Deutscher Bundestag Drucksache 18/4593 18. Wahlperiode 10.04.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Nicole Maisch, Kai Gehring, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/4479 – Geplante Tierversuche an 150 000 Mäusen für Botoxpräparate Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r In die seit November 2014 eingerichtete Datenbank für nichttechnische Zusammenfassungen , www.animaltestinfo.de, wurden im Jahr 2014 fünf Versuchsvorhaben zur Testung von Botulinumtoxin (kurz: Botox) eingetragen. Verwendet werden sollen hierzu insgesamt 150 000 Mäuse. Im Einzelnen sind dies Versuchsvorhaben für Botulinumtoxin A, bei denen zweimal je 36 000 und einmal 18 000 Mäuse eingesetzt werden sollen, sowie für Botulinumtoxin B mit zweimal je 30 000 Mäusen. Nach wie vor werden Botulinumtoxinpräparate für kosmetische Zwecke als Antifaltenmittel – zum Teil für diesen Zweck zugelassen, zum Teil „offlabel “ – eingesetzt. In Deutschland führt die Firma Merz noch immer Tierversuche für ihre Botulinumtoxin-A-Präparate durch, obwohl eine andere Firma bereits seit vier Jahren eine anerkannte tierversuchsfreie Testmethode einsetzt. Die Firma Merz gab im Nachgang zur letzten Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Tierversuchen für Botoxpräparate (Bundestagsdrucksache 18/2063) an, dass das Verfahren zur Anerkennung ihres selbst entwickelten tierversuchsfreien Tests für Deutschland noch im Laufe dieses Jahres und für andere Länder im Laufe des kommenden Jahres abgeschlossen sein würde. Laut Zulassungsnummer (EU/1/00/166/001-003) in den nichttechnischen Zusammenfassungen ist die japanische Firma Eisai mit einer Zweigstelle in Frankfurt am Main verantwortlich für die Tierversuche für Botulinumtoxin-BProdukte . Der LD50-Test, bei dem Mäuse durch das Nervengift gelähmt werden und der Endpunkt „Tod durch Ersticken“ ist, fällt laut Eintrag in der oben genannten Datenbank unter den Schweregrad „schwer“, welcher gemäß EU-Tierversuchsrichtlinie (Richtlinie 2010/63/EU) eigentlich verboten sein sollte. Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 9. April 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. Drucksache 18/4593 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 1. Wenn die Anerkennung der tierversuchsfreien Testmethode der Firma Merz tatsächlich kurz bevor steht, warum werden dann nach Kenntnis der Bundesregierung noch Tierversuche an 90 000 Mäusen genehmigt? Für die Genehmigung von Tierversuchen sind die Behörden der Länder zuständig . Der Bundesregierung liegen keine Informationen zu einzelnen Versuchsvorhaben vor. Die Firma Merz teilte in einer Pressemitteilung vom 7. November 2014 mit, die Zulassung einer zellbasierten Alternativmethode beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingereicht zu haben. Über das BfArM ist bei dieser Änderung der Zulassung Deutschland als verfahrensführendes Land (Reference Member State, RMS) tätig. Alle anderen EU-Staaten, in denen die Firma Merz eine Zulassung für Arzneimittel mit Botulinumtoxin Typ A hat, sind an diesem Verfahren beteiligt. Die Zeitschienen, in denen die Bearbeitung der Änderungsanzeige erfolgt, sind gesetzlich vorgegeben, um allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, offene Fragen und Kritikpunkte mit dem RMS und dem pharmazeutischen Unternehmer zu klären. Ein erster Bewertungsbericht des BfArM, der an die beteiligten Mitgliedstaaten zirkuliert wird, wird im April 2015 vorliegen. Danach setzt sich das BfArM für eine möglichst kurze Verfahrensdauer ein und geht derzeit davon aus, dass das Zulassungsverfahren für die Alternativmethode in diesem Jahr abgeschlossen wird. Innerhalb dieses Zeitraums ist bis zur Genehmigung einer Alternativmethode der durch die aktuell bestehende Zulassung vorgeschriebene LD50-Test (LD50 = mittlere letale Dosis) durchzuführen. 2. Ist der tierversuchsfreie Test, der sich laut der Firma Merz zurzeit in der Phase der Anerkennung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) befindet, nach Kenntnis der Bundesregierung lediglich geeignet, die Chargenprüfung von Botulinumtoxin A zu ersetzen? Alle derzeit auf dem Markt befindlichen Botulinumtoxinpräparate unterscheiden sich. Es handelt sich um sehr komplexe Moleküle, die in einem aufwändigen Herstellungsprozess biologisch gewonnen und mit unterschiedlichen Verfahren gereinigt werden. Aus diesem Grund stellt das Europäische Arzneibuch die klare Anforderung zur produktspezifischen Validierung für Alternativmethoden, bevor diese bei der routinemäßigen Chargenprüfung eingesetzt werden können. Die von der Firma Merz entwickelte und beantragte Alternativmethode ist daher derzeit nur für die von der Firma Merz in Verkehr gebrachten Arzneimittel Xeomin® und Bocouture® einsetzbar, die Botulinumtoxin Typ A enthalten. Für die Botulinumtoxinserotypen A und B bestehen sowohl Unterschiede in der Größe und Struktur als auch beim Wirkmechanismus. Beim Typ A werden SNAP25-Proteine angegriffen, während Botulinumtoxin-Typ-B-Proteine der VAMP-Familie angreift (Proteine, die in die Erregungsübertragung von Nervenzelle zu Nervenzelle involviert sind). 3. a) Werden nach Kenntnis der Bundesregierung von den zuständigen Behörden andere Tierversuche zur Testung von Botulinumtoxin verlangt als die Chargenprüfung (sog. Bulk Testing)? Die Zulassungen von Botulinumtoxinpräparaten als Arzneimittel unterliegen grundsätzlich den Bestimmungen des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz), der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes und den Vorgaben des Europäischen Arznei- buchs. Ziel ist es, die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel sicherzustellen. Für Botulinumtoxinpräparate sind zwei Monographien Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4593 des Europäischen Arzneibuchs einschlägig (Botulinumtoxin Typ A zur Injektion , 07/2011:2113 und Botulinumtoxin Typ B zur Injektion, 07/2011:2581). Die LD50-Tests von Botulinumtoxinpräparaten im Tierversuch werden im Rahmen der Produktionsüberwachung, der Chargenfreigabe (Chargenprüfung) und der notwendigen Stabilitätsprüfungen eingesetzt. Andere Tierversuche werden nicht verlangt. b) Handelt es sich dabei um Tierversuche, die nicht durch die tierversuchsfreie Methode der Firma Merz ersetzt werden können? Es wird auf die Antworten zu den Fragen 2 und 3a verwiesen. 4. a) Seit wann wird nach Kenntnis der Bundesregierung der LD50-Test für Botulinumtoxin-B-Präparate in Deutschland durchgeführt? Seit der Neubekanntmachung der Versuchstiermeldeverordnung am 4. November 1999 (BGBl. I S. 2156) müssen der nach Landesrecht zuständigen Behörde Angaben dazu übermittelt werden, ob und wie viele Versuchstiere in Prüfungen der akuten oder subakuten Toxizität mit einer LD50-Methode verwendet wurden. Eine weitergehende Differenzierung dieser Angaben zu Toxizitätsprüfungen findet nicht statt. Entsprechend liegen keine Daten dazu vor, seit wann bzw. in welchem Umfang Tiere im Rahmen von LD50-Tests für Botulinumtoxin-Typ-BPräparate verwendet wurden. b) In welchem Stadium befindet sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Entwicklung von tierversuchsfreien Testmethoden für Botulinumtoxin B? Bisher lag der Schwerpunkt der Entwicklung von tierversuchsfreien Testmethoden im Bereich der Botulinumtoxin-Typ-A-Präparate, deren Anwendung im Bereich der Faltenbehandlung seit 2006 zugelassen ist. Das derzeit mit dem Wirkstoff Botulinumtoxin Typ B zugelassene Arzneimittel NeuroBloc® ist ausschließlich zur Behandlung von zervikaler Dystonie (Torticollis , Schiefhals) bei Erwachsenen zugelassen. Es darf nur im Krankenhaus angewendet werden. Eine Zulassung für so genannte kosmetische Indikationen besteht nicht. Der Stand aktueller Forschungsprojekte zur Entwicklung tierversuchsfreier Testmethoden für Botulinumtoxin-Typ-B-Präparate ist nicht bekannt . c) Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, diesen Prozess zu beschleunigen ? Auf Initiative des damaligen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) fand im April 2009 ein vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Zusammenarbeit mit dem BfArM organisiertes , internationales Symposium statt, bei dem Wissenschaftler, Vertreter aus der Industrie und von Tierschutzverbänden sowie politische Entscheidungsträger über Möglichkeiten der Unterstützung der Entwicklung von Alternativmethoden zur Ablösung des LD50-Tests diskutierten. Als ein Ergebnis des Symposiums wurde im Jahr 2009 unter Leitung der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) im BfR gemeinsam mit dem BfArM die international besetzte Botulinum-Neurotoxin Testing Expert Working Group (BoNT EWG) mit Vertretern aus Wissenschaft , Behörden und Industrie etabliert. Drucksache 18/4593 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die BoNT EWG hat die Aufgabe, Empfehlungen zur zügigen Validierung und behördlichen Akzeptanz von Alternativmethoden zum Maus-LD50-Test für die Zulassung und chargenweise Freigabe von Botulinumtoxinpräparaten zu erarbeiten . Mit der Thematik der Entwicklung von Alternativmethoden zum LD50- Test von Botulinumtoxin-Typ-B-Präparaten wird sich die BoNT EWG anlässlich ihrer nächsten Sitzung Ende des Jahres 2015 auseinandersetzen. 5. Wie viele Tiere wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren pro Jahr für die Testung von jeweils Botulinumtoxin A und B in Deutschland getötet? Unter der Code-Nr. 821* der Versuchstiermeldeverordnung wurden dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für die Jahre 2009 bis 2013 von den zuständigen Behörden der Länder folgende Daten übermittelt: Dem Bundesministerium liegen keine Informationen darüber vor, wie viele dieser Tiere für die Testung von Botulinumtoxinpräparaten verwendet wurden. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4a verwiesen. 6. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die fortgesetzte Durchführung von Chargenprüfungen von für kosmetische Zwecke verwendeten Produkten im besonders schwer belastenden LD50-Test nicht mit dem Tierschutzgesetz und insbesondere dem Staatsziel Tierschutz vereinbar ist? Gemäß den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen (§ 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes). Dieses Verbot wird unter anderem von den Regelungen von § 7 ff. des Tierschutzgesetzes sowie der Tierschutz-Versuchstierverordnung näher konkretisiert. Bei deren Einhaltung ist gewährleistet, dass der in § 1 des Tierschutzgesetzes definierte Zweck des Gesetzes erreicht wird. Für die Durchführung des Gesetzes und der auf Grund des Gesetzes erlassenen Verordnungen sind die Behörden der Länder zuständig. Diese prüfen in jedem Einzelfall die Zulässigkeit von Tierversuchen auf der Grundlage der Bestimmungen des Tierschutzrechts . Die zuständige Behörde erteilt die Genehmigung nur dann, wenn alle Voraussetzungen gemäß dem Tierschutzrecht vorliegen und die einschlägigen Anforderungen erfüllt werden. * Verwendung von Tieren in Prüfungen der akuten oder subakuten Toxizität (14-Tage-, 28-Tage-Studie, einschließlich Limit-Test) mit einer LD50/LC50-Methode. Jahr Anzahl Mäuse 2009 35 493 2010 27 866 2011 27 634 2012 23 460 2013 21 801 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333