Deutscher Bundestag Drucksache 18/4032 18. Wahlperiode 18.02.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3906 – Todesopfer unter Flüchtlingen in die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union im Jahr 2014 Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Im vergangenen Jahr kamen nach einer Zählung des UNHCR (Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) im Mittelmeer 3 419 Bootsflüchtlinge ums Leben, das war ein Großteil der 4 270 ertrunkenen oder anders auf See ums Leben gekommenen Bootsflüchtlinge (Süddeutsche Zeitung vom 10. Dezember 2014, „Mehr Bootsflüchtlinge als je zuvor“). Nach Angaben des EU-Kommissars für Inneres und Migration Dimitris Avramopoulos in einer Debatte des Europäischen Parlaments am 13. Januar 2015 kamen insgesamt 203 000 Menschen mit Booten und Schiffen in die Europäische Union (epd vom 14. Januar, 2015, „EU-Kommission: Mehr Flüchtlingen legale Einreise ermöglichen“). Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundesregierung bedauert jeden Einzelfall, bei dem Personen im Rahmen legaler oder irregulärer Migration zu Tode kommen oder anderweitig Schaden nehmen. Sie weist erneut darauf hin, dass neben der Verantwortung für das eigene Schicksal gerade auch Schleuserorganisationen bewusst die Notlage von Personen in ihren Heimatländern aus reinem Profitstreben und zur Gewinnmaximierung ausnutzen und Schleusungshandlungen unter menschenverachtenden Bedingungen anbieten und durchführen. Sie trieben gerade im Jahr 2014 bedenkenlos Flüchtlinge in großer Zahl auf Boote im Mittelmeer. Todesfälle durch den Untergang der wenig seetauglichen Boote oder das Ersticken in geschlossenen Schiffsräumen wurden billigend in Kauf genommen. Die Mitgliedstaaten und Einrichtungen der Europäischen Union treten der Schleusungskriminalität daher konsequent entgegen. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 16. Februar 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Die Migrationslage hat sich insbesondere seit Mitte des Jahres 2014 deutlich angespannt . Mit der Erhöhung der Flüchtlingszahlen sind leider auch die zu beklagenden Opferzahlen gestiegen. Der Bundesregierung liegen für das Jahr 2014 keine amtlichen Erkenntnisse über weltweite Opferzahlen vor. Entsprechende Drucksache 18/4032 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Statistiken werden nicht geführt. Selbstverständlich nimmt die Bundesregierung Veröffentlichungen anderer Stellen und der Medien zur Kenntnis. Inwieweit diese Veröffentlichungen vollständig und valide sind, kann abschließend nicht beurteilt werden. Im Verantwortungsbereich der Bundesregierung wird jeder Einzelfall rückhaltlos aufgeklärt und auf notwendige Konsequenzen geprüft. Darüber hinaus setzt sich die Bundesregierung insbesondere mit Blick auf die tragischen Ereignisse im Mittelmeer dafür ein, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu beseitigen. 1. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2014 a) an den Landesgrenzen, Küsten, Seehäfen, Flughäfen bzw. im Grenzgebiet der Bundesrepublik Deutschland, und b) an den Grenzen der Europäischen Union tot aufgefunden worden (bitte nach Datum und Ort des Auffindens, Nationalität des Opfers und Todesart bzw. Umständen des Todes aufschlüsseln)? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 2. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2014 mit körperlichen Verletzungen durch Erfrierungen, Unterkühlungen, Hunger bzw. Durst o. Ä. aufgegriffen worden, die sie sich im Zuge ihres ggf. unerlaubten Grenzübertritts a) in die Bundesrepublik Deutschland oder Datum Ort Transport-mittel Anzahl und Nationalität Todesart/Todesumstände 24. Juli 2014 Kasernengelände nahe des ehemaligen Grenzübergangs Küstrin-Kietz unbekannt unbekannt unbekannt – die Leiche war bereits mumifiziert 27. Juli 2014 US Air Base Ramstein Flugzeug (US-Militärmaschine ) ein afrikanisch Stämmiger (Nationalität nicht bekannt) wahrscheinlich aufgrund Sauerstoffmangels im Fahrwerkschacht (aufgrund der Flughöhe) erstickt 27. November 2014 Neißeufer bei Forst zu Fuß ein polnischer Staatsangehöriger aufgrund Kreislaufzusammenbruchs nach Sprung in die Neiße (bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt) Datum Ort Transport-mittel Anzahl und Nationalität Verletzungsart 21.Januar 2014 Eschweiler im (Kühl)LKW sieben iranische, drei afghanische, zwei syrische Staatsangehörige leichte Unterkühlungen 30. März 2014 Miesbach Ortsteil Schweinthal (B 472) zu Fuß zwei eritreische Staatsangehörige Unterkühlungen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4032 b) in die Europäische Union zugezogen hatten (bitte nach Datum und Ort, Nationalität des Opfers, Körperverletzungsart aufschlüsseln)? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 3. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2014 im Zuge ihres ggf. unerlaubten Grenzübertritts a) durch die Bundespolizei oder Zollbeamte in Deutschland Zwei Personen. b) durch Bundespolizei- oder Zollbeamte an den Außengrenzen der Europäischen Union durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs bzw. im Zuge einer entsprechenden Nacheile körperlich verletzt? Keine. c) Wie viele Ermittlungs- und Disziplinarverfahren wurden diesbezüglich eingeleitet und mit welchem Ergebnis abgeschlossen (bitte aufschlüsseln )? Ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen einen Angehörigen der Bundespolizei wurde am 22. Dezember 2014 nach § 170 II der Strafprozessordnung (StPO) durch die Staatsanwaltschaft Offenburg eingestellt. Das in dieser Angelegenheit eingeleitete Disziplinarverfahren wurde nach Abschluss des Strafverfahrens wieder aufgenommen und ist noch nicht abgeschlossen. 4. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2014 a) in der Bundesrepublik Deutschland und Es wird auf die Antworten zu den Fragen 1a und 2a verwiesen. b) in der Europäischen Union im Zuge ihrer ggf. unerlaubten Grenzübertritte durch Privatpersonen verletzt bzw. getötet (bitte nach Datum und Ort, Nationalität des Opfers und Todes- bzw. Verletzungsart aufschlüsseln)? c) Wie viele Ermittlungsverfahren wurden diesbezüglich eingeleitet und mit welchem Ergebnis abgeschlossen (bitte aufschlüsseln)? Die Fragen 4b und 4c werden gemeinsam beantwortet. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 5. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2014 a) in der Bundesrepublik Deutschland und Es wird auf die Antwort zu den Fragen 1a und 2a verwiesen. Drucksache 18/4032 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode b) in der Europäischen Union – tot aufgefunden worden, nachdem sie im Zuge ihres Versuchs der gegebenenfalls unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bzw. Europäische Union in ihrem Transportmittel Sauerstoffmangel , Hunger, Durst, Kälte, Überhitzung o. Ä. ausgesetzt waren (bitte nach Datum und Ort, Nationalität der Opfer, Transportmittel und Todesart aufschlüsseln), – verletzt aufgefunden worden, nachdem sie im Zuge ihres Versuchs der ggf. unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bzw. Europäische Union in ihrem Transportmittel Sauerstoffmangel, Hunger, Durst, Kälte, Überhitzung o. Ä. ausgesetzt waren (bitte nach Datum und Ort, Nationalität der Opfer, Transportmittel und Verletzungsart aufschlüsseln)? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 6. Falls zu den jeweils vorangegangenen Fragen 1 bis 5, insbesondere im Hinblick auf die Außengrenzen der Europäischen Union, keine auf amtlichen Daten basierende Antwort gegeben werden kann, a) welche Daten und sonstigen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung dazu ansonsten vor, z. B. aus den Berichten der bei der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (FRONTEX) eingesetzten Bundesbeamten oder entsprechende Daten, mit denen etwa Einrichtungen wie das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM) arbeiten, Erkenntnisse des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM) 1. Bulgarien Am 15. November 2014 versuchte eine größere Gruppe von Flüchtlingen (syrische , irakische, pakistanische und afghanische Staatsangehörige) die bulgarischserbische Grenze bei Rakovitsa, südlich des Grenzüberganges Vruschka Chuka, die grüne Grenze zu überqueren. Dabei verirrte sich die Gruppe aufgrund des unwegsamen Geländes und des kalten und schlechten Wetters und setzte einen Notruf ab. Nach den sofort eingeleiteten, mehrfach durchgeführten dreitägigen Suchmaßnahmen konnten insgesamt vier Personen nur noch tot aufgefunden werden. Dabei handelte es sich um einen irakischen sowie um drei syrische Staatsangehörige. Die vier Personen waren bereits in Bulgarien als Asylbewerber registriert. Die Todesursache war in allen Fällen Unterkühlung bzw. Erschöpfung . 2. Rumänien Ein Schiff mit 43 Geschleusten, hauptsächlich afghanische Staatsangehörige, die beabsichtigten, auf diese Weise nach Rumänien zu gelangen, sank am 3. November 2014 kurz nach der Abfahrt aus Istanbul/Türkei. Dabei kamen mindestens 24 Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, ums Leben. 3. Tschechische Republik Am 2. August 2014 wurde an der slowakisch-ukrainischen Grenze ein ukrainischer Schleuser von slowakischen Polizeikräften bei der Schleusung von fünf vietnamesischen Staatsangehörigen erschossen. Der Mann war als Schleuser bekannt, mit einer Schrotflinte bewaffnet und leistete bei der Festnahme Wider- stand. Es kam zu einem Schusswechsel, bei dem der Schleuser tödlich verwundet wurde. Die Geschleusten sowie die Polizeikräfte blieben unverletzt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4032 4. Spanien Am 6. Februar 2014 ertranken 15 Afrikaner beim Versuch, Ceuta schwimmend zu erreichen. Die Leichen wurden in marokkanischen Gewässern aufgefunden. 5. Griechenland Am 20. Januar 2014 ereignete sich ein Bootsunglück rund 1,5 Seemeilen nordöstlich der Insel Pharmakonisi. Ein mit 28 Personen (26 afghanische und zwei syrische Staatsangehörige) besetztes, acht bis neun Meter langes funktionsuntüchtiges Boot kenterte bei dem Versuch der griechischen Küstenwache, das Boot abzuschleppen. Laut Angaben der Küstenwache hatten die sich an Bord befindlichen Personen allesamt auf eine Seite des Bootes bewegt, wodurch dieses kenterte und anschließend sank. Bei den eingeleiteten Such- und Rettungsmaßnahmen konnten 16 Personen (14 Männer, eine Frau und ein Kind) gerettet werden, zwölf ertranken. 6. Griechenland Am 3. Februar 2014 starb eine männliche Person infolge einer Bootsschleusung vor der Insel Rhodos. Ein mit zehn Personen (vermutlich syrischer Staatsangehörigkeit ) besetztes Flüchtlingsboot war vom türkischen Dalaman aus Richtung Rhodos gestartet. Beim Erreichen der Bucht vor Rhodos forderte der Schleuser die Insassen auf, das Boot zu verlassen und an Land zu schwimmen. Sieben Männern und einer Frau gelang dies, eine Person ertrank bei dem Versuch, die Küste zu erreichen. 7. Griechenland In den Morgenstunden des 12. März 2014 kenterte südöstlich der griechischen Insel Simi (noch in türkischen Hoheitsgewässern) ein Schlauchboot mit insgesamt 19 Personen (vermutlich syrischer Staatsangehörigkeit) an Bord. Der türkischen Küstenwache gelang es, 15 Migranten zu retten, eine Person wurde tot geborgen. Drei weitere Bootsinsassen gelten als vermisst. 8. Griechenland Am 18. März 2014 kenterte ein mit 15 Personen besetztes Boot auf dem Weg von der türkischen Küste vor der Insel Lesbos. Dabei sind sieben Flüchtlinge ertrunken . Der Küstenwache gelang es im Zuge der Such- und Rettungsmaßnahmen , sechs Bootsinsassen zu retten, zwei weitere Personen wurden von der Besatzung eines Frachters gerettet. 9. Griechenland Am 5. Mai 2014 sind nach Angaben der griechischen Küstenwache bei einem Bootsunglück vor Samos 22 Menschen (zwölf Frauen, sechs Männer, vier Kinder ) gestorben, 36 Personen konnten gerettet werden. Die Überlebenden wurden umgehend medizinisch versorgt. Bei den Migranten soll es sich um somalische, eritreische und syrische Staatsangehörige handeln. An den Such- und Rettungsmaßnahmen waren neben zwei Streifenbooten der griechischen Küstenwache und einem Hubschrauber der Marine auch ein finnisches Schiff im Rahmen der FRONTEX „Joint Operation Poseidon Sea“ beteiligt, welches zur Rettung von 13 Personen beigetragen hat. 10. Estland Am 15. Januar 2014 kam es zu einem Todesfall, der sich im Zuge des Grenzübertritts einer Personengruppe ereignete. An der estnisch-russischen Grenze, Drucksache 18/4032 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode nahe des Grenzüberganges Koidula, versuchten vier sudanesische Staatsangehörige , illegal nach Estland einzureisen. Der estnische Grenzschutz wurde durch den russischen Grenzschutz über den laufenden Versuch des Grenzübertritts informiert . In der Folge konnte eine Person durch den russischen Grenzschutz vor dem Grenzfluss sowie zwei Personen nach Durchquerung des Grenzflusses Piusa mit Unterkühlungen festgenommen werden. Die Außentemperatur zu dieser Zeit betrug –12° C, bei schneebedecktem Boden. Erst 1,5 Stunden später gelang es, die dritte Person in Grenznähe ausfindig zu machen. Bei der bewusstlosen und unterkühlten Person erfolgte die Reanimation mittels Herz-LungenMassage . Der sich stetig verschlechternde Gesundheitszustand führte zum Tode der Person. 11. Estland Im estnisch-russischen Grenzfluss Piusa, nahe der Ortschaft Voropi (im Südosten Estlands), wurde am 14. August 2014 ein Leichnam aufgefunden. Bei dem nicht identifizierten Toten handelte es sich um einen etwa 30-jährigen Mann mit dunkler Hautfarbe. Der Zusammenhang mit einem versuchten illegalen Grenzübertritt nach Estland wird vermutet. Ebenso seien Hinweise auf eine Gewalttat am Leichnam gefunden worden. Der Hinweis auf den Leichnam kam offenbar vom russischen Grenzschutz. 12. Italien Im Jahr 2014 wurden im Mittelmeer 168 Leichen durch die italienischen Behörden und 392 Leichen durch Behörden anderer Staaten, u. a. auch der libyschen Behörden, aufgefunden. b) welche Daten von internationalen Organisationen oder Nichtregierungsorganisationen hat die Bundesregierung zur Kenntnis genommen, und welche Schlüsse zieht sie daraus, Die Erkenntnisse des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen – UNHCR – (2014: 4 270 Todesfälle, davon 3 419 im Mittelmeerraum) und von der Internationalen Organisation für Migration – IOM – (2014: 4 868 Todesfälle ) wurden zur Kenntnis genommen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung verwiesen. c) welche Gründe kann die Bundesregierung angeben, dass solche Daten weder bei ihr noch bei FRONTEX systematisch erhoben werden, wo es sich doch in der Deutung der Bundesregierung bzw. FRONTEX bei diesen Toten um Opfer der Schleuserkriminalität handelt, die als Begründung für eine effektivere Ausgestaltung des Grenzschutzes regelmäßig herangezogen werden? Auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 6c der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/927 sowie auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333