Deutscher Bundestag Drucksache 18/4381 18. Wahlperiode 20.03.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Caren Lay, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/4232 – Auswirkungen der Erleichterung von Räumungsklagen nach den §§ 283a und 940a Absatz 3 der Zivilprozeßordnung Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Mit dem Mietrechtsänderungsgesetz aus dem Jahr 2013 (Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln, Mietrechtsänderungsgesetz – MietRÄndG, BGBl. I S. 434) wurden unter anderem die §§ 283a und 940a Absatz 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) neu eingeführt. Der § 283a ZPO sieht vor, dass soweit eine Räumungsklage mit einer Zahlungsklage aus demselben Rechtsverhältnis verbunden wird, das Prozessgericht auf Antrag des Klägers anordnet, dass der Beklagte wegen der Geldforderungen , die nach Rechtshängigkeit der Klage fällig geworden sind, Sicherheit zu leisten hat. Dies soll nur gelten, wenn die Klage auf diese Forderungen hohe Aussicht auf Erfolg hat und die Anordnung nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Abwendung besonderer Nachteile für den Kläger gerechtfertigt ist. Durch den § 940a Absatz 3 ZPO wurde die Räumung von Wohnraum durch eine einstweilige Verfügung ermöglicht, soweit die Räumungsklage wegen Zahlungsverzuges erhoben wurde und der Beklagte einer Sicherungsanordnung nach § 283a ZPO im Hauptsacheverfahren nicht Folge geleistet hat. Die Regelung bedeutet für den Mieter, soweit er wegen Zahlungsverzuges auf Räumung verklagt wird, dass er auf Antrag des Vermieters einen sogenannten Sicherungsbetrag hinterlegen muss. Ist ihm dies nicht möglich oder möchte er dies aus anderen Gründen nicht tun, kann durch die Neuregelung im einstweiligen Rechtsschutz, d. h. ohne dass im eigentlichen Verfahren über das Räumungsbegehren bereits entschieden wurde, die Räumung durchgeführt werden. Nach der Begründung im Gesetzentwurf (vgl. Bundestagsdrucksache 17/ 10485, S. 34) soll die Sicherungsanordnung dem Schutz des Vermieters über die Dauer des Räumungsverfahrens dienen. Deshalb, so der Gesetzentwurf, sei es in bestimmten Situationen nötig, „den Mieter aus der Wohnung zu zwingen, Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 19. März 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. bevor über seine Räumungsklage in der Hauptsache entschieden ist“. Die Regelung war seinerseits umstritten. So hieße es auf Bundestagsdrucksache 17/9559 zu Recht: „Bei der Räumung aufgrund einer einstweiligen Ver- Drucksache 18/4381 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode fügung besteht die große Gefahr, dass der Rechtsweg für betroffene Mieter verkürzt wird. Das Resultat der Regelung wäre, dass es einen Räumungstitel gäbe, ohne dass die vom Vermieter behaupteten Zahlungsansprüche geprüft und von einem Gericht für begründet erklärt worden sind (…).“ In der Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages am 15. Oktober 2012 hat beispielsweise der Sachverständige Prof. Dr. Markus Artz die mit der Regelung vorgenommene Bevorzugung des Vermieters gegenüber anderen Gläubigern des Schuldners als „nicht systemgerecht “ bezeichnet (www.webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?file ToLoad=2921&id= 1223). Der Sachverständige Dr. Ulf Börstinghaus ging in seiner Stellungnahme (www.webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?file ToLoad=2921&id=1223) davon aus, dass die Regelung vor allem ALG-IIEmpfänger betreffen werde und formulierte: „Eine Räumung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist rechtsstaatlich mehr als bedenklich.“ Der Sachverständige ging davon aus, dass die meisten Räumungsklagen sich gegen ALG-II-Beziehende richten und die ARGE oder die Jobcenter die Beträge kaum hinterlegen oder Sicherheit leisten werden. 1. In wie vielen Räumungsklagen, die mit einer Zahlungsklage verbunden waren, wurde nach Kenntnis der Bundesregierung ein Antrag auf Sicherungsanordnung nach § 283a ZPO durch den Vermieter gestellt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? 2. In wie vielen Fällen der Frage 1 wurde nach Kenntnis der Bundesregierung die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung durch das Gericht angeordnet (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? 3. In wie vielen Fällen, in denen die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung angeordnet wurde, waren nach Kenntnis der Bundesregierung Transferleistungsbeziehende betroffen (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? 4. In wie vielen Fällen der Frage 1 wurde nach Kenntnis der Bundesregierung die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung aus Gründen des § 283a Absatz 1 Nummer 2 ZPO, d. h. nach Abwägung der beiderseitigen Interessen, abgelehnt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? Die Fragen 1 bis 4 werden gemeinsam beantwortet. Für Räumungsklagen sind in erster Instanz stets die Amtsgerichte und in der Berufungsinstanz die Landgerichte sachlich zuständig. Die statistische Erfassung der Anträge auf Sicherungsanordnung gemäß § 283a ZPO einschließlich der an diesen Verfahren beteiligten Transferleistungsbeziehenden obliegt deshalb nach dem Grundgesetz den Ländern. Die Länder erfassen auf Grundlage bundeseinheitlicher Landesverwaltungsanordnungen statistische Informationen und übermitteln diese an das Statistische Bundesamt, das die Länderzahlen zu der jährlichen Bundesstatistik „Rechtspflege – Zivilgerichte“ (Fachserie 10, Reihe 2.1) zusammenstellt. Statistische Informationen zu der Anzahl der Anträge auf Sicherungsanordnung gemäß § 283a ZPO und der an diesen Verfahren beteiligten Transferleistungsbeziehenden werden dort nicht erfasst. 5. Wie viele Wohnungsräumungen nach § 940a Absatz 3 ZPO und damit im Rahmen einer einstweiligen Verfügung und vor Entscheidung im Hauptsacheverfahren wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit Inkrafttreten des Mietrechtsänderungsgesetzes im Jahr 2013 beantragt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4381 6. Wie viele Wohnungsräumungen nach § 940a Absatz 3 ZPO wurden nach Kenntnis der Bundesregierung seit Inkrafttreten des Mietrechtsänderungsgesetzes durchgeführt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? 7. Wie viele Wohnungsräumungen nach § 940a Absatz 3 ZPO betrafen nach Kenntnis der Bundesregierung Transferleistungsbeziehende (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? 8. Wie viele Betroffene einer Räumung nach § 940a Absatz 3 ZPO wurden nach Kenntnis der Bundesregierung durch die Räumung obdachlos (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? Die Fragen 5 bis 8 werden gemeinsam beantwortet. Auch die Anzahl der einstweiligen Verfügungen auf Räumung von Wohnraum gemäß § 940a Absatz 3 ZPO der an diesen Verfahren beteiligten Transferleistungsbeziehenden und der aufgrund entsprechender Anordnungen obdachlosen Personen wird von den Ländern nicht statistisch erhoben. Die Statistik weist allein die Anzahl der durch Beschluss erledigten Arrest- und einstweiligen Verfügungsverfahren in Wohnraummietsachen aus, wozu jedoch nicht nur einstweilige Verfügungen auf Räumung von Wohnraum gemäß § 940a Absatz 3 ZPO zählen. Wohnraummietsachen sind alle Streitigkeiten über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum oder über den Bestand eines solchen Mietverhältnisses. Im Jahr 2013 wurden in Wohnraummietsachen 2 108 Eilrechtsschutzverfahren durch Beschluss erledigt. Im Jahr 2012 – also vor Inkrafttreten des Mietrechtsänderungsgesetzes – waren es 2 027 Erledigungen. Inwieweit diese Zunahme (rund 4 Prozent) auf das Mietrechtsänderungsgesetz zurückzuführen ist, ist ungewiss. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 940a Absatz 3 ZPO in der Fassung des Mietrechtsänderungsgesetzes vom 11. März 2013 (BGBl. I S. 434) erst am 1. Mai 2013 in Kraft getreten ist. Aktuellere statistische Daten liegen nicht vor. 9. In wie vielen Fällen einer Räumung nach § 940a Absatz 3 ZPO hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung im Hauptsacheverfahren herausgestellt , dass der Kläger bzw. die Klägerin nicht zur Räumung berechtigt war (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? 10. In wie vielen Fällen nach Frage 9 haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Beklagten ihren alten Wohnraum zurückerhalten (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)? Die Fragen 9 und 10 werden gemeinsam beantwortet. Statistische Daten zur Anzahl der einstweiligen Verfügungen auf Räumung von Wohnraum gemäß § 940a Absatz 3 ZPO, bei denen sich im Hauptsacheverfahren deren Unrechtmäßigkeit herausstellt, oder zu der Anzahl der Personen, die danach ihren Wohnraum wieder zurückerhalten haben, werden ebenfalls nicht erhoben. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass derartige Fälle durch die gesetzlichen Regelungen weitgehend ausgeschlossen werden. Gemäß § 283a Absatz 1 ZPO darf das Gericht eine Sicherungsanordnung nur erlassen, wenn die Klage hohe Aussicht auf Erfolg hat (Nummer 1) und die Anordnung nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Abwendung besonderer Nachteile für den Kläger gerechtfertigt ist (Nummer 2). Insbesondere die hohen Anforderungen an die Erfolgsaussichten – das Gericht muss auf Grundlage von Mitteln des Strengbeweises zu einer weit überwiegenden Erfolgswahrscheinlichkeit gelan- gen – gewährleisten, dass eine einstweilige Verfügung nach § 940a Absatz 3 Drucksache 18/4381 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode ZPO nur in Betracht kommt, wenn auch die Hauptsacheklage höchstwahrscheinlich erfolgreich ist. 11. Erwägt die Bundesregierung, die Regelungen der §§ 283a, 940a Absatz 3 ZPO wieder abzuschaffen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Der Gesetzgeber hat sich bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Mietrechtsänderungsgesetz dafür ausgesprochen, die Vorschriften zur Sicherungsanordnung bei Räumungsklagen intensiv zu beobachten und sie im Falle der Bewährung auf weitere wiederkehrende Leistungen zu erstrecken (Bundestagsdrucksache 17/11894, S. 24). Die Bundesregierung beabsichtigt, die Vorschriften des Mietrechtsänderungsgesetzes zur Sicherungsanordnung und einstweiligen Verfügung auf Räumung von Wohnraum in Abstimmung mit den Ländern zu überprüfen, sobald aussagekräftige Ergebnisse über die praktische Handhabung erwartet werden können. Da die Vorschriften weitgehend erst zum 1. Mai 2013 in Kraft getreten sind, liegen derzeit noch keine belastbaren Daten vor. 12. Geht die Bundesregierung davon aus, dass soweit eine Beibehaltung der Regelung der §§ 283a, 940a ZPO erwogen wird, eine gesetzliche Schadensersatzleistung für die Fälle notwendig ist, in denen eine Räumung nicht rechtmäßig war? Wenn nein, warum nicht? Es besteht bereits eine weitreichende gesetzliche Regelung, die im Falle der unrechtmäßigen Räumung Schadensersatzansprüche vorsieht. Hat der Antragsteller eine einstweilige Verfügung auf Räumung von Wohnraum erwirkt, die sich – insbesondere im Hauptsacheverfahren – als von Anfang an unberechtigt erweist oder die nach § 926 Absatz 2 oder § 942 Absatz 3 ZPO aufgehoben wird, ist er gemäß § 945 ZPO zur Schadensersatzleistung verpflichtet. Der Antragsteller hat verschuldensunabhängig den durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung oder die Sicherheitsleistung zur Abwendung der Vollziehung oder Aufhebung der Maßregel entstehenden Schaden zu ersetzen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333