Deutscher Bundestag Drucksache 18/3678 18. Wahlperiode 30.12.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Sevim Dağdelen, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3511 – Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Ein zentraler Vorwurf beim Versagen der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den Taten der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) war, dass der rassistische Hintergrund der neun Morde an Menschen mit Migrationshintergrund und der Bombenanschläge in Köln von den Ermittlern nicht erkannt wurde. Dieses Nichterkennen einer rassistischen Tatmotivation hat viele Ursachen, die u. a. mit dem Stichwort „institutioneller Rassismus“ gekennzeichnet wurden und denen sich auch die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in mehreren Punkten widmen . Zentral war dabei aus Sicht der Mitglieder des Untersuchungsausschusses , dass ein rassistisches Tatmotiv bei Gewalttaten, die aufgrund der Person des Opfers eine solche Motivation als möglich erscheinen lassen, nie mehr von vornherein ausgeschlossen werden darf, sondern immer auch in diese Richtung ermittelt werden muss. Aus diesem Grund lautet die Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses: „In allen Fällen von Gewaltkriminalität, die wegen der Person des Opfers einen rassistisch oder anderweitig politisch motivierten Hintergrund haben könnten, muss dieser eingehend geprüft und diese Prüfung an geeigneter Stelle nachvollziehbar dokumentiert werden, wenn sich nicht aus Zeugenaussagen, Tatortspuren und ersten Ermittlungen ein hinreichend konkreter Tatverdacht in eine andere Richtung ergibt. Ein vom Opfer oder Zeugen angegebenes Motiv für die Tat muss von der Polizei beziehungsweise der Staatsanwaltschaft verpflichtend aufgenommen und angemessen berücksichtigt werden. Es sollte beispielsweise auch immer geprüft werden, ob es sinnvoll ist, den polizeilichen Staatsschutz zu beteiligen und Informationen bei Verfassungsschutzbehörden anzufragen. Dies sollte in die Richtlinie für das Straf- und das Bußgeldverfahren (RiStBV) sowie in die einschlägigen polizeilichen Dienstvorschriften aufgenommen Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 29. Dezember 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. werden“ (Bundestagsdrucksache 17/14600, S. 861). Der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses wurde dem Deutschen Bundestag am 22. August 2013 übergeben und im Plenum am 2. September 2013 mit den Stimmen aller Fraktionen verabschiedet. Nach Kenntnis der Drucksache 18/3678 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Fragesteller ist diese zentrale Empfehlung Nummer 1 bis heute nicht umgesetzt worden. Die in der Empfehlung genannte RiStBV als Grundlage für die angestrebte Veränderung kann nur im Einvernehmen von Bund und Ländern verändert werden. Nach Aussagen der Bundesregierung wurde das Thema erstmals im Rahmen der 84. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 14. November 2013 erörtert. Hier sei eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, die sich am 30. Januar 2014 konstituiert und am 26. und 27. März 2014 inhaltliche Vorschläge und Umsetzungsüberlegungen erarbeitet habe, die in einen Bericht des Strafrechtsausschusses eingehen und der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Juni 2014 vorgelegt werden sollten (vgl. Plenarprotokoll 18/22, S. 1699). 1. War die Frage der Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages Thema der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister, und wenn ja, was ist zu diesem Punkt beschlossen worden? Wenn nein, warum ist das Thema nicht behandelt worden? 2. Wie stellt sich aus Sicht der Bundesregierung der konkrete Stand der Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages dar, und welche konkreten Fortschritte hat es seit Beginn dieses Prozesses im November 2013 und insbesondere nach der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister gegeben? 3. Wie sieht der weitere Zeitplan zur Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages aus, welche Arbeitsgruppen tagen hierzu auf welcher Ebene, wer ist an diesen Arbeitsgruppen beteiligt, und bis wann sollen Ergebnisse vorgelegt werden? Die Fragen 1 bis 3 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . a) Soweit der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages empfohlen hat, dass in allen Fällen von Gewaltkriminalität, die wegen der Person des Opfers einen rassistisch oder anderweitig politisch motivierten Hintergrund haben könnten, dieser eingehend geprüft werden müsse, hat die Bundesregierung für den von ihr zu verantwortenden Justizbereich den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses eingebracht (vgl. Bundestagsdrucksache 18/3007 und die dortigen Erläuterungen auf Seite 7). Der Entwurf sieht eine ausdrückliche Regelung im Strafgesetzbuch vor, wonach rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe und Ziele bei der Strafzumessung (§ 46 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs ) zu berücksichtigen sind. Dadurch soll die Bedeutung dieser Motive für die gerichtliche Strafzumessung verdeutlicht und unterstrichen werden, dass auch die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen auf solche für die Bestimmung der Rechtsfolgen bedeutsamen Motive zu erstrecken hat. Der Entwurf wurde in erster Lesung am 14. November 2014 im Deutschen Bundestag behandelt; am 17. Dezember 2014 hat im Ausschuss für Recht- und Verbraucherschutz die Sachverständigenanhörung stattgefunden. Die 85. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat am 25. und 26. Juni 2014 in Binz auf Rügen getagt. Unter Tagesordnungspunkt II.1. wurde der „Bericht der Arbeitsgruppe zur Prüfung der Empfehlungen der BundLänder -Kommission „Rechtsterrorismus“ und des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 17/14600) zur effizienteren Bekämpfung des Rechtsterrorismus“ behandelt. Dabei wurden von den Justizministerinnen und Justizministern die Empfehlungen der Arbeitsgruppe begrüßt, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3678 a) in Nummer 76 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) einen neuen Absatz 1 einzufügen, wonach Gegenstände, die in Verfahren gegen unbekannte Täter für Zwecke des Strafverfahrens noch benötigt werden, in der Regel bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung aufzubewahren sind, b) der Nummer 205 der RiStBV, der die Unterrichtung der Behörden für den Verfassungsschutz in Staatsschutz- und anderen Verfahren betrifft, durch eine Neufassung einen verbindlicheren Charakter zu verleihen und die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaften und Verfassungsschutz zu konkretisieren. Sie haben daher den Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz gebeten, den für die RiStBV zuständigen Unterausschuss zu beauftragen, die Empfehlungen umzusetzen. Die Änderung der Nummern 76 und 205 der RiStBV sollen nach Kenntnis der Bundesregierung von dem am 24. und 25. Februar 2015 tagenden RiStBV-Ausschuss beschlossen und danach zeitnah umgesetzt werden. b) Der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages hat zudem empfohlen, in allen Fällen von Gewaltkriminalität zu prüfen, ob es sinnvoll ist, den polizeilichen Staatsschutz zu beteiligen und Informationen bei Verfassungsschutzbehörden anzufragen und dies in die einschlägigen polizeilichen Dienstvorschriften aufzunehmen. Durch Einrichtung des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ/GAR) sowie durch Inbetriebnahme der Rechtsextremismusdatei hat sich der behördenübergreifende Informationsaustausch intensiviert. So werden unter anderem Sachverhalte thematisiert, bei denen ein rechtsmotivierter Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann. In den Polizeidienstvorschriften (PDV) ist bereits jetzt festgelegt, dass das Ziel von Ermittlungen die Erforschung aller beurteilungsrelevanten Umstände ist, und dass dafür insbesondere ein unvoreingenommenes und unbewertetes Aufnehmen von Sachverhalten sowie das Vermeiden von einseitigen oder vorzeitigen Festlegungen erforderlich sind. Die PDV legen zudem fest, dass bei Ermittlungen alle in Betracht kommenden Meldedienste für die Zusammenführung von Informationen, unter anderem der für den Bereich des Staatsschutzes relevante Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) zu nutzen sind. Im Übrigen ist der Staatsschutz automatisch bei Abprüfen politisch motivierter Hintergründe einer Tat eingebunden. Eine Einbindung des Verfassungsschutzes erfolgt im Rahmen der geltenden Vorschriften. Über die bestehenden Regelungen in den PDV hinaus wurde die Aufnahme klarstellender Ergänzungen und entsprechender Hinweise in der PDV 100 (Führung und Einsatz der Polizei) initiiert. Eine Entscheidung über die Änderungen erfolgt im Rahmen der Befassung der zuständigen Gremien der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder. Ergebnisse der Gremienbefassung stehen noch aus. 4. Bis wann geht die Bundesregierung von einer vollständigen Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages aus, und gibt es Verabredungen zwischen Bund und Ländern, bis wann eine solche Umsetzung vonstattengehen soll? Bezüglich der Umsetzung in den RiStBV sowie der Ergänzung der polizeilichen Dienstvorschriften wird auf die Antwort zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen. Drucksache 18/3678 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 5. Gibt es Bedenken seitens des Bundes, was die Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages angeht, und wie sehen diese Bedenken gegebenenfalls aus? Gegen die Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 bestehen seitens der Bundesregierung keine Bedenken. 6. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Bedenken seitens der Bundesländer , was die Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages angeht, wie sehen diese Bedenken gegebenenfalls aus, und von welchen Bundesländern wurden diese Bedenken geäußert? Der Bundesregierung sind solche Bedenken nicht bekannt. 7. Welche Hindernisse sieht die Bundesregierung bei der Umsetzung der Empfehlung Nummer 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages? Die Bundesregierung sieht keine Hindernisse. Gesamtherstellung: H. 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