Deutscher Bundestag Drucksache 18/4156 18. Wahlperiode 02.03.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/3760 – Fragen zur gesetzlichen Tarifeinheit Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Juni 2010 (BAG 10 AS 3/10) läuft die Debatte über die gesetzliche Tarifeinheit. Nachdem das Vorhaben in den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aufgenommen wurde, liegt mittlerweile ein Gesetzentwurf vor. Bis heute verläuft die Diskussion über eine gesetzliche Tarifeinheit kontrovers. Die Berufsgewerkschaften sehen ihre Existenzberechtigung in Frage gestellt. Zudem kritisieren sie, wie Teile der DGB-Gewerkschaften (DGB – Deutscher Gewerkschaftsbund) auch, das Tarifeinheitsgesetz schränke faktisch das Streikrecht ein. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und ein anderer Teil der DGB-Gewerkschaften stehen zum Ziel der gesetzlichen Tarifeinheit. Namhafte Rechtswissenschaftler warnen vor einer gesetzlich erzwungenen Tarifeinheit. Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Bonn und ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht , warnte, dass es für einen solchen Eingriff in das Recht der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften „keine erkennbare Rechtfertigung“ gebe (Handelsblatt, „Tarifeinheit laut Gutachten verfassungswidrig“, vom 5. September 2014). Professor Dr. Gregor Thüsing von der Universität Bonn ist der Auffassung: „Man darf den Spartengewerkschaften durch neue Gesetzgebung nicht die Luft zum Atmen nehmen. Auch sie genießen den Schutz der Koalitionsfreiheit “ (Haufe, 8. September 2014). Der frühere Verfassungsrichter Prof. Dr. Thomas Dieterich meinte, es sei eine „bewusste Täuschung der Öffentlichkeit “, wenn die Bundesregierung behaupte, das Streikrecht werde nicht angetastet (Berliner Zeitung, 10. Dezember 2014). Neben der Frage der Verfassungsmäßigkeit stellen sich weitere Fragen zur konDie Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 26. Februar 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. kreten Umsetzung, inwiefern die Regelungen des Gesetzes praktikabel sind und ob die vermeintlichen Ziele des Gesetzes überhaupt erreicht werden können . Drucksache 18/4156 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Wie viele kollidierende Tarifverträge gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in welchen Branchen insgesamt sowie zwischen a) den DGB-Gewerkschaften und Berufsgewerkschaften, b) den DGB-Gewerkschaften und den Gewerkschaften des dbb beamtenbund und tarifunion (ohne Berufsgewerkschaften) und c) den Gewerkschaften, die im DGB organisiert sind? Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 8 auf Bundestagsdrucksache 18/2790 verwiesen . 2. Wie viele Tarifkollisionen wurden in welchen Branchen nach Kenntnis der Bundesregierung bei den jeweilig letzten Tarifverhandlungen durch Kooperationen aufgelöst zwischen a) den DGB-Gewerkschaften und Berufsgewerkschaften, b) den DGB-Gewerkschaften und den Gewerkschaften des dbb beamtenbund und tarifunion (ohne Berufsgewerkschaften) und c) den Gewerkschaften, die im DGB organisiert sind? Eine statistische Erfassung der Anzahl und genaue Differenzierung der durch Kooperationen aufgelösten Tarifkollisionen liegt der Bundesregierung nicht vor. 3. Wie viele Tarifverträge wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten vier Jahren verhandelt, und bei wie vielen dieser Tarifverhandlungen wurde gestreikt durch a) die DGB-Gewerkschaften, b) Gewerkschaften des dbb beamtenbund und tarifunion (ohne Berufsgewerkschaften ) bzw. c) Berufsgewerkschaften (bitte jeweils nach Branchen und Streikstunden differenzieren)? Über die genaue Zahl der in den letzten vier Jahren verhandelten Tarifverträge liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Die Größenordnung der abgeschlossenen Tarifverträge (differenziert nach Firmen- bzw. Verbandstarifverträgen ) kann der folgenden Aufstellung entnommen werden. Differenzierte Auswertungen, zum Beispiel nach DGB- bzw. Berufsgewerkschaften, liegen der Bundesregierung ebenfalls nicht vor. Hinsichtlich der Frage nach branchenspezifischen Streikstunden liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Hilfsweise kann auf die Zahl der verlorenen Arbeitstage abgestellt werden. Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 1 auf Bundestagsdrucksache 18/2790 verwiesen. Diese lassen sich jedoch weder ein- Zahl neu abgeschlossener Tarifverträge Jahr Firmen-TV Verbands-TV gesamt 2011 3 500 2 200 5 700 2012 3 200 2 000 5 200 2013 3 800 2 000 5 800 2014 3 200 1 800 5 000 zelnen Gewerkschaften noch einzelnen Tarifverhandlungen zuordnen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4156 4. Wird in Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung im internationalen Vergleich mit anderen Industriestaaten häufig oder wenig gestreikt, und welche Zahlen liegen dieser Beurteilung zugrunde? Hierzu wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 3 auf Bundestagsdrucksache 18/2790 verwiesen. 5. Wie viele streikfähige Gewerkschaften haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem BAG-Urteil 2010 neu gegründet, und wie häufig haben diese neuen Gewerkschaften seit ihrer Gründung gestreikt? Über die Anzahl der neugegründeten Gewerkschaften und der von ihnen geführten Arbeitskämpfe liegen der Bundesregierung keine statistischen Angaben vor. Tarifeinheitsgesetz – Problem und Ziel 6. Wie erklärt die Bundesregierung den möglichen Widerspruch, dass das Gesetz zwar „die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern“ zum Ziel hat, gleichzeitig aber das Streikrecht indirekt über die Ausführungen der Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen eingeschränkt wird? Die Bundesregierung sieht keinen solchen Widerspruch. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Tarifeinheit verfolgt das Ziel, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, indem Tarifkollisionen aufgelöst werden. Dabei stellt die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ausdrücklich klar, dass die Regelungen zur Tarifeinheit nicht das Arbeitskampfrecht ändern. Arbeitskämpfe müssen weiterhin dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. 7. Kann die Bundesregierung konkret und mit Beispielen erläutern, inwiefern die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie durch Tarifkollisionen beeinträchtigt wird, da auch nach „Auffassung des DAV bisher nicht ausreichend dargelegt wurde, dass das Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG im Hinblick auf die Pluralität von Koalitionen im Betrieb einer gesetzlichen Ausgestaltung bedarf.“ (Ausschussdrucksache 18(11)250)? Die Tarifeinheitsregelung zielt auf die Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion , Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrags. Tarifkollisionen führen zu innerbetrieblichen Verteilungskämpfen , die den Betriebsfrieden gefährden. Tarifpartnerschaft ist – dies haben die Erfahrungen der Finanz- und Eurokrise gezeigt – von besonderer Bedeutung in wirtschaftlichen Krisensituationen. Die Tarifpartner müssen in solchen Situationen oftmals zur Beschäftigungssicherung Gesamtkompromisse finden, die im Interesse aller Beschäftigten liegen. Dies erfordert die betriebseinheitliche Anwendung eines Tarifvertrags. Drucksache 18/4156 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 8. Weshalb sieht die Bundesregierung kollidierende Tarifverträge beispielsweise bei den Ärzten als problematisch an, die sich darin unterscheiden, dass der eine Tarifvertrag bessere Regelungen beim Entgelt (Marburger Bund) und der andere bei der Arbeitszeit (ver.di, dbb) beinhaltet, entsprechend den Interessen und der Prioritätensetzung der jeweiligen Beschäftigten , und warum steht eine solche Kollision dem „öffentlichen Interesse“ entgegen? Die Bundesregierung begrüßt es, wenn es den Tarifvertragsparteien gelingt, ihre Zuständigkeiten autonom abzugrenzen. Innerhalb der Betriebsgemeinschaft soll indes nur ein Tarifvertrag für dieselbe Beschäftigtengruppe zur Anwendung kommen. Tarifliche Regelungen in Fragen der Arbeitszeit sind oftmals Betriebsnormen , die einer betriebseinheitlichen Anwendung bedürften. 9. Inwiefern wird nach Ansicht der Bundesregierung die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gesichert, wenn a) kollidierende Tarifnormen von Minderheitengewerkschaften zukünftig keine Anwendung finden, obwohl die entsprechenden Arbeitgeber solche Tarifverträge seit vielen Jahren abgeschlossen haben, b) Berufsgewerkschaften weiterhin streikbegleitet Tarifverträge verhandeln können, wenn sie den höchsten Organisationsgrad im Betrieb haben und c) in Betrieben zwar Tarifeinheit, aber in Unternehmen Tarifpluralität aufgrund unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse entstehen kann? Die Tarifautonomie wird dadurch gesichert, dass infolge des Grundsatzes der Tarifeinheit nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip sichergestellt ist, dass Tarifverhandlungen nicht durch Partikularinteressen dominiert werden. Es wird verhindert, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne hinreichende Schlüsselposition im Betriebsablauf selbst kollektiv nur noch eingeschränkt in der Lage sind, auf Augenhöhe mit der Arbeitgeberseite zu verhandeln. 10. Wie ist die Äußerung der Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles zur Begründung des Tarifeinheitsgesetzes zu verstehen (dpa-Meldung, 11. Dezember 2014), dass es nicht darum gehen dürfe, „dass der Erfolg in Tarifverhandlungen sich allein danach bemisst, welche Stellung und Streikmacht jemand im Betrieb hat“, und was soll statt der Streikmacht zukünftig sicherstellen, dass Tarifverhandlungen nicht zum kollektiven Betteln der Beschäftigtenseite werden? Nach Auffassung der Bundesregierung dient tarifliches Handeln auch der Herstellung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit. Dem Tarifvertrag kommt eine Verteilungsfunktion zu. Die Verteilungsfunktion wird gestört, wenn ein Tarifabschluss nicht den Wert verschiedener Arbeitsleistungen innerhalb einer betrieblichen Gemeinschaft zueinander widerspiegelt, sondern vor allem Ausdruck der jeweiligen Schlüsselposition einer Beschäftigtengruppe im Betriebsablauf ist. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4156 11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass betriebliche Arbeitgeberstrategien , wie beispielsweise Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung, Tarifflucht, Konzernverflechtungen mit Tochtergesellschaften ohne Tarifbindung oder Leiharbeit und Werkverträge, der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens nicht mehr gerecht werden und damit entscheidend dafür verantwortlich sind, dass die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nicht mehr funktioniert? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, welche flankierenden Maßnahmen wird die Bundesregierung zum Tarifeinheitsgesetz ergreifen, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sicherzustellen? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es den Tarifvertragsparteien aufgrund verschiedener Umstände zunehmend schwerer fällt, der ihnen durch das Grundgesetz überantworteten Ordnung des Arbeitslebens nachzukommen. Zu diesen Umständen zählen neben der zunehmenden Fragmentierung der Arbeitswelt auch Strategien, die auf ein Abstreifen tariflicher Bindungen gerichtet sind. Die Bundesregierung hat bereits mit der Reform der Allgemeinverbindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz und der Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen infolge des Tarifautonomiestärkungsgesetzes erste wichtige Maßnahmen ergriffen, um die Tarifautonomie zu stärken. Mit dem Entwurf eines Tarifeinheitsgesetzes setzt die Bundesregierung diesen Weg fort. Koalitionsfreiheit 12. Von welchen Rechtswissenschaftlerinnen bzw. Rechtswissenschaftlern hat die Bundesregierung den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit auf Verfassungskonformität überprüfen lassen, und wurde das Gesetz umfassend als verfassungskonform beurteilt? Wenn ja, mit welcher Begründung? Wenn nein, an welchen Stellen des Gesetzes wurden verfassungsrechtliche Probleme identifiziert? Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit sorgfältig verfassungsrechtlich geprüft. Wegen des Inhalts und der Ergebnisse der verfassungsrechtlichen Prüfung wird insbesondere auf die Antworten zu den Fragen 13 und 15 bis 18 Bezug genommen. Die Bundesregierung hat keinen Anlass gesehen, ihren Gesetzentwurf durch externe Rechtswissenschaftler verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen. 13. Mit welcher Begründung sieht die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit mit Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) vereinbar, der besagt: Die Koalitionsfreiheit „ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig “, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung vor diesem Hintergrund aus der Aussage des Arbeitsrechtlers Prof. Dr. Gregor Thüsing, nach dem auch die Spartengewerkschaften „den Schutz der Koalitionsfreiheit“ genießen (Haufe, 8. September 2014)? Die Bundesregierung stimmt der Aussage zu, dass auch sogenannte Spartengewerkschaften den Schutz der Koalitionsfreiheit genießen. Der Gesetzentwurf ist nach Auffassung der Bundesregierung mit Artikel 9 Absatz 3 GG vereinbar. Drucksache 18/4156 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die Koalitionsfreiheit des Artikels 9 Absatz 3 GG bedarf der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber und ist zudem verfassungsimmanenten Schranken unterworfen . Mit dem Gesetzentwurf zur Tarifeinheit setzt die Bundesregierung ein legitimes Regelungsziel unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit um. Zur Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrags sollen Tarifkollisionen auf betrieblicher Ebene im Überschneidungsbereich zugunsten des Mehrheitstarifvertrags aufgelöst werden. Mithin sichern die Regelungen die Funktionsfähigkeit der durch Artikel 9 Absatz 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie . 14. Bejaht die Bundesregierung die Aussage, dass das individuelle Freiheitsgrundrecht nach Artikel 9 Absatz 3 GG zwangsläufig auch einen Koalitionswettbewerb , sprich Tarifpluralität, zulässt und sich das Recht auf freie gewerkschaftliche Betätigung demzufolge auch auf die freie Wahl zwischen den vorhandenen unterschiedlichen Gewerkschaften und deren Regelungsplänen erstrecken muss? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie können dann die aus der Tarifpluralität entstehenden Tarifkollisionen Anlass für die neuen gesetzlichen Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes sein, faktisch in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 GG einzugreifen? Der Gehalt der Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 GG schließt es nach Auffassung der Bundesregierung nicht aus, dass in einem Betrieb verschiedene Tarifverträge zur Anwendung kommen können. Zugleich schützt Artikel 9 Absatz 3 GG das Recht, Koalitionen zu bilden und sich einer Koalition anzuschließen . Artikel 9 Absatz 3 GG gewährt den Tarifvertragsparteien allerdings kein Normsetzungsmonopol. Nach Auffassung der Bundesregierung beinhaltet Artikel 9 Absatz 3 GG keine Garantie, dass jede tariflich gesetzte Norm uneingeschränkt zur Anwendung kommt. Vor allem in Fällen, in denen tarifliche Rechtsnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen kollidieren, bedarf es einer Regelung zur Auflösung von Tarifkollisionen. 15. Sieht die Bundesregierung die freie gewerkschaftliche Betätigung der Beschäftigten bei der Gewerkschaft ihrer Wahl als gewährleistet an, auch wenn durch das geplante Tarifeinheitsgesetz bei kollidierenden Tarifverträgen zukünftig nur der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft zur Anwendung kommt? Wenn ja, wie wird dies begründet, und ist die freie gewerkschaftliche Betätigung auch dann gewährleistet, wenn a) Tarifkollisionen nicht durch gewillkürte Tarifpluralität, Kooperationen oder Tarifgemeinschaften aufgelöst werden können, weil diese vom Wohlwollen der jeweiligen Arbeitgeber beim Betriebszuschnitt und bei der Kooperationswilligkeit der Mehrheitsgewerkschaft abhängig sind, b) Minderheitengewerkschaften in ihrer Existenz bedroht sind, weil sie zwangsläufig an Akzeptanz, Attraktivität und Bedeutung verlieren, wenn ihre Tarifverträge keine Anwendung mehr finden können? Die Bundesregierung hält es mit der individuellen Koalitionsfreiheit für vereinbar , wenn Tarifkollisionen im Überschneidungsbereich nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip zugunsten des Mehrheitstarifvertrags aufgelöst werden. Den verfassungsrechtlichen Belangen von Minderheitengewerkschaften trägt der Gesetzentwurf durch ein vorgelagertes Anhörungsrecht und ein nachgelagertes Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/4156 Nachzeichnungsrecht Rechnung. Auch nach Erlass eines Tarifeinheitsgesetzes sind die Koalitionen aufgerufen, Zuständigkeitskonflikte autonom zu lösen. 16. Wie begründet es die Bundesregierung, dass das gewählte Mehrheitsprinzip beim Tarifeinheitsgesetz verfassungsgemäß ist, obwohl die Koalitionsfreiheit , wie andere Grundrechte auch, Minderheiten vor Mehrheiten schützt und sich der Gesetzgeber an anderen Stellen ausdrücklich gegen ein reines Mehrheitsprinzip ausgesprochen hat – beispielsweise bei der Bundestagswahl, weil sonst eine Vielzahl an Stimmen von Wählerinnen und Wählern keine Berücksichtigung finden würde? Die Bundesregierung hält das Mehrheitsprinzip in besonderer Weise für geeignet , die mit dem Tarifeinheitsgesetz verfolgten Ziele zu erreichen. Es gelangt der Tarifvertrag zur Anwendung, dessen Interessenausgleich die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitzt. 17. Wie begründet die Bundesregierung die Verfassungskonformität des Nachzeichnungsrechts, mit dem die Nachteile, die einer Gewerkschaft durch die Verdrängung ihres bereits abgeschlossenen Tarifvertrags im Wege der gesetzlichen Tarifeinheit entstanden sind, kompensiert werden sollen, obwohl die Forderungen der betroffenen Gewerkschaft bei den Verhandlungen des geltenden Tarifvertrags in keiner Weise berücksichtigt wurden? Mit dem Nachzeichnungsrecht soll den verfassungsrechtlichen Belangen von Minderheitsgewerkschaften Rechnung getragen werden. Mit der Einräumung eines Nachzeichnungsrechts soll den Nachteilen entgegenwirkt werden, die einer Gewerkschaft durch die Verdrängung ihres bereits abgeschlossenen Tarifvertrags im Wege der gesetzlichen Tarifeinheit entstanden sind. Das Nachzeichnungsrecht erlaubt es den Mitgliedern der Minderheitsgewerkschaft, in Fällen der Tarifkollision normativ an dem Tarifabschluss der Mehrheitsgewerkschaft zu partizipieren. Das Nachzeichnungsrecht dient nicht dazu, die Vorstellungen der Minderheitsgewerkschaft über mögliche Tarifinhalte durchzusetzen. Der Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes räumt den konkurrierenden Gewerkschaften indes ein gesondertes Anhörungsrecht ein. Durch die Anhörung erhalten konkurrierende Gewerkschaften die Gelegenheit, der Arbeitgeberseite ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen. 18. Stimmt die Bundesregierung der folgenden Aussage von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio aus seinem Rechtsgutachten „Gesetzlich auferlegte Tarifeinheit als Verfassungsproblem“ (Ergebnisse, S. 69 ff.) zu: „Der Eingriff in den Kernbereich der Koalitionsfreiheit ist nur bei nachweisbaren schweren und konkreten Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt .“? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, mit welchen nachweisbaren schweren und konkreten Gefahren begründet die Bundesregierung die Einschränkungen der Koalitionsfreiheit durch das geplante Tarifeinheitsgesetz, obwohl Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio an gleicher Stelle des Rechtsgutachten ausführt: „Diese Voraussetzungen sind in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt.“? Die Bundesregierung stimmt der zitierten Aussage von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio zu. Nach Auffassung der Bundesregierung stellen die Regelungen des Entwurfs eines Tarifeinheitsgesetzes aber keinen Eingriff in den Kernbereich der Koalitionsfreiheit dar. Drucksache 18/4156 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Streikrecht 19. Bestätigt die Bundesregierung die Aussage der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, dass mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit das Streikrecht von Gewerkschaften nicht angetastet wird (dpa-Meldung, 11. Dezember 2014)? a) Wie wird diese Aussage begründet? b) Welchen Sinn hat das Tarifeinheitsgesetz, wenn dennoch alles beim Alten bleibt und Berufsgewerkschaften, wie beispielsweise die GDL, wie bisher streiken können? c) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Aussage des früheren Verfassungsrichters Prof. Dr. Thomas Dieterich, es sei eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit, wenn die Bundesregierung behaupte, das Streikrecht werde nicht angetastet , obwohl dies faktisch der Fall sei (Berliner Zeitung, 10. Dezember 2014)? Die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Tarifeinheit stellt ausdrücklich klar, dass die Regelungen zur Tarifeinheit nicht das Arbeitskampfrecht ändern. Der Grundsatz der Tarifeinheit setzt bei der Frage an, welcher von mehreren konkurrierenden Tarifverträgen im Betrieb den Vorrang genießt. Ziel des Gesetzes ist es, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, indem Tarifkollisionen aufgelöst werden. Arbeitskämpfe müssen allerdings weiterhin dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. 20. Was beabsichtigt die Bundesregierung mit der Aufnahme der nachfolgenden Ausführungen in die Begründung des Tarifeinheitsgesetzes: „Der Arbeitskampf dient nicht der Sicherung der Tarifautonomie, soweit dem Tarifvertrag, der mit ihm erwirkt werden soll, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht mehr zukommen würde, weil die abschließende Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb haben würde.“ (siehe Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit, Besonderer Teil, S. 11)? a) Führen diese Ausführungen aus Sicht der Bundesregierung dazu, dass Gerichte zukünftig Streiks von Minderheitengewerkschaften als unverhältnismäßig beurteilen müssen, weil ein tariflich regelbares Ziel fehlt? b) Können vor diesem Hintergrund zukünftig auch Streiks als unverhältnismäßig beurteilt werden, wenn Tarifverhandlungen noch nicht abgeschlossen sind und die Mehrheiten im Betrieb noch nicht ermittelt wurden? c) Können Streiks nur in Verbindung mit der Ermittlung der Mehrheitsbzw . Minderheitengewerkschaft untersagt werden, und welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung dann aus den Bedenken des Deutschen Anwaltsvereins e. V. (DAV), es dürfte „im einstweiligen Verfügungsverfahren – Arbeitskampfstreitigkeiten werden regelmäßig in diesem Eilverfahren gerichtlich geführt – kaum möglich sein, die Mehrheit festzustellen.“ (Ausschussdrucksache 18(11)250)? d) Sind diese Ausführungen aus Sicht der Bundesregierung notwendig, weil das Arbeitskampfrecht nicht über ausreichende gerichtliche Kontrollinstrumente verfügt? e) Erwartet die Bundesregierung, dass die Arbeitsgerichte aufgrund der konkreten Ausführungen im Tarifeinheitsgesetz neue Grundsatzent- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/4156 scheidungen fällen, die Arbeitskämpfe von Minderheitengewerkschaften als nicht verhältnismäßig einstufen? Zentraler Maßstab für die Beurteilung der unterschiedlichen Erscheinungsformen des Arbeitskampfs ist nach der ständigen Rechtsprechung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Abwägungspostulat der Verhältnismäßigkeit erfordert stets eine Würdigung, ob ein Arbeitskampf zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels geeignet und erforderlich ist und bezogen auf das Ziel angemessen , das heißt proportional eingesetzt wird. Der Arbeitskampf ist Mittel zur Sicherung der Tarifautonomie. Der Arbeitskampf dient nicht der Sicherung der Tarifautonomie, soweit dem Tarifvertrag, der mit ihm erwirkt werden soll, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht mehr zukommen würde, weil die abschließende Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb haben würde. Im Rahmen der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen . 21. Ist nach Auffassung der Bundesregierung eine Minderheitengewerkschaft, deren verhandelter Tarifvertrag aufgrund der Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes nicht zur Geltung kommt, dennoch an eine Friedenspflicht gebunden, und ist eine Minderheitengewerkschaft, wenn sie den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft nachzeichnet, dennoch an die Friedenspflicht des eigenen abgeschlossenen Tarifvertrags gebunden? Wenn ja, wie wird dies jeweils begründet? Der Entwurf des Tarifeinheitsgesetzes löst Tarifkollisionen kollektivrechtlich in der Weise auf, dass im Überschneidungsbereich nur der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft zur Anwendung kommt. Die Regelung zur Auflösung von Tarifkollisionen berührt die Wirksamkeit des Minderheitstarifvertrags nicht. Die nachzeichnende Gewerkschaft bleibt insofern an die sich aus ihrem Tarifvertrag ergebende Friedenspflicht gebunden. Den Inhalt des Nachzeichnungsanspruchs beschreibt der Gesetzentwurf der Bundesregierung in § 4a Absatz 4 Satz 2 TVG-E. Hiernach ist der Nachzeichnungsanspruch auf den Abschluss eines die Rechtsnormen des kollidierenden Tarifvertrags enthaltenden Tarifvertrags gerichtet, soweit sich die Geltungsbereiche und Rechtsnormen der Tarifverträge überschneiden. 22. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der folgenden Aussage des Deutschen Anwaltvereins aus seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit: „Will der Gesetzgeber verbindlich etwas zur Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen sagen, sollte er nach Auffassung des DAV Kraft und Mut haben, so etwas im Gesetzestext zu regeln.“ (Ausschussdrucksache 18(11)250)? Mit dem Gesetzentwurf zur Tarifeinheit verfolgt die Bundesregierung nicht die Regelung des Arbeitskampfrechts. Normative Regelungen zum Arbeitskampfrecht oder zur Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen waren daher nicht veranlasst . Drucksache 18/4156 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Tarifeinheit, Mehrheitsprinzip 23. Wie begründet es die Bundesregierung, dass bei Tarifkollisionen der Tarifvertrag der Minderheitengewerkschaft unabhängig vom Regelungsgegenstand verdrängt wird, auch wenn die Mehrheitsgewerkschaft nicht alle verdrängten Sachfragen verhandelt hat, und wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Auffassung des Deutschen Anwaltvereins, „dass es sich insoweit um eine überschießende Regelung handelt, die auch für sich genommen nicht im Einklang mit Art. 9 Abs. 3 GG steht.“? Der Grundsatz der Tarifeinheit gilt auch dann, wenn die Tarifverträge unterschiedliche Regelungsgegenstände beinhalten, sofern es nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien des Mehrheitstarifvertrags entspricht, eine Ergänzung ihrer Regelungen durch Vereinbarungen mit konkurrierenden Gewerkschaften zuzulassen. Damit ist die Regelung in verfassungsrechtlich nicht zu bestandener Weise geeignet, der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Tarifverträgen gerecht zu werden. Zugleich trägt das Gesetz dem Gedanken Rechnung, dass Gewerkschaften durch den Abschluss von Tarifverträgen eine ganzheitliche Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezwecken und einzelne, nicht ausdrücklich erfasste Regelungsgegenstände, typischerweise nicht der Regelungskompetenz konkurrierender Gewerkschaften überlassen wollen. Eine auf den jeweiligen Regelungsgegenstand bezogene Tarifeinheitsregelung würde nicht nur schwierige Abgrenzungsfragen aufwerfen, sondern auch die Gefahr bergen, dass konkurrierende Gewerkschaften rein taktische Forderungen stellen, um Zugriff auf ihnen eigentlich nach dem Grundsatz der Tarifeinheit versperrte Regelungsgegenstände zu erhalten. 24. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung auf der Grundlage der Kabinettfassung des Tarifeinheitsgesetzes aus der Aussage des Deutschen Anwaltvereins, dass die Neuregelung im Tarifeinheitsgesetz einen Anreiz für Arbeitgeber bieten könnte, „ihre Betriebe im Sinne gewünschter Ergebnisse einseitig oder mit Hilfe einer Gewerkschaft nach § 3 BetrVG neu zu strukturieren“ (Ausschussdrucksache 18(11)250), weil die Organisationshoheit für die Bestimmung von Betrieben den Arbeitgebern obliegt? Die Organisation der Betriebe eines Unternehmens obliegt im Rahmen der geltenden Gesetze grundsätzlich dem Arbeitgeber. Im Übrigen ist die Möglichkeit einer vom Gesetz abweichenden Ausgestaltung der Repräsentationsstrukturen der Arbeitnehmer in der Betriebsverfassung den Tarifvertragsparteien nur in dem durch § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Betriebsverfassunggesetzes (BetrVG) bestimmten Umfang eröffnet. Um der Gefahr missbräuchlicher Betriebszuschnitte zu begegnen, sind nach dem Entwurf eines Tarifeinheitsgesetzes Betriebsstrukturen nach § 3 BetrVG für die Ermittlung der Mehrheitsverhältnisse nicht maßgebend, wenn dies den Zielen des Tarifeinheitsgesetzes offensichtlich entgegensteht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Betriebe zusammengefasst werden, die von Tarifvertragsparteien unterschiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wertschöpfungsketten zugeordnet worden sind. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/4156 25. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den den Fragestellern gegenüber vielfältig geäußerten Befürchtungen , dass das Mehrheitsprinzip im Tarifeinheitsgesetz nicht die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie stärkt, sondern im Gegenteil die Gewerkschaftskonkurrenz und den Kampf um Mitglieder verstärkt, weil a) erst nach Abschluss des kollidierenden Tarifvertrags die Mitgliederstärke gezählt wird und bis dahin die konkurrierenden Gewerkschaften verschärft um neue Mitglieder kämpfen werden, b) zukünftig in jedem Betrieb seperat die Auseinandersetzung um die Mehrheit geführt werden muss, c) es vielfältige Streitigkeiten über die Definition des Begriffs „Betrieb“ geben wird, d) die Minderheitengewerkschaften Regelungslücken im Mehrheitstarifvertrag suchen und dafür einen neuen Tarifvertrag verhandeln werden, e) die unterlegene Minderheitengewerkschaft die Zeit bis zu den nächsten Tarifverhandlungen nutzen wird, um mit Kritik am geltenden Tarifvertrag und mit ambitionierten Forderungen neue Mitglieder zu werben, f) die Berufsgewerkschaften sich zwangsläufig für neue Berufsgruppen öffnen werden, da durch die gesetzliche Tarifeinheit ihre Existenzberechtigung in Frage gestellt wird? Die Bundesregierung teilt die Befürchtungen nicht. Betriebe, in denen die Mehrheit von wenigen Mitgliedern abhängt, dürften in der Fläche gesehen die Ausnahme bilden. Für die Mehrheitsfeststellung gilt der allgemeine tarifrechtliche Betriebsbegriff, der durch eine breite Rechtsprechung und aus der betrieblichen Praxis hinreichend klar konturiert ist. Da der Grundsatz der Tarifeinheit auch dann gilt, wenn die Tarifverträge unterschiedliche Regelungsgegenstände beinhalten (vgl. die Antwort zu Frage 23), dürfte nicht zu besorgen sein, dass Minderheitengewerkschaften Regelungslücken im Mehrheitstarifvertrag suchen , um einen neuen Tarifvertrag zu verhandeln. Soweit sich sogenannte Berufsgewerkschaften künftig veranlasst sehen sollten, sich für alle Beschäftigten eines Betriebes zu öffnen, ist dies aus Sicht der Bundesregierung nicht problematisch , weil damit die Verantwortung für eine ausgewogene, auf alle Beschäftigten des Betriebs ausgerichtete Tarifpolitik verbunden ist. 26. Wie werden nach Ansicht der Bundesregierung zukünftig „Betriebe“ a) im Schulbereich in den Bundesländern, b) im Krankenhausbereich, c) im öffentlichen Dienst und d) in der Medienbranche, in der häufig in Projekten gearbeitet wird, konkret zugeschnitten? Es gilt der allgemeine tarifrechtliche Betriebsbegriff. Danach ist ein Betrieb diejenige organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Drucksache 18/4156 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 27. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Befürchtungen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, dass das Tarifeinheitsgesetz den Flächentarifvertrag gefährdet, weil durch das Tarifeinheitsgesetz ein kleinteiliger Wettbewerb um die Anwendbarkeit von Tarifverträgen in Betrieben entsteht (Stellungnahme vom 18. November 2014), und wie kann zukünftig überhaupt noch ein Flächentarifvertrag bei unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen in den Betrieben gelten? Die Bundesregierung sieht infolge einer Tarifeinheitsregelung nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip keine signifikanten Auswirkungen auf die Verbreitung von Flächentarifverträgen. Auch soweit ein Flächentarifvertrag infolge der Tarifeinheitsregelung in einzelnen Betrieben im Überscheidungsbereich mit einem anderen (Flächen-)Tarifvertrag verdrängt wird, stellt dies das Schutzkonzept des Flächentarifvertrags nach Auffassung der Bundesregierung nicht in Frage. 28. Welche Vorteile bzw. Nachteile sieht die Bundesregierung für die Arbeitgeberseite , wenn zukünftig auf Betriebsebene Tarifeinheit, aber im Unternehmen Tarifpluralität besteht, insbesondere für die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) oder im Bereich der Schulen? Die Bundesregierung sieht die Vorteile einer Tarifeinheitsregelung nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip – branchenübergreifend – vor allem in der Gewähr, dass Tarifverhandlungen nicht durch Partikularinteressen dominiert werden. Zudem wird die Befriedungsfunktion des Tarifvertrags gestützt, weil die Tarifpartner davon ausgehen können, mittels eines Tarifvertrags oder mittels mehrerer aufeinander abgestimmter Tarifverträge die Arbeitsbedingungen für die Belegschaft abschließend geregelt zu haben. Kooperationen, Gewerkschaftspolitik 29. Für wie realistisch hält die Bundesregierung die Aussage der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles in einer dpa-Meldung vom 11. Dezember 2014, der „Entwurf stärke vielmehr die Kooperationen und gütliche Einigung bei Tarifkollisionen“, obwohl das Tarifeinheitsgesetz nach Auffassung der Fragesteller die Mehrheitsgewerkschaften einseitig stärkt und in der Folge für die Mehrheitsgewerkschaft überhaupt keine Notwendigkeit mehr besteht, sich auf gemeinsame Verhandlungsziele oder Kompromisse mit einer Minderheitengewerkschaft einzulassen? Ein Tarifeinheitsgesetz trägt nach Ansicht der Bundesregierung dazu bei, dass sich konkurrierende Gewerkschaften häufiger autonom über Zuständigkeiten verständigen. Dies haben die Erfahrungen gezeigt, die bis zur Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch die Rechtsprechung gemacht wurden. Ohne den Grundsatz der Tarifeinheit besteht für Berufsgewerkschaften derzeit keine Notwendigkeit, sich auf gemeinsame Verhandlungsziele oder Kompromisse mit einer Mehrheitsgewerkschaft zu verständigen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/4156 30. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass Arbeitgeber der Mehrheitsgewerkschaft inhaltliche Angebote zulasten von wichtigen Anliegen der Minderheitengewerkschaften mit dem Ziel anbieten könnten, unliebsame Gewerkschaften zu schwächen und bisherige Kooperationen aufzulösen? Wenn nein, warum nicht? Den Koalitionen kommt die Aufgabe zu, das Arbeitsleben sinnvoll zu ordnen und zu befrieden. Die Bundesregierung geht davon aus, dass Gewerkschaften der ihnen durch Artikel 9 Absatz 3 GG überantworteten Ordnung des Arbeitslebens im Interesse der Arbeitnehmer verantwortungsvoll nachkommen. 31. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass die Gewerkschaften aufgrund des Tarifeinheitsgesetzes insgesamt geschwächt werden, da sich bisherige Gewerkschaftsmitglieder abwenden und daraufhin der gewerkschaftliche Organisationsgrad weiter abnimmt, weil a) für Mitglieder einer Minderheitengewerkschaft der erwartete Erfolg in Form eines eigenen Tarifvertrags oder zumindest einer Kooperation auf Augenhöhe entfällt, b) die stärkste Gewerkschaft im Betrieb, beispielsweise UFO (Unabhängige Flugbegleiter Organisation) bei der Lufthansa, entscheidet, auch ohne Mitglieder bei den Piloten für diese zu verhandeln und in der Folge z. B. die Vereinigung Cockpit an Bedeutung verliert, c) für große Gewerkschaften aufgrund des Gebots der Tarifeinheit kein Anlass mehr besteht, auf die besonderen Anliegen der zahlenmäßig kleineren Beschäftigtengruppen einzugehen, d) Beschäftigtengruppen, die sich nicht mehr von der zuständigen Gewerkschaft vertreten fühlen und der Wechsel zu einer Minderheitengewerkschaft ohne Einflussmöglichkeiten keinen Sinn macht, sich ganz aus den Gewerkschaften zurückziehen werden? Die Bundesregierung geht nicht davon aus, dass es infolge des Gesetzes zur Tarifeinheit zu einer Schwächung der Gewerkschaften kommt. Das Tarifeinheitsgesetz soll eine Entsolidarisierung der Belegschaften zu vermeiden helfen. Die Akzeptanz einer betrieblichen Lohnpolitik, die vor allem die besonderen Schlüsselpositionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Betriebsablauf prämiert, ist gering. Zudem dürfte eine an Partikularinteressen ausgerichtete Tarifpolitik auf lange Sicht die Gewerkschaften insgesamt schwächen. 32. Kann nach Ansicht der Bundesregierung die Formulierung im Tarifeinheitsgesetz , nach der Gewerkschaften in der Lage sein müssen, „durch das Ausüben von Druck auf den Tarifpartner zu einem Abschluss zu kommen“ (S. 12), dazu führen, dass eine bisher erfolgreich agierende Gewerkschaft mangels eines anwendbaren Tarifvertrags aufgrund des Tarifeinheitsgesetzes ihren Gewerkschaftsstatus inklusive sämtlicher Beteiligungsrechte aus dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) verliert? Das Tarifeinheitsgesetz berührt nicht die Tariffähigkeit von Gewerkschaften. Während der Grundsatz der Tarifeinheit bei der Frage ansetzt, welcher von mehreren konkurrierenden Tarifverträgen im Betrieb den Vorrang genießt, beschreibt der Begriff der Tariffähigkeit die generelle Befugnis zum Abschluss von Tarifverträgen. Die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft ist weiterhin nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Drucksache 18/4156 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Feststellung Mitgliederzahlen 33. Werden nach Ansicht der Bundesregierung a) außertariflich Angestellte, b) beurlaubte Beschäftigte und Beschäftigte mit ruhendem Arbeitsverhältnis , c) ins Ausland entsandte Beschäftigte, d) Beschäftigte in Elternzeit, e) Beschäftigte, die seit Jahren krankgeschrieben sind, f) Gewerkschaftsmitglieder, die eintreten, weil Gewerkschaften Kurzmitgliedschaften , beitragslose oder kostengünstige Mitgliedschaften einführen, als Gewerkschaftsmitglieder bei der Auszählung der Mehrheit im Betrieb berücksichtigt? Für die Frage, wer Arbeitnehmer im Sinne von § 4a TVG-E ist, gilt der dem Tarifvertragsgesetz zugrunde liegende Arbeitnehmerbegriff (vgl. auch § 4 Absatz 2, Absatz 3, § 12a TVG). Außertariflich beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind daher nach Ansicht der Bundesregierung bei der Mehrheitsfeststellung im Betrieb zu berücksichtigen. Auch in ruhenden Arbeitsverhältnissen , in Fällen vorübergehender Entsendungen und vorübergehenden Abwesenheiten bleibt die Zugehörigkeit zum Betrieb regelmäßig erhalten. 34. Wie beantwortet die Bundesregierung die Fragen des Deutschen Anwaltvereins zu den Ausführungen im Tarifeinheitsgesetz, dass einem Notar für die Zählung Mitgliederlisten vorgelegt werden: „Woher soll der Notar wissen, ob darin genannte Personen (noch) Arbeitnehmer des betreffenden Betriebs sind? Schließlich: Soll der Notar etwa arbeitsrechtlich beurteilen, ob überhaupt auf den richtigen Betrieb abgestellt wird?“ (Ausschussdrucksache 18(11)250)? Der Regierungsentwurf stellt in § 58 Absatz 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) klar, dass zur Beweisführung eine notarielle Erklärung verwertet werden kann. Die rechtliche Würdigung hingegen bleibt dem Gericht vorbehalten. 35. Ist der Gesetzentwurf dahingehend auszulegen, dass die Notare bei den Gewerkschaften die notwendigen Informationen einholen, um die vorgelegten Mitgliederlisten zur Zählung der Mehrheit plausibel überprüfen zu können? Wenn ja, a) sind die Gewerkschaften dazu verpflichtet, dem Notar weitere Informationen über die auf den Listen genannten Gewerkschaftsmitglieder offenzulegen, b) müssen die Gewerkschaften dazu bei allen Mitgliedern eine Genehmigung einholen, c) wie wird mit Mitgliedern verfahren, die solch einer Genehmigung widersprechen , d) soll der Nachweis der Mitgliedschaft beispielsweise mithilfe von Mitgliedsbeiträgen auf Kontoauszügen erfolgen, und e) wie kann bei der notwendigen Überprüfung der Mitgliedschaft die informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15 – Drucksache 18/4156 36. Ist der Gesetzentwurf dahingehend auszulegen, dass die Notare bei den Beschäftigten die notwendigen Informationen einholen, um die vorgelegten Mitgliederlisten zur Zählung der Mehrheit plausibel überprüfen zu können? Wenn ja, a) in welcher Form sollen die Beschäftigten zu ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft befragt werden – telefonisch, schriftlich, per Hausbesuch, b) sollen die Beschäftigten eidesstattliche Versicherungen abgeben, und c) soll der Nachweis der Mitgliedschaft beispielsweise mithilfe von Mitgliedsbeiträgen auf Kontoauszügen erfolgen? 37. Wie kann die gerichtsfeste Überprüfung der Mitgliederlisten seitens der Notare unter Wahrung von Vertraulichkeit und informeller Selbstbestimmung konkret erfolgen, wenn die Fragen 35 und 36 verneint wurden? Die Fragen 35 bis 37 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der Regierungsentwurf sieht in § 58 Absatz 3 ArbGG-E vor, dass über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder einer Gewerkschaft in einem Betrieb durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden Beweis angetreten werden „kann“. Eine Gewerkschaft kann den erforderlichen Beweis damit auch über das mittelbare Beweismittel einer notariellen Erklärung führen. § 58 Absatz 3 ArbGG-E enthält keine Vorgaben über einen erforderlichen Mindestinhalt der öffentlichen Urkunde. Welche Informationen dem beurkundenden Notar vorgelegt werden, bleibt der Entscheidung der jeweiligen Gewerkschaft vorbehalten . Die notarielle Erklärung begründet nach § 415 Absatz 1 der Zivilprozessordnung den vollen Beweis des durch die Urkundsperson beurkundeten Vorgangs . Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 34 und 39 verwiesen. 38. Müssen die jeweiligen Mitgliederlisten der konkurrierenden Gewerkschaften nach Ansicht der Bundesregierung vom Notar komplett oder nur stichprobenhaft überprüft werden? a) Welcher Zeitraum steht den Notaren zur Verfügung, um die Mitgliederlisten von Betrieben mit 500, 1 000 oder mehr Beschäftigten zu überprüfen ? b) Wenn Stichproben ausreichen, ab wie vielen festgestellten unrichtigen Angaben muss die gesamte Liste geprüft werden? Gegenstand der Regelung des § 58 Absatz 3 ArbGG-E ist die „Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder […] einer Gewerkschaft in einem Betrieb “. Auf Mitgliederlisten einer konkurrierenden Gewerkschaft kommt es in diesem Zusammenhang daher nicht an. 39. Wer bestimmt nach Auffassung der Bundesregierung den zuständigen Notar? a) Kann eine Gewerkschaft einen weiteren Notar mit der Mitgliederzählung beauftragen, wenn sie den Notar oder das Ergebnis der Mitgliederzählung nicht akzeptiert? Es obliegt der Entscheidung der jeweiligen beteiligten Gewerkschaft, den Beweis über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder einer Gewerkschaft in einem Betrieb ggf. durch eine entsprechende öffentliche Ur- kunde anzutreten. Damit obliegt der jeweiligen Gewerkschaft auch die Auswahl des Notars für den Beurkundungsvorgang. Drucksache 18/4156 – 16 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode b) Ist die Entscheidung des Notars anfechtbar? Die notarielle Erklärung wird als mittelbares Beweismittel in den Prozess eingeführt . Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss vom 25. 3. 1992, 7 ABR 65/90) müssen die Tatsachengerichte dem geringeren Beweiswert mittelbarer Beweismittel durch eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung und Begründung ihrer Entscheidung Rechnung tragen. Die anderen Verfahrensbeteiligten haben die Möglichkeit, den Beweiswert mittelbarer Beweismittel zu entkräften und Gegenbeweis zu führen. c) Darf das Arbeitsgericht die Richtigkeit der Feststellung des Notars gerichtlich überprüfen, respektive darf diese in einer weiteren Instanz überprüft werden? Durch die Vorlage einer notariellen Urkunde wird das Gericht in seiner Beweiserhebung nicht beschränkt. Gegen einen das Verfahren beendenden Beschluss des Arbeitsgerichts findet nach § 87 Absatz 1 ArbGG die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht statt. Im Beschwerdeverfahren vor dem Landesarbeitsgericht ist eine Beweisaufnahme möglich (§ 87 Absatz 2, § 64 Absatz 7, § 58 ArbGG). 40. Wie wird nach Ansicht der Bundesregierung verfahren, wenn sich eine Gewerkschaft der Mitgliederzählung entzieht, und wie lange wird nach Einschätzung der Bundesregierung eine gerichtliche Klärung dieser Situation voraussichtlich dauern? Die Beteiligten eines Verfahrens nach § 2a Absatz 1 Nummer 6, § 99 ArbGG-E sind zur Mitwirkung gegenüber dem Gericht verpflichtet (§ 83 Absatz 1 Satz 2 ArbGG). Die Weigerung eines Beteiligten, an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken , entbindet das Gericht nicht von der Pflicht, alle weiteren Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen. Die Aufklärungspflicht des Gerichts endet, wenn es die eigenen Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts ausgeschöpft hat und die Beteiligten trotz entsprechender Aufforderung ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen. Nach entsprechender Belehrung darf das Gericht aus diesem Verhalten Schlüsse zum Vorliegen oder Fehlen von Tatsachen ziehen. Die voraussichtliche Dauer für die gerichtliche Klärung einer entsprechenden Situation hängt von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren im Einzelfall ab und lässt sich damit nicht verlässlich prognostizieren. Arbeitsgerichtsbarkeit 41. Trifft es zu, dass nach den im Tarifeinheitsgesetz vorgesehenen arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt – die Parteien die entsprechenden Tatsachen vortragen, Beweisthema und Beweismittel spezifiziert bezeichnen – und das Gericht dann aufgrund des § 83 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) verpflichtet ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln? § 83 Absatz 1 Satz 1 ArbGG normiert für das Beschlussverfahren die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes. Der Untersuchungsgrundsatz verpflichtet das Gericht zur Beweiserhebung von Amts wegen. Es muss den Beteiligten die Bezeichnung geeigneter Beweismittel aufgeben. Ein Beweisantritt der Beteiligten ist nicht erforderlich. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Beweisaufnahme im Belieben des Gerichts steht; es ist verpflichtet, angebotene Beweise (auch beantragte Gegenbeweise) zu erheben, wenn die Wahrheit einer entscheidungs- erheblichen Tatsache nicht feststeht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17 – Drucksache 18/4156 42. Welche Relevanz hat die Regelung des § 58 Absatz 3 – neu – ArbGG im Beschlussverfahren? § 58 Absatz 3 ArbGG-E findet im Beschlussverfahren nach § 80 Absatz 2 ArbGG entsprechende Anwendung. 43. Ist es richtig, dass – sollte das Gericht den Weg über den Urkundenbeweis wählen – der Staat die Kosten für die notarielle Beurkundung zu tragen hat, die klagenden Parteien sich hingegen die Kosten für die notarielle Beurkundung ersparen können, wenn sie spezifiziert vortragen? Der Staat haftet nicht für die Kosten einer Beurkundung. Nach § 29 Nummer 1 des Gerichts- und Notarkostengesetzes (GNotKG) trägt die Notarkosten grundsätzlich derjenige, der den Auftrag erteilt hat; daneben haftet für die Kosten jeder, dessen Erklärung beurkundet worden ist (§ 30 Absatz 1 GNotKG). 44. Ist das Gericht verpflichtet, den Weg über die notarielle Beurkundung zu wählen, oder kann es sich auch Mitgliederlisten der klagenden Parteien vorlegen lassen? Eine Verpflichtung zur Beweiserhebung durch notarielle Erklärung besteht nicht. Der Regierungsentwurf stellt in § 58 Absatz 3 ArbGG-E klar, dass über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder einer Gewerkschaft in einem Betrieb durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden Beweis angetreten werden „kann“. Die sonstigen Beweismittel bleiben von der Neuregelung unberührt (vgl. Bundesratsdrucksache 635/14, S. 14). Nach § 83 Absatz 2 ArbGG können zur Aufklärung des Sachverhalts Urkunden eingesehen, Auskünfte eingeholt, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernommen und der Augenschein eingenommen werden. 45. Ist nach Ansicht der Bundesregierung mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit eindeutig geklärt, wer die Kosten im Rahmen der Ermittlung der Mehrheitsgewerkschaft für Notare, Gerichte, also Gebühren und Auslagen, sowie für Entschädigungen für Zeugen und Sachverständige trägt? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, a) welche Kosten tragen die Tarifpartner in welcher Höhe, b) welche Kosten werden die Bundesländer und somit die Steuerzahlenden zur Ermittlung der Mehrheitsgewerkschaft tragen müssen, c) mit wie vielen zusätzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren zur Ermittlung der Mehrheitsgewerkschaft rechnet die Bundesregierung in den nächsten Jahren, d) wie hoch beziffert die Bundesregierung die geschätzten durchschnittlichen Kosten für die Bundesländer für die Ermittlung der Mehrheitsgewerkschaft beispielsweise in Betrieben mit 500 und 1 000 Beschäftigten , e) mit welchen zusätzlichen Kosten für die Bundesländer rechnet die Bundesregierung insgesamt, und f) sind die Bundesländer bereit, diese Kosten zu tragen? Arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren sind gerichtskostenfrei (§ 2 Absatz 2 des Gerichtskostengesetzes). In diesen ergeht grundsätzlich keine Kostenentscheidung . Drucksache 18/4156 – 18 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Für die in Beschlussverfahren entstehenden außergerichtlichen Kosten gibt es keinen prozessualen Kostenerstattungsanspruch. Die Verfahrensbeteiligten tragen im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ihre außergerichtlichen Kosten damit grundsätzlich selbst. Zeugen und Sachverständige haben Anspruch auf Entschädigung nach dem Justizvergütungs - und -entschädigungsgesetz (§ 9 Absatz 4 ArbGG). Da es sich bei den gezahlten Entschädigungen um Gerichtskosten handelt, werden diese von den Beteiligten nicht erhoben. In welchem Umfang es künftig zu Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nummer 6, § 99 ArbGG-E kommen wird, lässt sich ebenso wenig prognostizieren wie die Verfahrensdauer einzelner Verfahren (vgl. Antwort zu Frage 40). Eine Antwort zu den Teilfragen 45b bis 45f ist vor diesem Hintergrund nicht möglich. 46. Mit wie vielen weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren rechnet die Bundesregierung zur Lösung von a) Streitigkeiten um den Betriebszuschnitt, b) Streitigkeiten, ob Arbeitskämpfe verhältnismäßig und erlaubt sind? c) Mit welchen zusätzlichen Kosten rechnet die Bundesregierung für die Tarifpartner und insbesondere für die Länder in ihrer Funktion als Arbeitgeber ? Nach § 2a Absatz 1 Nummer 6 ArbGG-E sollen die Gerichte für Arbeitssachen künftig im Beschlussverfahren über den nach § 4a Absatz 2 Satz 2 TVG-E im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag entscheiden können. Ein besonderes Verfahren zur Klärung „des Betriebszuschnitts“ ist nicht vorgesehen. Da die Regelungen zur Tarifeinheit nicht das Arbeitskampfrecht ändern (vgl. die Antworten zu den Fragen 6, 19 und 22), rechnet die Bundesregierung nicht mit einem Zuwachs an Verfahren um die Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen. Im tarifpluralen Betrieb ist die Anwendung kollidierender Tarifverträge mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand verbunden. Die Auflösung von Tarifkollisionen durch das Tarifeinheitsgesetz dürfte diese Kosten verringern. Dem stehen möglicherweise geringe – nicht näher quantifizierbare – Kosten für die Bekanntgabe der Aufnahme von Tarifverhandlungen, die Durchführung der Anhörung und die Umsetzung eines Nachzeichnungsanspruchs sowie die Feststellung des anwendbaren Tarifvertrags gegenüber. 47. Welchen herausragenden Nutzen sieht die Bundesregierung durch das Tarifeinheitsgesetz, und rechtfertigt dies materielle und verfahrensrechtliche Anwendungsprobleme, die zukünftig die arbeitsrechtliche Landschaft mit Rechtsunsicherheiten belasten könnten? Die Bundesregierung sieht in dem Tarifeinheitsgesetz einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Tarifautonomie. Besondere Anwendungsprobleme, die über das mit einer Rechtsänderung stets verbundene Maß hinausgehen, sieht die Bundesregierung nicht. Gesamtherstellung: H. 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