Deutscher Bundestag Drucksache 18/4998 18. Wahlperiode 20.05.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/4788 – Umsetzung des zweiten Abkommens von Minsk Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Gemeinsam mit der französischen Regierung initiierte die Bundesregierung die Verhandlungen, die am 12. Februar 2015 zum zweiten Abkommen von Minsk (Minsk II) führten. Als maßgebliche Verhandlungspartnerin kann und muss die Bundesregierung eine aktive Rolle auch bei der Absicherung der Umsetzung des Abkommens übernehmen. Das Minsk-II-Abkommen umfasst neben militärischen Regelungen hinsichtlich der Umsetzung des Waffenstillstands auch eine Reihe politischer, sozialer, wirtschaftlicher und humanitärer Vereinbarungen , die auf die Wiederherstellung der Versorgung der Bevölkerung und die staatliche Reintegration der abtrünnigen Gebiete im Osten der Ukraine zielen. Vereinbart wurde die Wiederaufnahme der eingestellten Versorgungs- und Sozialleistungen durch die Regierung in Kiew sowie die Aufhebung der Wirtschaftsblockade , eine Amnestie für die Aufständischen, Regelungen für den Gefangenenaustausch, die regionale Selbstverwaltung, zur Vorbereitung lokaler Wahlen in den abtrünnigen Gebieten und zur Vorbereitung einer Verfassungsreform mit dem Ziel, das politisch-administrative System der Ukraine zu dezentralisieren. Die ukrainische Regierung hat sich verpflichtet, sämtliche Maßnahmen im Dialog mit den Aufständischen zu organisieren; im Gegenzug wurde von den Aufständischen die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität über die aufständischen Gebiete in Aussicht gestellt. Medienberichte über die Verabschiedung eines Gesetzes zum Sonderstatus des Donbass in der Rada lassen befürchten, dass das Abkommen Minsk II endgültig scheitern könnte („Minsk 2“ wackelt. Ukrainer erzürnen Russen und Rebellen mit einseitiger Auslegung der Vereinbarungen, Frankfurter Rundschau vom 20. März 2015). In einer gemeinsamen Erklärung wenden sich die Häupter der aufständischen Republiken Donezk und Lugansk, Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizki, dagegen, dass das Gesetz nicht für alle Gebiete unter ihrer Kontrolle gelten solle, dass in dem Gesetz internationale Friedenstruppen in Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Auswärtigen Amts vom 18. Mai 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. den Donbass eingeladen würden, ohne dass dies Gegenstand von Minsk II gewesen sei. Sie weisen zurück, dass die Oblaste Donezk und Lugansk erst nach der Durchführung von Lokalwahlen einen Sonderstatus erhalten sollen, die die Regierung in Kiew wiederum erst nach dem Abzug der „ungesetzlichen Mili- Drucksache 18/4998 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode tärverbände“ durchführen wolle. Juri Luzenko, Fraktionsvorsitzender des regierenden Blocks Petro Poroschenko wird mit folgender Aussage zitiert: „Wir beschließen ein Gesetz, das Lokalwahlen erst zulässt, wenn Armee und Staat die ukrainische Flagge, ukrainische Parteien und das ukrainische Gesetz dorthin gebracht haben.“ Diese Äußerung bedeutet de facto die Beendigung der Umsetzung von Minsk II und mithin dessen Aufkündigung. Nach Meinung der Fragesteller sollte die Bundesregierung alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den Friedensprozess, den sie selbst mit angestoßen hat, in Gang zu halten. Dazu gehört, ihren Einfluss auf die ukrainische Regierung und die Häupter der abtrünnigen Oblaste gleichermaßen geltend zu machen, dass Minsk II weiter umgesetzt wird. Vor diesem Hintergrund bitten wir die Bundesregierung um die Beantwortung der folgenden Fragen hinsichtlich der Umsetzung von Minsk II. 1. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Stand der Umsetzung des Waffenstillstands? Nach Kenntnis der Bundesregierung wird der Waffenstillstand an den meisten Punkten der Kontaktlinie weitgehend eingehalten, an einigen neuralgischen Punkten wird der wechselseitige Beschuss jedoch mit schwankender Intensität fortgeführt. Zur jeweils aktuellen Lage an diesen Punkten wird auf die Tagesberichte der Special Monitoring Mission (SMM) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verwiesen, die im Internet eingesehen werden können. Die OSZE SMM bemüht sich um Vermittlung, damit an den neuralgischen Punkten auf Basis der dortigen Begebenheiten lokale Truppenentflechtungen bzw. so genannte Demilitarisierungen vereinbart werden. Die Bundesregierung misst vor diesem Hintergrund der Konstituierung der Arbeitsgruppe Sicherheit unter der Trilateralen Kontaktgruppe am 6. Mai 2015 in Minsk und deren weiterer Tätigkeit große Bedeutung zu. 2. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Stand des Abzugs schwerer Waffen durch beide Konfliktparteien? Nach Kenntnis der Bundesregierung haben die Konfliktparteien mit dem Abzug schwerer Waffen begonnen. Ein Abzugsplan wurde zwischen den Konfliktparteien am 26. Februar 2015 konsentiert, er ist jedoch noch nicht vollendet. Bislang kann seitens der OSZE auch nicht verifiziert werden, in welchem genauen Umfang ein Abzug bereits erfolgt ist. Einzelbeobachtungen dazu können ebenfalls in den SMM-Berichten nachgelesen werden. 3. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die ballistischen Raketen von der ukrainischen Regierung abgezogen? Nach Kenntnis der Bundesregierung befinden sich keine ballistischen Raketen der ukrainischen Streitkräfte in der Konfliktzone. 4. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffend, dass das genannte Gesetz in der Rada, anders als im Abkommen Minsk II vorgesehen, ohne Konsultationen mit den Vertretern der Aufständischen in Donezk und Lugansk erarbeitet und verabschiedet wurde? Wenn ja, was hat die Bundesregierung unternommen, um diesem Verstoß gegen das Abkommen entgegenzuwirken? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4998 Das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sieht die Verabschiedung eines Beschlusses des Parlaments der Ukraine vor, in dem das Gebiet, das einen Sonderstatus genießt, nach dem Gesetz der Ukraine über das Interimsverfahren für die lokale Selbstverwaltung in bestimmten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und Luhansk (Sonderstatusgesetz) festgelegt wird, und zwar auf der Grundlage der Linie des Minsker Memorandums vom 19. September 2014. Diesen Beschluss hat das Parlament der Ukraine fristgerecht gefasst. Konsultationen waren hierbei nicht vorgesehen. Das Sonderstatusgesetz selbst war ursprünglich bereits im September 2014 vom Parlament der Ukraine beschlossen worden und ist in Kraft. 5. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffend, dass das genannte Gesetz Kommunalwahlen in den aufständischen Gebieten erst zulässt, wenn diese nach ukrainischem Recht durchgeführt werden können? Das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sieht ausdrücklich lokale Wahlen in Übereinstimmung mit dem ukrainischen Recht vor. Das Sonderstatusgesetz entspricht dieser Vereinbarung. Zu den Modalitäten der Durchführung von Lokalwahlen wird auf Basis des Minsker Maßnahmenpakets nun in Minsk ein Dialog in der Arbeitsgruppe Politik unter der Trilateralen Kontaktgruppe eingeleitet. 6. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffend, dass nach dem genannten Gesetz ein auf drei Jahre begrenzter Sonderstatus und die begrenzte Selbstverwaltung der aufständischen Gebiete erst nach der Durchführung von Kommunalwahlen nach ukrainischem Recht gewährt wird? Wenn ja, erkennt die Bundesregierung darin einen schwerwiegenden Verstoß gegen Minsk II, der den Friedensprozess in Frage stellt, und was beabsichtigt sie, dagegen zu unternehmen? Nach Kenntnis der Bundesregierung enthält das Sonderstatusgesetz in seiner aktuellen Fassung die in der Frage beschriebene Regelung. Das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sieht diesbezüglich einen Dialog über die künftigen Regelungen für die vom Sonderstatusgesetz betroffenen Regionen auf der Grundlage des Sonderstatusgesetzes vor. Dieser Dialog ist in der Arbeitsgruppe Politik der Trilateralen Kontaktgruppe zu führen. Daher kann die Bundesregierung nicht erkennen, dass durch den genannten Sachverhalt eine Bestimmung des Minsker Maßnahmenpakets verletzt wäre. 7. Sind Berichte zutreffend, wonach der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin, die Einbeziehung der Oberhäupter der abtrünnigen Gebiete Donezk und Lugansk in ein Amnestiegesetz ablehnt? Wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um auf die Umsetzung der Regelung von Minsk II für eine Amnestie für alle Aufständischen hinzuwirken ? Der Bundesregierung sind keine entsprechenden Äußerungen des ukrainischen Außenministers bekannt. 8. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Stand der Umsetzung der Verpflichtung zum Austausch aller Gefangenen? Nach Kenntnis der Bundesregierung ist es nach dem 12. Februar 2015 zu weiteren Gefangenenaustauschen gekommen, Gespräche über die Freilassung der Drucksache 18/4998 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode verbliebenen Gefangenen werden fortgesetzt und sollen in Minsk in der Arbeitsgruppe Humanitäres, Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge unter der Trilateralen Kontaktgruppe intensiviert werden. 9. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Zugänglichkeit der aufständischen Gebiete für humanitäre Hilfslieferungen jeweils über die innerukrainische sowie über die russische Grenze? Es gibt keine innerukrainische Grenze. Nach Kenntnis der Bundesregierung erfolgen regelmäßig Hilfslieferungen innerhalb der Ukraine über die Kontaktlinie. Derzeit gewähren die Separatisten humanitären Hilfslieferungen aber nur sehr selektiven Zugang zum Konfliktgebiet. Teile der ukrainisch-russischen Grenze stehen derzeit nicht unter Kontrolle der ukrainischen Regierung, sodass kein vollständiger Überblick darüber besteht, welche Lieferungen aus Russland über diese Grenzabschnitte erfolgen. Die Beobachtungsmission der OSZE, die an zwei Grenzkontrollstellen auf der russischen Seite der ukrainisch-russischen Grenze postiert ist, hat über zahlreiche Konvois berichtet, die aus Russland in den derzeit nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teil des Donbass fahren und nach russischen Angaben Hilfsgüter enthalten sollen. 10. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Wiederaufnahme der unterbrochenen Gehaltszahlungen, Rentenzahlungen und sonstigen Versorgungs - und Sozialleistungen in die aufständischen Gebiete durch die ukrainische Regierung? Nach Kenntnis der Bundesregierung werden diese Fragen in der Arbeitsgruppe Wirtschaft unter der trilateralen Kontaktgruppe erörtert. 11. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Umsetzung der Aufhebung der Wirtschaftsblockade gegen die aufständischen Gebiete, zu der sich die ukrainische Regierung in Minsk II verpflichtet hat? Das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sieht die Festlegung der Modalitäten für eine volle Wiederaufnahme der sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung stehenden und den derzeit nicht unter ihrer Kontrolle stehenden Teilen der Ukraine vor. Es handelt sich dabei nicht um eine einseitige Verpflichtung der ukrainischen Regierung. Die Umsetzung dieser Vereinbarung wird derzeit in der Arbeitsgruppe Wirtschaft unter der Trilateralen Kontaktgruppe erörtert. 12. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Wiederherstellung des Bankensystems in den aufständischen Gebieten, können Überweisungen dorthin wieder vorgenommen werden? Nach Kenntnis der Bundesregierung sind derartige Überweisungen derzeit nicht möglich. Die Problematik der Wiederherstellung des Bankensystems wird in der Arbeitsgruppe Wirtschaft unter der Trilateralen Kontaktgruppe erörtert. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4998 13. Was ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Vorbereitung der für Ende des Jahres 2015 vorgesehenen Verfassungsreform? Hat es dazu nach Kenntnis der Bundesregierung Konsultationsgespräche der ukrainischen Regierung mit Vertretern der aufständischen Gebiete gegeben ? Die vom ukrainischen Staatspräsidenten eingesetzte Verfassungskommission erarbeitet derzeit einen Entwurf für die Verfassungsreform. Gemäß dem Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 werden auch Fragen der Dezentralisierung , die mit der Verfassungsreform verbunden sind, in der Arbeitsgruppe Politik unter der Trilateralen Kontaktgruppe erörtert werden. 14. Wie bewertet die Bundesregierung die Erfolgsaussichten, dass die ukrainische Zentralregierung nach Durchführung von Kommunalwahlen wieder die vollständige Kontrolle über die Staatsgrenze erhalten kann, unter Berücksichtigung der Bedingungen, die für die Durchführung der Kommunalwahlen (vgl. Frage 5) gesetzlich festgelegt wurden? Das Minsker Maßnahmenpaket sieht vor, dass die ukrainische Regierung die vollständige Kontrolle über die ukrainische Staatsgrenze wiedererlangt. Die Bundesregierung setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass alle Minsker Vereinbarungen vollständig umgesetzt werden. 15. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Umsetzung des Abzugs aller ausländischen bewaffneten Einheiten und Söldner sowie ihrer Ausrüstung? Es befinden sich weiterhin ausländische bewaffnete Einheiten und deren Ausrüstung auf dem Gebiet der Ukraine. 16. Bewertet die Bundesregierung die einseitige Einladung von internationalen Friedenstruppen in den Donbass in dem genannten Gesetz als Verstoß gegen die Vereinbarung, alle ausländischen Einheiten abzuziehen? Nein. 17. Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der Entwaffnung illegaler Gruppierungen auf beiden Seiten des Konflikts? Die illegalen Gruppierungen der Separatisten sind nicht entwaffnet. Aufseiten der ukrainischen Regierung wurde nach den Erklärungen der ukrainischen Behörden die Integration in die offiziellen Streitkräfte inzwischen vollzogen. 18. Wie viele Militärberater und Ausbilder aus anderen Staaten halten sich nach Kenntnis der Bundesregierung in der Ukraine und in den aufständischen Gebieten auf? Wie viele davon stammen aus NATO-Mitgliedstaaten, und wie viele davon aus Deutschland? Unter anderem die USA, Kanada und Großbritannien haben angekündigt, auf bilateraler Basis Ausbilder zu entsenden, von denen sich ein Teil bereits in der Ukraine befindet. Vor diesem Hintergrund liegen der Bundesregierung keine Drucksache 18/4998 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode umfassenden gesicherten Erkenntnisse oder Übersichten zur Zusammenarbeit im Einzelnen vor. Am NATO-Verbindungsbüro in Kiew sind derzeit zwölf entsandte Mitarbeiter aus neun Nationen tätig, darunter auch ein deutscher Langzeitberater und ein deutscher Programmmanager. Im Rahmen von NATO-Partnerschaftsprogrammen sowie im Rahmen bilateraler Maßnahmen befinden sich wiederholt Ausbilder und Berater unterschiedlicher Nationen, darunter auch aus Deutschland, kurzzeitig im Land. 19. Wie viele Freiwillige und wie viel Personal internationaler privater Militärfirmen halten sich nach Kenntnis der Bundesregierung in der Ukraine und in den aufständischen Gebieten auf? Sind darunter auch Personen aus NATO-Staaten und aus Deutschland? Wenn ja, wie viele? Der Bundesregierung liegen keine belastbaren Erkenntnisse über den Einsatz von Personal internationaler privater Militärfirmen in der Ukraine vor. Zur Zahl der Freiwilligen wird auf die Antworten zu den Fragen 1 bis 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/4298, auf die Antwort zu Frage 8 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/4536 sowie auf die Antwort auf die Schriftliche Frage 21 der Abgeordneten Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksache 18/4044 verwiesen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333