Deutscher Bundestag Drucksache 18/43 18. Wahlperiode 13.11.2013 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Karin Binder, Roland Claus und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/15 – Schiedsverfahren zwischen der Bundesregierung und dem Betreiberkonsortium der Toll Collect GmbH sowie der Weiterbetrieb des Mauterfassungssystems Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Durch die verspätete Inbetriebnahme der vom Betreiberkonsortium der Toll Collect GmbH entwickelten Technologie zur Erhebung der Autobahnmaut für Lkw sind dem Bund nach eigenen Angaben insgesamt Schäden von ca. 5 Mrd. Euro entstanden, die sich mitsamt Zinsen inzwischen auf ca. 7 Mrd. Euro belaufen . Seit 2005 läuft das Schiedsverfahren I zwischen der Bundesregierung und dem Betreiberkonsortium, bestehend aus Deutscher Telekom AG, Daimler AG und Cofiroute, in dem der Bund diese Mittel geltend macht. Schon mehrere Male gab es Berichte über eine bevorstehende außergerichtliche Einigung, bei der der Bund auf große Teile seiner Forderungen verzichten sollte. Zuletzt berichtete die „Berliner Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 12./13. Oktober 2013 über entsprechende Gespräche. Zum 31. August 2015 läuft zudem der Betreibervertrag mit der Toll Collect GmbH zur Mauterhebung auf Bundesautobahnen sowie vierspurigen Bundesstraßen aus, ohne dass es bislang zu einer Entscheidung über den weiteren Betrieb nach diesem Zeitpunkt gekommen wäre. Noch hat die Bundesregierung nicht deutlich gemacht, ob sie eine Übernahme der Toll Collect GmbH durch den Bund, einen Weiterbetrieb durch das bisherige Konsortium oder eine Neuausschreibung des Betriebs beabsichtigt. Die Fragen eines Abschlusses des Schiedsverfahrens zwischen der Bundesregierung und der Toll Collect GmbH sowie die Frage des Weiterbetriebs der Mauterhebung scheinen eng miteinander verknüpft zu sein. 1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es Gespräche zwischen der Bundesregierung und dem Toll-Collect-Betreiberkonsortium im Hinblick auf eine außergerichtliche Einigung im Schiedsverfahren I gibt (vgl. Bericht Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 12. November 2013 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. der Berliner Zeitung vom 12./13. Oktober 2013)? 2. a) Falls es solche Gespräche gibt, welche Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung, des Verkehrsausschusses, des Haushaltsausschusses Drucksache 18/43 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode und gegebenenfalls weiterer Ausschüsse des Deutschen Bundestages waren und sind dabei einbezogen? b) Wie will die Bundesregierung die demokratische Kontrolle über eine mögliche außergerichtliche Einigung sicherstellen? Die Fragen 1 und 2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Es gibt derzeit keine Gespräche zwischen dem Bund und den Toll-Collect-Unternehmen über eine außergerichtliche Beilegung der Maut-Schiedsverfahren. 3. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass gemäß einer Empfehlung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie in einem solchen Vergleich lediglich 2,5 Mrd. Euro Schadenersatz vom Toll-Collect-Betreiberkonsortium an den Bund gezahlt werden sollen (vgl. Bericht der Berliner Zeitung vom 11. Oktober 2013)? Es gibt keine Festlegung des Bundes zur Höhe des Betrages für eine denkbare vergleichsweise Erledigung der im Maut-Schiedsverfahren I von ihm erhobenen Zahlungsansprüche. 4. Gibt es andere Empfehlungen für die Höhe des Schadenersatzes, woher stammen diese, und womit sind sie begründet? Es gibt keine aktuellen Empfehlungen zur Höhe des Schadenersatzes. 5. Welche Höhe an Schadenersatz wäre aus Sicht der Bundesregierung angemessen ? Die Nennung eines Betrages ist schon allein deshalb nicht möglich, weil dies eine den Bund faktisch präjudizierende Wirkung sowohl für mögliche außergerichtliche Vergleichsverhandlungen als auch für das schiedsgerichtliche Verfahren hätte. 6. Wenn, wie die Bundesregierung schrieb, in Vergleichsgesprächen „jede Partei auf einzelne Positionen verzichtet oder diese modifiziert“ (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD zu den Fragen 6 bis 8 auf Bundestagsdrucksache 17/12795), worin bestünde der Verzicht auf Seiten des Toll-Collect-Betreiberkonsortiums, der einer vergleichsweise geringen Schadenersatzsumme für den Bund gegenüberstünde ? Sämtliche im Maut-Schiedsverfahren I vom Bund geltend gemachten Zahlungsansprüche (Schadenersatz- und Vertragsstrafenansprüche) werden von den beklagten Toll-Collect-Unternehmen in vollem Umfang bestritten. Ein möglicher Vergleich, der die Zahlung einer Schadensersatzsumme durch die Toll-CollectUnternehmen zum Inhalt hätte, setzt daher in jedem Fall – unabhängig von der Höhe einer Schadenersatzsumme – voraus, dass die Toll-Collect-Unternehmen ihre Positionen zur Schadenersatzforderung des Bundes nicht aufrecht erhalten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/43 7. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Interessen des Bundes bei einer außergerichtlichen Einigung gewahrt bleiben, vor dem Hintergrund der Aussage: „Voraussetzung für einen Vergleichsabschluss ist aus Sicht des BMVBS, dass er die Interessen des Bundes wahrt.“ (siehe Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD zu den Fragen 1 bis 4 auf Bundestagsdrucksache 17/12795)? Der Bund würde einer vergleichsweisen Beendigung der Maut-Schiedsverfahren nur zustimmen, wenn es dadurch im Ergebnis zu einem angemessenen Verhältnis zwischen dem wechselseitigen Nachgeben der Prozessparteien, der kurzfristigen Schaffung von Rechtssicherheit und dem voraussichtlichen weiteren Verlauf der Schiedsverfahren kommt. 8. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass eine außergerichtliche Einigung mit dem Verzicht auf Forderungen an das Toll-Collect-Betreiberkonsortium eine strafrechtliche Relevanz, insbesondere im Hinblick auf Veruntreuung von Steuergeldern, entfalten könnte (bitte mit Begründung)? Die Beendigung eines Rechtsstreits durch Abschluss eines Vergleichs soll eine wechselseitige Unsicherheit über Bestand und Umfang von Forderungen sowie über das Ergebnis der Meinungsbildung eines zur Entscheidung berufenen Gerichts beseitigen. Es geht mithin nicht um den Verzicht auf einen unstreitigen Anspruch. 9. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der Lkw-Mautvertrag eine Renditegarantie von 1 Mrd. Euro für das Toll-Collect-Betreiberkonsortium beinhaltet (vgl. Bericht der Berliner Zeitung vom 12./13. Oktober 2013)? 10. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine vertraglich festgelegte Renditegarantie sittenwidrig ist (bitte mit Begründung)? Die Fragen 9 und 10 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Der Betreibervertrag enthält keine Renditegarantie für das Toll-Collect-Betreiberkonsortium . Die Frage der Sittenwidrigkeit einer vertraglich festgelegten Renditegarantie stellt sich daher vorliegend nicht. 11. Sind inzwischen die Vorschläge der Beratergruppe „Maut 2015“ zur Ausgestaltung des künftigen Mautsystems in Deutschland nach Auslaufen des aktuellen Betreibervertrages bekannt (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD zu den Fragen 10 bis 13 auf Bundestagsdrucksache 17/12795)? Falls ja, welche Form des Weiterbetriebs wird von der Gruppe für erstrebenswert befunden? Falls nein, wann werden die Vorschläge erwartet? 12. Welche Form des Weiterbetriebs des Mauterfassungssystems spätestens nach dem 31. August 2015 favorisiert die Bundesregierung (bitte mit Begründung )? 13. Wird die Bundesregierung die „Call-Option“ ziehen und gegebenenfalls eine Neuausschreibung des Mauterfassungssystems veranlassen, zumal andere technische Dienstleister sich nach Informationen der Fragesteller Drucksache 18/43 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode bereits angeboten haben, das System weiter zu betreiben (bitte mit Begründung )? Die Fragen 11 bis 13 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Sicherstellung des Mautbetriebs nach regulärem Auslaufen des Betreibervertrages am 31. August 2015 wird die neue Bundesregierung entscheiden. 14. Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, nach denen das bisherige Betreiberkonsortium in seiner derzeitigen Zusammensetzung kein Interesse daran hat, die Toll Collect GmbH in der bestehenden Form weiterzuführen – vgl. Bericht in DER TAGESSPIEGEL vom 9. Januar 2012 – (bitte mit Begründung)? Der Bundesregierung liegen darüber keine Erkenntnisse vor. 15. Teilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund ihrer eigenen Aussage (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD zu Frage 17 auf Bundestagsdrucksache 17/12795), dass der Bund gemäß Betreibervertrag verlangen könne, dass die Anlagen und Einrichtungen des Mautsystems nach Ablauf der regulären Laufzeit des Betreibervertrages (also zum 31. August 2015) kostenlos auf ihn oder auf einen Dritten übertragen werden, die Auffassung, dass die Anteile der Toll Collect GmbH nach Ablauf des Betreibervertrages, abgesehen von den letzten noch ausstehenden Betriebskosten, nur kostenlos an den Bund übertragen werden könnten (bitte mit Begründung)? 16. Woraus begründet sich aus Sicht der Bundesregierung ein möglicher höherer Kaufpreis, obwohl doch alle Anlagengegenstände der Toll Collect GmbH bis zum Ablauf des Vertrages voll abgeschrieben sein müssen (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD zu den Fragen 19 und 20 auf Bundestagsdrucksache 17/12795)? 17. Wie begründet die Bundesregierung trotz der bis dahin abgeschriebenen Anlagegegenstände einen „strategischen Wert“ der Toll Collect GmbH nach Ablauf des Betreibervertrages, der sich angeblich erst im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens ermitteln lasse (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD zu den Fragen 19 und 20 auf Bundestagsdrucksache 17/12795)? 18. Widerspricht jeder Kaufpreis für die Toll Collect GmbH nach dem 31. August 2015, der über die noch ausstehenden Betriebskosten hinausgeht , nicht klar dem Betreibervertrag (bitte mit Begründung)? 19. Wie begegnet die Bundesregierung Vorwürfen, dass in einem höheren Kaufpreis des Bundes für die Übernahme der Toll Collect GmbH eine zumindest teilweise Rückzahlung der Strafzahlung des bisherigen Betreiberkonsortiums an den Bund gesehen werden könnte (vgl. Bericht der Berliner Zeitung vom 12./13. Oktober 2013)? Die Fragen 15 bis 19 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Regelung des Maut-Betreibervertrages hinsichtlich der Übertragung von Anlagen und Einrichtungen des Mautsystems nach Abschluss der regulären Vertragslaufzeit betrifft ausschließlich Anlagen und Einrichtungen und nicht das Unternehmen Toll Collect GmbH. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/43 Im Falle einer Übernahme der Toll Collect GmbH vor Ablauf der regulären Laufzeit des Betreibervertrages (Call Option) durch den Bund richtet sich der Kaufpreis nach dem objektivierten Unternehmenswert. Dieser wird nach dem Ertragswertverfahren gemäß den Grundsätzen zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer ermittelt und durch einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer bestimmt. Hinsichtlich ausstehender Betriebskosten ist darauf hinzuweisen, dass diese nicht Teil eines Kaufpreises werden können, sondern einen noch ausstehenden Vergütungsanteil gemäß dem Betreibervertrag darstellen. 20. Beabsichtigt die Bundesregierung, eine geplante Ausweitung der LkwMaut auf alle Bundesstraßen mit dem bestehenden Mauterfassungssystems durchzuführen (bitte mit Begründung)? Eine Entscheidung darüber trifft die neue Bundesregierung. 21. Trifft der Bericht im „Handelsblatt“ vom 30. September 2013 zu, dass der nächste Termin bei den beiden Schiedsverfahren erst im Mai 2014 angesetzt ist, bzw. wann ist der nächste Verhandlungstermin? Der Termin einer für Ende September/Anfang Oktober 2013 geplanten mündlichen Verhandlung in beiden Schiedsverfahren war wegen gesundheitlicher Verhinderung eines der Schiedsrichter aufgehoben worden. Die nächste mündliche Verhandlung wird im Mai 2014 stattfinden. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333