Deutscher Bundestag Drucksache 18/4775 18. Wahlperiode 30.04.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/4428 – Neu gegründete Tochterunternehmen der Deutschen Post AG Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Die Deutsche Post AG hat unter dem Namen „Delivery“ 49 neue Gesellschaften gegründet, bei denen 20 000 Paketzusteller beschäftigt werden sollen. Für sie soll nicht mehr der Tarifvertrag der Deutschen Post AG gelten, sondern sie sollen zu für die Beschäftigten schlechteren Bedingungen angestellt werden (vgl. DIE WELT vom 28. Januar 2015: „Ver.di entwirft Schlachtplan für Projekt ,Delivery‘“). In diesem Zusammenhang hatte die Deutsche Post AG auch angekündigt, den rund 20 000 befristet Beschäftigten, die bis dahin bei der Deutschen Post AG angestellt waren, nur noch einen Vertrag in einer der neuen Tochtergesellschaften anzubieten. Die Bezahlung soll nach dem Tarifvertrag für das Speditionsgewerbe erfolgen. Dieser liegt um ca. 20 Prozent unter den Bedingungen des Tarifvertrages der Post. Im genannten Artikel in der Zeitung „DIE WELT“ heißt es: „Eigentlich müsste das Paketgeschäft dem Management der Post ausschließlich Freude bereiten: Kein anderer Paketdienst legt derzeit bei den Paketmengen an Privathaushalte so stark zu wie die Posttochter DHL. Das Wachstum des Onlinehandels beschert dem Unternehmen täglich Millionen Sendungen.“ Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. bestätigt zudem die positive Gewinnsituation bei der Deutschen Post AG (Bundestagsdrucksache 18/3796). In den vergangenen zehn Jahren wurden insgesamt mehr als 8 Mrd. Euro als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet. Aus Sicht der Gewerkschaft ver.di wird die Deutsche Post AG mit der Gründung der neuen Gesellschaften darüber hinaus vertragsbrüchig. In einem derzeit gültigen Vertrag zwischen der Gewerkschaft und der Deutschen Post AG ist vereinbart, dass Briefe und Pakete ausschließlich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Post AG und nicht von Fremdfirmen zugestellt Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 29. April 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. werden dürfen. Dafür haben sich die Beschäftigten auf verschlechterte Pausenregelungen , Zuschläge und niedrigere Einstiegslöhne eingelassen (vgl. DIE WELT vom 28. Januar 2015: „Ver.di entwirft Schlachtplan für Projekt ,Delivery‘ “). Drucksache 18/4775 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Die Bundesregierung schreibt in ihrem Koalitionsvertrag: „Tarifautonomie, Tarifeinheit und Mitbestimmung sind für uns ein hohes Gut.“ Ebenso will sie „den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen lenken.“ Es stellt sich daher die Frage, was die Bundesregierung gegen diese Form von Tarifpluralismus , der von Seiten eines Unternehmens mit dem Ziel der Kosteneinsparung betrieben wird, unternehmen will. 1. Seit wann hat die Bundesregierung Kenntnis über die Pläne der Deutschen Post AG, neue Gesellschaften für die Paketzustellung zu gründen? 2. Seit wann hat die Bundesregierung Kenntnis über die Pläne der Deutschen Post AG, den Beschäftigten in den „Delivery“-Gesellschaften Löhne nach den Tarifbedingungen des Speditionsgewerbes zahlen zu wollen, die unterhalb der Tarifbedingungen der Post liegen? 3. Gab es in der Bundesregierung Diskussionen bezüglich der Pläne der Deutschen Post AG, „Delivery“-Gesellschaften für die Paketzustellung zu gründen ? Wenn ja, mit welchem Inhalt, und mit welchen Ergebnissen? Die Fragen 1 bis 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Eine Aktiengesellschaft muss ihre Aktionäre bei Informationen gleich behandeln , §§ 53a des Aktiengesetzes (AktG), 30a Absatz 1 Nummer 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG). Dem entspricht, dass die Deutsche Post AG sicherzustellen hat, dass entsprechende Informationen vor der Bekanntgabe geschützt sind. Dies gilt gleichermaßen im Falle einer staatlichen Beteiligung an Aktiengesellschaften. Der Bund oder andere staatlichen Stellen können als Aktionär keine Sonderinformationsrechte geltend machen. Der beabsichtigte Personalaufbau im Bereich der Paketzustellung wurde vom Vorstand der DPDHL durch Pressemitteilung vom 22. Januar 2015 allgemein öffentlich bekanntgegeben. 4. Welche Position hat die Bundesregierung über ihren Vertreter im Aufsichtsrat der Deutschen Post AG hinsichtlich der Pläne zur Gründung der „Delivery “-Gesellschaften eingenommen? Mitglieder von Aufsichtsräten sind gemäß §§ 116 Satz 2, 93 Absatz 1 Satz 3 AktG zur Verschwiegenheit über alle vertraulichen Angelegenheiten der Gesellschaft verpflichtet, insbesondere sind die Beratungen im Aufsichtsrat vertraulich zu behandeln. Die Verschwiegenheitsverpflichtung ist notwendiges Korrelat zur Pflicht des Vorstands den Aufsichtsrat zu informieren und für ein konstruktives Zusammenwirken der Gesellschaftsorgane unverzichtbar. Eventuelle Beratungen im Aufsichtsrat können von der Bundesregierung daher weder offengelegt noch kommentiert werden. 5. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Plänen der Deutschen Post AG, die Beschäftigten in den „Delivery “-Gesellschaften zu anderen Tarifbedingungen als die Beschäftigten der Deutschen Post AG beschäftigen zu wollen, angesichts ihres Vorhabens, den Tarifpluralismus in geordnete Bahnen lenken zu wollen? Die durch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes gewährleistete Koalitionsfrei- heit beinhaltet auch die Garantie der Tarifautonomie. Danach steht es den Tarifvertragsparteien frei, die aus ihrer Sicht erforderlichen Regelungen der Arbeits- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4775 und Wirtschaftsbedingungen autonom durch Vereinbarung zu treffen. Es ist somit Sache der Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber darüber zu befinden, ob sie einen Tarifvertrag abschließen und mit welchem Inhalt sie dies tun. Zur inhaltlichen Gestaltungsbefugnis gehört es auch, dass die Tarifvertragsparteien darüber entscheiden, welche Betriebe bzw. Unternehmen und welche Arbeitnehmer unter den Geltungsbereich ihres Tarifvertrags fallen sollen. 6. Stellt das tarifpolitische Agieren der Deutschen Post AG im Zusammenhang mit der Gründung der „Delivery“-Gesellschaften aus Sicht der Bundesregierung eine Form von Tarifpluralismus dar, die gesetzgeberisches Handeln erforderlich macht? Wenn ja, welchen? Wenn nein, warum nicht? 7. Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung gegen die Tarifflucht seitens der Arbeitgeber bzw. gegen von Arbeitgebern initiierten Tarifpluralismus mit dem Ziel, die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zur Kosteneinsparung zu verschlechtern? Die Fragen 6 und 7 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die Anwendung verschiedener Tarifverträge in unterschiedlichen Gesellschaften innerhalb eines Unternehmensverbunds oder Konzerns stellt rechtlich keinen Tarifpluralismus dar. Die Bundesregierung plant daher hierzu derzeit keine Maßnahmen. 8. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um einen möglichen Rechtsmissbrauch des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zu verhindern, angesichts der Tatsache, dass bisher bei der Deutschen Post AG befristet Beschäftigte , denen ansonsten die Arbeitslosigkeit droht, nun aufgefordert werden, Verträge mit den „Delivery“-Gesellschaften zu schlechteren Konditionen als bei der Deutschen Post AG abzuschließen? Änderungen der befristungsrechtlichen Vorschriften des Teilzeit- und Befristungsgesetzes sind im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD nicht vereinbart. Ob die Befristung eines Arbeitsvertrages rechtsunwirksam ist, kann der Arbeitnehmer durch eine Klage beim Arbeitsgericht feststellen lassen. Es ist damit den Arbeitsgerichten vorbehalten, über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Befristungsabrede zu entscheiden. In diesem Zusammenhang prüfen die Arbeitsgerichte auch, ob die Befristung eines Arbeitsvertrages rechtsmissbräuchlich ist. 9. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Bereich der Paketzustellung zu verbessern ? Mitglieder von Aufsichtsräten, die auf Vorschlag des Bundes gewählt werden, nehmen ihr Mandat nach den gesellschaftsrechtlichen Regelungen und innerhalb der Zuständigkeiten des Gremiums wahr. Die Verantwortlichkeit für die Beschäftigten unterhalb der Vorstandsebene liegt ausschließlich beim Unternehmen . Drucksache 18/4775 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Fragen der Gestaltung und Anwendbarkeit von tarifrechtlichen Vereinbarungen obliegen ausschließlich den jeweiligen Sozialpartnern und entziehen sich dem Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats. 10. Welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung aus der Tatsache ab, dass mit der Aufteilung einer fünfstelligen Zahl von bisher bei der Deutschen Post AG Beschäftigten auf 49 einzelne Firmen (www.de.reuters.com vom 22. Januar 2015 „Post will Tausende Jobs mit niedrigeren Löhnen schaffen“) auch Schwellenwerte für die Unternehmensmitbestimmung nicht mehr erreicht werden und so die Gefahr besteht , dass auf diesem Wege die Unternehmensmitbestimmung unterlaufen wird? Das gesetzliche System der Unternehmensmitbestimmung, wonach sich die Intensität des Einflusses der Arbeitnehmervertreter unter anderem auch an der Größe des Unternehmens festmacht, hat sich bewährt. Die Entscheidung über Größe und Struktur eines Unternehmens liegt bei den Eigentümern des Unternehmens . Gesetzliche Änderungen, die die unternehmerischen Entscheidungen insoweit einschränken, sieht der Koalitionsvertrag nicht vor. 11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Deutschen Post AG, dass die Gründung der „Delivery“-Gesellschaften aufgrund der wirtschaftlichen Situation erforderlich ist (www.welt.de vom 2. Februar 2015 „Post soll dubiose Verträge angeboten haben“ und vom 28. Januar 2015 „Ver.di entwirft Schlachtplan für Projekt ,Delivery‘“)? Betrachtet die Bundesregierung die Deutsche Post AG als Sanierungsfall? Die Bundesregierung gibt keine Auskünfte und Bewertungen zu geschäftspolitischen Entscheidungen von Unternehmen ab. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333