Deutscher Bundestag Drucksache 18/4262 18. Wahlperiode 09.03.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/3942 – Bewertung des Gesetzentwurfs zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Am 3. Dezember 2014 hat das Kabinett den Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthG-E) beschlossen. Dieser Gesetzentwurf sieht neben Verbesserungen in manchen Bereichen des Aufenthaltsrechts etliche Verschärfungen vor. Die Verschärfungen betreffen insbesondere die Anordnung neuer Einreise- und Aufenthaltsverbote (etwa infolge der Nichtausreise vor Ablauf einer Ausreisefrist oder der Erfolglosigkeit bestimmter Asylverfahren), die Ermächtigung zur ausufernden Abfrage von Daten in ausländerrechtlichen Verfahren sowie die Abschiebungs- und Zurückschiebungshaft . Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren diese Vorhaben (vgl. Stellungnahme von ProAsyl, www.proasyl.de/de/news/detail/news/ gesetz_zu_ bleiberecht_und_aufenthaltsbeendigung_massive_verschaerfung_ des_aufenthaltsrechts/). Zudem ist es bei etlichen Regelungen zweifelhaft, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar sind. 1. Was bezweckt die Bundesregierung damit, es nach § 11 Absatz 6 und 7 AufenthG-E fortan zu ermöglichen, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot unabhängig davon anzuordnen, dass ein Ausländer tatsächlich ausreist, und aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Möglichkeit der Anordnung eines solchen Einreise- und Aufenthaltsverbots auch dann für sinnvoll, wenn die Ausreise des Ausländers aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist? § 11 Absatz 6 des AufenthG-E ermöglicht im Einzelfall die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, wenn ein Ausländer seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachkommt. Ein Einreise- und Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 5. März 2015 übermittelt . Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Ausreiseverbot darf in diesen Fällen allerdings dann nicht verhängt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist nicht erheblich ist. Nach Absatz 7 (neu) soll es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ermöglicht werden, im Einzelfall – wenn aufgrund der in Absatz 7 beschriebenen Umstände eine missbräuchliche Drucksache 18/4262 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Inanspruchnahme des Asylverfahrens vorliegt – ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auch dann anzuordnen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 6 nicht erfüllt sind. Durch den mit einer solchen Anordnung verbundenen generalpräventiven Effekt soll zugleich einer Überlastung des Asylverfahrens durch offensichtlich nicht schutzbedürftige Personen entgegen gewirkt werden. Nach der Konzeption von § 11 Absatz 1 AufenthG-E wirkt das Einreiseverbot als Einreisesperre sowie als Aufenthalts- und Titelerteilungsverbot. Durch die letztgenannte Wirkung als Titelerteilungssperre ist ein bestehendes Einreiseverbot geeignet, eine Aufenthaltsverfestigung des ausreisepflichtigen Ausländers im Bundesgebiet zu verhindern. Wenn eine Abschiebung aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist, entfällt auch die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung im Sinne des § 59 Absatz 1 Satz 6 AufenthG-E, mit der Folge, dass die Ausreisefrist unterbrochen wird und somit nicht ablaufen kann. Selbiges gilt auch für die sonstigen Fälle der vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung im Sinne des § 60a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 6 AufenthG-E kommt in diesen Fällen und unter den dort genannten Voraussetzungen erst dann in Betracht, wenn die Ausreisefrist mit der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung erneut zu laufen begonnen hat – der für die Ausreisefrist bestimmte Zeitraum dem Ausländer also erneut in vollem Umfang zur Verfügung stand – und dann abgelaufen ist (Bundesratsdrucksache 642/14, S. 62). Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7 AufenthG-E wiederum setzt voraus, dass die Ablehnung des Asylantrags nach § 29a Absatz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) als offensichtlich unbegründet (Nummer 1) oder die wiederholte Entscheidung, bei einem Folge- oder Zweitantrag kein weiteres Asylverfahren durchzuführen (Nummer 2), bestandskräftig geworden ist. 2. Hält es die Bundesregierung für gewährleistet, dass die bundeseinheitliche Anwendung der Bleiberechtsregelungen in §§ 25a und 25b AufenthG-E nicht dadurch ausgehebelt wird, dass gegen langjährig im Inland lebende Ausländerinnen und Ausländer Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 Absatz 6 oder 7 AufenthG-E angeordnet werden, sodass ein Aufenthaltstitel nach § 11 Absatz 1 AufenthG-E mangels abweichender Bestimmung in §§ 25a und 25b AufenthG-E nicht erteilt werden darf, angesichts dessen, dass § 11 Absatz 4 die Aufhebung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots in das Ermessen der Landesbehörden stellt? Wenn ja, auf welche rechtlichen Erwägungen stützt die Bundesregierung ihre Auffassung? Wenn nein, aufgrund welcher integrationspolitischer Erwägungen hält die Bundesregierung dies für sinnvoll? Durch § 11 Absatz 4 AufenthG-E wird eine spezielle Rechtsgrundlage zur nachträglichen Verlängerung oder Verkürzung der Frist sowie zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots geschaffen. Die Verkürzung oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach dem neuen Absatz 4 steht zwar im Ermessen der Behörde. Eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist aber angezeigt, soweit die general- bzw. spezialpräventiven Gründe für die Sperrwirkungen es nicht mehr erfordern oder zur Wahrung der schutzwürdigen Belange des Betroffenen. Dies dürfte – wie die Gesetzesbegründung ausdrücklich klarstellt (Bundesratsdrucksache 642/14, S. 40) – insbesondere bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 von Kapitel 2 des AufenthG, insbesondere nach § 25 Absatz 4a bis 5, § 25a und § 25b, der Fall sein. Anders als im bisherigen Recht, wo bei den vorstehend genannten Tatbeständen teilweise ausdrücklich geregelt war, dass eine entsprechende aufenthaltsrecht- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4262 liche Entscheidung „abweichend von § 11 Absatz 1“ getroffen werden konnte, setzt die Neuregelung in § 11 Absatz 4 AufenthG-E insoweit eine entsprechende Entscheidung der zuständigen Behörde voraus. Abgesehen davon ist mit der Änderung aber keine Erhöhung der Anforderungen an die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a bis 5, § 25a und § 25b gegenüber der bisher geltenden Rechtslage (vgl. insoweit die Ausführungen in Nummer 25.5.0 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009) verbunden. Wenn einem Ausländer vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a bis 5 „abweichend von § 11 Absatz 1“ erteilt worden ist (so genannte Übergangsfälle), steht das ursprüngliche Einreise- und Aufenthaltsverbot einer Verlängerung oder Erteilung eines solchen Titels nicht mehr entgegen. Einer Entscheidung nach Absatz 4 über die Verkürzung oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bedarf es in diesen Fällen nicht. Im Übrigen sind auch die Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 Absatz 6 und 7 AufenthG-E als Ermessensvorschriften konzipiert. 3. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die Regelung in § 11 Absatz 6 AufenthG-E für vereinbar mit dem Recht der Europäischen Union, angesichts dessen, dass nach Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 1a RL 2008/115/EG die Anordnung eines Einreiseverbots voraussetzt , dass eine Rückkehrentscheidung getroffen wurde, ein Hinweis auf die kraft Gesetzes bestehende Ausreisepflicht jedoch keine Rückkehrentscheidung ist? Soweit ein Einreiseverbot nach der so genannten Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG) eine „Rückkehrentscheidung“ voraussetzt, ist diese in Fällen , in denen die Ausreisepflicht kraft Gesetzes besteht, nach Auffassung des Gesetzgebers in der Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG zu sehen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/5470, S. 24 vom 12. April 2011). Der Begriff der Rückkehrentscheidung wird in Artikel 3 Nummer 4 der Rückführungsrichtlinie definiert als die „behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme mit der der illegale Aufenthalts von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird“. Nach dieser Definition stellt die Abschiebungsandrohung, mit der die Abschiebung angekündigt und die Ausreisefrist bestimmt wird, eine Rückkehrentscheidung dar (vgl. z. B. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 10. Auflage 2013, § 59 Rn. 6), an die ein Einreiseverbot anknüpfen kann. Da die in § 11 Absatz 6 AufenthG-E geregelte Überschreitung der Ausreisefrist deren vorherige Festsetzung mit einer Abschiebungsandrohung voraussetzt, ist gewährleistet, dass eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie vorliegt. 4. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die Regelung in § 11 Absatz 7 AufenthG-E für vereinbar mit dem Recht der Europäischen Union, angesichts dessen, dass nach Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 1a RL 2008/115/EG die Anordnung eines Einreiseverbots voraussetzt , dass eine Rückkehrentscheidung getroffen wurde, die bestandskräftige Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet an sich jedoch ebenso wenig eine Rückkehrentscheidung im unionsrechtlichen Sinne darstellt, wie die Tatsache, dass ein Asylfolgeantrag oder Asylzweit- Drucksache 18/4262 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode antrag wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat oder dass eine Abschiebungsandrohung erlassen wurde? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erlässt in den in § 11 Absatz 7 AufenthG-E in Bezug genommenen Fällen eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG. Es liegt somit eine Rückkehrentscheidung vor, an die das Einreiseverbot nach § 11 Absatz 7 AufenthG-E anknüpfen kann. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 5. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt , Ausländerinnen und Ausländer, deren Asylantrag nach § 30 Absatz 3 Nummer 1 bis 6 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) abgelehnt wurde, von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25a und 25b AufenthG-E trotz Erfüllung der dort geregelten Voraussetzungen auszuschließen , angesichts dessen, dass ihnen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 10 Absatz 3 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) mangels Ausgestaltung der §§ 25a und 25b AufenthG-E als Anspruchsnorm nicht erteilt werden darf? Gemäß § 25b Absatz 5 Satz 2 AufenthG-E kann die Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG-E auch abweichend von § 10 Absatz 3 Satz 2 AufenthG erteilt werden. § 25a AufenthG-E sieht eine solche Abweichungsmöglichkeit – auch in der jetzt geltenden Fassung des § 25a AufenthG – nicht vor. Im Hinblick auf die konkret angesprochene Regelung in § 10 Absatz 3 Satz 2 AufenthG wird darauf hingewiesen, dass dort ohnehin nur die Nummern 1 bis 6 von § 30 Absatz 3 AsylVfG in Bezug genommen werden, nicht aber die Nummer 7. Insofern entstünde keine Sperrwirkung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn der Asylantrag für einen noch handlungsunfähigen Ausländer gestellt worden ist, d. h. für einen Ausländer, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (§ 80 Absatz 1 AufenthG, § 12 AsylVfG; eine Anpassung der Altersgrenze auf das 18. Lebensjahr ist in Planung). Eine Täuschung der gesetzlichen Vertreter im Asylverfahren würde daher nicht von vornherein die Erteilung eines Bleiberechts an den Jugendlichen hindern. Unabhängig davon hat das Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob es sich bei einer Norm, die regelmäßig („soll“) die Erteilung eines Aufenthaltstitels vorsieht, um eine Anspruchsnorm im Sinne des § 10 Absatz 3 Satz 3 AufenthG handelt, noch nicht abschließend entschieden . 6. Welche Behörde soll nach Auffassung der Bundesregierung fortan für die Aufhebung oder nachträgliche Befristung eines Einreiseverbots nach § 11 Absatz 7 AufenthG-E zuständig sein, und woraus ergibt sich diese Zuständigkeit angesichts dessen, dass sie im Gesetzentwurf nicht ausdrücklich geregelt ist? Das BAMF ist nach § 75 Nummer 12 AufenthG-E zuständig für die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7 AufenthG-E. Das Einreiseverbot ist von Amts wegen mit seiner Anordnung zu befristen. Für spätere Fragen der Aufhebung oder Verkürzung des Einreiseverbots nach § 11 Absatz 4 Satz 1 AufenthG-E gilt die allgemeine Zuständigkeitsregelung in § 71 Absatz 1 AufenthG, d. h. die Ausländerbehörden sind zuständig. Zu beachten sind zusätzlich die Beteiligungserfordernisse nach § 72 Absatz 3 AufenthG. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4262 7. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für sinnvoll, diese Zuständigkeit nicht ausdrücklich zu regeln? Die Zuständigkeit für die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7 AufenthG-E ist in § 75 Nummer 12 AufenthG-E geregelt. Die Zuständigkeit für die Aufhebung oder Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ergibt sich aus der allgemeinen Regelung in § 71 Absatz 1 AufenthG. 8. Hält die Bundesregierung die Schaffung einer Aufenthaltserlaubnis zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen für eine hinreichende Maßnahme zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte angesichts dessen, dass die Bundesregierung ausweislich der Gesetzesbegründung damit rechnet, dass lediglich „zusätzlich 300 Ausländer eine Bildungsmaßnahme … im Inland durchführen werden“? Bei dem in § 17a Absatz 1 AufenthG-E vorgesehenen Aufenthaltstitel handelt es sich um eine Aufenthaltserlaubnis für die Durchführung einer Bildungsmaßnahme . Er soll Anpassungsqualifizierungen zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse ermöglichen und stellt somit einen weiteren Baustein zur Erleichterung der Zuwanderung von Fachkräften in den Engpassberufen dar. 9. Auf welchen Zeitraum bezieht sich die Erwartung der Bundesregierung, dass 300 Personen von der Möglichkeit des § 17a AufenthG-E Gebrauch machen werden? Der Zeitraum bezieht sich auf ein Jahr. 10. Inwiefern hält es die Bundesregierung für systematisch kohärent, Inhaberinnen und Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 17a AufenthG-E im Gegensatz zu Inhaberinnen und Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG lediglich die Beschäftigung bis zu zehn Stunden pro Woche zu erlauben? Die Bundesregierung hält es insofern für systematisch kohärent, die Aufenthaltserlaubnis nach § 17a AufenthG-E mit der Erlaubnis zu verbinden, eine weitere Beschäftigung bis zu zehn Stunden pro Woche auszuüben, als der gleiche Regelungsgehalt für den vergleichbaren Personenkreis nach § 16 Absatz 5a und § 17 Absatz 2 AufenthG bereits der geltenden Rechtslage entspricht. § 17a Absatz 3 AufenthG-E ermöglicht darüber hinaus die Ausübung einer zeitlich nicht eingeschränkten Beschäftigung, deren Anforderungen in engem Zusammenhang mit der später angestrebten Beschäftigung steht. 11. Aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Regelung in § 48a AufenthG-E für vereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot , angesichts dessen, dass sie die Abfrage der Zugangsdaten von Mobiltelefonen und Computern entgegen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG 1 BvR 1299/05, Rz. 184) weder durch Benennung einer Eingriffsschwelle beschränkt noch den Kreis der berechtigten Behörden und den Zweck der Datenerhebung eingrenzt? Die Erlaubnis der Erhebung von Zugangsdaten nach § 48a AufenthG-E flankiert die Befugnis der Ausländerbehörde gemäß § 48 Absatz 3a AufenthG-E, Daten- träger des Ausländers auszuwerten. Die Erhebung der Zugangsdaten darf nach § 48a Absatz 1 AufenthG-E nur erfolgen, wenn der Ausländer die notwendigen Drucksache 18/4262 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Zugangsdaten nicht zur Verfügung stellt und „wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen“. Die in § 48 Absatz 3a AufenthG-E geregelten Anforderungen sind also auch bei der Erhebung von Zugangsdaten zu beachten, d. h. ein Zugriff auf die Zugangsdaten ist nur zulässig, soweit dies für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers und für die Feststellung einer Rückführungsmöglichkeit erforderlich ist (zu den Anforderungen an die Nutzung der Daten vgl. im Übrigen auch die Antwort zu Frage 12). Als berechtigte Behörden kommen nur die nach § 71 AufenthG zuständigen Behörden in Betracht. Eine weitere Eingrenzung der Befugnis, das Auskunftsersuchen gegenüber einem Telekommunikationsdienstleister zur Erlangung von Zugangsdaten zu stellen , z. B. durch Einführung eines Richtervorbehalts, ist aus Sicht der Bundesregierung verfassungsrechtlich nicht geboten: Nach § 48a Absatz 2 AufenthG-E ist der Ausländer von dem Auskunftsverlangen vorher in Kenntnis zu setzen. Die Gefahr eines heimlichen Zugriffs auf das Endgerät und eine entsprechende Schutzbedürftigkeit des Betroffenen bestehen deshalb nicht. Dies entspricht der Wertung in der Parallelregelung in § 100j Absatz 3 der Strafprozessordnung (StPO). Nach § 100j Absatz 3 Satz 4 StPO ist eine richterliche Anordnung für das Verlangen gegenüber einem Telekommunikationsdienstleister auf Herausgabe von Zugangsdaten nicht erforderlich, wenn der Nutzer des Endgerätes vom Auskunftsverlangen Kenntnis hat oder haben muss. 12. Aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Regelung in § 48 Absatz 3a AufenthG-E für verhältnismäßig im verfassungsrechtlichen Sinne? Die in § 48 Absatz 3a AufenthG-E vorgesehene Befugnis der Behörden zur Auswertung von Datenträgern ist aus Sicht der Bundesregierung verhältnismäßig. Die Auswertung der Datenträger dient der Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit eines Ausländers und der Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat und verfolgt damit ein legitimes staatliches Interesse. In Absatz 3a (neu) wird hinreichend deutlich gemacht, dass die Maßnahme nur zulässig ist, soweit sie zur Erfüllung dieser Zwecke erforderlich ist und die Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers nicht durch ein milderes Mittel ermittelt werden können. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Ausländer nach § 48 Absatz 3 AufenthG zur Mitwirkung bei der Klärung seiner Identität und Staatsangehörigkeit verpflichtet ist. Nur wenn der Ausländer dieser Mitwirkungspflicht nicht genügt und auch durch die in § 48 Absatz 3 AufenthG bezeichneten Maßnahmen oder etwaige andere mildere Mittel keine Klärung herbeigeführt werden kann, kommt das Auslesen seiner Datenträger in Betracht. § 48 Absatz 3a AufenthG-E enthält darüber hinaus Regelungen zum Schutze des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Der Schutz wird dadurch weiter abgesichert , dass ein Datenträger nur durch einen zum Richteramt befähigten Bediensteten ausgewertet werden darf und etwaige Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht verwertet werden dürfen und unverzüglich gelöscht werden müssen. Das Erfordernis einer richterlichen Anordnung vor Auswertung des Datenträgers erscheint verfassungsrechtlich nicht geboten, weil die Auswertung nicht heimlich erfolgt, sondern mit Kenntnis des Ausländers: entweder hat er die notwendigen Zugangsdaten selbst zur Verfügung gestellt oder er wird – wenn die Voraussetzungen für eine Erhebung der Zugangsdaten nach § 48a AufenthG-E vorliegen – von dem Auskunftsverlangen vorher in Kenntnis gesetzt (vgl. auch die Antwort zu Frage 11). Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/4262 13. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für entbehrlich , im Rahmen des § 48 Absatz 3a AufenthG-E ein Verbot der Weitergabe von Daten an andere Behörden (wie z. B. in § 113 Absatz 1 des Telekommunikationsgesetzes – TKG) sowie den besonderen Schutz von Daten, die dem Telekommunikationsgeheimnis unterfallen, zu regeln? Die besonderen Anforderungen an die Auswertung von Datenträgern sind in § 48 Absatz 3a AufenthG-E geregelt (vgl. im Einzelnen die Antwort zu Frage 12). Ergänzend finden die allgemeinen datenschutzrechtlichen Vorschriften Anwendung . 14. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für verfassungsrechtlich zulässig, bei der Abfrage von PIN bzw. PUK aufgrund von § 48 Absatz 3a AufenthG-E sowie der Verwertung der erlangten Daten auf einen gesetzlich geregelten Richtervorbehalt zu verzichten? Das Erfordernis einer richterlichen Anordnung vor Auswertung des Datenträgers erscheint verfassungsrechtlich nicht geboten, weil die Auswertung nicht heimlich erfolgt, sondern mit Kenntnis des Ausländers (vgl. im Einzelnen die Antwort zu Frage 12). Im Übrigen ist bei der Auswertung der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleistet. 15. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für entbehrlich , das Auskunftsverlangen nach § 48a Absatz 1 AufenthG-E unter einen Richtervorbehalt zu stellen, angesichts dessen, dass die Parallelregelung in § 100j Absatz 3 Satz 1 der Strafprozessordnung (StPO) einen Richtervorbehalt vorsieht? Nach § 100j Absatz 3 Satz 4 StPO bedarf es keiner Anordnung durch ein Gericht , „wenn der Betroffene vom Auskunftsverlangen bereits Kenntnis hat oder haben muss“. Eine solche Kenntnis ist im Fall der Erhebung von Zugangsdaten nach § 48a AufenthG-E stets gegeben, da der Ausländer nach § 48a Absatz 2 AufenthG-E von dem Auskunftsverlangen vorher in Kenntnis zu setzen ist (vgl. im Einzelnen die Antwort zu Frage 11). 16. Ist die Aufzählung der abwägungsrelevanten Belange in §§ 54, 55 AufenthG-E nach Auffassung der Bundesregierung abschließend? Wenn ja, a) welche rechtliche Erwägungen haben die Bundesregierung veranlasst, bei der Ausgestaltung des neuen Ausweisungsrechts von der im Ordnungsrecht üblichen Kombination von Abwägung und Ermessensermächtigung abzuweichen, angesichts dessen, dass die abzuwägenden Belange im Gesetz abschließend geregelt sind, es aber denkbar ist, dass bei einer Ausweisung darüber hinaus noch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, b) warum hält es die Bundesregierung unter anderem nicht für relevant, im Rahmen einer Ausweisungsentscheidung zu berücksichtigen, dass ein Ausländer im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, Träger einer Auszeichnung für besondere Verdienste in der Bundesrepublik ist, oder als hochqualifizierte Fachkraft in einem sog. Mangelberuf beschäftigt ist, wenn nein, woraus ergibt sich das? Gemäß § 53 Absatz 1 AufenthG-E ist künftig eine Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzuneh- Drucksache 18/4262 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode men. Die Ausweisung wird verfügt, wenn hiernach das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt . § 53 Absatz 2 AufenthG-E zählt beispielhaft Umstände auf, die in diese Abwägung einzubeziehen sind. Die Klarstellung in Absatz 1 (neu), dass alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind und die Verwendung des Wortes „insbesondere“ in Absatz 2 (neu) verdeutlichen, dass die im Rahmen einer Ausweisungsentscheidung abwägungsrelevanten Belange nicht abschließend benannt sind. Dies kommt auch in § 55 Absatz 2 AufenthG-E nochmals zum Ausdruck, wonach das Bleibeinteresse „insbesondere“ in den sodann benannten Konstellationen schwerwiegend ist. 17. Wie begründet die Bundesregierung ihre Rechtsauffassung, dass die Ausgestaltung des § 53 AufenthG-E als gebundene Entscheidung zu einer schnelleren Rechtssicherheit beiträgt, angesichts dessen, dass – abweichend von der Auffassung der Bundesregierung – eine Ausweisungsentscheidung als belastender Verwaltungsakt im Wege der Anfechtungsklage (und nicht der Verpflichtungsklage) angegriffen wird und die Gerichte die Ausländerbehörden daher nicht zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts verurteilen können? Durch die Neukonzeption des Ausweisungsrechts mit der Abwägung der Ausweisungs - und Bleibeinteressen auf Tatbestandsseite können die Gerichte künftig eine Ausweisungsentscheidung umfänglich und abschließend und nicht mehr nur auf Ermessensfehler überprüfen. Der Richter vermag somit seine Abwägung an die Stelle der Abwägungsentscheidung der Ausländerbehörde zu setzen, was zu einer Verfahrensbeschleunigung führen wird. Die Bundesregierung teilt im Übrigen die Auffassung der Fragesteller, dass die Ausweisung mit einer Anfechtungsklage angegriffen wird. Die Formulierung in der Begründung sollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass das Gericht abschließend in der Sache entscheidet . 18. Aufgrund welcher Erwägungen hält es die Bundesregierung für verhältnismäßig , dass ausgewiesene Ausländerinnen und Ausländer bereits vor Vollstreckbarkeit einer Ausweisungsverfügung überwacht werden können , obwohl die Ausweisungsverfügung in der Regel von den Behörden für sofort vollziehbar erklärt werden kann und damit die Vollstreckbarkeit ohne weiteres sofort eintritt? Die Gesetzesänderung stellt sicher, dass in den Fällen, in denen ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 AufenthG-E oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG vorliegt, die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen sofort greifen. Zuvor waren diese Maßnahmen zwangsläufig mit der Entscheidung über die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht vor Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens verknüpft. Angesichts der von dem in § 56 Absatz 1 Satz 1 AufenthG-E genannten Personenkreis potentiell ausgehenden Gefahr, erscheint die Anordnung kraft Gesetzes und nicht erst durch eine zusätzlich zu verfügende Entscheidung der Behörde vorzugswürdig . Der Betroffene bleibt gleichwohl nicht rechtsschutzlos, da er einen Antrag auf abweichende Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 56 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz bzw. Absatz 2 letzter Halbsatz AufenthG-E stellen kann. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/4262 19. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hat die Bundesregierung davon abgesehen, Familienangehörige von Deutschen in § 53 Absatz 3 AufenthG-E in gleicher Weise wie Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge, Berechtigte nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei und Inhaberinnen und Inhaber einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU vor der Ausweisung zu schützen? Anders als für die in § 53 Absatz 3 AufenthG-E genannten Personengruppen besteht keine (europa-)rechtliche Verpflichtung zur Privilegierung der Familienangehörigen von Deutschen. Die Eigenschaft als Familienangehöriger oder Lebenspartner eines Deutschen wird zudem in § 55 Absatz 1 Nummer 4 AufenthG-E bei bestehender lebenspartnerschaftlicher oder familiärer Lebensgemeinschaft bzw. bei Ausübung des Personensorge- oder Umgangsrechts als besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gewürdigt. 20. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass ein nicht nur vereinzelter oder geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen (§ 54 Absatz 2 Nummer 9 AufenthG-E) gleichermaßen ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründet wie die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr (§ 54 Absatz 2 Nummer 1 AufenthG-E)? Über den Regelungsgehalt von § 54 Absatz 2 Nummer 9 erster Halbsatz AufenthG-E – den nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften – kann eine Ausweisung beispielsweise auch an ein schwerwiegendes strafrechtliches Verhalten des Ausländers, das noch nicht zu einer Verurteilung geführt hat, anknüpfen. Letztendlich beinhaltet das Ausweisungsinteresse nach Nummer 9 auch eine Auffangfunktion innerhalb des schwerwiegenden Ausweisungsinteresses, da eine abschließende Aufzählung aller Interessen, die zur Ausweisung führen können, nicht möglich und nicht zielführend wäre. Dabei ist davon auszugehen, dass die Rechtsanwendung die Schwere des Ausweisungsinteresses nach Nummer 9 in der Praxis ausfüllen und dabei das Gleichgewicht zu den schwerwiegenden Ausweisungsinteressen z. B. nach Nummer 1 wahren wird. Im Übrigen dürfte die bisherige Auslegung zu § 55 Absatz 2 Nummer 2 AufenthG durch die Praxis kaum auf § 54 Absatz 2 Nummer 9 AufenthG-E zu übertragen sein, zumal sich die nunmehr gewählte Formulierung von der in § 55 Absatz 2 Nummer 2 AufenthG auch insoweit unterscheidet, als künftig im letzten Halbsatz vorsätzliche schwere Straftaten in Bezug genommen werden. 21. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass nach dem Wortlaut des § 2 Absatz 14 Nummer 2 AufenthG-E die Täuschung eines Ausländers über seine Identität auch dann als konkreter Anhaltspunkt für die Annahme von Fluchtgefahr gelten soll, wenn sie nicht im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Abschiebung steht? Der erforderliche Zusammenhang zwischen dem in § 2 Absatz 14 Nummer 2 AufenthG-E beschriebenen Verhalten und der bevorstehenden Abschiebung kommt im Gesetzestext bereits durch die Verwendung des Präsens („täuscht“) zum Ausdruck. Zudem wird in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zu § 2 Absatz 14 Nummer 2 AufenthG-E ausführlich dargelegt, dass das Verhalten in Zusammenhang mit einer bevorstehenden Abschiebung stehen muss (Bundesratsdrucksache 642/14, S. 35). Drucksache 18/4262 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 22. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die Regelung in § 2 Absatz 15 Satz 2 AufenthG-E für vereinbar mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, angesichts dessen, dass sie zur Inhaftierung von Schutzsuchenden führen kann, deren Rückführung in den nach den Regelungen der Dublin-III-Verordnung zuständigen Staat aus menschenrechtlichen Gründen verboten ist? Die Voraussetzungen für eine Inhaftnahme zum Zweck der Überstellung in den für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat ergeben sich unmittelbar aus Artikel 28 der Dublin-III-Verordnung (Verordnung [EU] Nr. 604/2013). Dem nationalen Gesetzgeber wurde lediglich die Aufgabe zugewiesen, mögliche Anhaltspunkte zu regeln, auf deren Grundlage im Einzelfall eine Fluchtgefahr angenommen werden kann (vgl. Artikel 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung ). Nach Artikel 28 Absatz 2 der Dublin-III-Verordnung ist eine Inhaftnahme nur zulässig zum Zweck der Sicherstellung von Überstellungsverfahren. Sofern eine Überstellung in den nach der Dublin-III-Verordnung an sich zuständigen Mitgliedstaat nicht möglich ist und auch eine Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nicht in Betracht kommt, bleibt auch kein Raum mehr für die Inhaftnahme zum Zweck der Sicherung der Überstellung. Folglich kommt eine Anordnung von Haft in diesen Fällen nicht in Betracht. Der in § 2 Absatz 15 Satz 2 AufenthG-E geregelte, mögliche Anhaltspunkt für die Annahme einer Fluchtgefahr in Dublin-Fällen kommt somit nur zum Tragen, wenn die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat überhaupt möglich ist, wobei das Vorliegen dieses Anhaltspunktes auch dann nicht automatisch zu einer Inhaftnahme führen würde. Es bedarf vielmehr einer eingehenden Prüfung der Fluchtgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. Bundesratsdrucksache 642/14, S. 34). 23. Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält die Bundesregierung die Regelung in § 2 Absatz 15 Satz 2 AufenthG-E für vereinbar mit dem Bestimmtheitsgebot , angesichts dessen, dass die Inhaftierung unter Heranziehung dieser Vorschrift von einer Prognoseentscheidung abhängt, nämlich dass „Umstände […] konkret darauf hindeuten, dass [der Betroffene] den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will“? Wie bereits in der Antwort zu Frage 22 ausgeführt, richtet sich die Inhaftnahme im Rahmen von Dublin-Überstellungen nach Artikel 28 der Dublin-III-Verordnung . Nach Absatz 2 dieser Regelung setzt die Inhaftnahme u. a. das Bestehen einer erheblichen Fluchtgefahr voraus. Während der Begriff der „erheblichen“ Fluchtgefahr als Begriff des Europarechts autonom auszulegen ist, obliegt es dem nationalen Gesetzgeber nach Artikel 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung , Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr festzulegen. Der Gesetzentwurf regelt in § 2 Absatz 15 Satz 2 AufenthG-E insoweit einen spezifischen, nur für die Inhaftnahme im Dublin-Verfahren relevanten, möglichen Anhaltspunkt. Dieser setzt voraus, dass der Betroffene bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, trotz entsprechender Belehrung gemäß der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 in das Bundesgebiet eingereist ist und die Umstände seiner Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den für die Bearbeitung des Asylantrags zuständigen Staat nicht (wieder) aufsuchen möchte. Insoweit kann insbesondere von Bedeutung sein, wie und mit welcher Zielrichtung der Betroffene im Bundesgebiet unterwegs ist. Zugleich gibt es Umstände, die gegen die Annahme einer Fluchtgefahr sprechen, wie z. B. wenn sich der Ausländer nur kurzfristig – beispielsweise zum Einkauf oder zum Besuch von Freunden – nach Deutschland begeben hat. Welche Umstände im Einzelfall gegeben sind, ist objektiv nachprüfbar. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/4262 Selbst wenn ein Anhaltspunkt für die Annahme von Fluchtgefahr gegeben ist, tritt aber gleichwohl kein Automatismus bezüglich einer Inhaftnahme ein. Es bedarf vielmehr stets der sorgfältigen Berücksichtigung aller weiteren Umstände des Einzelfalles (vgl. die Antwort zu Frage 22). Die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Prognoseentscheidung im Hinblick darauf, dass sich der Betroffene der Überstellung möglicherweise durch Flucht entziehen könnte, ist bereits durch Artikel 28 Absatz 2 der Dublin-III-Verordnung vorgegeben, der das Bestehen einer erheblichen Fluchtgefahr zur Voraussetzung für die Inhaftnahme macht. 24. Warum hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf davon abgesehen , Alternativen zur Abschiebungshaft gesetzlich vorzusehen? Die Prüfung milderer Mittel vor der Anordnung von Abschiebungshaft ist auch schon im geltenden Recht verankert: § 62 Absatz 1 Satz 1 AufenthG stellt klar, dass die Abschiebungshaft unzulässig ist, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes Mittel erreicht werden kann. Mögliche Alternativen zur Haft werden in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz zu § 46 Absatz 1 AufenthG benannt. Ob und inwieweit es darüber hinaus ggf. zusätzlichen Regelungsbedarf im Hinblick auf die Alternativen zur Haft gibt, wird die Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) und der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) prüfen. 25. Wie unterscheidet sich der Ausreisegewahrsam nach § 62b AufenthG-E von der Unterbringung in einer Ausreiseeinrichtung nach § 61 Absatz 2 AufenthG, und aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung daran fest, beide Vorschriften nebeneinander bestehen zu lassen? § 62b AufenthG-E dient der Sicherstellung der Durchführbarkeit von konkret geplanten Abschiebungsmaßnahmen. Die Vorschrift sieht zu diesem Zweck eine auf maximal vier Tage begrenzte Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung vor, die der Ausländer nur im Fall der Abschiebung oder der freiwilligen Ausreise verlassen darf. Aufgrund dessen bedarf der Ausreisegewahrsam auch der Anordnung durch einen Richter. Bei den in § 61 Absatz 2 AufenthG genannten Ausreiseeinrichtungen handelt es sich dagegen um offene Einrichtungen. Sie sollen der besseren Erreichbarkeit der Betroffenen für die Behörden und Gerichte und der Förderung der freiwilligen Ausreise dienen. 26. Sollen nach Auffassung der Bundesregierung auf Grundlage des § 62b AufenthG-E Minderjährige in Gewahrsam genommen werden können? Wenn ja, aufgrund welcher Erwägungen hält die Bundesregierung die Ingewahrsamnahme von Minderjährigen für vereinbar mit der UN-Kinderrechtskonvention ? Wenn nein, wie wird dies rechtlich abgesichert? Wie aus dem in § 62b Absatz 3 AufenthG-E enthaltenen Verweis auf § 62 Absatz 1 AufenthG deutlich wird, ist die Anordnung von Ausreisegewahrsam bei einem Minderjährigen nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig. Kommt es bei Beachtung dieser Anforderungen im Einzelfall zur Anordnung eines Ausreisegewahrsams gegenüber einem Minderjährigen, sind bei dessen Vollzug nach Maßgabe von § 62b Absatz 3 AufenthG-E i. V. m. § 62a Absatz 3 AufenthG Drucksache 18/4262 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode alterstypische Belange zu berücksichtigen. Durch diese Vorgaben wird den Anforderungen der UN-Kinderrechtskonvention nach Auffassung der Bundesregierung Rechnung getragen (siehe auch Bundestagsdrucksache 18/316, Antwort zu Frage 29a). 27. Wer trifft nach Auffassung der Bundesregierung die Entscheidung, ob und ggf. wo eine Einrichtung zur Vollziehung des Ausreisegewahrsams geschaffen wird, und wer trägt die Kosten für den Betrieb einer solchen Einrichtung ? Nach der grundgesetzlichen Aufgabenverteilung ist dies Aufgabe der Länder. 28. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die durch die Schaffung solcher Einrichtungen entstehenden Kosten für den Bund, die Länder und ggf. die Betreiber von Flughäfen ein? Auf Basis der derzeit vorliegenden Informationen ist es nicht möglich, die Kosten valide zu schätzen. Dies hängt u. a. davon ab, ob die für den Vollzug des Ausreisegewahrsams notwendigen Einrichtungen in jedem Fall neu geschaffen werden müssen oder ob bereits bestehende Unterkünfte (nach § 15 Absatz 6 Satz 1 AufenthG) für den Ausreisegewahrsam genutzt werden können. 29. Wird der Bund die Kosten für den Betrieb solcher Einrichtungen übernehmen ? Wenn ja, in welcher Höhe, nach welchen Modalitäten, und auf welcher rechtlichen Grundlage? Wenn nein, warum nicht? Der Bund wird keine Kosten für den Betrieb solcher Einrichtungen übernehmen , da es sich um eine Aufgabe der Länder handelt (siehe auch die Antwort zu Frage 27). 30. Trifft es zu, dass die Europäische Kommission die Bundesregierung darauf hingewiesen hat, dass ein Rundschreiben des Auswärtigen Amts an die Auslandsvertretungen zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Juli 2014 in der Rechtssache Dogan (C-138/13), mit dem das Erfordernis des Nachweises einfacher Deutschkenntnisse beim Ehegattennachzug mit dem Assoziationsrecht EWG-Türkei für unvereinbar erklärt wurde, nicht genüge, sondern eine Gesetzesänderung erforderlich sei? Die Europäische Kommission hat die Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Juli 2014 in der Sache Dogan (C-138/13) in einem Pilotverfahren (3395/12/ELAR) überprüft. Am 13. Januar 2015 teilte die Europäische Kommission mit, dass sie die Umsetzung der Dogan-Entscheidung im Erlasswege für unzureichend hält. Das Pilotverfahren wurde geschlossen und weitere Schritte (Vertragsverletzungsverfahren) vorbehalten. Zu den Einzelheiten der im Pilotverfahren ausgetauschten Schriftsätze und Argumente verweist die Bundesregierung auf ihre Antwort auf die Schriftliche Frage 29 der Abgeordneten Sevim Dağdelen auf Bundestagsdrucksache 18/4001. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/4262 31. Warum hat die Bundesregierung davon abgesehen, in ihrem Gesetzentwurf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Juli 2014 in der Rechtsache Dogan (C-138/13) umzusetzen und das Erfordernis des Nachweises einfacher Deutschkenntnisse im Visumsverfahren beim Ehegattennachzug ganz oder zumindest entsprechend des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. Januar 2015 (OVG 7 B 22.14) beim Nachzug zu Berechtigten nach dem Assoziationsabkommen EWG/ Türkei aufzuheben? Soweit sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Dogan Anpassungsbedarf mit Blick auf eine stärkere Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalls ergeben hat, wurde die Entscheidung durch entsprechende administrative Maßnahmen vorläufig in die Praxis umgesetzt . Die Bundesregierung prüft nach Abschluss des Pilotverfahrens zur Umsetzung der Dogan-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg vom 30. Januar 2015 (OVG 7 B 22.14) etwaigen gesetzlichen Anpassungsbedarf beim Sprachnachweis zum Ehegattennachzug. Die Bundesregierung beabsichtigt allerdings, gegen die Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg in Revision zu gehen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333