Deutscher Bundestag Drucksache 18/4581 18. Wahlperiode 10.04.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Harald Petzold (Havelland), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/4390 – Rechtliche und praktische Folgen der Verzögerung bei der Registrierung neu eingereister Asylbewerberinnen und Asylbewerber Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Der Leipziger Radiosender „Mephisto 97.6“ berichtete am 24. Februar 2015 unter der Überschrift „Alles hängt am Innenministerium“, dass in Sachsen viele Asylsuchende nicht durch das Bundesamt für Migration und Flüchtling (BAMF) registriert würden, weil sie bereits vor der möglichen Registrierung auf die Kommunen weiterverteilt würden. Damit solle eine Überfüllung der Erstaufnahmeeinrichtung vermieden werden. Nach Berichten von Flüchtlingshelfern , die den Fragestellern vorliegen, erhielten die Asylsuchenden lediglich eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BüMA) und erst nach Monaten eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung. In der Praxis führe das dazu, dass Ausländerbehörden beispielsweise das Erlöschen der räumlichen Beschränkung (Residenzpflicht) nach drei Monaten nicht bescheinigten . Das führt wiederum zu erheblichen Problemen, wenn Betroffene durch die Bundespolizei aufgrund ihrer äußerlichen Merkmale (schwarze Hautfarbe etc.) kontrolliert und wegen vermeintlicher Verstöße gegen die Residenzpflicht angezeigt werden. In Berlin wurde die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAA) im September 2014 kurzzeitig sogar geschlossen; die neu ankommenden Asylsuchenden konnten sich weder registrieren lassen und erhielten folglich auch keine Sozialleistungen, inklusive der am Ende der Flucht häufig benötigten medizinischen Versorgung. Seitdem hat die ZAA wieder durchgehend geöffnet, allerdings beklagte der Flüchtlingsrat Berlin in einer Pressemitteilung vom 25. Februar 2015, dass Asylsuchende weiterhin unter unzumutbaren Bedingungen auf einen Termin warten müssten und dass Asylverfahren entgegen der bundesrechtlichen Vorgaben nicht umgehend eingeleitet würden. Asylsuchende erhielten nach einer ersten Vorsprache lediglich die Kostenübernahme für einen Schlafplatz in einer Traglufthalle ausgehändigt und müssten nach zehn Tagen Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 7. April 2015 übermittelt . Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. wiederkommen. Die medizinische Versorgung sei in dieser Zeit nur durch Spenden sichergestellt, da keinerlei Zugang zu Leistungen bestehe. Auch Bargeld für den persönlichen Bedarf werde nicht ausgezahlt. In Berlin wie in München und Karlsruhe wurden Aufnahmeeinrichtungen geschlossen, weil es Drucksache 18/4581 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Fälle von Masern und Windpocken gab. Im Hinblick auf die medizinische Versorgung in der Erstaufnahme kommentierte ein Mitglied der „Ärzte der Welt“ gegenüber der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ vom 7. Dezember 2014 („Deutschland tut weh“): „Die staatlichen Strukturen versagen, als wären wir ein Entwicklungsland .“ Nach Angaben der Bundesregierung betrug im vergangenen Jahr die durchschnittliche Zeit von der Asylantragstellung bis zur Anhörung vier Monate, wobei Antragsteller aus prioritär bearbeiteten Herkunftsstaaten (Serbien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Syrien, Irak) deutlich kürzere Wartezeiten hinnehmen müssen als Asylsuchende aus anderen Herkunftsstaaten (beispielsweise Nigeria mit 13,1 Monaten oder Pakistan mit 13,4 Monaten; vgl. Bundestagsdrucksache 18/3850, S. 20). Vo r b e m e r k u n g d e r B u n d e s r e g i e r u n g Die Bundespolizei zeigt Verstöße gegen die räumliche Beschränkung im Sinne von § 56 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) auf der Grundlage der geltenden Rechtslage an. Nach § 59a AsylVfG erlischt die räumliche Beschränkung, wenn sich Ausländer seit drei Monaten ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhalten. Die Erteilung der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender löst den Fristbeginn aus. Insofern sind Verstöße gegen die räumliche Beschränkung innerhalb der ersten drei Monate des erlaubten, geduldeten oder gestatteten Aufenthaltes im Sinne von § 59a AsylVfG offensichtlich und daher weiterhin konsequent zu verfolgen. Die Kontrollen der Bundespolizei basieren auf einer Vielzahl von Informationen und Erkenntnissen und nicht lediglich auf ethnischen und äußerlich erkennbaren Merkmalen von Personen. Insoweit liegt stets ein Kriterienbündel vor, auf dessen Grundlage die handelnden Beamten im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen haben, ob und gegebenenfalls in welcher konkreten Art und Weise sie handeln. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/14569 vom 15. August 2013 verwiesen. 1. Was ist der Bundesregierung über das beschriebene Problem einer verzögerten Registrierung Asylsuchender aus den Bundesländern bekannt? Der Bundesregierung ist bekannt, dass es aufgrund der immer weiter steigenden Zahl der in Deutschland einreisenden Asylsuchenden zu Verzögerungen bei der Registrierung durch die Länder kommen kann. 2. Wie viel Zeit vergeht nach Kenntnis der Bundesregierung in der Regel aktuell von der Vorstellung bei einer Erstaufnahmestelle bis zur Registrierung, und wie viel Zeit vergeht von der Registrierung bis zum Stellen des Asylantrags bei der der Erstaufnahmeeinrichtung zugeordneten Außenstelle des BAMF (bitte auch die Einschätzung fachkundiger Bediensteter wiedergeben )? Grundsätzlich erfolgt die Registrierung als Asylsuchender unmittelbar bei der Aufnahme in der Erstaufnahmeeinrichtung. Zwischen Registrierung und Stellung des Asylantrags variieren die Zeiten entsprechend den örtlichen Verhältnissen aufgrund der hohen Zugangszahlen und der sehr unterschiedlichen Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die sich zudem fortlaufend ändert. Wenn Antragsteller zunächst in den Aufnahmeeinrichtungen bleiben, vergehen zwischen Registrierung und Asylantragstellung wenige Tage. Wenn die landesinterne Weiterverteilung umgehend erfolgt, können von den Außenstellen teil- weise Termine zur Antragstellung vergeben werden. Teilweise werden die An- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4581 schriften der Verteilten mitgeteilt, teilweise müssen sie ermittelt und die Antragsteller dann zur Aktenanlage, also Asylantragstellung geladen werden. Dann liegen zwischen der Meldung als Asylsuchender und Antragstellung mehrere Wochen; es können in einzelnen Bundesländern auch Monate vergehen. 3. Was ist der Bundesregierung darüber hinaus zu Unsicherheiten der Ausländerbehörden bekannt, den Aufenthaltsstatus ihnen zugewiesener, noch nicht registrierter Asylsuchender bzw. solcher Asylsuchender, die noch keinen Asylantrag beim BAMF stellen konnten, korrekt festzustellen? Gibt es geeignete Hinweise des BAMF an die Ausländerbehörden zum Umgang mit solchen Konstellationen (beispielsweise über das Ausstellen der „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“, Rechtsfolgen im Asylverfahrensgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz, Beschäftigungsverordnung ), oder sind solche Handreichungen in Planung? Die Aufenthaltsgestattung entsteht grundsätzlich nicht erst mit der Stellung des Asylantrags, sondern bereits mit der Äußerung eines Asylgesuchs (§ 55 Absatz 1 AsylVfG). Das Asylgesuch kann mit der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BüMA) nachgewiesen werden. Innerhalb von drei Tagen nach Stellung des Asylantrags erhält der Ausländer grundsätzlich eine Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung, § 63 Absatz 1 AsylVfG. Diese Rechtslage ist den Ausländerbehörden bekannt, so dass es insofern keiner Hinweise, Handreichungen etc. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bedarf. 4. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, sich über diese Probleme selbständig zu informieren und ggf. Abhilfe zu schaffen? Es wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 5 verwiesen. 5. Wurden diese Probleme zwischen den Vertretern von Bund und Ländern im vergangenen und in diesem Jahr thematisiert, und wenn ja, zum Anlass welcher Ereignisse (Treffen, Sitzungen, Gespräche etc.), und ggf. mit welchen Ergebnissen? Die durch die steigende Zahl der in Deutschland einreisenden Asylsuchenden aufgeworfenen Fragen einschließlich der Fragen der Registrierung und Antragsannahme sind und waren Gegenstand zahlreicher Besprechungen von Bund und Ländern. Zu nennen sind insbesondere die Besprechung der Bundeskanzlerin Dr. Angela mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder (11. Dezember 2014), Besprechungen des Chefs des Bundeskanzleramtes mit den Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder (23. Oktober 2014, 20. November 2014 und 19. März 2015) sowie Treffen der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder (17. Oktober 2014 und 23. März 2015). Wesentliche Ergebnisse sind insbesondere, dass das BAMF für die Jahre 2014 und 2015 insgesamt 650 neue Stellen für den Asyl- und Dublinbereich erhalten hat. Ferner unterstützt der Bund die Länder und Kommunen in den Jahren 2015 und 2016 mit insgesamt 1 Mrd. Euro, die zum Ausgleich von Mehrbelastungen im Zusammenhang mit der Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern bestimmt sind. Die Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU enthält eine Entlastung um 25 Mio. Euro bei den Kosten der Unterkunft. Hinzu kommen weitere substanzielle Entlastungen von rund 75 Mio. Euro jährlich. Drucksache 18/4581 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Welche Erkenntnisse oder Einschätzungen fachkundiger Bediensteter liegen der Bundesregierung zur Zahl der Personen vor, denen eine BüMA ausgehändigt wurde, sowie zur Dauer der Gültigkeit dieses Dokuments, und wo werden solche Daten ggf. erfasst? Die BüMA wird grundsätzlich allen Asylsuchenden in Deutschland ausgestellt. Sie ist regelmäßig auf eine Woche befristet. Die Bescheinigungen werden von den Behörden der Länder ausgestellt, eine Erfassung auf Bundesebene findet insofern nicht statt. 7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu Fällen, in denen Asylsuchende aufgrund der fehlenden Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nicht nachweisen konnten, dass ihr Aufenthalt gestattet ist? Der Bundesregierung liegen hierzu nur vereinzelte Erkenntnisse vor, im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 8. Welche Möglichkeiten haben Betroffene, durch die problematisierte Praxis der Ausländerbehörden drohende Nachteile bezüglich des Erlöschens der räumlichen Beschränkung für den Aufenthalt (Residenzpflicht), des Zugangs zu besonderen Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Analogleistungen) und der Fristen für den Zugang zum Arbeitsmarkt abzuwenden? Aus Sicht der Bundesregierung kommt es wesentlich darauf an, dass asylsuchenden Ausländern die Asylantragstellung beim BAMF noch während des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder ermöglicht wird. Die Bundesregierung begrüßt es daher, dass die Länder beabsichtigen, im Jahr 2015 mindestens 20 neue Erstaufnahmeeinrichtungen zu eröffnen, bei denen das BAMF neue Außenstellen einrichten wird. Im Bundesministerium des Innern wird ferner geprüft, ob und ggf. wie die Funktion der BüMA als Nachweis für ein Asylgesuch und damit als ein Nachweis für den Beginn bestimmter Fristen in der Praxis verbessert werden kann. Auch wird überlegt, ob die Frist für das Erlöschen der Aufenthaltsgestattung nach § 67 Absatz 1 Nummer 2 AsylVfG verlängert werden soll, wenn es dem Ausländer aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, den Asylantrag fristgerecht nach der Äußerung des Asylgesuchs zu stellen. Unabhängig davon wird darauf hingewiesen, dass die in § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes genannte 15-monatige sog. Wartefrist für den Erhalt von Analogleistungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch an einen entsprechend langen , im Wesentlichen ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet und somit nicht an die Stellung eines förmlichen Asylantrages anknüpft. 9. In wie vielen Fällen hat die Bundespolizei Anzeigen wegen des Verdachts des unerlaubten Aufenthalts oder der unerlaubten Einreise in Fällen gestellt, in denen Asylsuchende noch über keine Bescheinigung der Aufenthaltsgestattung verfügten? Statistische Angaben im Sinne der Fragestellung werden durch die Bundespolizei nicht erhoben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4581 10. In wie vielen Fällen wurden Anzeigen wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise bzw. des unerlaubten Aufenthalts zurückgenommen oder die Ermittlungen eingestellt, weil sich ergeben hatte, dass lediglich die Bescheinigung über die Gestattung des Aufenthalts fehlte (bitte auch die Gesamtzahl der eingestellten Ermittlungsverfahren in diesem Deliktsbereich im Vergleich zum Anzeigenaufkommen für die Jahre 2013, 2014 und 2015 oder Schätzungen fachkundiger Bediensteter hierzu angeben)? Statistische Angaben im Sinne der Fragestellung werden durch die Bundespolizei nicht erhoben. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333