Deutscher Bundestag Drucksache 18/443 18. Wahlperiode 05.02.2014 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/318 – Mögliche Bespitzelung von Journalisten und Journalistinnen durch den Verfassungsschutz auch außerhalb Niedersachsens Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Laut Aussage des niedersächsischen Innenministers hat der Verfassungsschutz Niedersachsen in der Vergangenheit Daten von mindestens sieben Journalisten erhoben und gespeichert, obwohl es keinen „Extremismusbezug“ gegeben hat. Auf Anfrage einer betroffenen Journalistin hat der Verfassungsschutz im Jahr 2012 jedoch mitgeteilt, dass keine Daten gespeichert worden seien. Tatsächlich wurden die Einträge nach dem Eingang ihrer Anfrage in dem Moment gelöscht (www.ndr.de vom 25. September 2013). Die unzulässige Datenerhebung und -speicherung sei bekannt geworden, nachdem die Präsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes eine Prüfung der personenbezogenen Daten veranlasst hatte. Alle Speicherungen der Behörde zu rund 9 000 Personen würden derzeit überprüft. Der betroffenen Journalistin wurde bisher der Klageweg zur Klärung eines strafrechtlich relevanten Verhaltens der Verfassungsschutzbehörde Niedersachsen verwehrt. Ein betroffener Journalist hatte hingegen mit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht Göttingen Erfolg. Das Gericht erteilte der Überwachungspraxis des Nachrichtendienstes eine Absage und ordnete die Löschung fast aller Akten über den Kläger an. Das nährt den Verdacht, dass es zumindest Teil der Behördenpraxis sein könnte, Journalistinnen und Journalisten und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, aber auch Ärztinnen und Ärzte selbst als „extremistisch“ zu erfassen, die im Zusammenhang von Aktionen, denen ein so genannter Extremismusbezug zugeschrieben bzw. unterstellt wird, lediglich ihrem Beruf nachgehen. 1. Hat die Bundesregierung nach den unzulässigen Datenerhebungen und -speicherungen in Niedersachsen eine Prüfung der Speicherungspraxis von Journalistinnen und Journalisten, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 31. Januar 2014 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Ärztinnen und Ärzten durch die Nachrichtendienste des Bundes, insbesondere des Bundesamtes für Verfassungsschutz, veranlasst? Wenn nein, warum nicht? Drucksache 18/443 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Wenn ja, wann hat wer diese Prüfung veranlasst, welcher Zeitraum wurde dabei überprüft (mit Datumsangaben), und welche Ergebnisse haben sich ergeben? Im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und im Bundesnachrichtendienst (BND) werden keine Personen gezielt wegen ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalist, Arzt oder Rechtsanwalt erfasst. Das BfV speichert im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) Personen, wenn sie aufgrund extremistischer , terroristischer oder nachrichtendienstlicher Bezüge beobachtungswürdig sind. Anlass einer Speicherung in den Fachinformationssystemen des BND ist immer ein Bezug der gespeicherten Person zur Aufgabenstellung des BND gemäß § 1 Absatz 2 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG). Im Rahmen einer solchen Speicherung können dann auch Informationen zur beruflichen Tätigkeit der als nachrichtendienstlich relevant eingestuften Person miterfasst werden. Liegen bei den genannten Berufsgruppen die gesetzlichen Voraussetzungen zur Speicherung und Nutzung personenbezogener Daten vor, werden die entsprechenden Daten unabhängig von der beruflichen Betätigung gespeichert. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) wird auf Grundlage der für ihn geltenden gesetzlichen Grundlagen und bei Vorliegen der Voraussetzungen für seine Zuständigkeit tätig. Im Rahmen seiner gesetzlichen Zuständigkeiten und unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben erhebt, speichert und nutzt er personenbezogene Daten, soweit dies zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist. Im Bereich des MAD werden bei jeder Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten deren rechtliche Zulässigkeit – insbesondere anhand des Kriteriums der Erforderlichkeit – und die gegebenenfalls bestehende gesetzliche Verpflichtung zur Berichtigung, Löschung oder Sperrung geprüft. Die Umsetzung dieser gesetzlichen Verpflichtungen wird für den MAD durch zusätzliche Weisungen geregelt. Außerdem finden regelmäßige datenschutzrechtliche Kontrollen statt. Die insoweit durchgeführten Maßnahmen und Überprüfungen unterschiedlicher Stellen einschließlich der durch das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) im Rahmen der Rechts- und Fachaufsicht ausgeübten Kontrolle haben bislang keinen Anlass dazu gegeben, eine allgemeine Überprüfung der im MAD gespeicherten personenbezogenen Daten oder sonstige besondere Maßnahmen vergleichbarer Art vorzunehmen. 2. Wie viele Personen waren oder sind von dieser möglichen aktuellen Prüfung betroffen (bitte nach Behörde und Beruf aufschlüsseln)? 3. In wie vielen dieser Fälle ergaben die Prüfungen, dass Erfassung und Speicherung rechtswidrig erfolgt sind (bitte nach Behörde und Beruf aufschlüsseln )? 4. Wie viele Einträge wurden gelöscht, wie viele gesperrt, und in welcher Form wurden die Betroffenen von diesen Vorgängen informiert? 5. Wurde das Parlamentarische Kontrollgremium über diese Vorgänge informiert ? Die Fragen 2 bis 5 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/443 6. Welche Regelungen und Verfahren werden von den Nachrichtendiensten des Bundes grundsätzlich angewandt, um die rechtswidrige Erfassung von Personen zeitnah (bitte konkretisieren) zu überprüfen, und wie werden die Kontrollgremien über die Ergebnisse jeweils informiert? Das BfV ist nach § 12 Absatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) verpflichtet, die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich. Für den BND ergibt sich diese Pflicht aus § 5 Absatz 1 BNDG i. V. m. § 12 Absatz 2 BVerfSchG. Zusätzlich sind das BfV und der BND nach § 12 Absatz 3 Satz 1 BVerfSchG verpflichtet, bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen zu prüfen, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigten oder zu löschen sind. Die Frist für das BfV beträgt fünf Jahre, für den BND längstensfalls zehn Jahre (§ 5 Absatz 1 BNDG i. V. m. § 12 Absatz 3 Satz 1 BVerfSchG). Die Einhaltung der gesetzlichen Prüffristen wird durch ein automatisiertes dateigestütztes Wiedervorlagesystem technisch unterstützt. Außerdem unterliegen die im BfV gespeicherten Daten gemäß § 4g des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) der Kontrollkompetenz des behördlichen Datenschutzbeauftragten. Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch den BND unterliegt regelmäßigen Datenschutzkontrollen des behördlichen Datenschutzes . Eine routinemäßige Unterrichtung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, als des zuständigen Kontrollorgans für den Bereich Datenschutz, über das Ergebnis der Kontrollen erfolgt nicht. Eine solche Unterrichtung ist auch nicht gesetzlich vorgeschrieben. Für den MAD wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 7. Gab es in anderer Form Gespräche und Vereinbarungen, Dienstanweisungen und andere Konsequenzen nach Bekanntwerden der rechtswidrigen Erhebung von Personendaten zu Journalistinnen und Journalisten in Niedersachsen auf Bundesebene zu dieser Problematik? Die Frage ist für die Bundesebene zu verneinen. 8. Wie viele Personen der in Frage 1 genannten Berufsgruppen waren im Zeitraum von 1998 bis 2013 in den Datenbanken der Bundesnachrichtendienste erfasst (bitte nach Behörde, Beruf und Jahr und Anlass bzw. Bezug der Speicherung auflisten)? Im BfV und im BND werden keine Personen gezielt wegen ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalist, Arzt oder Rechtsanwalt erfasst. Sie werden vielmehr im BfV und BND erfasst, wenn sie in Erfüllung des jeweiligen gesetzlichen Auftrags beobachtungswürdig sind. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Eine statistische Erfassung der vom BfV und BND gespeicherten Personen nach ihrer beruflichen Tätigkeit erfolgt nicht. Konkrete Zahlen zu den genannten Berufsgruppen , die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerfüllung beobachtet werden, können daher nicht genannt werden. Es werden keine Statistiken über die ausgeübten Berufe von erfassten Personen geführt. In Bezug auf „Journalisten “ besteht zudem das Problem, dass schon die Berufsbezeichnung schwer definierbar ist, da diese keine geschützte Berufsbezeichnung ist und von anderen Berufsgruppen wie „Publizisten“ nicht klar abzugrenzen ist. Eine journalistische , rechtsanwaltliche oder ärztliche Tätigkeit stellt keinen Erfassungsgrund dar. Drucksache 18/443 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Für den MAD gilt im Hinblick auf die dort ebenfalls nicht geführte Statistik zu den Berufen der gespeicherten Personen Entsprechendes. Außerdem werden personenbezogene Daten auch im MAD nicht wegen ihrer beruflichen Tätigkeit gespeichert, sondern allein aufgrund der Erforderlichkeit zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben. Soweit der MAD im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung auch personenbezogene Daten zu Personen der oben genannten Berufsgruppen speichert, betrifft dies zum weit überwiegenden Teil seine Mitwirkungsaufgabe bei Sicherheitsüberprüfungen nach § 1 Absatz 3 des Gesetzes über den militärischen Abschirmdienst (MADG) in Verbindung mit dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG), in ganz wenigen Einzelfällen aber auch die Erfüllung der sonstigen gesetzlichen Aufgaben des MAD, insbesondere zur Extremismus-, Terrorismus- und Spionageabwehr sowie zur Einsatzabschirmung. Voraussetzung für das Tätigwerden des MAD bei Sicherheitsüberprüfungen ist die Zustimmung der „betroffenen“ Person oder „einzubeziehenden“ Person zur Sicherheitsüberprüfung (§ 2 Absatz 1 und 2 SÜG). Damit finden Sicherheitsüberprüfungen in Kenntnis dieser Personen statt. Eine Person aus den genannten Berufsgruppen kann zum Beispiel dann als „betroffene Person“ einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden, wenn sie im Rahmen einer Wehrübung oder aus einem anderen Grund mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll. Etwa könnte der Ehegatte dieser Person eine „einzubeziehende Person“ sein. Alleiniges Kriterium für die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung ist dabei die Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, nicht aber die berufliche Tätigkeit der zu überprüfenden Person. 9. Wie viele der in Frage 8 aufgeführten Einträge mussten als rechtswidrig gelöscht, und wie viele gesperrt werden (bitte nach Behörde, Beruf, Anlass bzw. Bezug der Speicherung und Jahr auflisten)? Im BfV sind keine Fälle der genannten Personengruppe bekannt, in denen gespeicherte personenbezogene Daten gemäß § 12 Absatz 2 BVerfSchG als rechtswidrig gelöscht oder gesperrt wurden. Für den BND wird auf die Antwort zu Frage 8, für den MAD auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 10. Wie viele dieser Löschungen mussten von den Betroffenen selbst erzwungen werden, wie viele davon in Gerichtsverfahren, und wie viele davon in mehrinstanzlichen Verfahren? 11. Gegen wie viele der rechtswidrig Erfassten wurden vor dieser Feststellung über öffentliche Quellen hinaus nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt? 12. Von wie vielen der rechtswidrig erfassten Personen wurden Informationen der Nachrichtendienste an andere in- und ausländische Stellen übermittelt, und in wie vielen Fällen wurden Informationen von anderen Stellen gemäß der jeweiligen gesetzlichen Grundlagen an die Nachrichtendienste (beispielsweise § 18 des Bundesverfassungsschutzgesetzes) übermittelt, bevor die Rechtswidrigkeit festgestellt wurde? Die Fragen 10 bis 12 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Es wird auf die Antwort zu den Fragen 1, 8 und 9 verwiesen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333