Deutscher Bundestag Drucksache 18/3521 18. Wahlperiode 12.12.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/3354 – Neue Fragen zur Sicherheit der Atomanlagen in der Ukraine Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das hohe Risiko für einen Reaktorunfall in der Ukraine hat sich in den letzten Monaten nicht verändert. Durch den andauernden Konflikt ist die Gefahr permanent gegeben. Ein absichtlich oder unabsichtlich herbeigeführter Reaktorunfall hätte auch direkte Folgen für die Bundesrepublik Deutschland. Die Ukraine bat bereits im März 2014 die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), die Frage der nuklearen Sicherheit mit den russischen Behörden zu besprechen. Auch die USA, die Europäische Union und die Nordatlantikpakt -Organisation (NATO) wurden um Unterstützung beim Schutz der ukrainischen Atomanlagen gebeten – ein Expertenteam wurde im Mai 2014 entsandt. In einem Antwortschreiben vom 26. August 2014 an den Fraktionsvorsitzenden Dr. Anton Hofreiter und die atompolitische Sprecherin Sylvia Kotting-Uhl der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärten die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, und der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, dass die Ukraine um eine Ausweitung der Zusammenarbeit bei der Anlagensicherung gebeten hat. Diese Bitte umschließt auch die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH, die ein Büro in Kiew hat. In dem Schreiben kündigte die Bundesregierung eine Prüfung für Unterstützungsmöglichkeiten an. Darüber hinaus wurde bekannt, dass es ein Finanzierungsdefizit von 615 Mio. Euro für den im Bau befindlichen Sarkophag in Tschernobyl gibt. Deutschland sollte während seiner G7-Präsidentschaft die Finanzierung und damit Fertigstellung des Sarkophags in den Vordergrund stellen (www.sueddeutsche.de vom 16. September 2014 „Tschernobyl-Sarkophag droht Baustopp“). Zum anderen beschäftigt die Fragesteller weiterhin der Einsatz amerikanischer Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 11. Dezember 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Brennelemente in ukrainischen Atomkraftwerken (AKW) mit Reaktoren russischer Bauart, bei dem es zur Verbiegung der Brennelemente kommt, dem sogenannten Bananen-Effekt. Die Verbiegung kann dazu führen, dass bei einem Reaktorunfall Steuerstäbe nicht einwandfrei eingeführt werden können. Trotz Drucksache 18/3521 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode dieses Sicherheitsrisikos hat die ukrainische Atomaufsichtsbehörde einen neuen Vertrag mit der US-Firma Westinghouse abgeschlossen (www. tagesschau.de vom 28. Mai 2014 „Wie sicher sind die Atomkraftwerke in der Ukraine“). Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ging der Thematik Sicherheit an den ukrainischen Atomstandorten, dem Finanzierungsdefizit in Tschernobyl sowie der Frage nach den Brennelementen bereits in diversen parlamentarischen Anfragen nach, um einen öffentlich zugänglichen Überblick zu schaffen. Aufgrund der andauernden Krisensituation in der Ukraine und neuer Entwicklungen , wie der angekündigten Überprüfung von Unterstützungsmöglichkeiten durch die Bundesregierung, ist für die Fragesteller eine erneute Abfrage relevant . 1. Welche Unterstützungsmöglichkeiten seitens Deutschlands zur Sicherung der ukrainischen Atomanlagen haben sich bei der Prüfung durch die Bundesregierung ergeben (vgl. Antwortschreiben von der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, und dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, vom 26. August 2014), und wird die Bundesregierung davon Gebrauch machen (bitte Erläuterung zu einzelnen möglichen Handlungsoptionen)? Die Bundesregierung beabsichtigt, auf bilateraler Basis Projekte zur Reduzierung von chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Risiken in der Ukraine zu fördern. Die Zusammenarbeit ist Teil der Globalen Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien. Die diesbezüglichen Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung sind noch nicht abgeschlossen. Die Projekte sollen in Abstimmung mit der ukrainischen Seite auch Maßnahmen im Bereich der nuklearen Sicherung umfassen. Auf deutscher Seite sollen die diesbezüglichen Projekte von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH betreut werden. Die konkrete Projektdefinition erfolgt in enger Abstimmung mit den potentiellen ukrainischen Projektpartnern vor Ort. Sie ist noch nicht abgeschlossen. Nach Abschluss der Verhandlung der Projektvereinbarungen und ihrer Rahmenbedingungen mit der ukrainischen Regierung sollen die Projekte zeitnah anlaufen, entsprechende Haushaltsmittel sind vorgemerkt. Im Rahmen eines internationalen Arbeitstreffens im November 2014, an dem auch ukrainische Behörden und Institute teilnahmen, konnten Erfahrungen zur Entwicklung und bedrohungsbasierten Anpassung der Anforderungen an Sicherungssysteme ausgetauscht und diskutiert werden. Am Rande dieses Arbeitstreffens wurden mit den ukrainischen Teilnehmern weitere projektbezogene Kooperationsmöglichkeiten zur Verbesserung der nuklearen Sicherung in der Ukraine besprochen. Die Realisierung wird derzeit im Einzelnen geprüft. 2. Welche genauen Sicherheitsmaßnahmen wurden laut Kenntnis der Bundesregierung oder der GRS an den ukrainischen Atomstandorten seit Beginn des Konflikts getroffen? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. Festlegung und Umsetzung einzelner Sicherheits- und Sicherungsmaßnahmen liegen in der alleinigen Verantwortung des Staates, in dem sich kerntechnische Anlagen befinden . Sicherungsmaßnahmen unterliegen zudem den dortigen Geheimschutzbestimmungen und werden ausländischen Stellen in der Regel nicht bekannt gegeben . Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3521 3. Welche Entwicklungen haben sich seit der Entsendung des NATO-Expertenteams in diesem Jahr laut Kenntnis der Bundesregierung an den ukrainischen Atomanlagen ergeben, und wurden seitdem weitere Sicherheitsvorkehrungen vorgenommen? Das NATO-Expertenteam besuchte im April 2014 Kiew und beriet dort mit ukrainischen Experten zum gesamten Komplex der zivilen Notfallplanung. Anschließend wurden Empfehlungen zur Überarbeitung der zivilen Notfallpläne ausgesprochen, die derzeit von der Ukraine umgesetzt werden. 4. Ist der Bundesregierung mittlerweile bekannt, ob die IAEO der Bitte der Ukraine nachgekommen ist und Gespräche zur Sicherheitslage ihrer Atomstandorte mit den russischen Behörden aufgenommen hat (vgl. Antwort zu Frage 5, Bundestagsdrucksache 18/2109), und wenn ja, mit welchem Ergebnis ? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. 5. Wurde inzwischen bei den Abstimmungen zwischen der Bundesregierung und ihren Partnern bzgl. der Deeskalation des russisch-ukrainischen Konflikts auch die Sicherheitslage an den Atomanlagen thematisiert (vgl. Antwort auf die Kleine Anfrage zu den Fragen 6 und 7, Bundestagsdrucksache 18/2109), und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 6 auf Bundestagsdrucksache 18/2109 wird verwiesen. 6. Wie werden nach Kenntnis der Bundesregierung in der momentanen Krisensituation die abgebrannten Brennelemente geschützt, die im Freien auf dem Gelände des AKW Saporoschje lagern, und hält die Bundesregierung die Lagerung für angemessen? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Informationen vor. 7. Ist der Bundesregierung bekannt, ob im August 2014 ein Transport mit abgebrannten Brennelementen aus Ungarn über die Ukraine nach Russland stattgefunden hat, und wenn ja, welche Details kann sie dazu mitteilen? Die Bunderegierung erhält nur dann Informationen zu Transporten von Kernbrennstoffen , wenn hierbei deutsches Staatsgebiet berührt wird. Für die Beförderung von Kernbrennstoffen in Deutschland ist eine entsprechende Genehmigung des Bundesamtes für Strahlenschutz erforderlich. Über einen Transport von Ungarn nach Russland liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. 8. Sieht die Bunderegierung eine erhöhte Gefahr bei Nukleartransporten durch die Krisengebiete, und wenn nein, warum nicht? Nach Ansicht der Bundesregierung sind Transporte jeglicher Art durch Krisengebiete in erhöhtem Maß gefährdet. Drucksache 18/3521 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den möglichen Lufttransport von Nuklearmaterial (neue und gebrauchte Brennelemente) aus der bzw. über die Ukraine? Auf die Antwort zu Frage 7 wird verwiesen. 10. Wurden laut Kenntnis der Bundesregierung seit dem letzten Jahr Verbesserungen an den ukrainischen Atomanlagen vorgenommen (bitte mit Angabe zu Standort, Reaktor, Art der Verbesserung, Kosten etc.)? In den 15 ukrainischen Kernkraftwerksblöcken wird nach Kenntnis der Bundesregierung im Zeitraum von 2012 bis 2017 ein Modernisierungsprogramm umgesetzt , um das Sicherheitsniveau zu erhöhen. Das Programm berücksichtigt darüber hinaus Erkenntnisse aus dem Reaktorunfall von Fukushima Daiichi. Die Gesamtkosten der Modernisierungen belaufen sich nach vorliegenden Informationen auf etwa 1,4 Mrd. Euro. Die Ukraine hat darüber hinaus an dem Europäischen Stresstest 2012 und dem „Peer Review Workshop 2013“ teilgenommen. Der Nationale Aktionsplan der Ukraine zur Umsetzung von Maßnahmen ist veröffentlicht worden. 11. Welche Sicherheitsdefizite können laut Kenntnis der Bundesregierung durch die Verbiegung von Brennelementen entstehen, und wie schätzt die Bundesregierung diese Gefahren ein? Durch Verbiegung von Brennelementen kann sich die Belastung der Brennstäbe erhöhen, was zur Beschädigung einzelner Brennstäbe und zum Austritt radioaktiver Produkte in das Primärkühlmittel führen kann. Sofern die betroffenen Brennelemente mit Steuerstäben bestückt sind, könnte es auch zu Beeinträchtigungen der ordnungsgemäßen Funktion der Steuerstäbe kommen. Nach Aussage der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde „State Nuclear Regulatory Inspektorate of Ukraine“ (SNRIU) der Ukraine haben die bisher in der Ukraine festgestellten Schäden an einzelnen Westinghouse-Brennelementen jedoch nicht zur Undichtigkeit von Brennstäben geführt. Der Bundesregierung liegen keine weiteren Erkenntnisse zu den Schäden vor. Westinghouse hat nach der Bundesregierung vorliegenden Informationen ein modifiziertes Brennelement entwickelt. Für den Einsatz in den ukrainischen Kernkraftwerken wird derzeit das Genehmigungsverfahren durchgeführt. Die Details der vorgenommenen Maßnahmen und Konstruktionsänderungen sind der Bundesregierung nicht bekannt. 12. Welche Änderungen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung an den Reaktoren 2 und 3 des AKW Süd-Ukraine nach dem Verbot der ukrainischen Atomaufsicht (SNRIU) zum Weiterbetrieb mit Brennelementen der Firma Westinghouse vorgenommen (April 2012), und sind diese nach Ansicht der Bundesregierung ausreichend? Der Bundesregierung liegen keine Informationen darüber vor, dass an den Reaktoren spezifische Änderungen zum Einsatz der Westinghouse-Brennelemente vorgenommen wurden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3521 13. Ist der GRS die Problematik um amerikanische Brennelemente im AKW Süd-Ukraine bekannt, und wenn ja, wie schätzt sie die Sicherheitslage ein? Die Problematik ist der GRS bekannt. Für eine Bewertung reichen die in der GRS vorliegenden Informationen nicht aus. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung zur Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/2670 wird verwiesen. 14. Hat die GRS im Zusammenhang mit der Brennelemente-Problematik gegenüber deutschen oder ukrainischen Behörden Sicherheitsmaßnahmen vorgeschlagen, und wenn ja, welche? Seitens der GRS wurden keine Sicherheitsmaßnahmen für den Betrieb der Anlagen vorgeschlagen. 15. Ist der Bundesregierung bekannt, ob auch im tschechischen Atomkraftwerk Temelín Brennelemente der Firma Westinghouse eingesetzt worden sind, die eine technische Anpassung benötigten, und wenn ja, welche Details kann sie dazu mitteilen? Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden Westinghouse-Brennelemente im Kernkraftwerk Temelin eingesetzt. Die technischen Einzelheiten der vorgenommenen Modifikationen an den Brennelementen sind der Bundesregierung nicht bekannt. 16. Ist der Bundesregierung bekannt, ob es trotz dieser technischen Anpassung zu weiteren Sicherheitsproblemen kam und infolgedessen wieder ein Vertrag mit dem russischen Produzenten abgeschlossen wurde, und wenn ja, welche Details kann sie dazu mitteilen? Der Bundesregierung liegen keine Informationen über weitere Sicherheitsprobleme vor. 17. Sieht die Bundesregierung bezüglich dieser Sicherheitsprobleme ähnliche Gefahren für das AKW Süd-Ukraine (wenn nein, bitte mit Begründung)? Auf die Antwort zu Frage 16 wird verwiesen. 18. Welche genauen Pläne hat die Bundesregierung, um zusätzliche Finanzmittel für die Fertigstellung des Sarkophags in Tschernobyl zu bekommen ? Die Bundesregierung führt derzeit Gespräche mit ihren G7-Partnern und anderen Geberstaaten sowie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) zu möglichen Finanzierungsoptionen. Ein sogenanntes Pledging Event, im Rahmen dessen die Zusagen der einzelnen Geber zur Bereitstellung weiterer finanzieller Mittel erfolgen sollen, ist für April 2015 geplant. Drucksache 18/3521 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 19. Für wann und mit welchem Inhalt sind im vierten Quartal 2014 und im ersten Quartal 2015 Besprechungen mit den G7-Partnern, der Europäischen Kommission und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) zu dieser Problematik geplant (bitte mit Angabe von Daten, Teilnehmerinnen bzw. Teilnehmern und Tagesordnung)? Die G7 Nuclear Safety and Security Group (NSSG) hat am 15./16. Oktober 2014 in Bonn getagt. Am 25./26. Februar 2015 ist eine weitere Sitzung der Nuclear Safety and Security Group terminiert. Am Vortag finden in der Regel informelle Konsultationen mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und G7-Partnern statt. Eine Geberkonferenz, an der u. a. Vertreter der G7, der EBWE und der Europäischen Kommission teilnehmen, wird am 12. Dezember 2014 in London stattfinden . Dieses Treffen dient insbesondere der Information der Geberstaaten über den Projektfortschritt. Im Vorfeld ist ein informelles Treffen der G7 und gegebenenfalls anderen Gebern unter Vorsitz der Europäischen Kommission und mit Beteiligung der EBWE geplant. 20. Gefährdet eine (weitere) Verzögerung bei der Fertigstellung des neuen Sarkophags nach Erkenntnissen der Bundesregierung die nukleare Sicherheit in der Region und darüber hinaus? Der Bundesregierung liegen derzeit keine Informationen darüber vor, dass durch die bisher abzusehenden Verzögerungen eine Gefährdung der nuklearen Sicherheit in der Region oder darüber hinaus zu erwarten wäre. 21. Von welchem konkreten Gefahrenpotenzial geht die Bundesregierung bei einem Störfall in einem ukrainischen Atomreaktor für die Bundesrepublik Deutschland aus, und welche Konsequenzen zieht sie aus diesem Gefahrenpotenzial ? Das konkrete Gefahrenpotenzial ist anlagenabhängig und insoweit eine Frage des anlageninternen Notfallschutzes. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333