Deutscher Bundestag Drucksache 18/4474 18. Wahlperiode 26.03.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/4274 – Anwendung der US-amerikanischen Blockadegesetze gegen Kuba in der Europäischen Union (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/4083) Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Das Auswärtige Amt hat am 19. Februar 2015 über das Büro des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Stephan Steinlein, auf die Kleine Anfrage „Anwendung der US-amerikanischen Blockadegesetze gegen Kuba in der Europäischen Union“ geantwortet (Bundestagsdrucksache 18/4083). Aus dieser Antwort geht hervor, dass die Bundesregierung die extraterritoriale Anwendung der US-Blockade gegen Kuba im Rechtsraum der Europäischen Union und damit auch der Bundesrepublik Deutschland für völkerrechtswidrig erachtet. Auch erklärte die Bundesregierung, rechtliche Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben, die Durchsetzung von Strafmaßnahmen der USA gegen Kuba im Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland zu ahnden. Grundlage hierfür ist die Verordnung (EG) Nr. 2271/96. Dennoch bleibt die Bundesregierung detaillierte Angaben zur Anzahl und zum Ausgang von Fällen schuldig, bei denen deutschen Staatsbürgern aufgrund der Durchsetzung der US-amerikanischen Kuba-Blockade ein mutmaßlicher Schaden zugefügt wurde. Bei Nachrecherchen durch das Büro der Abgeordneten Heike Hänsel haben sich zudem Widersprüche zu den Aussagen der Bundesregierung in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage angedeutet . Im Folgenden sollen daher die Nachfragen zur Antwort des Auswärtigen Amts vom 19. Februar 2015 auf Bundestagsdrucksache 18/4083 gestellt werden. 1. Wie viele juristische oder natürliche Personen haben sich seit Erlass der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 an die Bundesregierung gewandt, um eine Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 23. März 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Verletzungen ihrer Rechte anzuzeigen? Zuletzt haben sich im Jahr 2014 zwei juristische Personen an die Bundesregierung gewandt, deren Sachverhaltsdarstellung auf eine mögliche Verletzung ihrer Rechte aus Verordnung (EG) Nr. 2271/96 hindeutet. Ebenfalls im Jahr 2014 hat Drucksache 18/4474 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode eine juristische Person sich direkt an die Europäische Kommission gewandt und auf eine mögliche Verletzung ihrer Rechte hingewiesen. Die Bundesregierung wurde über diesen Schritt in Kenntnis gesetzt. Im Jahr 2011 haben sich zwei juristische Personen und eine natürliche Person mit Bezug auf eine mögliche Verletzung ihrer Rechte direkt an die Bundesregierung gewandt. Für den Zeitraum seit Inkrafttreten der Verordnung im Jahr 1996 liegen der Bundesregierung keine konsolidierten Daten vor. 2. Besteht eine Rechtspflicht für juristische Stellen, im Falle einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung im hier behandelten Zusammenhang eine – auch mutmaßliche – Verletzung der Ratsverordnung (EG) Nr. 2271/96 an die Bundesregierung und bzw. oder die Institutionen der Europäischen Union zu melden? In Verfahren der streitigen Zivilgerichtsbarkeit sind die Gerichte unter den Voraussetzungen der §§ 12, 13 Absatz 1, §§ 15 bis 17 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) zur amtswegigen Mitteilung personenbezogener Daten an öffentliche Stellen für andere Zwecke als die des Verfahrens , für die die Daten erhoben worden sind, befugt. Zur Mitteilung verpflichtet sind sie im Regelfall nur dann, wenn dies besonders angeordnet oder in besonderen Vorschriften bestimmt ist. Die aufgrund der Ermächtigung gemäß § 12 Absatz 5 EGGVG erlassene „Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen“ (MiZi) sieht im Zusammenhang mit der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 keine ausdrückliche Mitteilungspflicht vor. Im Einzelfall ist eine Mitteilung allerdings auch ohne besondere Anordnung zu erstatten, soweit die Kenntnis der Daten aus der Sicht der übermittelnden Stelle zu den in §§ 13, 15 und 17 EGGVG genannten Zwecken erforderlich, die Mitteilung wegen eines besonderen öffentlichen Interesses unerlässlich ist und ihr keine besonderen bundes- oder landesgesetzlichen Verwendungsregelungen entgegenstehen. Die Entscheidung hierüber obliegt den jeweils zuständigen Richterinnen oder Richtern. 3. Wie hat die Bundesregierung von Informationen Kenntnis erlangt, die auf eine mögliche Verletzung der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 hinweisen? Entsprechende Informationen wurden zum einen direkt von natürlichen und juristischen Personen an die Bundesregierung adressiert. Daneben sind der Bundesregierung über Eingaben natürlicher Personen beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages Informationen übermittelt worden, die auf mögliche Verletzungen der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 hindeuten. Bei einem Gespräch im Auswärtigen Amt im August 2011 haben Vertreter der kubanischen Botschaft Zeitungsartikel übergeben, in denen mögliche Verletzungen der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 thematisiert wurden. 4. Wie viele dieser Fälle hat die Bundesregierung seit Erlass der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 an die Europäische Kommission gemeldet? Die Bundesregierung hat im Jahr 2011 den Fall einer juristischen Person an die Europäische Kommission gemeldet. In diesem Zusammenhang wurde auch auf eine ähnlich gelagerte Problematik bei weiteren juristischen Personen im Zusammenhang mit Handlungen der Firma Paypal Europe hingewiesen. Wenn die Hinweise auf eine Verletzung der VO (EG) 2271/96 schlüssig erscheinen, werden diese Informationen – mitunter auch aggregiert – an die Europäische Kom- mission weitergeleitet. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4474 5. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Aussage der Europäischen Kommission in einem Schreiben an die Abgeordnete Heike Hänsel, nach der ihr „keine von deutschen Behörden gemeldeten Informationen über die Verletzung der Ratsverordnung (EG) Nr. 2271/96 vorliegen“, vor allem angesichts der Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 18/4083, in der es heißt: „Vorliegende Unterrichtungen (über mögliche Verletzungen der genannten Verordnung) wurden […] an die Europäischen Kommission übermittelt“? Die Bundesregierung hat vor dem Hintergrund der Antwort zu Frage 4 dafür keine Erklärung. Zudem liegt der Bundesregierung das von den Fragestellern angeführte Schreiben nicht vor, so dass eine diesbezügliche Nachfrage bei der Europäischen Kommission nicht möglich war. 6. Will die Bundesregierung ihre in Frage 5 zitierte Aussage korrigieren? Die Bundesregierung sieht hierzu mit Verweis auf die Antwort zu Frage 4 keinen Anlass. 7. Wenn nein, an welche Stelle oder Stellen wurden diese Fälle gemeldet, wann, und auf welchem Weg? Am 25. August 2011 wurde der in der Antwort zu Frage 4 beschriebene Fall von der Bundesregierung per Email an die Europäische Kommission, Generaldirektion Handel (Trade Relations with North America), gemeldet. Am 13. Januar 2012 hat der damalige Leiter der Abteilung für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung im Auswärtigen Amt das Vorgehen der Firma Paypal Europe u. a. mit Bezug auf den zuvor geschilderten Fall gegenüber dem Generaldirektor Handel der Europäischen Kommission angesprochen und um Klärung gebeten. Seitdem gab es von Seiten der Europäischen Kommission dazu keine weitere Einlassung. 8. Wie viele Ermittlungsverfahren sind von den Hauptzollämtern eingeleitet worden, seit die Bundesregierung Sanktionen für den Fall von Zuwiderhandlung gegen einschlägige Vorschriften der o. g. Verordnung ermöglicht hat? Seit dem Jahr 2009 wurde von den Hauptzollämtern ein Bußgeldverfahren im Jahr 2012 wegen des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit nach § 33 Absatz 4 Satz 1 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) a. F. i. V. m. § 70 Absatz 5f der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) a. F. (seit 1. September 2013: § 19 Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 AWG i. V. m. § 82 Absatz 4 AWV) eingeleitet. Für den Zeitraum vor dem Jahr 2009 liegen keine Angaben mehr zu etwaigen Ordnungswidrigkeitenverfahren vor, da die entsprechenden Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind. 9. Wie viele dieser Ermittlungsverfahren wurden eingestellt oder zu einem Abschluss gebracht? Das eine beim Hauptzollamt Karlsruhe geführte Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde gemäß § 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) i. V. m. § 46 Absatz 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) eingestellt. Drucksache 18/4474 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 10. Wie ist die Zuständigkeit unter den 43 Hauptzollämtern bei Zuwiderhandlungen gegen einschlägige Vorschriften der Verordnung geregelt? Die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, für die die Hauptzollämter die zuständige Verwaltungsbehörde gemäß § 36 Absatz 1 Nummer 1 OWiG i. V. m. § 22 Absatz 3 Satz 1 AWG sind, erfolgt nicht bei allen 43 Hautzollämtern. Auf Grundlage von § 12 Absatz 3 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) wurde durch die Verordnung zur Übertragung von Zuständigkeiten auf Hauptzollämter für den Bereich mehrerer Hauptzollämter (HZAZustV) die Aufgabe bei insgesamt 18 Hauptzollämtern zentralisiert, die jeweils die Ahndung für den Bereich anderer Hauptzollämter übernehmen. Die Zuordnung der örtlichen Zuständigkeiten ist in der nachfolgenden Übersicht dargestellt: 11. In wie vielen Fällen von Ermittlungsverfahren durch die Hauptzollämter wurde ein Bußgeld auf Basis der Feststellung einer begangenen Ordnungswidrigkeit verhängt oder andersartige Maßnahmen ergriffen, die dem Ziel entsprechen, eine Zuwiderhandlung gegen einschlägige Vorschriften der genannten Verordnung (EG) Nr. 2271/96 zu sanktionieren? Innerhalb der geltenden Aufbewahrungsfristen sind keine Zuwiderhandlungen gegen die Anti-Boykott-Verordnung mit einem Bußgeld oder einer gleichartigen Sanktion geahndet worden (vgl. Antwort zu Frage 9). Übersicht der Strafsachen- und Bußgeldstellen (StraBu) der Zollverwaltung BFD HZA mit StraBu Örtliche Zuständigkeiten (HZA – Bezirke) Mitte Berlin Berlin, Potsdam Braunschweig Braunschweig, Hannover, Magdeburg Dresden Dresden Frankfurt (Oder) Frankfurt (Oder) Nord Bremen Bremen, Oldenburg, Osnabrück Hamburg-Stadt Hamburg-Stadt, Hamburg-Hafen Itzehoe Itzehoe, Kiel Stralsund Stralsund Südost Augsburg Augsburg, Landshut, München, Rosenheim Erfurt Erfurt Schweinfurt Schweinfurt, Nürnberg, Regensburg Südwest Karlsruhe Karlsruhe, Lörrach, Singen Saarbrücken Darmstadt, Saarbrücken, Koblenz Ulm Ulm, Heilbronn, Stuttgart West Aachen Aachen, Köln Frankfurt am Main Frankfurt am Main, Gießen Krefeld Krefeld, Duisburg, Düsseldorf Münster Münster, Bielefeld, Dortmund Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4474 12. Wurde die Möglichkeit zur Sanktionierung in Reaktion auf die Verordnung (EG) Nr. 2271/96 erlassen, oder beruft sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine bereits vor dem Jahr 1996 bestehende Regelung? Der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 82 Absatz 4 der AWV wurde mit der 39. Verordnung zur Änderung der AWV vom 27. Mai 1997 in die AWV eingefügt , um der in Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 enthaltenen Verpflichtung nachzukommen, Sanktionen für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen einschlägige Vorschriften der Verordnung festzulegen. 13. Welcher Art sind die Informationen, die der Bundesregierung vorliegen und die auf eine mögliche Verletzung der Bestimmungen der Verordnung hinweisen? Inwiefern hat sich die Bundesregierung um Klärung bemüht, ob tatsächlich Verletzungen der Bestimmungen der Verordnung vorliegen? Die der Bundesregierung vorliegenden Informationen, die auf eine mögliche Verletzung der Bestimmungen der Verordnung (EG) 2271/96 hinweisen, wurden von juristischen und natürlichen Personen übermittelt. Sie bestehenden zum Großteil aus der Übermittlung von Kommunikation (E-Mails, Briefe) mit anderen Wirtschaftsteilnehmern, die auf eine mögliche Verletzung der Bestimmungen der Verordnung hindeuten. Die Bundesregierung nimmt eine erste Bewertung der vorliegenden Informationen vor. Die Zuständigkeit für eine Prüfung des Sachverhalts auf eine mögliche Verletzung der Verordnung liegt bei der Europäischen Kommission. 14. Inwieweit sieht die Bundesregierung angesichts der Schäden für Betroffene durch die völkerrechtswidrige Anwendung der US-amerikanischen Blockadegesetze im Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland die Notwendigkeit, ein Unternehmensstrafrecht zu etablierten und so die Möglichkeit zu schaffen, dieses Vorgehen nicht nur als Ordnungswidrigkeit behandeln zu müssen? Die Einordnung von Verstößen gegen die Verordnung (EG) Nr. 2271/96 als Ordnungswidrigkeit entspricht der grundsätzlichen Orientierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des AWG mit dem Schwerpunkt der Strafbarkeit bei Verstößen gegen Embargos und Ausfuhrvorschriften. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333