Deutscher Bundestag Drucksache 18/4580 18. Wahlperiode 10.04.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/4358 – Rückführungen von Asylsuchenden in die Ukraine Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Seit Jahren werden ausländische Flüchtlinge – nach Recherchen des ARD-Magazins „Report Mainz“ (17. Februar 2015) und des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ (14. Februar 2015) – z. B. aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), wie Ungarn, Polen oder der Slowakei, in die Ukraine zurückgeführt . Zwischen 300 und 400 Flüchtlinge waren nach Erkenntnissen des so genannten Border Monitoring Project Ukraine (www.bordermonitoring-ukraine.eu/ statistics/) in den letzten Jahren davon betroffen. Sie stammen überwiegend aus Afghanistan, Tschetschenien und Somalia. Zu dem Faktum solcher so genannten Pushbacks in die Ukraine sind gut dokumentierte Berichte seit Langem bekannt, die aus dem Zeitraum vor dem Zusammenbruch des autoritären Janukowytsch-Regimes in der Ukraine im Februar 2014 stammen: ● Human Rights Watch: „Buffeted in the Borderland – The Treatment of Asylum Seekers and Migrants in Ukraine“ (2010), ● Border Monitoring Project Ukraine: „Access to Protection Denied – Refoulement of Refugees and Minors on the Eastern Borders of the EU – the case of Hungary, Slovakia and Ukraine“ (2011), ● Andrii Mazurenko (British Institute of International and Comparative Law): „Immigration Detention and the Rule of Law – National Report Ukraine“ (2013). Demnach werden aus der EU in die Ukraine zurückgeführte Menschen bis zu einem Jahr in so genannten Detention Centres interniert. Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben sie dort in der Regel nicht. Dafür aber enthalten die Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 7. April 2015 übermittelt . Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Dokumentationen glaubwürdige Berichte über fehlende medizinische Versorgung und Mangelernährung sowie Korruption in diesen Gewahrsamseinrichtungen . Überdies besteht immer die Gefahr einer Weiterschiebung – zurück in die Russische Föderation oder in andere Verfolgerstaaten. Drucksache 18/4580 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Gleichzeitig muss die Ukraine aufgrund der Aggression Russlands und der durch Russland unterstützten Milizen im Osten des Landes ca. eine Million Binnenflüchtlinge versorgen und unterbringen. Auch die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim durch die Russische Föderation führte zur Flucht tausender Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in das von der Ukraine kontrollierte Staatsgebiet. Neben dem faktischen Kriegszustand in den östlichen Regionen sieht sich das Land zeitgleich tiefgreifenden Umwälzungen und enormen Herausforderungen ausgesetzt, um die angestrebte Überwindung des bislang herrschenden oligarchischen und autoritären Regimes zu bewältigen und dauerhaft Demokratie und einen Rechtsstaat aufzubauen. Das Asylsystem in der Ukraine ist – so Human Rights Watch – schon lange vor der Annexion der Krim und der militärischen Destabilisierung durch Russland und durch von Russland unterstützte Kräfte „zusammengebrochen“. In den Jahren 2007 bis 2009 erhielten gerade einmal 284 Personen Asyl. Viele Flüchtlinge – wie z. B. aus Somalia – hatten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg, weil eine nichtstaatliche Verfolgung in der Ukraine nicht berücksichtigt wird (a. a. O., S. 6 f.). Diese Praxis von Rückführungen aus den EU-Staaten in die Ukraine ohne Zugang zu einem Asylverfahren in der EU stellt aus Sicht des UNHCR (Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) einen Verstoß gegen internationales Recht (ZEIT ONLINE, 14. Februar 2015) bzw. gegen die Europäische Menschenrechtskonvention dar (DER SPIEGEL, 14. Februar 2015). Angesichts dessen stellt sich die Frage der Verantwortung Europas bzw. der Bundesrepublik Deutschland: ● Zum einen trat im Jahr 2010 das Rückübernahmeabkommen mit der Ukraine in Kraft (ABl. L 332/48 vom 18. Dezember 2007). Dieses Abkommen lässt die sich für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Ukraine z. B. aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechte und Pflichten „unberührt“. ● Zum anderen erhielt die Ukraine – so „DER SPIEGEL“ – in den Jahren 2000 bis 2006 (im Rahmen des Strukturförderprojekts TACIS – Technical Aid to the Commonwealth of Independent States) 35 Mio. Euro für Projekte insbesondere im Bereich Grenzsicherung. Und im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik erhielt die Ukraine zwischen 2007 und 2010 weitere 30 Mio. Euro u. a. für die Einrichtung von Haftanstalten für Flüchtlinge. Und seit dem Jahr 2010 wurden z. B. der „International Organization of Migration“ nochmals 12,3 Mio. Euro zur Intensivierung der Grenzüberwachung und der Verbesserung der Rücknahmepraxis (GUMIRA-Projekt – Follow-Up – sowie die Projekte SURCAP und MIGRECO) zur Verfügung gestellt. ● Zur Umsetzung des Rücknahmeübereinkommens mit der Ukraine wurden aber auch auf mitgliedstaatlicher Ebene Gelder zur Verfügung gestellt – so z. B. durch die Bundesrepublik Deutschland (Human Rights Watch, a. a. O., S. 32 f.). 1. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten zehn Jahren von einem Mitgliedstaat der EU an die Ukraine rückgeführt (bitte nach Jahren und nach dem jeweiligen Grenzabschnitt aufschlüsseln, wie z. B. ukrainisch-slowakisch, ukrainisch-rumänisch, ukrainisch-polnisch, ukrainisch-ungarisch)? 2. Ist es zutreffend, dass die in den Jahren 2010 bis 2015 von der EU in die Ukraine rückgeführten Personen zu großen Teilen aus Afghanistan, Tschetschenien und Somalia stammten, also aus Ländern, bei denen in den Mitgliedstaaten der EU hohe Flüchtlingsanerkennungsquoten festzustellen sind (www.ec.europa.eu „Asylum quarterly report“, Dezember 2014)? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4580 Die Fragen 1 und 2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Durch die Bundespolizei wurden folgende Abschiebungen und Zurückschiebungen aus Deutschland auf dem Luftweg in die Ukraine festgestellt: Rückführungsmaßnahmen deutscher Behörden, die auf dem Landweg vollzogen werden, erfasst die Bundespolizei nicht nach Zielstaaten. Nach Kenntnis der Bundesregierung und basierend auf den Feststellungen der Bundespolizei fanden im Zeitraum der Jahre 2010 bis 2015 insbesondere keine Abschiebungen und Zurückschiebungen von Personen aus Afghanistan und Somalia in die Ukraine auf dem Luftweg statt. Volkszugehörigkeiten wie Tschetschenen werden von der Bundespolizei nicht statistisch erfasst. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Der Bundesregierung liegen ferner keine Erkenntnisse über Rückführungen von asylsuchenden Drittstaatsangehörigen vor, die von anderen Staaten der Europäischen Union (EU) in den vergangenen zehn Jahren bzw. in den Jahren 2010 bis 2015 in die Ukraine abgeschoben worden sind. 3. Welche Mittel wurden durch die EU seit dem Jahr 2000 für Projekte und Maßnahmen in der Ukraine zum Zwecke a) der Grenzsicherung bzw. Grenzüberwachung, b) des Baus bzw. des Unterhalts so genannter Temporary Holding Facilities bzw. Detention Centres für Drittstaatsangehörige, die aus der EU in die Ukraine zurückgeführt wurden, c) zur Förderung der Rückübernahmepraxis durch die Ukraine zur Verfügung gestellt (bitte nach Jahren, Zweck der Maßnahme, Name des Strukturprojekts , Projektnehmer bzw. Projektausführender sowie den jeweiligen Beträgen in Euro aufschlüsseln)? Die Ukraine ist begünstigter Staat des EU-Programms der Östlichen Partnerschaft , in dem u. a. eine Arbeitsgruppe zum Integrierten Grenzmanagement eingerichtet ist. Die EU unterstützt darüber hinaus seit dem Jahr 2005 die Entwick- Jahr Anzahl davon ukrainische Staatsangehörige 2005 902 898 2006 623 619 2007 325 322 2008 315 312 2009 398 389 2010 402 390 2011 242 240 2012 106 105 2013 80 79 2014 84 83 lung der Fähigkeiten des Grenz- und Zollmanagements in der Ukraine und Moldawien mit der EU Border Assistance Mission (EUBAM). Am 1. Dezember Drucksache 18/4580 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 2014 hat die EU außerdem die EU Advisory Mission (EUAM) begonnen, welche die ukrainischen Behörden bei der Erarbeitung von Sicherheitssektorstrategien berät und bei der Neuorganisation und -strukturierung der Sicherheitsbehörden unterstützt. Zur Schaffung eines integrierten Grenzmanagementsystems in der Ukraine hat die EU für den Zeitraum der Jahre 2011 bis 2015 60 Mio. Euro bereitgestellt. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 4. Welche Mittel wurden durch die EU seit dem Jahr 2000 für Projekte und Maßnahmen zur Förderung des Asylsystems in der Ukraine zur Verfügung gestellt (bitte nach Jahren, dem konkreten Zweck der Maßnahme, Name des Strukturprojekts, Projektnehmer bzw. Projektausführender sowie den jeweiligen Beträgen in Euro aufschlüsseln)? Aus dem Europäischen-Nachbarschaftspolitik-(ENP-)Jahresaktionsprogramm 2012 wurde eine Maßnahme zur Unterstützung der Ukraine in Migrations- und Asylverfahren finanziert (28 Mio. Euro). Diese Maßnahme diente der Unterstützung bei der Angleichung der ukrainischen Verfahren in den Bereichen Migration und Asyl an europäische und internationale Standards, beste Praktiken und Erfahrungen. Das Programm wurde in enger Abstimmung mit weiteren Organisationen (z. B. International Organization for Migration – IOM –, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen – UNHCR –, lokale Nichtregierungsorganisationen – NGOs – durchgeführt. Die Hilfe bezog sich hauptsächlich auf rechtliche und verfahrens- bzw. verwaltungstechnische Aspekte. 5. Welche Mittel wurden durch die Bundesregierung seit dem Jahr 2000 für Projekte und Maßnahmen in der Ukraine zum Zwecke a) der Grenzsicherung bzw. Grenzüberwachung, Die Bundesregierung erteilt regelmäßig Auskunft zu den seit dem Jahr 2008 stattfindenden Maßnahmen der grenzpolizeilichen Ausbildungs- und Ausstattungshilfe (Quartalsanfrage der Fraktion DIE LINKE.). In Bezug auf die Unterstützung der Ukraine wird hierzu auf die Antworten der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksachen 16/10252, 16/11314, 16/12968, 16/13897, 17/84, 17/ 866, 17/2845, 17/4939, 17/6034, 17/6710, 17/7617, 17/8688, 17/9536, 17/ 10450, 17/11251, 17/12469, 17/13437, 18/154, 18/2986 sowie 18/3979 verwiesen . b) des Baus bzw. des Unterhalts so genannter Temporary Holding Facilities bzw. Detention Centres für Drittstaatsangehörige, die aus der EU in die Ukraine zurückgeführt wurden, c) der Förderung der Rückübernahmepraxis durch die Ukraine zur Verfügung gestellt (bitte nach Jahren, Zweck der Maßnahme, Name des Strukturprojekts, Projektnehmer bzw. Projektausführender sowie den jeweiligen Beträgen in Euro aufschlüsseln)? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 6. Welche Mittel wurden durch die Bundesregierung seit dem Jahr 2000 für Projekte und Maßnahmen zur Förderung des Asylsystems in der Ukraine zur Verfügung gestellt (bitte nach Jahren, Zweck der Maßnahme, Name des Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4580 Strukturprojekts, Projektnehmer bzw. Projektausführender sowie den jeweiligen Beträgen in Euro aufschlüsseln)? Für den Zeitraum der Jahre 2000 bis 2009 sind vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Maßnahmen zur Förderung des Asylsystems in der Ukraine durchgeführt worden. So wurde u. a. im Jahr 1995 eine national finanzierte bilaterale Unterstützungsmaßnahme des Bundesamtes initiiert, welche neben weiteren Mitgliedern der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) die Ukraine als Ziel hatte. Das BAMF trug dabei die Kosten für einen Berater. Eine genauere Aufschlüsselung und Bezifferung der Kosten bedürfte weiterer Recherchen . 7. Wie viele „Temporary Holding Facilities“ bzw. „Detention Centres“ wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in der Ukraine seit dem Jahr 2000 für die Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen, die aus der EU in die Ukraine zurückgeführt wurden, gebaut? Nach Kenntnis der Bundesregierung befinden sich Aufnahmezentren für sich unerlaubt im Gastland aufhaltende Ausländer und Staatenlose in Tschernihiw, Wolyn (Gebiet Luzk), Jahodyn (Gebiet Kiew), Odessa und im Gebiet Transkarpatien . Eine weitere Einrichtung in Mykolajiw wird derzeit errichtet. 8. Wie viele dieser „Temporary Holding Facilities“ bzw. „Detention Centres “ liegen im Kriegsgebiet in der Ostukraine und in den von Russland unterstützten Kräften kontrollierten Gebiete? Nach Kenntnis der Bundesregierung gab es ein Aufnahmezentrum in Donezk, dessen Betrieb jedoch infolge der dortigen bewaffneten Auseinandersetzungen eingestellt wurde. Umsetzung des Rückübernahmeabkommens durch die Ukraine 9. Stellt nach Ansicht der Bundesregierung die Umsetzung des Rückübernahmeabkommens durch die Ukraine einen Erfolg dar, und wenn ja, warum? Probleme in der Anwendung des am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen EURückübernahmeabkommens mit der Ukraine sind nach Auskunft der Bundesländer , die im Rahmen ihrer Zuständigkeit den rechtmäßigen Vollzug des Aufenthaltsrechts eigenverantwortlich gewährleisten müssen, bisher nicht bekanntgeworden . Der Erfolg des EU-Rückübernahmeabkommens ist in dem für beide Seiten verbindlich vorgegebenen und festgeschriebenen transparenten und rechtstaatlichen Verfahren für die Erstellung von Rückübernahmeersuchen und den Vollzug der Rückführungen zu sehen. 10. Welche praktischen Folgen hat die Bestimmung in der Präambel des Rücknahmeübereinkommens, dass die sich für die Mitgliedstaaten der EU z. B. aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechte und Pflichten in den Fällen „unberührt“ bleiben, in denen Flüchtlinge auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates erklären, dort Asyl beantragen zu wollen, dieser Antrag aber nicht angenommen bzw. bearbeitet wird, sondern die asylsuchende Person unter Hinweis auf das Rücknahmeübereinkommen in die Ukraine zurückgeschoben wird? Solche Fälle sind der Bundesregierung nicht bekannt. Drucksache 18/4580 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Feststellung des UNHCR, dass die Praxis von Rückführungen aus der EU in die Ukraine gegen internationales Recht bzw. gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt ? Wie in der Antwort zu den Fragen 1 und 2 dargestellt, wurden nach Auskunft der zuständigen Bundesländer aus der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich keine asylsuchende Drittstaatsangehörigen oder abgelehnte Asylbewerber eines Drittstaates in die Ukraine abgeschoben. Über die Rückführungspraxis anderer Länder der EU liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Ukraine über die Rückübernahme von Personen nimmt in der Präambel ausdrücklich Bezug auf zentrale völkerrechtliche Übereinkünfte zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention, die Genfer Flüchtlingskonvention und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Artikel 14 Absatz 1 (Unberührtheitsklausel) stellt ausdrücklich klar, dass das Abkommen die Rechte und Pflichten, die sich aus dem Völkerrecht sowie den in der Präambel genannten und sonstigen internationalen Übereinkünften ergeben, unberührt lässt. Die hieraus resultierenden völkerrechtlichen Vorgaben dürfen als Rückführungshindernisse durch das Rückübernahmeabkommen nicht eingeschränkt werden und bestimmen auch den Rahmen, innerhalb dessen das innerstaatliche Recht die Rückführung von den betroffenen Personen regeln kann. Im Rahmen des mit der Ukraine abgeschlossenen EU-Rückübernahmeabkommens überwachen die Vertragsparteien durch ein Kontrollgremium (Artikel 15; gemischter Rückübernahmeausschuss), dass die genannten Regeln und völkerrechtlichen Vorgaben erfüllt werden. Dabei werden auf Grundlage der einschlägigen europäischen Regeln und völkerrechtlichen Vorgaben (EU-Richtlinien und zuvor genannte Übereinkünfte zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten) an die Rückführung strenge Anforderungen gestellt, die die Beachtung eines hohen Menschrechtsstandards vorgeben. Sollten sich Anhaltspunkte für eine nicht menschenrechtskonforme Praxis von Rückführungen aus der EU in die Ukraine ergeben, so geht die Bundesregierung davon aus, dass die Kommission die hierfür vorgesehenen Maßnahmen ergreifen und auf eine Korrektur hinwirken wird. Die Bundesregierung wird die Kommission gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Rahmen der dafür vorgesehen Gremien bei Bedarf unterstützen. Die Ukraine ist ferner Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonventionen und hat in jedem Einzelfall die sich aus der Rechtsstellung der Konventionen heraus ergebenden Regelungen zu beachten. 12. Sind der Bundesregierung Berichte bekannt, die sich kritisch mit der Frage der Zurückschiebung von Asylsuchenden aus der EU in die Ukraine bzw. mit der Behandlung dieser Menschen und ihrer Asylersuchen in der Ukraine beschäftigen? Wenn ja, a) welche diesbezüglichen Berichte kennt die Bundesregierung, b) was sind deren wesentlichen Inhalte (bitte nach den jeweiligen Berichten aufschlüsseln)? Neben den in den Vorbemerkungen erwähnten Berichten ist der Bundesregie- rung lediglich ein Bericht des UNHCR bekannt, der in allgemeiner Form zur Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/4580 Vorsicht bei Rückführungen rät (International Protection Considerations related to developments in Ukraine – Update II Januar 2015, Nummer 35, www. refworld.org/docid/54c639474.html). 13. Hält die Bundesregierung diese Dokumentationen für glaubwürdig, und wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung hat keine grundsätzlichen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Berichte, weist jedoch darauf hin, dass die dort beschriebenen Einzelfälle ganz überwiegend bereits einige Zeit zurückliegen. 14. Ist die Bundesregierung mit den Autoren dieser Berichte in Kontakt getreten , und wenn nein, warum nicht? Die Bundesregierung sah hierzu keine Veranlassung. Unabhängig von diesen Berichten steht sie jedoch in regelmäßigem Kontakt mit UNHCR und Human Rights Watch. 15. Hat die Bundesregierung die deutsche Botschaft in Kiew gebeten, Fragen der Umsetzung des Rückübernahmeabkommens durch die Ukraine bzw. die Behandlung aus der EU zurückgeschobener Menschen und die ihrer Asylersuchen in der Ukraine zu untersuchen? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Und wenn nein, warum nicht? Nein. Aus Sicht der Bundesregierung läge die primäre Zuständigkeit hierfür auch bei der EU-Delegation bzw. der Europäischen Kommission. 16. Hat die Bundesregierung die deutsche Botschaft in Kiew gebeten, „Temporary Holding Facilities“ bzw. „detention centres“ zu besuchen und mit den dort inhaftierten Personen über ihre Behandlung und Erlebnisse im Gewahrsam zu sprechen? Wenn ja, mit welchem Ergebnis? Und wenn nein, warum nicht? Nein. Die Deutsche Botschaft Kiew ist mit dem Besuch von Einrichtungen, in denen deutsche Staatsangehörige inhaftiert sind oder in denen von Deutschland ausgelieferte Personen inhaftiert werden sollen, vollständig ausgelastet. 17. Wäre ein solcher Besuch aus Sicht der Bundesregierung nicht aufschlussreich bzw. hilfreich? Es wird auf die Antwort zu Frage 16 verwiesen. Stand der Flüchtlingsanerkennungspraxis in der Ukraine 18. Wie viele asylsuchende Personen lebten bzw. leben nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. des UNHCR in der Ukraine (bitte für die letzten zehn Jahre aufschlüsseln)? Laut UNHCR leben derzeit in der Ukraine 5 701 asylsuchende Personen. Für vorhergehende Jahre liegen der Bundesregierung keine Zahlen vor. Drucksache 18/4580 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 19. Wie viele Personen wurden in den letzten zehn Jahren nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. des UNHCR in der Ukraine als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (bitte nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern aufschlüsseln)? Laut UNHCR leben derzeit in der Ukraine 3 132 anerkannte Flüchtlinge. Eine Aufschlüsselung nach Herkunftsstaaten liegt der Bundesregierung nicht vor. 20. Wie viele staatenlose Personen lebten bzw. leben nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. des UNHCR in der Ukraine (bitte für die letzten zehn Jahre aufschlüsseln), und was weiß die Bundesregierung über die Lebensbedingungen dieser Menschen? Laut UNHCR leben derzeit in der Ukraine 35 504 Staatenlose. Für vorhergehende Jahre liegen der Bundesregierung keine Zahlen vor. 21. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. des UNHCR die Zahl so genannter Binnenflüchtlinge (internal displaced personen) in den letzten Jahren und speziell nach Annexion der Krim durch Russland und Beginn der Kampfhandlungen im Osten des Landes entwickelt (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Der Bundesregierung liegen keine Daten zu Binnenflüchtlingen aus der Zeit vor der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim vor. Seit März 2014 ist die Zahl der Binnenflüchtlinge von der Krim stetig gestiegen, seit Ende April 2014 wird sie von der Zahl der Binnenflüchtlinge aus der Ostukraine, die insbesondere in den Monaten Juli und August 2014 stark angestiegen ist, deutlich übertroffen. Derzeit beträgt die Zahl der Binnenflüchtlinge nach Kenntnis der Bundesregierung etwa 1,152 Millionen Personen. 22. Kann man in der Ukraine unter den herrschenden Kriegsbedingungen im Osten des Landes und dem tiefgreifenden Umbruch staatlicher Institutionen derzeit von einem rechtsstaatlich funktionierenden Asylsystem sprechen ? a) Wenn ja, warum? b) Wenn nein, was folgt aus dieser Feststellung aus Sicht der Bundesregierung ? Es wird auf die Antwort zu Frage 25 verwiesen. 23. Kann die Bundesregierung die Feststellung von Human Rights Watch aus dem Jahr 2010 bestätigen, dass es im ukrainischen Asylrecht – im Vergleich zum Recht der EU – gravierende Schutzlücken gibt (z. B. wegen der Nichtberücksichtigung nichtstaatlicher Verfolgung)? Im Jahr 2011 hat das ukrainische Parlament ein Flüchtlingsgesetz angenommen, das das Asylsystem des Landes wesentlich verbessert hat und das seither mehrfach im Sinne umfassender Schutzgewährung weiter verbessert wurde. Der Bundesregierung liegen daher keine Hinweise darauf vor, dass es gegenwärtig gravierende Schutzlücken gäbe. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/4580 24. Wie beurteilt die Bundesregierung die Menschenrechtslage von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen in der Ukraine, und welche Auswirkungen hat sie nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. des UNHCR auf den Schutz von Flüchtlingen, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität in ihrem Herkunftsstaat in die Ukraine geflohen sind, durch die ukrainischen Behörden? Homosexualität ist in der Ukraine seit dem Jahr 1991 nicht mehr strafbar. Rechtlicher Diskriminierungsschutz besteht seit dem Jahr 2014 auf Grundlage einer Rechtsmeinung des Verfassungsgerichts, das ein Verbot der rechtlichen Diskriminierung wegen sexueller Orientierung der Verfassung entnimmt. In der gesellschaftlichen Praxis herrschen nach Kenntnis der Bundesregierung gleichwohl weiterhin erhebliche Vorbehalte gegen LGBTI-Personen (LGBTI – Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Intersexual Persons) vor. Zur Schutzgewährung für Flüchtlinge, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität in ihrem Herkunftsstaat in die Ukraine geflohen sind, liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. 25. Hat nach Einschätzung der Bundesregierung das Ausbrechen des Krieges in der Ukraine Folgen für das Funktionieren des Asylsystems in diesem Land, und wenn ja, welche, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Bundesrepublik Deutschland und die EU? Es ist davon auszugehen, dass das ukrainische Asylsystem in den Landesteilen, die infolge der Kampfhandlungen derzeit nicht unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung stehen, nicht angewendet wird. Hinsichtlich der übrigen Landesteile liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor, die daran zweifeln ließen, dass der Schutz ausländischer Flüchtlinge durch das nationale Flüchtlingsrecht der Ukraine weiterhin gewährleistet sei. Abschiebungen anerkannter Flüchtlinge oder Asylberechtigter finden nach Kenntnis der Bundesregierung nicht statt. 26. Hat die Bundesregierung bzw. hat die deutsche Botschaft in Kiew Erkenntnisse darüber, dass sich in den letzten drei Jahren in der Ukraine bzw. in bestimmten Landesteilen ● die Ausländerfeindlichkeit, ● das Ausmaß rassistischer Diskriminierungen, ● die Zahl fremdenfeindlicher Übergriffe bzw. so genannter Hassdelikte erhöht hat, und wenn ja, welche? Inwiefern sind nach Kenntnis der Bundesregierung von solchen Diskriminierungen und Übergriffen auch anerkannte Flüchtlinge, Asylsuchende oder staatenlose Personen betroffen? Die Bundesregierung hat keine derartigen Erkenntnisse. 27. Setzt sich die Bundesregierung innerhalb der EU infolge des Krieges in der Ukraine für ein Aussetzen des Rückübernahmeabkommens mit der Ukraine – zumindest für die Dauer des Konfliktes – ein, und wenn nein, warum nicht? Nein, die Bundesregierung hat dazu bislang keine Veranlassung gesehen. Drucksache 18/4580 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 28. Ist es zutreffend, dass Deutschland bis zum Jahr 2009 (anders als andere Mitgliedstaaten der EU) keinen einzigen Flüchtling aus der Ukraine über das Resettlement-Programm des UNHCR aufgenommen hat (vgl. Human Rights Watch, a. a. O., S. 34 f.)? a) Hat Deutschland seit dem Jahr 2009 Flüchtlinge über das Resettlement -Programm des UNHCR aus der Ukraine aufgenommen? Wenn ja, wie viele (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? Wenn nein, warum nicht? b) Hält es die Bundesregierung – angesichts der prekären Lage in der Ukraine – für sinnvoll, ggf. auch kurzfristig Flüchtlinge über das Resettlement -Programm des UNHCR aus der Ukraine zu übernehmen? Wenn ja, wie viele? Wenn nein, warum nicht? Das deutsche Resettlement-Programm wurde im Dezember 2011 von der Innenministerkonferenz beschlossen und in den Jahren 2012 bis 2014 im Rahmen eines Pilotverfahrens mit 300 Aufnahmeplätzen jährlich durchgeführt . Mit Beschluss der Innenministerkonferenz im Dezember 2014 wurde das Programm verstetigt und auf 500 Aufnahmeplätze jährlich aufgestockt. Der Bund hat seit dem Jahr 2012 900 besonders schutzbedürftige Resettlement -Flüchtlinge über das deutsche Resettlement-Programm aufgenommen . Ukrainische Staatsangehörige waren nicht darunter. Die Auswahl der Aufzunehmenden erfolgt jedes Jahr in enger Kooperation mit dem UNHCR und unter Berücksichtigung von dessen Resettlement-Prioritäten. UNHCR hat nach Kenntnis der Bundesregierung weder in der Vergangenheit einen entsprechenden Resettlement-Bedarf für ukrainische Staatsangehörige geltend gemacht, noch finden sich in den Resettlement-Prioritäten für die Jahre 2014 bzw. 2015 des UNHCR Anhaltspunkte für einen solchen Bedarf (www.unhcr.org/51e3eabf9.html; www.unhcr.org/543408c4fda.html). Eine Aufnahme von ukrainischen Staatsangehörigen im Rahmen des Resettlements war und ist in absehbarer Zukunft seitens UNHCR bisher nicht vorgesehen . Da die Bundesregierung bei der Durchführung des deutschen Resettlement -Programms auch weiterhin an der Zusammenarbeit mit UNHCR festhalten möchte, ist derzeit eine Aufnahme von ukrainischen Staatsbürgern durch Resettlement nicht avisiert. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333