Deutscher Bundestag Drucksache 18/425 18. Wahlperiode 04.02.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/314 – Sprachliche Bereinigung der §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuchs und Gesamtreform der Tötungsdelikte Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Ministerin für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein, Anke Spoorendonk, hat am 13. November 2013 angekündigt, sich für eine Bundesratsinitiative zur sprachlichen Überarbeitung der §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuchs (StGB) einzusetzen, weil deren Wortlaut bis heute Formulierungen aus der NS-Zeit enthalte. Wörtlich formulierte Anke Spoorendonk: „Das Ungewöhnliche an diesen Formulierungen ist ihr Hinweis auf einen vermeintlichen Tätertyp des ,Mörders‘: Unsere Straftatbestände beschreiben ansonsten nicht bestimmte Täterpersönlichkeiten, sondern vorwerfbare Handlungen . Nach nationalsozialistischer Lesart hingegen war ein Mörder schon als solcher geboren und er offenbarte sich sozusagen durch die Tat. Insofern spiegeln die Formulierungen der Paragrafen 211 und 212 des Strafgesetzbuchs bis heute die NS-Ideologie wider.“ (vgl. www.schleswig-holstein.de/MJKE/DE/ Service/Presse/PI/2013/Justiz/131113mjke_ Bundesratsinitiative.html). Nach Aussagen der Justizministerin Schleswig-Holsteins soll die sprachliche Bereinigung der §§ 211 und 212 StGB ein erster Schritt für eine „notwendige Gesamtreform der Tötungsdelikte“ darstellen. Die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister sowie Justizsenatorinnen und Justizsenatoren hat den Vorschlag auf ihrer Sitzung am 14. November 2013 einstimmig zur Kenntnis genommen (vgl. www.schleswig-holstein.de/ MJKE/DE/Service/Presse/PI/2013/Justiz/131114mjke_Bundesratsinitiative. html). Der Vorstoß der Justizministerin Schleswig-Holsteins stieß auf Zustimmung. Der Vorsitzende des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins e. V. beispielsweise hält den Vorstoß von Anke Spoorendonk für „absolut berechtigt“ (vgl. www.spiegel.de/panorama/justiz/mord-und-totschlag-spoorendonk-willns -paragrafen-reformieren-a-932317.html). In der „Süddeutschen Zeitung“ vom Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 3. Februar 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. 21./22. Dezember 2013 hat Heribert Prantl den Vorschlag der Justizministerin Schleswig-Holsteins ebenfalls unterstützt. Er formulierte: „Der Kern des Strafrechts besteht aus problematischen Gummi- und Emotionsformeln, die auf das Drucksache 18/425 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Jahr 1941, also auf die Nazis zurückgehen.“ (vgl. www. sueddeutsche.de/politik/ reform-des-strafrechts-warum-mord-nicht-gleich-mord- ist-1.1849029). Der Deutsche Anwaltverein e. V. hat konkrete Vorschläge zur Reformierung der §§ 211 und 212 StGB vorgelegt (Stellungnahme 1/2014 zur Reform der Tötungsdelikte Mord und Totschlag; §§ 211, 212, 213 StGB unter www.anwaltverein.de). In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird zudem auf weitere Straftatbestände verwiesen, die ihren Ursprung oder ihre Erweiterung in der NS-Zeit haben. So wird auf die Erweiterung des § 240 StGB auf das Merkmal „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ im Jahr 1943 und den sog. Treubruchstatbestand des § 266 StGB aus dem Jahr 1933 verwiesen (vgl. Prof. Dr. Gerhard Wolf, Befreiung des Strafrechts von nationalsozialistischen Denken?, HFR 1996, Beitrag 9, Seite 1). Auch die Maßregeln der Besserung und Sicherung im StGB stammen im Wesentlichen aus der NS-Zeit. Sie wurden durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung (RGBl. I S. 995) vom 24. November 1933 eingeführt und nur teilweise in den Jahren 1945 bis 1969 abgeschafft. 1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine sprachliche Bereinigung der §§ 211 und 212 StGB notwendig ist? Wenn nein, warum nicht? Der Bundesregierung ist die Initiative der Ministerin für Justiz, Kultur und Europa in Schleswig-Holstein, Anke Spoorendonk, bekannt. Sie prüft derzeit, ob eine Überarbeitung der §§ 211, 212 StGB geboten ist. Das Ergebnis der Prüfung wird die Bundesregierung zeitnah bekannt machen. Die Initiative aus Schleswig-Holstein weist auch auf die grundsätzliche politische Fragestellung hin, wie mit Strafrechtsnormen umgegangen werden soll, die aus der NS-Zeit stammen. In rechtlicher Hinsicht ist hierzu anzumerken, dass Artikel 123 des Grundgesetzes klarstellt, dass vorkonstitutionelles Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Deutschen Bundestages nur dann fort gilt, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Der Gesetzgeber hat alle Gesetze formell aufgehoben, die mit der Verfassung nicht in Einklang standen. Bereits in den Jahren 1958 bis 1968 wurden bei umfangreichen Rechtsbereinigungsmaßnahmen verfassungswidrige Vorschriften, die aus der Zeit vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland stammten, entfernt. Straftatbestände, die in der Zeit von 1933 bis 1945 eingefügt oder verändert und entweder der Machtsicherung des NS-Regimes oder der Vorbereitung des Krieges dienten, wurden durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 des Kontrollrats der Alliierten vom 30. Januar 1946 aufgehoben. Weitere Vorschriften des Strafgesetzbuchs, die nationalsozialistisches Gedankengut verkörperten, wurden weiterhin mit dem Zweiten Strafrechtsänderungsgesetz vom 6. März 1953 gestrichen oder entsprechend geändert. 2. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung der Justizministerin Schleswig -Holsteins, eine sprachliche Bereinigung der §§ 211 und 212 StGB vorzunehmen ? Wenn nein, warum nicht? 3. Plant die Bundesregierung eigene Aktivitäten zur sprachlichen Bereinigung der §§ 211 und 212 StGB? Wenn nein, warum nicht? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/425 4. Sieht die Bundesregierung Bedarf für eine „nötige Gesamtreform der Tötungsdelikte“? Wenn nein, warum nicht? 5. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, weitere Paragrafen des Strafrechts im Hinblick auf ihre Herkunft aus der NS-Zeit zu überarbeiten? Wenn ja, an welche Paragrafen denkt die Bundesregierung? Wenn nein, warum nicht? Die Fragen 2 bis 5 werden zusammen beantwortet. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 6. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Maßregeln der Sicherung und Besserung angesichts ihrer Herkunft aus der NS-Zeit zu reformieren oder gar infrage zu stellen? Wenn nein, warum nicht? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen, namentlich zur Sicherungsverwahrung und zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, keine der bestehenden, auch vom nach-konstitutionellen Gesetzgeber mehrfach überarbeiteten Maßregeln der Besserung und Sicherung wegen ihres Entstehungszeitpunkts infrage gestellt hat. Auch unabhängig von der Frage ihres Entstehungszeitpunkts prüft die Bundesregierung jedoch fortwährend, inwieweit die Vorschriften zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung rechtlicher Änderungen bedürfen. Darüber hinaus wird sie die Umsetzung der Vorgaben des Koalitionsvertrags zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zügig voranbringen. Gesamtherstellung: H. 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