Deutscher Bundestag Drucksache 18/3721 18. Wahlperiode 13.01.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Hubertus Zdebel, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3434 – Vattenfall-Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall hat Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des in Deutschland beschlossenen so genannten Atomausstiegs eingereicht und ein internationales Schiedsgerichtsverfahren (Investor-Staat-Schiedsverfahren) eingeleitet. Vattenfall verlangt eine Entschädigungszahlung , weil es seine Rechte aus dem Energiecharta-Vertrag durch die 13. Novelle des Atomgesetzes sowie durch das Kernbrennstoffsteuergesetz verletzt sieht (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 328 auf Bundestagsdrucksache 17/9225 der Abgeordneten Ulla Lötzer). Die 13. Atomgesetznovelle, der so genannte Atomausstieg, führte zum Abschalten der von Vattenfall betriebenen Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel sowie zu kürzeren Laufzeiten bzw. Reststrommengen des Atomkraftwerks Brokdorf, an dem Vattenfall beteiligt ist. Laut der Bundesregierung beläuft sich die Klageforderung Vattenfalls auf 4 675 903 975,32 Euro zuzüglich Zinsen (Libor zuzüglich 4 Prozentpunkte; vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Nachfrage zur Schriftlichen Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 18/2671 des Abgeordneten Klaus Ernst). Gegenüber der davor häufig in der Presse genannten Zahl von 3,7 Mrd. Euro (vgl. u. a. Berliner Zeitung vom 23. März 2013, der Freitag vom 26. November 2013) wäre dies eine Erhöhung um etwa 1 Mrd. Euro. Vattenfall beruft sich in der Klage auf seine Rechte aus dem Energiecharta-Vertrag , einem internationalen Handels- und Investitionsabkommen im Energiebereich . Dieser Vertrag gibt ausländischen Investoren das Recht, ohne Einbeziehung staatlicher Gerichte des Gastlandes direkt vor ad hoc eingesetzten internationalen Schiedsgerichten gegen staatliche Maßnahmen zu klagen, wenn sie sich diskriminiert sehen. Das Schiedsverfahren findet nach den Regeln des Internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) statt. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 18. Dezember 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Informationen zur Klage und zum Schiedsgerichtsverfahren sind, abgesehen von wenigen Hinweisen auf der ICSID-Webseite, öffentlich nicht zugänglich. Erst auf Drängen von Abgeordneten in der Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestags am Drucksache 18/3721 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 27. Juni 2012 hinterlegt die Bundesregierung seit Juli 2012 zusammenfassende Berichte zum Verfahren in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Einsicht für Abgeordnete. Da die Berichte als Verschlusssache eingestuft sind, dürfen keine Informationen daraus weitergegeben werden. Die Einstufung der Informationen als „vertraulich“ oder „geheim“ erfolgt nach unklaren Kriterien. So verwies die Bundesregierung am 27. September 2014 in ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 18/2671 zur Höhe des Streitwerts auf die Unterlagen in der Geheimschutzstelle. Eine ähnliche, sinngemäß gleiche Antwort erhielt der Abgeordnete Ralph Lenkert auf eine Nachfrage in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 12. März 2014. Am 15. Oktober 2014 gab die Bundesregierung hingegen auf Nachfrage des Abgeordneten Klaus Ernst über die genaue Höhe der Klageforderung öffentlich Auskunft. Weitere Informationen zur Klageforderung unterfielen dann wieder dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis von Vattenfall (vgl. Antwort auf die Schriftliche Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 18/3002 des Abgeordneten Klaus Ernst). 1. Wie begründet Vattenfall die Höhe der Klageforderung von ca. 4,675 Mrd. Euro? 2. Hat Vattenfall aufgeschlüsselt, aus welchen Kostenpositionen sich die Höhe der Klageforderung zusammensetzt? Welche Kostenpositionen waren dies, und wie hoch waren sie jeweils? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Wie in ihrer Antwort zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 18/3012 dargestellt, kann die Bundesregierung keine Auskunft aus dem laufenden Schiedsgerichtsverfahren über die Zusammensetzung der Klagesumme im Einzelnen erteilen. Es handelt sich hierbei um konkrete Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aus Verfahrensunterlagen, die Vattenfall beim Schiedsgericht eingereicht hat und die nicht der Dispositionsbefugnis der Bundesregierung unterliegen. 3. Wie hoch ist der Teil der Klageforderung, in der sich Vattenfall auf das Atomkraftwerk Krümmel bezieht, und wie hoch ist der Teil der Klageforderung , in der sich Vattenfall auf das Atomkraftwerk Brunsbüttel bezieht? Auch insoweit gilt, dass die Bundesregierung keine Auskunft aus dem laufenden Schiedsgerichtsverfahren über die Zusammensetzung der Klagesumme im Einzelnen erteilen kann. Es handelt sich hierbei um konkrete Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse aus Verfahrensunterlagen, die Vattenfall beim Schiedsgericht eingereicht hat und die nicht der Dispositionsbefugnis der Bundesregierung unterliegen. 4. Ist die Beteiligung Vattenfalls am Atomkraftwerk Brokdorf auch Bestandteil der Klage Vattenfalls? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. 5. Hat sich die Klageforderung Vattenfalls im Laufe des Verfahrens verändert? Wenn ja, wie hoch war die Änderung (bitte Angabe in Euro), und welche Gründe wurden dafür von Vattenfall angeführt? Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3721 6. Wie hat Vattenfall die Verzinsung der Klageforderung (Liborsatz zuzüglich vier Prozentpunkte) begründet? Ist diese Verzinsung nach Meinung der Bundesregierung in der seit Beginn des Schiedsgerichtsverfahrens herrschenden Niedrigzinsphase gerechtfertigt ? Die Bundesregierung hält die Nebenforderung für ebenso unberechtigt wie die Hauptforderung. 7. Auf welche Summe in Euro beläuft sich die Verzinsung, sollte Vattenfall mit seiner Klageforderung von ca. 4,675 Mrd. Euro erfolgreich sein und das Verfahren im Juli 2016 enden (laut Presseberichten ist mit einem Urteil nicht vor dem Jahr 2016 zu rechnen, vgl. Der Freitag vom 26. November 2013, DER TAGESSPIEGEL vom 15. September 2014)? Eine definitive Berechnung der Zinshöhe ist der Bundesregierung angesichts der variablen Parameter nicht möglich. 8. Welche Kosten für Rechtsanwälte und Gutachter fielen bei der Bundesregierung bislang im Rahmen des Schiedsgerichtsverfahrens an? Seit Beginn des Verfahrens im Jahr 2012 wurden aus dem Bundeshaushalt Ausgaben (ohne Personalkosten) in Höhe von insgesamt 3 659 357,90 Euro (Stand: 11. Dezember 2014) getätigt. Sie entfallen auf Kosten für Rechtsanwälte, Gutachter sowie notwendige Hilfsdienstleistungen wie Übersetzungen und Dokumentenmanagement . Der Gegenwert von 200 000 US-Dollar entfällt auf Gerichtskosten . 9. Welche Kosten für Rechtsanwälte und Gutachter fielen bei der Bundesregierung bislang im Rahmen von Klagen der Energieversorger E.ON und RWE AG vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den so genannten Atomausstieg an? Im Zusammenhang mit thematisch einschlägigen Verfahren – etwa Verfassungsbeschwerdeverfahren , UIG-Klageverfahren (UIG – Umweltinformationsgesetz) – sind bisher Kosten in Höhe von 335 920,37 Euro für die Prozessbevollmächtigten des Bundes angefallen. Eine Aufschlüsselung bezüglich einzelner Energieversorgungsunternehmen ist nicht möglich, da die Bundesregierung in den Verfahren einheitliche Stellungnahmen zu allen anhängigen Beschwerden abgegeben hat. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass der Streitgegenstand der vor dem Bundesverfassungsgericht erhobenen Verfassungsbeschwerden gegen das Dreizehnte Gesetz zur Änderung der Atomgesetznovelle vom demjenigen des Schiedsgerichtsverfahrens Vattenfalls in der Rechtssache ARB 12/12 abweicht. 10. Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung in früheren Schriftlichen wie Mündlichen Fragen von Abgeordneten zur Klagehöhe Vattenfalls keine öffentliche Antwort gegeben und lediglich auf die Unterlagen in der Geheimschutzstelle verwiesen? 11. Welche Gründe waren ausschlaggebend dafür, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Nachfrage auf die Schriftliche Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 18/2671 zur Klagehöhe Vattenfalls entgegen den vorherigen Antworten nun öffentlich über die Klagehöhe Auskunft gegeben hat? Drucksache 18/3721 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die Fragen 10 und 11 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Wie die Bundesregierung bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 18/2451 dargelegt hat, unterrichtet die Bundesregierung im Interesse der Transparenz ohne Rechtspflicht den Deutschen Bundestag unaufgefordert über den Fortgang des laufenden Schiedsgerichtsverfahrens Vattenfall. Sie hat den Deutschen Bundestag inzwischen mit mehreren Schriftberichten an die Geheimschutzstelle informiert . Dieses Verfahren dient dazu, dem Parlament unter Wahrung der bestehenden Schutzinteressen konkrete Auskünfte erteilen zu können. Gerade aus diesem Grund hat sich die Bundesregierung für den Weg der Unterrichtung an die Geheimschutzstelle entschieden. Allein der Unterrichtungsweg an die Geheimschutzstelle ermöglicht eine umfassende und konkrete Information des Deutschen Bundestages unter Wahrung der Vertraulichkeitsanforderungen des Schiedsgerichtsverfahrens. Daher hat die Bundesregierung den Weg der vertraulichen Unterrichtung gewählt. Diese Handhabe gewährleistet einen VS-Vertraulich -Schutz (VS – Verschlusssache) der gesamten Unterrichtung, der für eine umfassende und konkrete Information erforderlich ist. Angesichts der aktuellen Entwicklungen der öffentlichen Diskussion, der politischen Bedeutung des Verfahrens und des überwiegenden Allgemeininteresses hat sich die Bundesregierung jedoch entschieden, im Sinne größtmöglicher Transparenz die Gesamtklagesumme zu nennen. 12. Welche Rechte aus dem Energiecharta-Vertrag sieht Vattenfall konkret verletzt (bitte unter Angabe der Artikel im Energiecharta-Vertrag)? Vattenfall beruft sich vor allem auf Artikel 26 des Energiecharta-Vertrags, daneben auch verschiedene andere Vorschriften aus dem Investitionsschutzkapitel des Energiecharta-Vertrags. 13. Steht bereits der Termin für weitere Anhörungen oder Verhandlungen im Schiedsgerichtsverfahren Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland fest? Wenn ja, wie lauten diese Termine, und wann rechnet die Bundesregierung mit einem Abschluss des Verfahrens? Die Bundesregierung rechnet derzeit mit einer mündlichen Verhandlung im Sommer 2016. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass Fristen letztlich der Terminhoheit des Schiedsgerichts unterliegen und abhängig vom weiteren Verfahrensverlauf sind. 14. Wie kommt der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, zu der in der Presse zitierten Einschätzung (vgl. Deutsche Welle, 25. Oktober 2014), dass die Erfolgschancen der Klagen der Energieversorger E.ON und RWE AG vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den so genannten Atomausstieg gering seien, der Ausgang des Vattenfall-Verfahrens vor dem ICSID-Schiedsgericht hingegen völlig offen sei? Die Bundesregierung geht von der Vereinbarkeit der gesetzgeberischen Maßnahmen mit den nationalen und völkerrechtlichen Verpflichtungen aus. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3721 15. Inwiefern würde, wie in Medien nachzulesen ist, auch der Energieversorger E.ON durch einen Erfolg der Klage von Vattenfall Entschädigungszahlungen erhalten (vgl. taz.die tageszeitung vom 25. Oktober 2014)? In welcher Höhe lägen diese Zahlungen, würde Vattenfall mit seiner Klageforderung von ca. 4,675 Mrd. Euro erfolgreich sein? Die Bundesregierung hat keine Erkenntnis über die Hintergründe der in den Medien geäußerten Annahmen. Sie hat auch keine Kenntnisse über etwaige diesbezügliche Absprachen zwischen den Unternehmen. 16. Sind die Betreibergesellschaften der Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel nach Kenntnis der Bundesregierung direkt oder indirekt an der Klage Vattenfalls beteiligt? Wenn ja, in welcher Form? Ja, sie gehören zu den Klägerinnen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333