Deutscher Bundestag Drucksache 18/4263 18. Wahlperiode 09.03.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/3976 – Entschädigungen für zivile Opfer in Afghanistan Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Nach 13 Jahren Krieg in Afghanistan wird der Öffentlichkeit weiterhin eine umfassende Bilanz der deutschen Kriegsbeteiligung im Rahmen des Militäreinsatzes International Security Assistance Force (ISAF) vorenthalten. So hat bis heute keine Bundesregierung umfassende Informationen über unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte verletzte oder getötete Zivilpersonen und durch die Bundeswehr verursachte Sachschäden zusammengestellt und veröffentlicht . Weder die von der Bundesregierung veröffentlichen Fortschrittsberichte noch die regelmäßigen Unterrichtungen des Deutschen Bundestages liefern Erkenntnisse über das Ausmaß deutscher Verantwortung für Zerstörungen und Opfer des Afghanistankrieges. Selbst auf parlamentarische Fragen antwortet die Bundesregierung unzureichend. So hat die Bundesregierung jüngst in der Antwort auf die Schriftliche Frage 45 auf Bundestagsdrucksache 18/3812 zu Entschädigungen für unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte im Rahmen von ISAF verletzte, getötete oder von Sachschäden betroffene Zivilistinnen und Zivilisten einige Vorfälle aufgelistet. Die Auflistung gibt aber noch nicht einmal Aufschluss darüber, wie viele Zivilpersonen bei den jeweiligen Vorfällen verletzt bzw. getötet wurden. Die Antworten werfen zudem weitere Fragen zum Ausmaß der Kriegsschäden, der zivilen Opfer und der deutschen Entschädigungspraxis auf. Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Das Handeln der Bundeswehr in Afghanistan war und ist von dem Bemühen getragen, Schäden für die Zivilbevölkerung so weit wie irgend möglich zu vermeiden . Sofern dennoch Schäden entstanden sind, bestehen im Rahmen bewaffneter Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom 5. März 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Konflikte keine individuellen Ausgleichsansprüche. Denn Rechtsansprüche einzelner Personen auf Schadensersatz ergeben sich insoweit weder aus dem humanitären Völkerrecht noch aus dem deutschen Staatshaftungsrecht. Schadensersatzansprüche nach deutschem Haftungsrecht können im Auslandseinsatz nur dann in Betracht kommen, wenn kein Zusammenhang mit einem Drucksache 18/4263 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode bewaffneten Konflikt besteht (z. B. schuldhaft verursachte Verkehrsunfälle bei reinen Versorgungsfahrten). Gleichwohl wurden Zahlungen im Einzelfall auch außerhalb rechtlicher Verpflichtungen geleistet, z. B. aus humanitären Gründen oder um der afghanischen Entschädigungskultur zum Schutz der eigenen Soldaten zu entsprechen. 1. Wie kam es zu dem Personenschaden durch Schussabgabe am 15. Januar 2010, in dessen Folge nach Angabe der Bundesregierung eine „Ersatzleistung “ in Höhe von 1 750 US-Dollar gezahlt wurde (bitte genaue Schilderung des Vorfalls)? Am 15. Januar 2010 näherte sich ein Kleinbus den an einem Kontrollpunkt (Checkpoint) in Chahar Darah in der Provinz Kundus eingesetzten deutschen Soldaten. Trotz der Handzeichen eines der Soldaten und des Aufblendens der Suchscheinwerfer setzte der Fahrer des Kleinbusses die Fahrt fort. Daraufhin wurden Warnschüsse abgegeben. Die Warnschüsse schlugen in das Fahrzeug ein. Eine nachträgliche Überprüfung der Waffenstation ergab, dass diese vermutlich aufgrund starker Erschütterungen durch Fahrten auf unbefestigten Straßen falsch justiert war. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat das Ermittlungsverfahren gegen den Schützen in Ermangelung eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt. a) Wie viele Personen wurden bei dem Vorfall verletzt bzw. getötet, wie viele davon waren Männer, Frauen, Kinder, und welcher Art waren die Verletzungen? Ein Mann erlitt eine Verletzung am Bein. Es wurde vor Ort Erste Hilfe geleistet und sodann eine Operation im Rettungszentrum des Regionalen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team, PRT) Kundus durchgeführt. b) Nach welchem Verfahren und durch wen wurde eine Prüfung des Vorfalls veranlasst, und wie wurde die Prüfung durchgeführt (bitte Verfahrensverlauf und Dienstgrad bzw. Institution angeben)? Die Untersuchung des Vorfalls wurde durch den Chef des Stabes des PRT Kundus veranlasst und durch die Feldjägereinsatzkompanie des PRT Kundus nach einer ISAF-internen Regelung (HQ ISAF SOP 307 Civilian Casualties Handling Procedures) durchgeführt. Die Entschädigungsforderung wurde auf der Basis des Feldjägerberichts und anhand von Gesprächen mit dem Geschädigten geprüft . c) Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde über die Zahlung einer „Ersatzleistung“ entschieden? Eine rechtliche Verpflichtung zum Schadensersatz bestand, wie in der Vorbemerkung der Bundesregierung ausgeführt, nicht. Die Entschädigung erfolgte ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. d) Wurde die Höhe der Zahlung anhand vorheriger Entschädigungsleistungen der Bundeswehr oder anderer NATO-Staaten, durch Verhandlungen oder anderweitig ermittelt (bitte mit Erläuterung)? Die Höhe der Zahlungen wurde unter Berücksichtigung ortsüblicher Maßstäbe mit dem Geschädigten ausgehandelt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4263 2. Wie kam es zu dem Personenschaden durch Schussabgabe am 17. Januar 2010, in dessen Folge nach Angabe der Bundesregierung eine „Ersatzleistung “ in Höhe von 7 900 US-Dollar gezahlt wurde (bitte genaue Schilderung des Vorfalls)? Am 17. Januar 2010 richteten deutsche Kräfte nach einer Warnmeldung am westlichen Ortsausgang von Kundus einen Checkpoint ein. Dort bildete sich ein Fahrzeugstau, aus dem plötzlich ein Fahrzeug ausscherte und auf die Soldaten zufuhr. Deutliche Haltesignale wie Handzeichen, Zurufe und Warnschüsse ignorierte der Fahrer des Fahrzeugs und setzte seine Fahrt mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Checkpoint fort. Daraufhin gaben die Soldaten zunächst Schüsse auf den Motorblock und anschließend auf die Windschutzscheibe ab. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Schützen in Ermangelung eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt. a) Wie viele Personen wurden bei dem Vorfall verletzt bzw. getötet, wie viele davon waren Männer, Frauen, Kinder, und welcher Art waren die Verletzungen? Die beiden männlichen Fahrzeuginsassen wurden verletzt. Der Fahrer verstarb wenig später im Krankenhaus. Der Beifahrer erlitt Verletzungen am Bein und an der Brust. b) Nach welchem Verfahren und durch wen wurde eine Prüfung des Vorfalls veranlasst, und wie wurde die Prüfung durchgeführt (bitte Verfahrensverlauf und Dienstgrad bzw. Institution angeben)? Die Untersuchung des Vorfalls wurde durch den Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents ISAF veranlasst und durch die Feldjägereinsatzkompanie des PRT Kundus nach einer ISAF-internen Regelung (HQ ISAF SOP 307 Civilian Casualties Handling Procedures) durchgeführt. Die Prüfung der Schadensersatzforderung erfolgte anhand des Feldjägerberichts, der Vernehmungsprotokolle der beteiligten Soldaten sowie aufgrund von Gesprächen mit dem Beifahrer . c) Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde über die Zahlung einer „Ersatzleistung“ entschieden? Auf die Antwort zu Frage 1c wird verwiesen. d) Wurde die Höhe der Zahlung anhand vorheriger Entschädigungsleistungen der Bundeswehr oder anderer NATO-Staaten, durch Verhandlungen oder anderweitig ermittelt (bitte mit Erläuterung)? Die Höhe der Zahlungen wurde unter Berücksichtigung ortsüblicher Maßstäbe mit dem Geschädigten bzw. den Hinterbliebenen unter Beteiligung des afghanischen Provinzdirektors ausgehandelt. Drucksache 18/4263 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 3. Wie kam es zu dem Personenschaden durch Schussabgabe am 7. April 2010, in dessen Folge nach Angabe der Bundesregierung eine „Ersatzleistung “ in Höhe von 1 500 US-Dollar gezahlt wurde (bitte genaue Schilderung des Vorfalls)? Am 7. April 2010 beobachtete der Scharfschütze einer Patrouille aus ca. 750 Metern Entfernung am Ortsrand von Omar Khel eine unbekannte Person, die sich verdächtig verhielt und ihr Mobiltelefon benutzte. Eine zivile Menschenmenge löste sich zu diesem Zeitpunkt auf. Die Patrouille ging aufgrund dieser Tatsachen davon aus, dass sie ausgespäht würde und ein Anschlag bevorstehe. Da andere geeignetere Maßnahmen nicht in Betracht kamen, gab der Scharfschütze im Rahmen des Verfahrens zur Handhabung militärischer Eskalationsstufen (sog. Force Escalation Procedures) einen Warnschuss ab. Später meldete sich ein männlicher afghanischer Zivilist bei der Wache des PRT Kundus und gab an, von deutschen Soldaten durch Beschuss am Fuß verletzt worden zu sein, woraufhin die Person im Rettungszentrum des PRT Kundus medizinisch behandelt wurde. a) Wie viele Personen wurden bei dem Vorfall verletzt bzw. getötet, wie viele davon waren Männer, Frauen, Kinder, und welcher Art waren die Verletzungen? Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen. b) Nach welchem Verfahren und durch wen wurde eine Prüfung des Vorfalls veranlasst, und wie wurde die Prüfung durchgeführt (bitte Verfahrensverlauf und Dienstgrad bzw. Institution angeben)? Die Prüfung des Vorfalls wurde durch den Kompaniechef der 1. Infanteriekompanie veranlasst und durch die Feldjägereinsatzkompanie des PRT Kundus durchgeführt. Die Entschädigungsforderung wurde anhand von Protokollen über die Vernehmung der beteiligten Soldaten, Gesprächen mit dem Geschädigten und ärztlichen Untersuchungsergebnissen geprüft. c) Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde über die Zahlung einer „Ersatzleistung“ entschieden? Eine rechtliche Verpflichtung zum Schadensersatz bestand nach den Ausführungen in der Vorbemerkung der Bundesregierung nicht. Eine Zahlung erfolgte im Rahmen der afghanischen Entschädigungskultur zur Vermeidung einer Eskalation in einem für die Bundeswehr unsicheren Gebiet. d) Wurde die Höhe der Zahlung anhand vorheriger Entschädigungsleistungen der Bundeswehr oder anderer NATO-Staaten, durch Verhandlungen oder anderweitig ermittelt (bitte mit Erläuterung)? Die Höhe der Zahlungen wurde unter Berücksichtigung ortsüblicher Maßstäbe mit dem Geschädigten ausgehandelt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4263 4. Wie kam es zu dem Personenschaden durch Schussabgabe am 13. November 2010, in dessen Folge nach Angabe der Bundesregierung eine „Ersatzleistung “ in Höhe von 2 000 US-Dollar gezahlt wurde (bitte genaue Schilderung des Vorfalls)? Am 13. November 2010 um 23:45 Uhr Ortszeit näherten sich zwei Personen auf einem Traktor mit eingeschalteten Scheinwerfern einem westlich des PRT Kundus eingerichteten Checkpoint. Die Personen begannen an der Straße hinter dem Traktor zu graben. Der Versuch der Kontaktaufnahme durch einen Sprachmittler blieb erfolglos. Daraufhin wurden Schüsse mit der Signalpistole sowie Warnschüsse abgegeben. Die Personen entfernten sich hierauf. Durch eigene Kräfte wurden anschließend die Scheinwerfer des Traktors mit gezielten Schüssen zerstört , um die Beleuchtung der eigenen Stellung und die Blendung durch diese Scheinwerfer zu beenden. Kurze Zeit später meldete sich ein afghanischer Zivilist mit einer Schussverletzung am Bein. Er wurde medizinisch erstversorgt und zur weiteren Behandlung in das Rettungszentrum des PRT Kundus verbracht. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Schützen in Ermangelung eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt. a) Wie viele Personen wurden bei dem Vorfall verletzt bzw. getötet, wie viele davon waren Männer, Frauen, Kinder, und welcher Art waren die Verletzungen? Ein Mann erlitt eine Schussverletzung am Oberschenkel. b) Nach welchem Verfahren und durch wen wurde eine Prüfung des Vorfalls veranlasst, und wie wurde die Prüfung durchgeführt (bitte Verfahrensverlauf und Dienstgrad bzw. Institution angeben)? Die Prüfung des Vorfalls wurde durch den Kompaniechef der 2. Kompanie sowie den Kommandeur des Ausbildungs- und Schutzbataillons Mazar-e Sharif veranlasst und durch die Feldjägereinsatzkompanie des PRT Kundus nach einer ISAF-internen Regelung (HQ ISAF SOP 307 Civilian Casualties Handling Procedures ) durchgeführt. Die Prüfung der Schadensersatzforderung erfolgte anhand des durch die Feldjäger niedergelegten Ereignisverlaufes sowie aufgrund von Gesprächen mit den Geschädigten. c) Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde über die Zahlung einer „Ersatzleistung“ entschieden? Auf die Antwort zu Frage 1c wird verwiesen. d) Wurde die Höhe der Zahlung anhand vorheriger Entschädigungsleistungen der Bundeswehr oder anderer NATO-Staaten, durch Verhandlungen oder anderweitig ermittelt (bitte mit Erläuterung)? Die Höhe der Zahlungen wurde unter Berücksichtigung ortsüblicher Maßstäbe mit dem Geschädigten ausgehandelt. Drucksache 18/4263 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 5. Handelt es sich bei den in der von der Bundesregierung vorgelegten Liste vom 20. Januar 2015 aufgeführten Vorfällen am 15. Januar 2010 und am 17. Januar 2010 (Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 45 auf Bundestagsdrucksache 18/3812 des Abgeordneten Jan van Aken) um dieselben Fälle, die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 20. Mai 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/1813 als „Force Escalations“ aufgeführt hat? Ja. 6. Aus welchem Grund werden die durch den Luftangriff bei Kundus getöteten Zivilistinnen und Zivilisten nicht in der vom Bundesministerium der Verteidigung erstellten Liste vom 20. Januar 2015 (siehe Antwort auf die Schriftliche Frage 45 auf Bundestagsdrucksache 18/3812), sondern gesondert aufgeführt? Es handelt sich um ein laufendes zivilgerichtliches Verfahren. 7. Was unterscheidet die Zahlung an die durch den Luftschlag bei Kundus betroffenen Familien von den in der Liste (siehe Antwort auf die Schriftliche Frage 45 auf Bundestagsdrucksache 18/3812) aufgeführten, als Ersatzleistungen deklarierten Zahlungen? Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. Es handelte sich um freiwillige sog. Ex-gratia-Zahlungen aus humanitären Gründen. 8. Wie viele Zivilpersonen sind nach heutigem Kenntnisstand der Bundesregierung bei dem Luftangriff bei Kundus getötet, verletzt oder anderweitig geschädigt worden (bitte einzeln auflisten und unter der Angabe, auf welchen Daten die Zahlen basieren)? Hierzu wird auf die Antworten der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksachen 17/8120 (Vorbemerkung der Bundesregierung und die Antwort zu Frage 1) sowie 17/3723 (die Antworten der Bundesregierung zu den Fragen 2, 3 und 4) verwiesen. Weitere Details zum Luftschlag bei Kundus am 4. September 2009 sind auf Bundestagsdrucksache 17/7400 (Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses als 1. Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 45a Absatz 2 des Grundgesetzes, Seite 83 ff.) zu entnehmen. Danach kamen diverse Untersuchungen (der afghanischen Regierung, der United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA –, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sowie der ISAF) insbesondere bezüglich der Opferzahlen zu unterschiedlichen Ergebnissen. 9. Wann liegen für die Bundesregierung „humanitäre“ Gründe für Zahlungen vor, und welche sind dies im Einzelnen? Zahlungen aus humanitären Gründen sind solche, die der Linderung akuter menschlicher Not dienen sollen, ohne dass hierzu eine rechtliche Verpflichtung bestünde. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/4263 10. Unterscheidet die Bundesregierung zwischen Zahlungen aus humanitären Gründen und Ersatzleistungen? Wenn ja, wie unterscheidet sie? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 11. In wie vielen Fällen wurde geprüft, ob Entschädigungen oder anderweitige Kompensations- oder andere Leistungen durch die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen zu leisten sind (bitte unter Angabe der Gesamtzahl aller registrierten Fälle)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine belastbaren Zahlen vor. 12. Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde darüber entschieden, ob ein Vorfall, bei dem Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden, untersucht und geprüft wird, ob Entschädigungen oder anderweitige Kompensations- oder andere Leistungen durch die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen zu leisten sind? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. 13. Aufgrund welcher Kriterien wurden Entschädigungen oder anderweitige Kompensations- oder andere Leistungen durch die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen geleistet bzw. abgelehnt (bitte Fälle einzeln und mit jeweiliger Begründung aufführen)? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. Listen über die im jeweiligen Einzelfall ausschlaggebenden Kriterien wurden nicht geführt. 14. In welchen Fällen lagen welche rechtlichen oder humanitären Gründe für die Entschädigungen oder anderweitigen Kompensations- oder andere Leistungen durch die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen vor, und welche waren dies im Einzelnen (bitte Fälle einzeln und nach rechtlichen und humanitären Gründen unterschieden auflisten)? Auf die Antwort zu Frage 13 wird verwiesen. 15. In welchen Fällen von unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte verletzten oder getöteten Zivilpersonen bestehen nach Auffassung der Bundesregierung rechtliche Verpflichtungen zur Zahlung von Entschädigungen oder sonstigen Kompensations- oder anderweitigen Leistungen (bitte unter Angabe von Beispielen)? Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen. Drucksache 18/4263 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 16. In wie vielen Fällen wurden Opfern, ihren Angehörigen oder Dritten Entschädigungszahlungen verweigert, und aufgrund welcher Bewertung (bitte Fälle einzeln und unter Angabe der Begründung auflisten)? Es wird auf die Antwort zu Frage 13 verwiesen. Beispielsweise wurden Entschädigungsforderungen aus Verkehrsunfällen abgelehnt , bei denen der zivile Fahrer zweifelsfrei die Alleinschuld trug. Forderungen wegen Flurschäden wurden abgelehnt, wenn die Eigentumsverhältnisse nicht hinreichend sicher geklärt werden konnten. 17. In wie vielen Fällen wurden aufgrund von Anzeigen bzw. Klagen Entschädigungen oder anderweitige Kompensations- oder andere Leistungen durch die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen geleistet (bitte Fälle einzeln auflisten)? Es wurden keine Entschädigungen bzw. anderweitige Kompensations- oder andere Leistungen aufgrund von Anzeigen oder Klagen gezahlt. 18. In wie vielen Fällen sind Anzeigen nicht zur Anklage gekommen bzw. wurden Klagen abgewiesen (bitte Fälle einzeln und mit jeweiliger Begründung auflisten)? Der Bundesregierung liegen keine belastbaren Zahlen über Strafanzeigen vor, da diese bei sämtlichen Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder erstattet werden können. Im Zuständigkeitsbereich des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof hat bislang keine Strafanzeige zu einer Anklage geführt . 19. Wie viele Anzeigen bzw. Klagen sind zurzeit noch nicht entschieden bzw. sind noch anhängig? Beim Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof sind keine Verfahren offen . Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 18 verwiesen. Mit Ausnahme der Entschädigungsklage von Opfern des Luftschlags bei Kundus, über die noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt, sind keine Klagen an- bzw. rechtshängig . 20. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass während der siebentägigen ISAF-Militäroffensive Operation HALMAZAG, während der unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte Schäden an Feldern verursacht wurden, für die die Bundesregierung laut eigenen Angaben 78 000 US-Dollar Ersatzzahlung geleistet hat, keine Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden bzw. dies nicht unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte? Und wenn ja, aufgrund welcher Untersuchung ist sie zu dieser Auffassung gelangt (bitte Untersuchungsbericht vorlegen bzw. Inhalt des Berichts dokumentieren )? Im Anschluss an Operationen, insbesondere beim Einsatz von Artillerie sowie von Luftnahunterstützung (Close Air Support) durch Kampfflugzeuge oder Kampfhubschrauber, wurde das eigene Lagebild durch eine Gefechtsschadensbeurteilung , das sogenannte Battle Damage Assessment, am Boden oder mit luftgestützten Aufklärungsmitteln verdichtet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/4263 Regelmäßiges und bewährtes Mittel zur weiteren Verdichtung des Lagebildes waren darüber hinaus Gespräche mit den Dorfältesten im Rahmen von Ältestenversammlungen (Shuren) in einem möglichst engen zeitlichen Zusammenhang mit durchgeführten ISAF-Operationen. In Bezug auf die Operation HALMAZAG wurde bereits im Rahmen der noch laufenden Gefechte am 31. Oktober 2010 sowie am 1. November 2010 jeweils eine Gefechtsschadensbeurteilung mit einem unbemannten Luftfahrzeug durchgeführt . Außerdem fand am 1. November 2010 eine erste Gesprächsrunde mit Dorfältesten in Quatliam statt. Am 2. November 2010 wurde eine zweite Gesprächsrunde in Quatliam unter Beteiligung lokaler Führer der benachbarten Ortschaften durchgeführt. Im Zeitraum 31. Oktober bis 4. November 2010 wurde darüber hinaus eine Gefechtsschadensbeurteilung durch Kampfhubschrauberbesatzungen aus der Luft durchgeführt. Am 10. Juli 2014 veröffentlichte die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) im Magazin „Monitor“ einen Bericht über die Operation HALMAZAG. Darin wurde behauptet , dass Opfer unter der unbeteiligten afghanischen Zivilbevölkerung durch die Bundeswehr verschwiegen worden seien. Im Nachgang zu dieser Sendung wurden die erhobenen Vorwürfe untersucht. Im Einsatzführungskommando der Bundeswehr wurden die dort vorliegenden Unterlagen insbesondere auch im Hinblick auf mögliche zivile Opfer erneut gesichtet. Im Bundesministerium der Verteidigung wurden alle vorliegenden relevanten Dokumente nochmals geprüft. Letztlich erfolgte eine Prüfung der Einträge in der Ereignisdokumentation (Joint Operation Cell Watch, JOCWatch) des ISAF-Regionalkommandos Nord sowie in den Ereignisdokumentationen der dem Regionalkommando Nord übergeordneten Führungsebenen (ISAF Joint Command und HQ ISAF) mit dem Ziel, Hinweise auf mögliche zivile Opfer zu finden. Zudem wurden alle Einträge in der Anfang 2009 eigens für derartige Vorfälle im ISAF-Hauptquartier in Kabul eingerichteten Stelle für die Untersuchung von Anschuldigungen bezüglich ziviler Opfer, die auf die ISAF-Operationsführung zurückzuführen sind (Civilian Casualties Tracking Cell), überprüft. Für den bezüglich der Operation HALMAZAG relevanten Gefechtszeitraum vom 31. Oktober bis 5. November 2010 sind dort keine behaupteten – und demenstprechend auch keine bestätigten – zivilen Opfer dokumentiert. Im Zuge der Operation HALMAZAG wurden durch die ISAF-Kräfte keine eigenen Erkenntnisse vor Ort gewonnen, die auf durch Waffenwirkung deutscher Soldaten zurückzuführende zivile Opfer hindeuteten. Zudem wurden auch keine glaubhaften Behauptungen oder Anschuldigungen in diese Richtung erhobe , und zwar weder in einem engen zeitlichen Zusammenhang noch in den nunmehr gut vier Jahren nach dem Ende der Operation HALMAZAG. 21. In welchen Verfahren und nach welchen Kriterien wird bzw. wurde nach Kenntnis der Bundesregierung von den anderen an ISAF beteiligten NATO-Truppenstellern über eventuelle Entschädigungen oder anderweitigen Kompensations- oder andere Leistungen entschieden (bitte nach Ländern und unter Beschreibung der jeweiligen Verfahren auflisten)? Die Verfahren und Kriterien der anderen an ISAF beteiligten NATO-Truppensteller sind der Bundesregierung nicht bekannt. Drucksache 18/4263 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 22. Inwieweit finden bzw. fanden zwischen den an ISAF beteiligten NATOTruppenstellern Absprachen bzw. ein Austausch über Verfahren, Kriterien und finanziellen Umfang von Entschädigungen oder anderweitigen Kompensations - oder andere Leistungen statt, und wurde dabei eine Angleichung angestrebt? Mit anderen NATO-Truppenstellern wurde festgelegt, dass jeder Teilnehmer für diejenigen Schäden verantwortlich ist, die durch sein Personal entstanden sind, und diese nach seinen eigenen nationalen Regularien abwickelt. Bei Verursachung eines Schadens durch mehrere Teilnehmer gemeinsam sollten diese Teilnehmer gemeinsam haften. Für Schäden, bei denen feststand, dass sie durch Personal eines oder mehrerer Teilnehmer verursacht wurden, die verursachenden Teilnehmer aber nicht zugeordnet werden können, sollten alle Teilnehmer gesamtschuldnerisch haften mit Ausnahme derjenigen Teilnehmer, die an der Schadensverursachung erwiesenermaßen nicht beteiligt gewesen sein konnten. 23. Nach welchen Kriterien, welchen Verfahren und durch welche Instanzen wurde in Fällen, bei denen unter Beteiligung von Einsatzkräften mehrere ISAF-Truppensteller-Zivilpersonen getötet oder verletzt wurden, entschieden , welcher Truppensteller gegebenenfalls Entschädigungen oder anderweitige Kompensations- oder andere Leistungen zu erbringen hatte (bitte einzeln nach Vorfällen und jeweiliger Begründung auflisten)? Auf die Antwort zu Frage 22 wird verwiesen. 24. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über in Menschenrechtsschutzabkommen für bestimmte Fälle vorgesehene individuelle Entschädigungsrechte , und inwiefern finden diese Anwendung in der deutschen Entschädigungs - bzw. Kompensationspraxis? Artikel 41 der „Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenwürde und Grundfreiheiten“ (EMRK) eröffnet dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Möglichkeit, der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zuzusprechen, wenn er feststellt, dass die EMRK oder ihre Protokolle verletzt worden sind, und das innerstaatliche Recht der betreffenden Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung gestattet. Artikel 75 des „Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs“ (Römisches Statut) ermöglicht es dem Internationale Strafgerichtshof (IStGH), gegen den wegen der Begehung von Verbrechen nach dem Römischen Statut Verurteilten eine angemessene Wiedergutmachung, wie u. a. eine Entschädigung der Opfer, anzuordnen. Mit Blick auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr kam bisher keine der beiden Regelungen zur Anwendung. 25. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte im Rahmen von ISAF insgesamt getötet oder verletzt? Es liegen der Bundesregierung keine belastbaren Statistiken vor, die Aufschluss über die insgesamt unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte getöteten oder verletzten Personen geben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/4263 26. Wie viele Zivilistinnen und Zivilisten wurden nach Kenntnis der Bundesregierung unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte im Rahmen von ISAF insgesamt getötet oder verletzt? Auf die Antwort zu Frage 25 wird verwiesen. 27. Nach welchem Verfahren und durch wen werden bzw. wurden die Daten über verletzte oder getötete Personen ermittelt und entschieden, ob es sich um Zivilpersonen handelt oder nicht (bitte ausführen)? Nach dem humanitären Völkerrecht in bewaffneten Konflikten besteht eine Verpflichtung zur gewissenhaften Unterscheidung zwischen geschützten Zivilpersonen und legitimen militärischen Zielen im Einsatz selbst. Eine Pflicht zur Ermittlung im Nachhinein gibt es nur beim Verdacht auf schwere Verletzungen dieser Verpflichtung. Maßgeblich für die Unterscheidung ist dabei, wann, wodurch und bis zu welchem Zeitpunkt eine Person unmittelbar an den Feindseligkeiten beteiligt und damit zulässiges Ziel direkter militärischer Gewaltanwendung ist. Dies betrifft zum einen Personen für die Dauer ihrer Beteiligung an einer spezifischen Handlung , die als Teilnahme an den Feindseligkeiten zu qualifizieren ist. Daneben sind Personen umfasst, die sich aufgrund ihrer Rolle und Funktion bei den gegnerischen Kräften dauerhaft an den Feindseligkeiten beteiligen („continuous combat function“) und damit auch außerhalb der Teilnahme an konkreten Feindseligkeiten zulässiges militärisches Ziel sind. Diese Vorgaben spiegelten sich auch im operativen Regelwerk der ISAF wider und wurden bei der Anwendung militärischer Gewalt berücksichtigt. Gemäß diesem Regelwerk wurden in Afghanistan solange alle Personen als Zivilpersonen eingestuft und behandelt, bis das Gegenteil ersichtlich wurde. Die vor Ort befindlichen und beteiligten Kräfte mussten aufgrund der jeweiligen Umstände, insbesondere des Verhaltens dieser Personen, entscheiden, ob es sich um legitime militärische Ziele handelt. Abhängig von den Rahmenbedingungen des ISAF-Einsatzes wurden durch das multinationale Hauptquartier in Kabul (HQ ISAF) die Vorgaben und Verfahren für die Gefechtsschadensbeurteilung erlassen. Nach jedem Wirkmitteleinsatz der deutschen Streitkräfte wird grundsätzlich eine solche Beurteilung durchgeführt. Aufgrund der multinationalen Einbindung der deutschen Streitkräfte sowie der Verschiedenheit der Einsätze und Wirkmittel gibt es jedoch kein nationales standardisiertes Verfahren, das für alle Bundeswehreinsätze gilt. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333