Deutscher Bundestag Drucksache 18/3824 18. Wahlperiode 23.01.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3637 – Einführung und Umsetzung des Mindestlohns Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Ab Januar 2015 wird Deutschland als eines der letzten Länder in Europa einen Mindestlohn einführen. Erfahrungen bestehender europäischer, regionaler oder branchenspezifischer Mindestlohnsysteme zeigen, dass eine erfolgreiche Umsetzung an konkrete Voraussetzungen gebunden ist. Die aktuelle Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zur „Umsetzung und Kontrolle von Mindestlöhnen“ von Schulten et al. im Auftrag der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH (G.I.B.) weist auf die Notwendigkeit der Legislative hin, genau zu benennen, welche Leistungen und Entgeltbestandteile im Mindestlohn enthalten sind (Thorsten Schulten, Nils Böhlke, Pete Burgess, Catherine Vincent, Ines Wagner: Umsetzung und Kontrolle von Mindestlöhnen: Europäische Erfahrungen und was Deutschland von ihnen lernen kann. Studie im Auftrag der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung in NRW). Ebenso wichtig sei es, das Verhältnis von Mindestlohn und Arbeitszeit genau zu regeln, um sicherzustellen , dass tatsächlich geleistete Arbeitsstunden auch durch den Mindestlohn abgegolten werden. Erfahrungen aus dem europäischen Ausland zeigen laut der Studie, dass der Mindestlohn mit am häufigsten durch die unkorrekte Erfassung von Arbeitszeit umgangen wird. In Deutschland leisten fast ein Fünftel aller Beschäftigten regelmäßig unbezahlte Mehrarbeit (vgl. DGB [2014]: DGB-Index Gute Arbeit Report 2013). Auch bei besonderen Arbeitszeiten , wie Bereitschaftsdiensten oder Anfahrtszeiten, herrscht gesetzgeberischer Definitionsbedarf. In der Antwort auf die Schriftliche Frage 34 der Abgeordneten Brigitte Pothmer auf Bundestagsdrucksache 18/1684 legt die Bundesregierung dar, welche Bestandteile vom gesetzlichen Mindestlohn auszunehmen sind: So seien „Sonntags-, Feiertags-, Nachtarbeits-, Schichtarbeits-, Überstundenzuschläge […] nach diesen Kriterien nicht berücksichtigungsfähig.“ Leistungen, Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 21. Januar 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. wie Weihnachtsgeld oder ein zusätzliches Urlaubsgeld, könnten nur dann als Bestandteil des Mindestlohns gewertet werden, „wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer den auf die Entsendezeit entfallenden anteiligen Betrag jeweils zu dem für den Mindestlohn maßgeblichen Fälligkeitsdatum tatsäch- Drucksache 18/3824 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode lich und unwiderruflich ausbezahlt erhält“. Im Mindestlohngesetz selbst wurde allerdings keine Definition hinsichtlich der Lohnbestandteile vorgenommen. Die Studie konstatiert zudem, dass nur mit effizienten Kontrollinstitutionen und einer angemessenen Kontrolldichte Mindestlohnverstöße aufgedeckt und wirksam geahndet werden können. Erfahrungen aus Ländern, die bereits einen Mindestlohn haben, zeigen, dass Kontrollen sehr effektiv durch verschiedene Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten für Betroffene oder ein Verbandsklagerecht unterstützt werden können. Betroffene können so mit relativ wenig Aufwand und Vorwissen Rechtsunsicherheiten ausräumen und Mindestlohnansprüche einfordern. Hierzu hat die Bundesregierung nach britischem Vorbild eine Hotline eingerichtet, mit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Missstände melden können (vgl. http://bit.ly/1DQnUV6). Auf ein Verbandsklagerecht können Verbände, insbesondere Gewerkschaften, hierzulande leider noch immer nicht zurückgreifen. Hinsichtlich der Erfassung von Arbeitszeit hat das Bundesministerium der Finanzen kürzlich in der Mindestlohnaufzeichnungsverordnung die Dokumentationspflichten für mobile Arbeit reduziert. Es ist unklar, wie in diesen Bereichen eine angemessene Kontrolle gewährleistet werden soll. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat die Verordnung deutlich kritisiert (siehe z. B. DIE WELT vom 27. November 2014: „DGB stellt Schäuble an den Mindestlohnpranger“). 1. Welche über das Stundenentgelt hinausgehenden Leistungen und Entgeltbestandteile dürfen in den Mindestlohn eingerechnet werden und welche nicht (bitte einzeln aufzählen und begründen)? 2. Aus welchen Gründen verzichtet die Bundesregierung auf eine klare gesetzliche Definition des Mindestlohns und der anzurechnenden Bestandteile? 3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es für die Durchsetzung des Mindestlohns von Bedeutung ist, dass die Beschäftigten über die entsprechende Behandlung der verschiedenen Lohnbestandteile bei der Berechnung des Mindestlohns gut informiert sind, damit sie ihre Rechte kennen und einfordern können? Wenn ja, warum verzichtet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund auf eine im Gesetz formulierte Definition, die für Beschäftigte leicht auffindbar wäre? Die Fragen 1 bis 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz stellt einen „Mindestentgeltsatz“ im Sinne von § 2 Nummer 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) bzw. einen „Mindestlohnsatz“ im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie) dar. Nach der Entsenderichtlinie müssen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union vorgesehene Mindestlohnregelungen zwingend sowohl für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland als auch für Arbeitgeber mit Sitz im Inland gelten. Welche Vergütungsbestandteile in den Mindestlohn einzubeziehen sind, bestimmt sich daher anhand der Auslegung des Begriffs des „Mindestentgelt-“ bzw. des „Mindestlohnsatzes “ im Sinne der Entsenderichtlinie. Hierfür ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und die daran anknüpfende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) maßgebend. Die Rechtsprechung hat fallbezogen anhand einzelner Entgeltbestandteile Kriterien dafür entwickelt, welche Leistungen des Arbeitgebers als Bestandteile des Mindestlohns anzurechnen sind. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren zum Tarifautonomiestärkungsgesetz Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3824 (Bundestagsdrucksache 18/1558, Anlage 4, S. 67 f.) klargestellt, dass die zur Entsenderichtlinie aufgestellten Vorgaben des EuGH auf den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zu übertragen sind und dass sie aufgrund der gebotenen einheitlichen Auslegung für Sachverhalte mit unionsrechtlichem Bezug einerseits und reine Inlandssachverhalte andererseits auch für Arbeitsverhältnisse von im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einem im Inland ansässigen Arbeitgeber gelten sowie dass es vor diesem Hintergrund aus Sicht der Bundesregierung einer Klarstellung, welche Lohnbestandteile anzurechnen sind, nicht bedarf. Auf diese Klarstellung der Bundesregierung hat auch der Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages in seiner Beschlussempfehlung und seinem Bericht zum Entwurf eines Tarifautonomiestärkungsgesetzes Bezug genommen (Bundestagsdrucksache 18/2010 (neu), S. 16, Nummer 7). Aufgrund der Vielgestaltigkeit der im Arbeitsleben praktizierten Entgeltsysteme erscheint es aus tatsächlichen Gründen auch nicht praktikabel, sämtliche über das Grundentgelt hinausgehenden Entgeltbestandteile abschließend aufzuzählen und danach zuzuordnen, ob sie auf den Mindestlohnanspruch angerechnet werden können oder nicht. Eine gesetzliche Definition der anzurechnenden Bestandteile erschien aus Sicht der Bundesregierung deshalb nicht sinnvoll. Diese Prüfung ist vielmehr im Einzelfall anhand der allgemeinen Kriterien vorzunehmen . Insbesondere vom Arbeitgeber gezahlte Zulagen oder Zuschläge werden nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt, wenn ihre Berücksichtigung das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und der Gegenleistung, die er dafür erhält, auf der anderen Seite nicht verändert . Das setzt voraus, dass mit der Zulage oder dem Zuschlag nicht eine Arbeitsleistung vergütet werden soll, die von der von der Arbeitnehmerin bzw. vom Arbeitnehmer geschuldeten Normalleistung abweicht, was etwa bei Mehrarbeit oder Arbeitsleistung unter erschwerten Bedingungen der Fall sein kann. Eine Anrechnung ist demnach regelmäßig dann möglich, wenn die Zulagen oder Zuschläge zusammen mit anderen Leistungen des Arbeitgebers ihrem Zweck nach diejenige Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers entgelten sollen, die mit dem Mindestlohn zu vergüten ist (sogenannte funktionale Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Leistungen). Dabei ist hinsichtlich der funktionalen Gleichwertigkeit insbesondere auf die geschuldete Tätigkeit in ihrer Ausprägung durch repräsentative Tarifverträge oder die Verkehrssitte abzustellen . Hierzu ist unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auch danach zu fragen, ob man von der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer erwarten durfte, dass er diese Art Tätigkeit ohne eine zusätzliche Entlohnung in Gestalt einer Zulage erbringt. Typische Beispiele für berücksichtigungsfähige und nicht berücksichtigungsfähige Zulagen und Zuschläge sind auf den Internetseiten der Behörden der Zollverwaltung aufgelistet unter www.zoll.de/DE/Fachthemen/Arbeit/ Mindestarbeitsbedingungen/Mindestlohn-Mindestlohngesetz/mindestlohnmindestlohngesetz _node.html#doc529866bodyText2. 4. Dürfen Verpflegung und Unterkunft, wie es beispielsweise bei der Saisonarbeit möglich sein soll, auch in anderen Branchen bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt werden, und wenn nicht, mit welcher Begründung soll die Saisonarbeit hier eine Ausnahme darstellen? Mit dem Mindestlohngesetz (MiLoG) ist ein gesetzlicher Anspruch auf Zahlung eines Bruttomindestentgelts je Stunde eingeführt worden. Nach seinem Wortlaut wird der gesetzliche Mindestlohn als Geldbetrag geschuldet. Auch wenn vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Verpflegung und Unterkunft einen in Geld Drucksache 18/3824 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode bezifferbaren Wert haben, sind sie keine Geld-, sondern Sachleistungen und als solche grundsätzlich nicht unmittelbar im Sinne einer Anrechnung auf den Mindestlohnanspruch berücksichtigungsfähig. Eine Besonderheit gilt insoweit nur für den Fall der Saisonarbeit. Gerade Saisonarbeitnehmer sind in der kurzen Zeit ihres Arbeitseinsatzes meist in unmittelbarer Nähe zu ihrem Arbeitgeber und seinem Betrieb untergebracht und nehmen oft auch an einer Gemeinschaftsverpflegung teil. Den Besonderheiten dieser oft familiär geprägten Einheit von Lebens- und Arbeitssituation soll Rechnung getragen werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und das Bundesministerium der Finanzen haben sich daher während des Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung eines Mindestlohngesetzes darauf verständigt, dass im Bereich der Saisonarbeit die Möglichkeit bestehen soll, Kost und Logis auf den gesetzlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz anzurechnen. Dieses gemeinsame Verständnis der betroffenen Ressorts zur Interpretation der Zahlungspflicht des Arbeitgebers nach § 20 MiLoG in Bezug auf die Anrechnungsmöglichkeit von Kost und Logis bei Saisonarbeitnehmern hat sich auch der Gesetzgeber nach eingehender Diskussion bei seiner Entscheidung über die abschließende Fassung des Mindestlohngesetzes zu eigen gemacht (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales , Bundestagsdrucksache 18/2010 (neu), S. 16, Nummer 7). Diese Ausnahme von dem dargestellten Grundsatz ist vor dem Hintergrund der geschilderten Besonderheiten der Saisonarbeit nicht branchenbezogen, sondern knüpft an die Beschäftigung von Saisonarbeitnehmern an. Saisonarbeitnehmer sind nach dem Verständnis der Bundesregierung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer , die befristet bei einem im Inland ansässigen Arbeitgeber angestellt sind und Tätigkeiten ausüben, die aufgrund eines immer wiederkehrenden saisonbedingten Ereignisses oder einer immer wiederkehrenden Abfolge saisonbedingter Ereignisse an eine Jahreszeit gebunden sind, während derer der Bedarf an Arbeitskräften den für gewöhnlich durchgeführte Tätigkeiten erforderlichen Bedarf in erheblichem Maße übersteigt. Das trifft insbesondere in den Bereichen der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau insbesondere auf Erntehelfer zu, zudem auf bestimmte Beschäftigte im Tourismus, insbesondere in Gaststätten und Hotels und in Betrieben, die ihrer Natur nach nicht ganzjährig geöffnet sind oder die während bestimmter befristeter Zeiträume einen erhöhten Arbeitskräftebedarf abdecken müssen. Bei der Berechnung des anrechenbaren Sachwerts wird neben § 107 der Gewerbeordnung (GewO) auf die Sozialversicherungsentgeltverordnung zurückgegriffen , wobei die Anrechnung in allen Fällen die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen darf (§ 107 Absatz 2 Satz 5 GewO, Pfändungsfreigrenze ). Nähere Informationen hierzu geben die Behörden der Zollverwaltung auf ihren Internetseiten unter www.zoll.de/DE/Fachthemen/Arbeit/ Mindestarbeitsbedingungen/Mindestlohn-Mindestlohngesetz/mindestlohnmindestlohngesetz _node.html#doc529866bodyText4. 5. Dürfen Sachleistungen bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt werden? Wenn ja, welche und unter welchen Bedingungen (bitte begründen)? Sachleistungen können ausschließlich im Bereich der Saisonarbeit und auch hier nur in Form von Kost und Logis berücksichtigt werden. Zur Begründung wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3824 6. Gilt der Mindestlohn auch für besondere Arbeitszeiten, wie Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst? Inwieweit können diese Arbeitszeiten bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt werden (bitte begründen)? 7. Gilt der Mindestlohn auch für besondere Arbeitszeiten, wie Anfahrts-, Wege und Wartezeiten? Inwieweit müssen diese Arbeitszeiten bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt werden (bitte begründen)? Die Fragen 6 und 7 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Das Mindestlohngesetz verhält sich nicht explizit dazu, ob Zeiten der Arbeitsbereitschaft oder des Bereitschaftsdienstes, Anfahrts-, Wege und Wartezeiten bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt werden. Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Dementsprechend sind Zeiten mit dem Mindestlohn zu vergüten, soweit sie nach der Rechtsprechung als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen sind. 8. Wie plant die Bundesregierung, angesichts der Tatsache, dass die unkorrekte Erfassung der Arbeitszeit eine der verbreitetsten Praktiken zur Umgehung des Mindestlohns ist, eine unkorrekte Erfassung der Arbeitszeit zur Umgehung des Mindestlohns zu kontrollieren und zu sanktionieren (vgl. Schulten et al. [2014]: Umsetzung und Kontrolle von Mindestlöhnen: Europäische Erfahrungen und was Deutschland von ihnen lernen kann. Studie im Auftrag der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung in NRW, S. 43. Online unter: http://bit.ly/15xj9R4)? Welche Schritte plant die Bundesregierung konkret? Jeder Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 8 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (mit Ausnahme der Beschäftigungsverhältnisse nach § 8a) oder in den in § 2a des Schwarzarbeitsgesetzes genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigt, ist grundsätzlich verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeiterinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen (§ 17 Absatz 1 MiLoG). Aufzuzeichnen sind alle Arbeitsstunden, die für die Zahlung des Mindestlohnes relevant sind. Die Nichteinhaltung dieser Pflicht ist mit Geldbuße bis zu 30 000 Euro bedroht (§ 21 Absatz 1 Nummer 7 MiLoG). Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS) überprüft die Einhaltung dieser Pflicht und ahndet etwaige Verstöße. Zur Feststellung der geleisteten Arbeitsstunden dienen der FKS nicht nur die Arbeitszeitaufzeichnungen sondern auch die Aussagen der beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie ggf. Aussagen anderer Personen oder Geschäftsunterlagen, die geeignet sind, die Arbeitszeitaufzeichnungen auf Plausibilität hin zu überprüfen. 9. Wie plant die Bundesregierung, über die Mindestlohn-Homepage und die Hotline hinaus, Beschäftigte über ihre Mindestlohnansprüche zu informieren ? Die Bundesregierung hat mit der Homepage www.der-mindestlohn-gilt.de und der Mindestlohn-Hotline bereits ein umfangreiches Informationsangebot geschaffen . Hier können sich Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen über die mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns einhergehenden Ver- änderungen informieren. Die Inhalte der Website werden laufend aktualisiert sowie die Fragen und Antworten zum Mindestlohn – auch entlang der bei der Drucksache 18/3824 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Hotline eingehenden Fragen – laufend ergänzt. Begleitend hat die Bundesregierung seit dem 2. Januar 2015 Anzeigen in Tages- und Publikumspresse geschaltet , um auf die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns aufmerksam zu machen . Die Anzeigen informieren Unternehmen und Beschäftigte über das genannte Informationsangebot. Zusätzlich hat das BMAS zwei Publikationen mit Fragen zum allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und zum Mindestlohn in der Pflege herausgegeben. Beide kostenlosen Publikationen sind über den Publikationsversand der Bundesregierung bestellbar. 10. Welche Angebote für Beschäftigte und Arbeitgeber zur Beratung und Durchsetzung von Mindestlohnansprüchen plant die Bundesregierung, über die Mindestlohn-Homepage und die Hotline hinaus, zu schaffen? In welchem zeitlichen Rahmen sollen diese Angebote umgesetzt werden? Die Bundesregierung plant eine Fortsetzung der Anzeigenkampagne im ersten Halbjahr 2015. Über zusätzliche Kommunikationsmaßnahmen sollen einzelne Zielgruppen direkt angesprochen werden, z. B. Studierende. 11. Auf welche Weise plant die Bundesregierung, die Arbeitgeber zu verpflichten , ihre Beschäftigten über deren Mindestlohnansprüche zu informieren ? Wenn keine Informations- oder Veröffentlichungspflichten für die Arbeitgeber geplant sind, warum nicht? Die Bundesregierung plant keine Verpflichtung der Arbeitgeber, ihre Beschäftigten über deren Mindestlohnansprüche zu informieren. Angesichts der breiten Informationsmöglichkeiten nicht nur durch die Mindestlohn-Hotline der Bundesregierung , sondern auch durch die Hotline des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der breiten Nutzung beider Angebote durch die Bevölkerung sowie die intensive öffentliche Debatte über den Mindestlohn geht die Bundesregierung davon aus, dass die Beschäftigten ausreichend über ihren Mindestlohnanspruch informiert sind. 12. Auf welchem Wege und mit welchen Maßnahmen plant die Bundesregierung , nach Deutschland entsandte Beschäftigte über ihre Rechte beim Mindestlohn zu informieren? Umfassende Informationen über den Mindestlohn finden sich auf der Internetseite der Zollverwaltung (www.zoll.de) sowie des BMAS (www.der-mindestlohn -gilt.de). Diese Informationen werden in näherer Zukunft auch in englischer und französischer Sprache zur Verfügung gestellt werden. Informationen über die Rechte entsandter Arbeitnehmer enthalten zudem die zentral auf der Internetseite der Europäischen Kommission zu entsandten Arbeitnehmern bereitgestellten Länderblätter. Ob und in welchem Umfang Verbesserungen des Informationsangebotes für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angezeigt sind, wird auch im Rahmen der Umsetzung der im Mai 2014 verabschiedeten Richtlinie zur Durchsetzung der Entsenderichtlinie (Richtlinie 2014/67/ EU) zu prüfen sein. Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 22 der Kleinen Anfrage zu „Fairer Mobilität in der EU“ wird verwiesen (Bundestagsdrucksache 18/3520). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/3824 13. Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung mit der Mindestlohn-Hotline bisher gemacht? Wie oft wurde sie genutzt? Über die Mindestlohn-Hotline wurden im Zeitraum 1. Januar bis 14. Januar 2015 insgesamt 5 325 Informations- und Beratungsgespräche geführt. Im Oktober 2014 waren es 1 248, im November 2014 3 823 und im Dezember 2014 6 586 Gespräche . 14. Welche Erfahrungen gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung mit Meldungen von Verstößen bei der Zahlung von Branchenmindestlöhnen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit? Wie viele Meldungen gab es dort in den vergangenen fünf Jahren? Wie viele dieser Meldungen wurden anonym getätigt? Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesen Erfahrungen ? Die FKS erhebt die Zahl der Meldungen über nicht gezahlte Mindestlöhne nicht. Hinweise zu nicht gezahltem Mindestlohn unterscheiden sich regelmäßig nicht von Hinweisen zu anderen Formen von Schwarzarbeit oder illegaler Beschäftigung . Die Qualität der Hinweise ist dabei sehr unterschiedlich. 15. Plant die Bundesregierung, ein Verbandsklagerecht zur Durchsetzung von Mindestlohnansprüchen zuzulassen? Wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung plant nicht, ein Verbandsklagerecht zur Durchsetzung von Mindestlohnansprüchen einzuführen. Das deutsche Rechtsschutzsystem ist durch den Grundsatz des Individualrechtsschutzes geprägt. 16. Wie plant die Bundesregierung die gesellschaftliche Akzeptanz des Mindestlohns , insbesondere in Wirtschaftskreisen, zu erhöhen? Nach Einschätzung der Bundesregierung ist die gesellschaftliche Akzeptanz des allgemeinen Mindestlohnes bereits jetzt sehr hoch. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 9, 10 und 11 verwiesen. 17. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass es weitere Ausnahmeregelungen oder besondere Regelungen für einzelne Branchen oder Beschäftigtengruppen beim Mindestlohn, wie beispielsweise vom Bäckerhandwerk gefordert, geben wird? Die Bundesregierung plant keine Änderungen am Mindestlohngesetz. Insbesondere vor dem Hintergrund des im Gesetz enthaltenen Überprüfungsauftrag im Hinblick auf die Regelung für Langzeitarbeitslose und den allgemeinen Evaluationsauftrag aus § 23 MiLoG kann die Bundesregierung jedoch künftige Änderungen des Gesetzes nicht ausschließen. Drucksache 18/3824 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein für alle Beschäftigten gleicher Mindestlohn die Bekanntmachung und damit die Durchsetzung des Mindestlohns erleichtert? Wenn ja, wie ist dies mit den vorhandenen abweichenden Regelungen, wie beispielsweise für Zeitungszusteller oder für Saisonarbeiter, zu vereinbaren ? Aufgrund der bisherigen Erfahrungen im Rahmen der Branchenmindestlöhne nach dem AEntG, welche teilweise auch unterschiedliche Lohnhöhen vorsehen, gibt es keinen Anlass, die Eignung der Regelungen des MiLoG in Zweifel zu ziehen. 19. Welche Branchen und wie viele Beschäftigte sind nach Kenntnis der Bundesregierung von der Mindestlohnaufzeichnungsverordnung betroffen? Unter den Anwendungsbereich der Mindestlohnaufzeichnungsverordnung (MiLoAufzV) fallen alle Branchen, die im Katalog des § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz aufgeführt sind: das Baugewerbe, das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, das Personenbeförderungsgewerbe, das Speditions-, Transport- und damit verbundene Logistikgewerbe, das Schaustellergewerbe, Unternehmen der Forstwirtschaft, das Gebäudereinigungsgewerbe, Unternehmen , die sich am Auf- und Abbau von Messen und Ausstellungen beteiligen, sowie die Fleischwirtschaft. Genaue Angaben zur Zahl der unter den zukünftigen Geltungsbereich der Verordnung fallenden Beschäftigten sind der Bundesregierung nicht möglich. Die MiLoAufzV g gilt zunächst nur für Arbeitgeber, welche Arbeitskräfte für ausschließlich mobile Tätigkeiten beschäftigen. Eine ausschließlich mobile Tätigkeit , welche nicht an Beschäftigungsorte gebunden ist, liegt insbesondere bei der Zustellung von Briefen, Paketen und Druckerzeugnissen, der Abfallsammlung , der Straßenreinigung, dem Winterdienst, dem Gütertransport und der Personenbeförderung vor. Zusätzlich ist die Anwendung auf diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ausschließlich mobilen Tätigkeiten begrenzt, die keinen Vorgaben zur konkreten täglichen Arbeitszeit (Beginn und Ende) unterliegen und sich ihre tägliche Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen. Zahlen zu einer so zu definierenden Gruppe werden bisher in keiner Statistik erhoben. 20. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit eine wichtige Voraussetzung für eine Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit und vor allen Dingen auch Voraussetzung für effektive Kontrollen ist (bitte begründen)? Die Erfassung von Beginn und Ende der tatsächlichen Arbeitszeit ist grundsätzlich ein wichtiges Instrument zur Feststellung der geleisteten Arbeitsstunden. Regelmäßig dienen die Aufzeichnungen über Beginn und Ende der Arbeitszeit dazu, Plausibilitäten im Hinblick auf die angegebenen Gesamtarbeitsstunden festzustellen. Neben den Arbeitszeitaufzeichnungen sind auch die Befragung der Beschäftigten sowie etwaiger dritter Personen von Bedeutung. Bei den Tätigkeiten , die unter den Anwendungsbereich der MiLoAufzV fallen, ist jedoch die Aufzeichnung von Beginn und Ende keine für die Prüfung durch die FKS zwingend erforderliche Information. Prüfungen können in diesen Fällen auch allein mit der Angabe der Dauer der Arbeitszeit effektiv erfolgen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/3824 21. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um zu verhindern, dass Arbeitgeber Druck auf Beschäftigte ausüben, nur die geplante, aber nicht die tatsächliche Dauer der Arbeitszeit anzugeben? Welchen Stellenwert hat hierbei aus Sicht der Bundesregierung die Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit? Zunächst weist die Bundesregierung darauf hin, dass die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG; § 17) und dem Arbeitnehmer -Entsendegesetz (AEntG; § 19) nicht die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer , sondern den Arbeitgeber trifft. Dieser kann zwar die Arbeitszeit auch von der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer aufzeichnen lassen. In diesem Fall hat der Arbeitgeber aber weiterhin zu überwachen, dass die Aufzeichnungen auch tatsächlich vorgenommen werden, und er bleibt weiterhin für die Richtigkeit der Aufzeichnungen verantwortlich. Ein Verstoß in Form einer unterbliebenen , einer falschen, einer unvollständigen oder einer verspäteten Aufzeichnung kann selbständig als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 30 000 Euro geahndet werden (§ 21 Absatz 1 Nummer 7 MiLoG, § 23 Absatz 1 Nummer 8 AEntG). Auch vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, anzunehmen, dass Arbeitgeber in signifikantem Umfang Druck auf ihre Beschäftigten ausüben, kürzere als die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten anzugeben . Überdies sind nach § 3 MiLoG Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen , insoweit unwirksam und ist die Verwirkung des Anspruchs ausgeschlossen . Daraus folgt, dass für den Mindestlohn weder arbeitsvertragliche noch tarifvertragliche Ausschlussfristen gelten. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können den Anspruch auf den Mindestlohn für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist nach §§ 195 ff. BGB, also grundsätzlich drei Jahre lang ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, gerichtlich geltend machen. Grundsätzlich sind in den Fällen, in denen nach Mindestlohngesetz und Arbeitnehmer -Entsendegesetz die Arbeitszeit aufzuzeichnen ist, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzuzeichnen. Abgewandelte Aufzeichnungspflichten sieht die MiLoAufzV nur für bestimmte Fallkonstellationen vor. Die Verordnung greift nur bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein, die mit ausschließlich mobilen Tätigkeiten beschäftigt werden, keinen Vorgaben zur konkreten täglichen Arbeitszeit unterliegen und sich ihre tägliche Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen. Diese Modifikationen tragen unter Berücksichtigung des Bedürfnisses nach effektiven Kontrollen spezifischen Besonderheiten in einzelnen Branchen Rechnung. Auch im Anwendungsbereich der MiLoAufzV bleibt es aber dabei, dass die aufgezeichnete Dauer der Arbeitszeit der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit entsprechen muss und dass der Arbeitgeber in jedem Fall für die Richtigkeit der Aufzeichnungen verantwortlich ist. 22. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass mit der Mindestlohnmeldeverordnung für bestimmte Bereiche faktisch eine Befreiung von der Meldepflicht vorgenommen wird? Mit der Mindestlohnmeldeverordnung werden keine Bereiche von der Meldepflicht ausgenommen. Für bestimmte Sachverhalte wird die Meldepflicht abgewandelt , um sowohl unnötigen Bürokratieaufwand zu vermeiden als auch effektive Prüfungen durch die FKS ermöglichen zu können. Gesamtherstellung: H. 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