Deutscher Bundestag Drucksache 18/3965 18. Wahlperiode 05.02.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Kunert, Annette Groth, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3770 – Umsetzung der OSZE-Missionen und des Minsker Protokolls in der Ukraine Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Durch den Ukraine-Konflikt hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine politische Aufwertung erfahren. Im Zuge des Konflikts auf der Krim und in der Ostukraine wurde die OSZE unter dem Schweizer Vorsitz im Jahr 2014 zum wichtigsten multilateralen Akteur, der auf eine Einstellung der militärischen Auseinandersetzungen abzielt und zwischen den Konfliktparteien vermittelt. Das entscheidende Vermittlungsinstrument stellt die im Mai 2014 ins Leben gerufene trilaterale Kontaktgruppe dar, in der die Repräsentanten der Ukraine, Russlands und der OSZE zusammenarbeiten. Die OSZE führt gegenwärtig zwei Missionen in der Ukraine durch: Im März 2014 mandatierte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtungsmission (SMM) mit bis zu 500 Beobachterinnen und Beobachtern. Das Einsatzgebiet der SMM erstreckt sich über die gesamte Ukraine mit regionalen Schwerpunkten. Durch die Präsenz der OSZE-Beobachtungsteams sollen Spannungen in der Bevölkerung verringert und mit objektiven Lageberichten die Sicherheitslage stabilisiert werden. Hinzu kommt die Überwachung des am 4. September 2014 im belarussischen Minsk beschlossenen Waffenstillstandsprotokolls für die Ostukraine. Darüber hinaus beobachtet eine zweite OSZE-Mission den Verkehr an den russisch-ukrainischen Grenzübergängen Gukovo und Donezk. Sie ist auf russischem Territorium stationiert. In der Praxis konnte lediglich ein Kilometer des rund 200 Kilometer langen Grenzabschnitts zum Konfliktgebiet überwacht werden. Die Waffenruhe in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk ist weiterhin brüchig, wenngleich die Intensität der Kämpfe zwischen den ukrainischen Regierungstruppen bzw. Freiwilligenbataillonen und den aufständischen Formationen seit Beschluss des Minsker Protokolls insgesamt abgenommen hat und die Waffen in der Praxis auch zeitweilig schwiegen. Bis auf einen im Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 2. Februar 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Dezember 2014 durchgeführten gegenseitigen Gefangenenaustausch konnten jedoch keine wesentlichen weiteren Punkte des Minsker Protokolls und des Memorandums über konkrete Maßnahmen für Fortschritte bei der politischen Konfliktbearbeitung umgesetzt werden. Die Festlegung der Kontaktlinie in Drucksache 18/3965 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode dem Konfliktgebiet ist nach wie vor nicht abgeschlossen, sodass der vereinbarte 30 Kilometer breite Sicherheitskorridor nicht errichtet werden konnte. Der im Memorandum festgelegte beiderseitige Abzug des militärischen Personals , der schweren Militärtechnik und die Räumung von Minenfeldern kommen ebenfalls nicht voran. Mit dem turnusmäßigen Wechsel des OSZE-Vorsitzes zum Jahresbeginn 2015 von der Schweiz zu Serbien und der bevorstehenden Übernahme des Vorsitzes im Jahr 2016 durch Deutschland stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung die Kontinuität der bisherigen Friedensbemühungen als Mitglied der OSZE-Troika aus ehemaligem, aktuellem und künftigem Vorsitz konkret zu unterstützen gedenkt. 1. Wie viele zivile Beobachterinnen und Beobachter der OSZE sind derzeit im Rahmen der SMM in der Ukraine im Einsatz, und welche Zwischenbilanz zieht die Bundesregierung aus ihrer bisherigen Beobachtungstätigkeit in den Einsatzgebieten a) Iwano-Frankiwsk, Lwiw und Tscherniwzi, b) Dnipropetrowsk, Donezk und Luhansk, c) Odessa und Cherson? In der Ukraine sind derzeit 374 internationale zivile Beobachter im Rahmen der OSZE Special Monitoring Mission im Einsatz (Stand 20. Januar 2015). Die Mission sammelt Informationen und berichtet gemäß Mandat über die allgemeine Sicherheitslage und zu Ereignissen, die eine Verletzung der Grundsätze und Verpflichtungen der OSZE darstellen. Die Mission berichtet täglich an die OSZE Teilnehmerstaaten. Die Berichte sind auf der OSZE Webseite öffentlich zugänglich. Die OSZE Special Monitoring Mission in der Ukraine (SMM) ist ein wichtiges Instrument zur Deeskalation des Konflikts in der Ukraine. Sie hat im Zusammenhang mit den Untersuchungen und Bergungsarbeiten nach dem Absturz des Fluges MH17 wichtige Unterstützungsarbeit geleistet. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die Arbeit der SMM sowohl politisch als auch personell und finanziell mit dem größten Beitrag unter allen Teilnehmerstaaten der OSZE. 2. In welchem Umfang ist gegenwärtig die Bundesrepublik Deutschland mit zivilen Beobachterinnen und Beobachtern an der SMM beteiligt, und in welchen Orten bzw. Regionen der Ukraine kommen diese zum Einsatz (bitte nach Anzahl und Einsatzorten auflisten)? Deutschland hat gegenwärtig 18 Beobachter an die SMM sekundiert. Sie sind derzeit in folgenden SMM-Teams im Einsatz: Standort Anzahl deutscher Beobachter Kiew 6 Tscherniwzi 1 Lwiw 2 Kharkiv 3 Dnipropetrowsk 2 Odessa 2 Cherson 2 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3965 3. Welche Erkenntnisse konnte die Bundesregierung aus der Arbeit der SMM bzw. aus anderen Informationsquellen – ggf. auch nachrichtendienstlicher Herkunft – gewinnen, ob und in welchem Umfang bewaffnete paramilitärische Formationen im Einsatzgebiet der SMM als polizeiliche Ordnungskräfte auftreten, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, und in welchen Regionen oder Städten ist dies ggf. festzustellen? Hierzu liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor. Offene Informationsquellen berichten über den Einsatz von bewaffneten paramilitärischen Formationen als polizeiliche Ordnungskräfte sowohl aufseiten der ukrainischen Sicherheitskräfte, als auch aufseiten der pro-russischen Separatisten. 4. Wie viele zivile Beobachterinnen und Beobachter nehmen derzeit an der kürzlich verlängerten OSZE-Grenzbeobachtungsmission an den zwei russischen Grenzkontrollpunkten Gukovo und Donezk teil, und wie sieht nach Kenntnis der Bundesregierung der aktuelle Diskussions- und Verhandlungsstand zur Ausweitung ihrer Aktivitäten auf den gesamten Grenzverlauf zwischen Russland und den ostukrainischen Konfliktgebieten aus? An den zwei russischen Grenzkontrollpunkten Gukovo und Donezk sind derzeit 16 internationale zivile Beobachter im Rahmen der OSZE Observer Mission im Einsatz (Stand 22. Januar 2015). Das aktuelle Mandat läuft am 19. März 2015 aus. Russland hat seit Beginn des Einsatzes eine Ausweitung der OSZE-Grenzbeobachtung auf weitere Grenzabschnitte abgelehnt. 5. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung gegenwärtig die Arbeit der zivilen OSZE-Grenzbeobachtungsmission? Deutschland hat einen Beobachter an die OSZE Grenzbeobachtungsmission sekundiert und setzt sich im Ständigen Rat der OSZE gemeinsam mit seinen Partnern in der Europäischen Union für eine Ausweitung der Grenzbeobachtung auf die gesamte Grenze zwischen Russland und den von Separatisten besetzten Gebieten ein. 6. Welchen personellen, logistischen und technischen Aufwand würde eine Ausweitung der zivilen OSZE-Grenzbeobachtungsmission auf die gesamte ukrainisch-russische Staatsgrenze nach Einschätzung der Bundesregierung mit sich bringen, und welchen Beitrag wäre die Bundesregierung ggf. bereit , hierfür zu übernehmen? Russland verhindert seit Beginn des Einsatzes jegliche Bemühungen zur Ausweitung der OSZE-Grenzbeobachtung auf weitere Grenzabschnitte. Der tatsächliche Aufwand für eine Ausweitung der Grenzbeobachtung würde vom Umfang und der Art des vereinbarten Mandats abhängen. Drucksache 18/3965 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 7. In welchem Umfang und in welchem Zeitraum kamen darüber hinaus nach Kenntnis der Bundesregierung seit Konfliktbeginn auch Beobachterinnen und Beobachter aus Mitgliedsländern der OSZE nach dem Wiener Dokument in der Ukraine zum Einsatz? Im Zeitraum vom 1. März bis 31. Dezember 2014 fanden insgesamt 23 Inspektionen und Überprüfungsbesuche nach dem Wiener Dokument 2011 über vertrauens - und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) auf dem Hoheitsgebiet der Ukraine statt. An diesen Maßnahmen waren 117 Beobachterinnen und Beobachter aus 37 Teilnehmerstaaten der OSZE beteiligt. 8. Worin bestanden die konkreten Aufgaben der Beobachterinnen und Beobachter , die sich nach dem Wiener Dokument in der Ukraine bislang aufhielten , und mit wie viel Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat sich die Bundesrepublik Deutschland daran beteiligt? Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen wie Inspektionen und Überprüfungsbesuche nach dem Wiener Dokument 2011 wenden die Teilnehmerstaaten der OSZE seit über zwei Jahrzehnten routinemäßig untereinander an. Die Verfahren und Modalitäten für diese Maßnahmen sind in dem Abkommen festgehalten , haben sich bewährt und werden von allen OSZE-Staaten grundsätzlich anerkannt. Die Maßnahmen zielen darauf ab, im gesamten OSZE-Raum zwischen den Teilnehmerstaaten militärische Transparenz und Vertrauen herzustellen bzw. zu vertiefen. So sollen die Inspektionen nach dem Wiener Dokument in der Ukraine vor allem feststellen, ob es im jeweils bezeichneten Inspektionsgebiet außergewöhnliche militärische Aktivitäten gibt. In der gegenwärtigen Situation in der Ukraine tragen die Inspektoren durch ihre unabhängige und fachlich fundierte Berichterstattung zu einem objektiven Lagebild bei und leisten damit einen Beitrag zur Deeskalation. Bei Überprüfungsbesuchen in militärischen Einrichtungen geht es vor allem darum, die im Rahmen des Informationsaustauschs nach dem Wiener Dokument zur Verfügung gestellten Angaben über die ukrainischen Streitkräfte stichprobenartig zu verifizieren und sich mit der Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten sowie dem Auftrag der besuchten Truppenteile vertraut zu machen. Die Bundesrepublik Deutschland war an diesen vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen in der Ukraine im o. g. Zeitraum mit insgesamt 17 Beobachterinnen und Beobachtern beteiligt. 9. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die militärischen Aktivitäten in den zuletzt von bewaffneten Auseinandersetzungen am stärksten betroffenen Gebieten um den Flughafen Donezk, die Stadt Debalzewe, nördlich der Stadt Luhansk und nordöstlich der Stadt Mariupol entwickelt, und seit wann bzw. in welchem Zeitraum seit Vereinbarung des Waffenstillstands konnte tatsächlich eine Einstellung der militärischen Auseinandersetzungen erreicht werden? Die Bundesregierung verfolgt die Kampfhandlungen in den genannten Gebieten im Rahmen der Möglichkeiten, hat aber häufig keinen Zugang zu unabhängig verifizierbaren Informationen über die tagesaktuelle Gefechtslage. Der Berichterstattung der SMM ist zu entnehmen, dass eine komplette Einstellung der Kampfhandlungen bis auf wenige Ausnahmen bislang nicht festgestellt werden kann. Ein tatsächliches Einstellen der militärischen Auseinandersetzungen blieb bisher aus. Im Zeitraum vom 9. Dezember 2014 bis Anfang Januar 2015 wurde ein erneuter Waffenstillstand (sog. Regime of Quiet) zwischen den Konfliktparteien ausge- handelt, welcher zwischenzeitlich eine Verminderung der beiderseitigen Ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3965 stöße gegen den Waffenstillstand bewirkte. Seit Anfang 2015 wird wieder ein deutlicher Anstieg der Gefechtshandlungen registriert. 10. Welche Erkenntnisse – ggf. auch nachrichtendienstlicher Herkunft – hat die Bundesregierung über die aktuellen militärischen Kräfteverhältnisse und Ausstattung der Konfliktparteien mit konventionellen Waffensystemen in dem Konfliktgebiet a) hinsichtlich der aktuellen Personalstärke und Ausstattung der regu- lären ukrainischen Streitkräfte mit konventionellen Waffensystemen, b) hinsichtlich der aktuellen Personalstärke und Ausstattung der ukraini- schen Freiwilligenbataillone bzw. ukrainischen paramilitärischen Formationen mit konventionellen Waffensystemen, c) hinsichtlich der aktuellen Personalstärke und Ausstattung der aufständischen Formationen mit konventionellen Waffensystemen? Nach Verlautbarung des ukrainischen Verteidigungsministeriums vom 15. Januar 2015 befinden sich 8 400 russische und 26 280 pro-russische Kämpfer in der Ostukraine. Die russischen Truppen verfügen demnach über etwa 180 Kampfpanzer, 570 gepanzerte Fahrzeuge, 143 Stück Rohrartillerie und 77 Stück Raketenartillerie sowie 7 Kampfgruppen in Bataillonsstärke. Die prorussischen Kräfte verfügen nach dieser Verlautbarung über 362 Kampfpanzer, 391 gepanzerte Fahrzeuge und 472 Rohr- und Raketenartillerie. Nach eigenen Angaben setzt die Ukraine in der Ostukraine ca. 51 300 Soldaten ein und verfügt über ca. 280 Kampfpanzer, 1 820 gepanzerte Fahrzeuge, 4 Taktische Raketenkomplexe „Tochka-U“, 522 Stück Rohrartillerie, 190 Stück Raketenartillerie , 126 Stück Hubschrauber, 230 Kampfflugzeuge sowie 42 Kampfgruppen in Bataillonsstärke. Gemäß dem ukrainischen Informationsaustausch nach dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) verfügte die Ukraine zum Stichtag 1. Januar 2015 im gesamten Staatsgebiet über: 2 195 Kampfpanzer 3 508 gepanzerte Kampffahrzeuge (darunter 2 412 Schützenpanzer) 2 898 Artilleriewaffen (Kaliber >100mm) 488 Kampfflugzeuge 113 Angriffshubschrauber. Der Personalbestand der ukrainischen Streitkräfte (ohne schwimmende Marinekräfte ) wird gemäß KSE-Vertrag mit 204 000 Soldatinnen und Soldaten angegeben . Offenem Aufkommen zufolge sollen die ukrainischen Einheiten und Verbände , welche an der sogenannten Anti-Terror-Operation (ATO) beteiligt sind, eine Gesamtstärke von maximal ca. 40 000 Mann haben. Die 44 ukrainischen Freiwilligenbataillone sollen insgesamt ca. 10 000 Kämpfer umfassen. Der Bundesregierung liegen keine bestätigten Erkenntnisse zu den aktuellen militärischen Kräfteverhältnissen vor. 11. Welche militärischen Konfliktparteien haben in welchem Umfang seit Beginn des bewaffneten Konflikts in der Donbass-Region nach Kenntnis der Bundesregierung auch bezahlte Söldner aus dem Ausland oder Angehörige von privaten Sicherheitsfirmen für die militärischen Auseinandersetzungen rekrutiert (bitte möglichst nach Konfliktpartei bzw. Formation , Söldneranzahl und Herkunftsland auflisten)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine unabhängig verifizierbaren Informationen vor. Drucksache 18/3965 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 12. Welche Erkenntnisse – ggf. auch nachrichtendienstlicher Herkunft – hat die Bundesregierung über die Kommandostrukturen bzw. Befehlskette innerhalb der ukrainischen Freiwilligenbataillone bzw. ukrainischen paramilitärischen Formationen in dem Konfliktgebiet, und inwieweit fand hierbei nach Kenntnis der Bundesregierung in der Vergangenheit insbesondere auch ein koordiniertes militärisches Zusammenwirken mit den regulären ukrainischen Streitkräften statt? Alle aufseiten der ukrainischen Regierung in den Kampfhandlungen eingesetzten Einheiten unterliegen formell von der ukrainischen Regierung kontrollierten Befehlsketten und unterliegen grundsätzlich einer einheitlichen Operationsführung . Zuständig für die Koordinierung ist der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat (NSVR) der Ukraine. Zum tatsächlichen Umfang des koordinierten militärischen Zusammenwirkens dieser Einheiten, über die Kommandostrukturen der Freiwilligenbataillone oder über ein koordiniertes militärisches Zusammenwirken zwischen regulären ukrainischen Streitkräften und den etwa 44 Freiwilligenbataillonen liegen der Bundesregierung keine unabhängig verifizierbaren Informationen vor. Jedoch ist laut ukrainischem Verteidigungsministerium die vollständige Integration der Freiwilligenbataillone in die regulären ukrainischen Streitkräfte geplant, aber noch nicht abgeschlossen. 13. Welche Erkenntnisse – ggf. auch nachrichtendienstlicher Herkunft – hat die Bundesregierung über die Kommandostrukturen/Befehlskette innerhalb der bewaffneten aufständischen Formationen in den abtrünnigen Donbass-Gebieten, und inwieweit haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die aufständischen Formationen in der Vergangenheit untereinander vernetzt und ihr militärisches Vorgehen koordiniert? Hierzu liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor. Die zeitweilige Ernennung russischer Staatsangehöriger mit Verbindungen zu russischen Sicherheitsstrukturen u. a. Igor Girkin (Pseudonym Igor Strelkow) als sogenannter Verteidigungsmister der separatistischen Einheiten der sogenannten Donezker Volksrepublik lassen auch Rückschlüsse auf mit Russland in Bezug stehende Kommandostrukturen zu. Eigenen Verlautbarungen zufolge versuchen die sogenannten Volksrepubliken seit Herbst 2014 ihre in den abtrünnigen Donbass-Gebieten gegen die ukrainische Regierung kämpfenden Einheiten unter eine einheitliche militärische Führung zu stellen. Zum Stand der Umsetzung dieser Absicht und zum Grad der Vernetzung und Kooperation der bewaffneten aufständischen Formationen im Rahmen ihres militärischen Vorgehens liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse vor. 14. Welche militärisch aktiven, aufständischen Formationen sind der Bundesregierung in den abtrünnigen Donbass-Gebieten bekannt, und worin unterscheiden sich diese nach Kenntnis der Bundesregierung ggf. hinsichtlich ihrer politischen Zielsetzungen? In den sogenannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk gibt es zum einen militärische Einheiten und Verbände unter dem Kommando des jeweiligen „Verteidigungsministeriums“ mit entsprechenden politischen Zielsetzungen. Daneben gibt es weitere militärische Kräfte, die keiner klar erkennbaren Einflussnahme unterliegen, sich jedoch in ihrer politischen Zielsetzung nicht unterscheiden . Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/3965 15. Wie haben nach Kenntnis der Bundesregierung die überwiegend pro-russisch orientierten militärischen Formationen auf die Ausrufung einer eigenen „Volksrepublik Stachanow“ der Don-Kosaken in dem Konfliktgebiet reagiert, bzw. wie hat sich seitdem das Verhältnis zwischen den prorussisch orientierten militärischen Formationen und den militärischen Formationen der Don-Kosaken entwickelt (vgl. Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, Nr. 51, S. 96 bis 98)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor. 16. Welche Zugangsmöglichkeiten haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Beobachtungsteams der OSZE gegenwärtig zu den von den ukrainischen Streitkräften bzw. ukrainischen Freiwilligenbataillonen militärisch kontrollierten Gebieten in der Konfliktregion, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung ggf. über die aktuelle Sicherheitslage der unbewaffneten OSZE-Beobachtungsteams? Der SMM wird auf den von ukrainischer Seite kontrollierten Gebieten grundsätzlich überall Zugang gewährt, sofern es die Sicherheitslage zulässt. Die Sicherheitslage in der Ostukraine ist für die unbewaffneten Beobachter volatil. Der brüchige Waffenstillstand gefährdet die Arbeit und persönliche Sicherheit der OSZE-Beobachter. Die Missionsleitung ist sich der Sicherheitsrisiken bewusst und sehr bemüht, die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Beobachter zu optimieren. 17. Welche Zugangsmöglichkeiten haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Beobachtungsteams der OSZE gegenwärtig zu den von den bewaffneten aufständischen Formationen militärisch kontrollierten Gebieten in der Donbass-Region, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung ggf. über die aktuelle Sicherheitslage der unbewaffneten OSZE-Beobachtungsteams ? Der SMM wird auf den von Separatisten kontrollierten Gebieten nur eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit gewährt. Vor allem Teile der sogenannten Luhansker Volksrepublik, die von sogenannten Kosakenverbänden kontrolliert werden, sind für die SMM unzugänglich. Zur Sicherheitslage der OSZE-Beobachter wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. 18. Wie sieht laut Memorandum vom 19. September 2014 der aktuelle Stand bei der Festlegung des Verlaufs der Kontaktlinie zwischen den militärischen Konfliktparteien aus, und an welchen Abschnitten konnte die Kontaktlinie bereits definiert werden (bitte näher erläutern oder topografisch darstellen)? Das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 legt in einem Annex 84 Geodatenpunkte fest, entlang derer nach Feststellung einer vollen Waffenruhe eine Kontaktlinie zwischen den Konfliktparteien mit einer Pufferzone eingerichtet werden soll. Darüber hinaus bezieht sich das Memorandum u. a. in Punkt 2 auf die tatsächliche Frontlinie. Die Unterzeichner des Memorandums haben die Geodatenpunkte zur Bestimmung der Kontaktlinie nicht veröffentlicht . Am 19. September entsprach die Frontlinie nicht dieser Kontaktlinie und hat sich im Zuge der anhaltenden Kampfhandlungen in den meisten Gebieten zumeist zugunsten der Separatisten weiter verschoben. Drucksache 18/3965 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 19. Wie viele militärische Gefangene und andere gesetzwidrig festgehaltene Personen wurden gemäß Punkt 5 des Minsker Protokolls nach Kenntnis der Bundesregierung bei dem Gefangenenaustausch im Dezember 2014 freigelassen, und wie viele Personen werden ggf. immer noch von wem festgehalten (vgl. Antwort zu Frage 22 auf Bundestagsdrucksache 18/ 3476)? Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurden beim Gefangenenaustausch Ende Dezember 146 ukrainische Soldaten und 222 pro-russische Kämpfer freigelassen . Am 22. Dezember 2014 erklärte u. a. der ukrainische Verhandlungsleiter , Wladimir Ruban, dass die Separatisten 684 Gefangene hielten, aber nur zur Freilassung von 150 Gefangenen bereit seien. 20. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die humanitäre und menschenrechtliche Situation der vormals oder aktuell gefangen gehaltenen Personen, und wie beurteilt die Bundesregierung insbesondere die Einhaltung des humanitären Kriegsvölkerrechts durch die militärischen Konfliktparteien in den umkämpften Gebieten und im Umgang mit gefangen genommenen Personen (bitte getrennt nach Konfliktpartei näher erläutern)? Zur Situation speziell der vormals oder gegenwärtig gefangen gehaltenen Personen sowie zur Einhaltung des humanitären Kriegsvölkerrechts liegen der Bundesregierung keine belastbaren Informationen vor. 21. Wie viele der bei dem Gefangenenaustausch freigekommenen Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung als Angehörige von militärischen bzw. paramilitärischen Formationen (Kombattanten) einzustufen, und wie viele Zivilisten und Zivilistinnen wurden ggf. bei dem Gefangenenaustausch ebenfalls freigelassen (bitte möglichst nach Anzahl, Konfliktpartei und Kombattant bzw. Nichtkombattant auflisten)? Der Bundesregierung liegen keine gesicherten Erkenntnisse über die betroffenen Einzelpersonen vor. 22. Wie viele der gegenwärtig noch gefangenen bzw. gesetzwidrig festgehaltenen Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung als Angehörige von militärischen bzw. paramilitärischen Formationen (Kombattanten) einzustufen, und wie viele Zivilisten und Zivilistinnen befinden sich ggf. unter den gegenwärtig noch festgehaltenen Personen (bitte möglichst nach Anzahl, Konfliktpartei und Kombattant bzw. Nichtkombattant auflisten)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine gesicherten Erkenntnisse vor. 23. In welchem Umfang wurde nach Kenntnis der Bundesregierung gemäß Punkt 10 des Minsker Protokolls damit begonnen, ungesetzlich bewaffnete Kräfte, militärisches Gerät sowie Kämpfer und Söldner aus dem Territorium der Ukraine abzuziehen, und über welche Möglichkeiten verfügt die OSZE im Rahmen ihres aktuellen Mandatsauftrags, diesen Abzug in der Praxis tatsächlich zu überprüfen? Der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen gesicherten Erkenntnisse vor. Die OSZE SMM kann aufgrund der anhaltenden Kämpfe derzeit keine systematische Überprüfung des Abzugs vornehmen. Die OSZE Observer Mission (OM), die jedoch ausschließlich an den beiden Grenzübergängen Gukovo und Donezk Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/3965 auf russischen Territorium den Grenzverkehr beobachtet, berichtet regelmäßig von Grenzüberschreitungen in die und aus der Ukraine durch männliche Personen in Armeekleidung. 24. In welchem Umfang und in welchen Regionen des Konfliktgebiets wurde nach Kenntnis der Bundesregierung mit der humanitären Minenräumung begonnen, und über welche Möglichkeiten verfügt die OSZE im Rahmen ihres aktuellen Mandatsauftrags, den Minenräumungsprozess in der Praxis tatsächlich zu überprüfen? Humanitäre Minenräumungen fanden nach Erkenntnissen der Bundesregierung u. a. in den jetzt wieder von Kiew kontrollierten Gebieten wie Slowjansk und Kramatorsk statt. Vereinzelt berichtet die OSZE über Minenräumungen. 25. Wie sieht nach Kenntnis der Bundesregierung der aktuelle Stand bei der unter Punkt 7 des Minsker Protokolls vereinbarten Fortführung eines „Inklusiven Nationalen Dialogs“ in der Ukraine aus, und welche Dialogpartnerinnen und Dialogpartner sollen nach Kenntnis der Bundesregierung daran teilnehmen und sich über welche konkreten Schwerpunktthemen verständigen? Nach Kenntnis der Bundesregierung plant die ukrainische Regierung in Kürze den Prozess zur Debatte und Verabschiedung einer Verfassungsreform in die Wege zu leiten. Dazu sind nach Angaben der ukrainischen Regierung auch Diskussionsveranstaltungen in den Oblasten des Landes geplant, die sich v. a. mit Fragen zur praktischen Umsetzung der geplanten Dezentralisierung auseinandersetzen sollen. 26. Welche konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage der Bevölkerung und zum wirtschaftlichen Wiederaufbau der von schweren Zerstörungen betroffenen Donbass-Region hat die ukrainische Regierung gemäß den Punkten 8 und 11 des Minsker Protokolls bereits durchgeführt , und wie haben sich diese Maßnahmen bislang ausgewirkt (vgl. Antwort zu Frage 22 auf Bundestagsdrucksache 18/3476)? In den wieder von Kiew kontrollierten Städten und Regionen haben zahlreiche Wiederaufbaumaßnahmen begonnen. Laut Angaben der Donezker Oblastverwaltung vom 16. Dezember 2014 seien beispielsweise in Kramatorsk bereits 5 500 zerstörte Objekte wiederaufgebaut worden. Insgesamt werde der Wiederaufbau ca. 1 Mrd. US-Dollar kosten. 27. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über aktuelle Entwicklungen in der Frage eines eigenen Sonderstatusgesetzes für die abtrünnigen Donbass-Gebiete gemäß Punkt 3 des Minsker Protokolls, und welche Standpunkte vertreten gegenwärtig die Konfliktparteien in dieser Frage? Die Ukraine wendet das im September von der Rada verabschiedete Sonderstatusgesetz mangels definierten geographischen Anwendungsbereichs nicht an; das ukrainische Parlament hat es aber formal trotz entsprechender Empfehlungen des Präsidenten und des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats nach den sogenannten Wahlen im Separatistengebiet am 2. November 2014 bisher noch nicht zurückgenommen. Unter bestimmten Bedingungen ist die ukrainische Seite zur Verabschiedung eines neuen Sonderstatusgesetzes bereit. Der Drucksache 18/3965 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärte mehrfach, die Ukraine könne dem Gebiet den Status einer freien Wirtschaftszone mit besonderen Beziehungen zur EU und zu Russland gewähren. Legitime Wahlen im Donbass nach ukrainischem Recht seien dafür aber eine Voraussetzung. 28. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Pläne des amtierenden serbischen OSZE-Vorsitzes zur weiteren Implementierung des Minsker Protokolls und des Memorandums, und mit welchen konkreten Aktivitäten gedenkt die Bundesregierung diese Bemühungen zu unterstützen ? Die Bundesregierung arbeitet eng mit dem serbischen OSZE-Vorsitz zusammen, der bemüht ist, die Arbeit des schweizerischen OSZE-Vorsitzes fortzusetzen und dessen Kontinuität zu wahren. Die Minsker Vereinbarungen bleiben dabei die Grundlage für das Bemühen um eine Konfliktlösung. 29. Welche eigenen Initiativen beabsichtigt die Bundesregierung mit Blick auf die deutsche Übernahme des OSZE-Vorsitzes im Jahr 2016 in ihrer Eigenschaft als Mitglied der OSZE-Troika vorzubereiten, um die Sicherheitslage in dem Konfliktgebiet zu stabilisieren und zur Demobilisierung der militärischen Konfliktparteien beizutragen? Die Bundesregierung setzt sich schon jetzt dafür ein, dass die OSZE durch ihre Teilnahme an den politischen Gesprächen und durch ihre Beobachtertätigkeit vor Ort maßgeblich zu den Deeskalationsbemühungen in der Ukraine beiträgt. Diesen Ansatz wird die Bundesregierung weiterhin nachdrücklich unterstützen und diplomatisch flankieren. Wie die OSZE künftig konkret in ihrer Arbeit gestärkt werden kann, hängt vor allem von der weiteren Entwicklung des Konflikts in der Ukraine ab. Gesamtherstellung: H. 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