich, dass die bestehenden Probleme im Teilhaberecht nicht nur den Anspruch behinderter Menschen auf gleichberechtigte Teilhabe verletzen, sondern auch überflüssige Kosten verursachen. Die Verknüpfung von inhaltlichen und finanziellen Interessen führt nun dazu, dass der Reformprozess im Leistungsrecht Fahrt aufgenommen hat. Eine Trennung beider Aspekte würde die Möglichkeit, das Leistungsrecht auch inhaltlich weiterzuentwickeln , erheblich verschlechtern. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 1. Dezember 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode darauf verständigt, die Leistungen an Menschen, die Drucksache 18/3424 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode aufgrund einer wesentlichen Behinderung nur eingeschränkte Möglichkeiten der Teilhabe haben, aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herauszuführen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln. Diesen Auftrag beabsichtigt die Bundesregierung mit der Vorlage eines Entwurfs für ein Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen umzusetzen . Die Erarbeitung des Entwurfs erfolgt nach dem im Koalitionsvertrag niedergeschriebenen Grundsatz „Nichts über uns – ohne uns“. Das heißt: Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände werden von Anfang an kontinuierlich am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Die Bundesregierung steht damit zu ihrer Zusage , in dieser Legislaturperiode den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes zu erarbeiten, um das Teilhaberecht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention weiterzuentwickeln. In der Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ erörtern die Verbände der Menschen mit Behinderungen, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, die Träger der freien Wohlfahrtspflege, die Konferenz der Fachverbände für Menschen mit Behinderungen, die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und ihre Werkstatträte, die Bundesländer, die Kommunalen Spitzenverbände, die überörtlichen Sozialhilfeträger, die Sozialversicherungsträger und die Sozialpartner mit der Bundesregierung die Kernpunkte der Reform auf hochrangiger Ebene. Der Beteiligungsprozess soll im April 2015 abgeschlossen und umfassend dokumentiert sein. Zwischenergebnisse werden fortlaufend auf der Internetseite www.gemeinsam-einfach-machen.de veröffentlicht . Nach dem Koalitionsvertrag sollen die Kommunen im Rahmen der Verabschiedung eines Bundesteilhabegesetzes im Umfang von 5 Mrd. Euro jährlich von den Ausgaben der Eingliederungshilfe entlastet werden. Die Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ wird daher auch Vorschläge diskutieren, mit denen im Rahmen der Teilhaberechtsreform diese Entlastung erreicht werden kann. Im Hinblick auf die im Koalitionsvertrag angelegte Selbstverpflichtung der Bundesregierung, dem breiten und hochrangigen Beteiligungsprozess einen Vorrang vor der regierungsinternen Meinungsbildung einräumen zu wollen, werden die nachfolgenden Fragen zum jetzigen Zeitpunkt teils mit Verweis auf diese Vorbemerkung zum Beteiligungsprozess in der Arbeitsgruppe beantwortet . Soweit in den Antworten auf den Sachstand der Befassung in der Arbeitsgruppe verwiesen wird, ist hiermit keine inhaltliche Positionierung der Bundesregierung verbunden. 1. Zu welchem Zeitpunkt wird voraussichtlich eine Einigung über die sinnvollste Form der Verknüpfung der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe und der finanziellen Entlastung der Kommunen erzielt sein, und ist sichergestellt , dass Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände an den Verhandlungsprozessen ausreichend beteiligt werden? 2. Welche Vorteile ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung, würde der Bund im Zuge der Reform des Teilhaberechts die Kosten der Unterkunft komplett übernehmen (bitte jeweils für den Bund, die kommunale Finanzlage sowie die der Länder und für die leistungsberechtigten behinderten Menschen aufschlüsseln)? 3. Welche Nachteile ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung, würde der Bund im Zuge der Reform des Teilhaberechts die Kosten der Unterkunft komplett übernehmen (bitte jeweils für den Bund, die kommunale Finanzlage sowie die der Länder und für die leistungsberechtigten behinderten Menschen aufschlüsseln)? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3424 Die Fragen 1 bis 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Das Ziel der finanziellen Entlastung der Kommunen wird im Zusammenhang mit dem in der Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ identifizierten Reformbedarf Gegenstand der Beratungen in der achten Sitzung der Arbeitsgruppe am 12. März 2015 sein. Diesen Erörterungen möchte die Bundesregierung, getreu dem selbstverpflichtenden Grundsatz des Beteiligungsprozesses „Nichts über uns – ohne uns“, nicht vorgreifen. Aufgrund der besonderen Bedeutung von Finanzierungsaspekten des Reformvorhabens für den laufenden Beteiligungsprozess hat das Bundesministerium der Finanzen auf Einladung der Arbeitsgruppe in der vierten Sitzung am 19. November 2014 die Gelegenheit genutzt, die Arbeitsgruppe über den derzeitigen Stand der Gespräche über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen mit Bezug zur Reform der Eingliederungshilfe zu informieren. Das Bundesministerium der Finanzen hat die Arbeitsgruppe in diesem Zusammenhang auch darüber unterrichtet, dass die in der Presse berichtete und auch von den Fragestellern erwähnte alternative Überlegung zur Entlastung der Kommunen durch die (schrittweise) Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund aus einem informellen Meinungsbildungsprozess stammt, der in einen größeren Zusammenhang von Gesprächen über die Neuordnung der Bund-Länder -Finanzbeziehungen eingebettet ist. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe nutzten die Möglichkeit, ihre Einschätzungen hierzu vorzutragen. Dieser Gedankenaustausch wird im Rahmen des transparenten Beteiligungsprozesses ebenfalls dokumentiert und nach Genehmigung des Protokolls in der Folgesitzung der Arbeitsgruppe am 10. Dezember 2014 auf der Internetseite www.gemeinsameinfach -machen.de veröffentlicht. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 4. Welche Vorteile ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung, würde der Bund im Zuge der Reform des Teilhaberechts dem leistungsberechtigten Personenkreis ein pauschales Teilhabegeld auszahlen, das auf die Leistungen der Eingliederungshilfe angerechnet würde (bitte jeweils für den Bund, die kommunale Finanzlage sowie die der Länder und für die leistungsberechtigten behinderten Menschen aufschlüsseln)? 5. Welche Nachteile ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung, würde der Bund im Zuge der Reform des Teilhaberechts dem leistungsberechtigten Personenkreis ein pauschales Teilhabegeld auszahlen, das auf die Leistungen der Eingliederungshilfe angerechnet würde (bitte jeweils für den Bund, die kommunale Finanzlage sowie die der Länder und für die leistungsberechtigten behinderten Menschen aufschlüsseln)? 6. Welcher Personenkreis würde von einem solchen Teilhabegeld besonders profitieren? 7. Für welchen Personenkreis entstünden durch ein solches Teilhabegeld möglichweise Nachteile? Die Fragen 4 bis 7 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . In der vierten Sitzung der Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ am 19. November 2014 wurden die Möglichkeiten zur Einführung von pauschalierten Geldleistungen erörtert. Die Ergebnisse werden im verabredeten Verfahren nach Verabschiedung des Protokolls durch die Arbeitsgruppe in der Folgesitzung am 10. Dezember 2014 auf der Internetpräsenz www.gemeinsam-einfach-machen.de Drucksache 18/3424 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode veröffentlicht. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen . 8. Welche Vorteile ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung, würde die Bundesagentur für Arbeit zuständig werden für alle Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei gleichzeitiger Einführung eines Bundeszuschusses zur Gegenfinanzierung dieser Leistungen (bitte jeweils für den Bund, die kommunale Finanzlage sowie die der Länder und für die leistungsberechtigten behinderten Menschen aufschlüsseln)? 9. Welche Nachteile ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung, würde die Bundesagentur für Arbeit zuständig werden für alle Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei gleichzeitiger Einführung eines Bundeszuschusses zur Gegenfinanzierung dieser Leistungen (bitte jeweils für den Bund, die kommunale Finanzlage sowie die der Länder und für die leistungsberechtigten behinderten Menschen aufschlüsseln)? Die Fragen 8 und 9 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ hat sich in ihrer dritten Sitzung am 14. Oktober 2014 mit Handlungsoptionen zur Teilhabe am Arbeitsleben befasst. Das Ergebnis der Befassung wurde nach Genehmigung des Protokolls in der Folgesitzung am 19. November 2014 auf der Internetseite www.gemeinsameinfach -machen.de veröffentlicht. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. 10. Welche Regelungen des heutigen Sechsten Kapitels des SGB XII (Eingliederungshilfe ) kommen aus Sicht der Bundesregierung für länderindividuelle gesetzgeberische Gestaltungsspielräume infrage und sind daher Teil der von der Bundesregierung in der Fragestunde am 5. November 2014 (Plenarprotokoll 18/62, Anlage 13) erwähnten Prüfung? 11. Welche Regelungen des heutigen Sechsten Kapitels des SGB XII (Eingliederungshilfe ) kämen für länderindividuelle gesetzgeberische Gestaltungsspielräume grundsätzlich infrage? 12. Welche Vor- und Nachteile sieht die Bundesregierung in der teilweisen Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für Leistungen zur Teilhabe auf die Länder für die leistungsberechtigten behinderten Menschen? Die Fragen 10 bis 12 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Bundesregierung hat den Vorschlag, den Bundesländern korrespondierend zu ihrer Finanzierungsverantwortung bei der Eingliederungshilfe eine beschränkte Gesetzgebungskompetenz zu geben, noch nicht abschließend geprüft. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung und auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen. 13. Besteht nach Kenntnis der Bundesregierung gegenwärtig für Menschen mit Unterstützungsbedarf in allen Bundesländern unabhängig vom Ausmaß ihres Unterstützungsbedarfs die Möglichkeit, ambulante Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen, sofern sie nicht in einer (stationären ) Einrichtung leben, lernen oder arbeiten möchten, und wenn nicht, wie Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3424 ist das mit dem Ziel einheitlicher Lebensbedingungen im gesamten Bundesgebiet vereinbar? Nach § 13 Absatz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) haben ambulante Leistungen Vorrang vor teilstationären und stationären Leistungen und teilstationäre Leistungen Vorrang vor stationären Leistungen. Der Vorrang der ambulanten Leistung gilt nicht, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Bei der Entscheidung ist zunächst die Zumutbarkeit zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Da die Durchführung der Sozialhilfe eine Aufgabe der Länder ist, kann die Bundesregierung zur Umsetzung dieser Regelung in allen Bundesländern keine Aussage treffen. 14. Sieht die Bundesregierung durch die nach Information der Fragesteller stattfindende unterschiedliche Bearbeitungs- und Bewilligungspraxis der Sozialhilfeträger heute faktische Hemmnisse, wenn Menschen mit Behinderungen mit Bedarf an Teilhabeleistungen umziehen möchten? Welche Auswirkungen hätten erweiterte Kompetenzen der Länder unter diesem Gesichtspunkt? Da die Durchführung der Sozialhilfe eine Aufgabe der Länder ist, kann die Bundesregierung zur Bearbeitungs- und Bewilligungspraxis der Sozialhilfeträger keine Aussage treffen. 15. Wie sind die Überlegungen zu einer beschränkten Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Eingliederungshilfe mit dem Ziel der Bundesregierung (vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD) vereinbar, ein bundesweit einheitliches Verfahren zur Bedarfsfeststellung zu schaffen? Auf die Antwort zu den Fragen 10 bis 12 wird verwiesen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333