Deutscher Bundestag Drucksache 18/3853 18. Wahlperiode 27.01.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3719 – Die politische Souveränität der Mitgliedstaaten und die Einflussnahme anderer Mitgliedstaaten und der EU-Organe auf Wahlen und politische Ämter Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Bankenkrise des Jahres 2009 führte zu einer ökonomischen und politischen Krise der Europäischen Union, die bis heute anhält. Die deutsche Bundesregierung trägt maßgeblich die Verantwortung für die falsche Ausrichtung der europäischen Politik auf einen Austeritätskurs, der mit der Einschränkung von parlamentarischen Kontrollen und einer zunehmend autoritären Politik in der Europäischen Union einherging, und nach Auffassung der Fragesteller zu katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten führte. Mit den Neuwahlen in Griechenland kann diese Politik prinzipiell infrage gestellt werden. Diese mögliche Perspektive hat in Deutschland eine Debatte in Gang gebracht, die mit Drohungen und Zurechtweisungen gegen die potentiellen politischen Wahlentscheidungen der Griechinnen und Griechen einhergehen . Die Fragesteller unterstützen den Anspruch der Menschen in Griechenland, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden – ohne Beeinflussung und Drohungen durch andere Staaten und die Europäische Union. Dieser Anspruch ist allerdings durch Interventionen seitens der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union bedroht, die eine gefährliche Tendenz zur Postdemokratie (Colin Crouch) und ein defizitäres Demokratieverständnis mit einer nur instrumentellen Bedeutung demokratischer Verfahren ausdrücken. So wurde im Jahr 2011 ein vom griechischen Ministerpräsident Giorgos Andrea Papandreou angekündigtes Referendum auf Druck von außen abgesagt . Dementsprechend hat sich auch die politische öffentliche Diskussion gewandelt. Interventionen in Wahlkämpfe und in die Politik einzelner Länder werden nicht nur in Einzelfällen akzeptiert, sondern das Gebot der Nichteinmischung in ein anderes Landes teilweise als „völlig überholt“ angesehen (Süddeutsche Zeitung vom 19. Februar 2013 „Wahlen gehen ganz Europa Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 23. Januar 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. etwas an“). Drucksache 18/3853 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Darum sollte die Bundesregierung offenlegen, inwiefern sie die Intervention in Wahlkämpfe und die politische Entscheidungsfindung eines Landes für ihr eigenes Handeln, für das anderer Mitgliedstaaten und für das Handeln der EUOrgane für legitim hält. Darüber hinaus soll die Position der Bundesregierung im Zusammenhang mit der kommenden griechischen Parlamentswahl und den medial kolportierten Drohungen über einen erzwungenen Euroaustritt Griechenlands deutlich gemacht werden. 1. Inwiefern sieht die Bundesregierung grundsätzlich ein Problem in der Intervention exekutiver staatlicher Stellen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union in Wahlkämpfe eines Landes im Unterschied zu parteipolitischer und zivilgesellschaftlicher Unterstützung, und welche Kriterien legt sie für die Einschätzung ihrer Handlungen in Bezug auf Wahlkämpfe in anderen Mitgliedstaaten an? 2. Welche Regelungen hat sich die Bundesregierung in Bezug auf die Teilnahme der Bundeskanzlerin bzw. von Ministerinnen und Ministern in Wahlkämpfen anderer Länder gegeben? 3. Inwiefern hat sich die Bundesregierung über die gemeinsamen Auftritte der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mit dem Kandidaten der französischen Präsidentschaftswahlen, Nicolas Sarkozy, verständigt sowie über die Entscheidung Dr. Angela Merkels, den Herausforderer François Hollande trotz seiner Anfrage kein Treffen zu gewähren (The European vom 9. Februar 2012 „Berliner Schützenhilfe“)? 4. Nach welchen politischen Kriterien entscheidet die Bundeskanzlerin über gemeinsame Termine mit im Wahlkampf befindlichen exekutiven Amtsträgern und anderen Kandidaten? 5. Warum hat sich die Bundeskanzlerin nicht mit Alexis Tsipras getroffen, der bereits im Wahlkampf 2012 ein Treffen vorgeschlagen hatte (www.tagesspiegel.de vom 22. Mai 2012 „Alexis Tsipras fordert Merkel heraus“)? Die Fragen 1 bis 5 werden aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Parteipolitische Termine werden von jedem Mitglied der Bundesregierung in dessen Funktion als Parteimitglied nach eigenem Ermessen wahrgenommen. Es gibt daher hierzu weder eine Regelung noch eine Abstimmung der Bundesregierung . 6. Inwiefern bedauert die Bundesregierung die Berichte über ihren Kurswechsel in Bezug auf die zuvor ausgeschlossene Möglichkeit eines EuroAustritts Griechenlands und die damit verbundene, kolportierte Drohung Griechenland aus dem Euro auszuschließen, wenn eine neue Regierung die Troika-Vereinbarungen nicht akzeptiert (www.welt.de vom 5. Januar 2015 „Deutsche Drohungen lassen die Griechen kalt“)? 7. Teilt die Bundesregierung die Rechtsauffassung der Fragesteller, dass es nach den EU-Verträgen unmöglich ist, Griechenland gegen seinen Willen aus der Währungsgemeinschaft auszuschließen? 8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Partei Syriza, wie auch ihr Spitzenkandidat Alexis Tsipras, einen Austritt Griechenlands aus dem Euro eindeutig ablehnen (www.stern.de vom 11. Januar 2015 „Syriza schließt Euro-Austritt Griechenlands aus“)? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3853 9. Glaubt die Bundesregierung, dass die Stellungnahme des Pressesprechers Steffen Seibert, die auch in der Presse nicht als Dementi bewertet wurde, die Wirkung ihrer kolportierten Drohung auf die griechischen Wählerinnen und Wähler vermindert oder bestärkt hat? Die Fragen 6 bis 9 werden aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Haltung der Bundesregierung hat sich nicht geändert. Griechenland hat durch eigene Anstrengungen sowie durch die Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten große Fortschritte erzielt. Grundsätzlich geht die Bundesregierung davon aus, dass vertragliche Verpflichtungen, die Regierungen für ihr Land getroffen haben, auch von Nachfolgeregierungen eingehalten werden. Die Bestimmungen des AEUV für Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, sind in Titel VIII enthalten. Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an darüber hinausgehenden spekulativen Diskussionen. 10. Inwiefern wird sich die Bundesregierung für die Anerkennung einer frei und fair gewählten Regierung in Griechenland einsetzen, auch wenn diese von Syriza gestellt wird, und inwiefern ist die Bundesregierung bereit, eine nicht demokratisch legitimierte Regierung in Griechenland anzuerkennen ? Die Bundesregierung erkennt jede in demokratischen und freien Wahlen gewählte Regierung an. 11. Welche Auswirkungen der Medienberichte über ihren Kurswechsel in der Frage des Zusammenhalts der Währungsunion erwartet die Bundesregierung für die italienische Politik, in der Giuseppe Grillo gerade ein Referendum über einen Euroaustritt betreibt, und inwiefern sieht sie mögliche Konsequenzen für die politische Lage in anderen Mitgliedstaaten? Die Bundesregierung spekuliert nicht über Auswirkungen von Medienberichten. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 6 bis 9 verwiesen. 12. Mit welcher demokratischen Legitimation hat die Bundesregierung sich im Jahr 2011 mit finanziellem und politischem Druck dafür eingesetzt, das vom griechischen Ministerpräsidenten als „Akt der Demokratie“ angekündigte Referendum über die Vereinbarungen des Brüsseler Krisengipfels abzusagen (www.spiegel.de vom 2. November 2011 „Krisentreffen in Cannes: Euro-Retter setzen Papandreou unter Druck“)? Es handelte sich hierbei um eine autonome Entscheidung der damaligen griechischen Regierung. Drucksache 18/3853 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 13. Inwiefern hat sich die Bundesregierung aus demokratiepolitischen Gründen dafür eingesetzt, dass die in der griechischen Verfassung vorgesehene Möglichkeit der Wahlteilnahme für Griechinnen und Griechen außerhalb des Landes gewährleistet wird, damit die zahlreichen Menschen, die im Zuge der Austeritätspolitik und der ökonomischen Krise das Land verlassen haben, an der demokratischen Entscheidung über die Zukunft ihres Landes teilnehmen können, und warum hat sie dazu gegebenenfalls keine Stellung genommen? Es ist Sache der jeweiligen Regierung eines Landes zu entscheiden, wie Staatsbürger eines Landes, die außerhalb dieses Landes leben, an Wahlen teilnehmen können. 14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des französischen Präsidenten, dass die Griechen allein über ihre Währung entscheiden und kein Druck auf sie ausgeübt werden solle (www.tagesschau.de/ausland/hollandeeuro -101.html)? Die Bundesregierung verweist auf ihre Antwort zu den Fragen 6 bis 9. 15. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass die EU-Kommissare zu strikter parteipolitischer Neutralität verpflichtet sind? 16. Welche Artikel der EU-Verträge geben der Europäischen Kommission nach Ansicht der Bundesregierung gegebenenfalls das Recht, in die politische Situation eines Mitgliedstaats zu intervenieren, wie zum Beispiel die Warnung des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, „keine extremistischen Kräften“ zu wählen, die in Griechenland wie auch in der europäischen Presse als Positionierung gegen Syriza verstanden wurde (www.reuters.com vom 12. Dezember 2014 „Juncker warnt Griechen vor Abkehr vom Reformkurs“)? 17. Inwiefern befürwortet die Bundesregierung Wahlempfehlungen der Europäischen Kommission oder einzelner EU-Kommissare für deutsche Parteien bzw. Kandidaten, wie im Fall des Wahlaufrufs der Kommissarin Neelie Kroes für Dr. Angela Merkel im Jahr 2005 (www.spiegel.de vom 22. September 2005 „EU-Kommission: SPE-Beschwerde über Kroes Wahlempfehlung für Merkel“)? Die Fragen 15 bis 17 werden aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Artikel 17 Absatz 3 Satz 3 ff. EUV legt die Details der Amtsausübung der Europäischen Kommission fest: „Die Kommission übt ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit aus. Die Mitglieder der Kommission dürfen unbeschadet des Artikels 18 Absatz 2 Weisungen von einer Regierung, einem Organ, einer Einrichtung oder jeder anderen Stelle weder einholen, noch entgegennehmen. Sie enthalten sich jeder Handlung, die mit ihrem Amt oder der Erfüllung ihrer Aufgaben unvereinbar ist.“ Nähere Bestimmungen sind in Artikel 245 AEUV enthalten . Die Bundesregierung verweist ferner auf den Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder (K(2011) 2904). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3853 18. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Einschätzung, dass das Gebot der Nichteinmischung in Wahlkämpfe anderer Länder überholt sei (Süddeutsche Zeitung, www.eurotopics.net/de/home/medienindex/ media_articles/archiv_article/ARTICLE118909-Wahlen-gehen-heute-ganzEuropa -etwas-an)? Die Bundesregierung verweist auf ihre Antwort zu den Fragen 1 bis 5. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333