Deutscher Bundestag Drucksache 18/5024 18. Wahlperiode 27.05.2015 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/4780 – Zivile Handelsschiffe und die Seenotrettung Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r Zivile Handelsschiffe haben nach Angaben des UNHCR (Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte) im Jahr 2014 rund 40 000 Flüchtlinge aus der Seenot im Mittelmeer gerettet. In einem offenen Brief vom 31. März 2015 („Humanitarian Crisis in Mediterranean Sea“) an die Regierungen der Europäischen Union (EU) fordern europäische Reeder und internationale Seefahrergewerkschaften von der Europäischen Union entschlossene Maßnahmen zur Seenotrettung. Es sei „nicht akzeptabel, dass die internationale Gemeinschaft sich zunehmend auf Handelsschiffe und ihre Besatzungen verlasse, um immer umfangreichere Rettungsoperationen vorzunehmen“. Die Verbände führen zudem an, dass die Rettungsmaßnahmen beträchtliche Risiken beinhalten und die Schiffe nicht für die Aufnahme hunderter Flüchtlinge ausgelegt seien. Die Fragesteller sind darüber besorgt, dass zivile Handelsschiffe bestrebt sein könnten, ihre Maßnahmen zur Seenotrettung künftig einzuschränken. Anlass dafür liefert ein ihnen vorliegendes Rundschreiben des Transport- und Logistikunternehmens Hapag-Lloyd von November 2014 („Fleet Circular“), das die Kapitäne seiner Schiffe auffordert, bei der allfälligen Rettung von Personen aus Seenot „höchste Vorsicht“ („utmost caution“) walten zu lassen. In Zeiten von Piraterie und ernsthaften Gesundheitsproblemen in Afrika „und anderen zunehmenden Herausforderungen“ sollen die Kapitäne „aus angemessener Entfernung “ beurteilen, ob beobachtete Boote tatsächlich in einer „wirklichen Notlage“ sind. Als Anlass für die Warnung nennt das Schreiben ausdrücklich die zunehmende Zahl von Flüchtlingen, die aus Ländern Nordafrikas über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen versuchen, um dort Asyl zu beantragen. Insbesondere im Hinblick auf kleinere Schiffe, wie sie zum Transport von Flüchtlingen häufig genutzt werden, heißt es in dem Schreiben, nicht jedes Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vom 22. Mai 2015 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext. kleine Boot sei automatisch in einer Notlage. Es gebe keine Verpflichtung, sich des Wohlergehens von Passagieren auf solchen Booten zu vergewissern, sofern diese nicht „offensichtlich“ Hilfe erbitten in Form von „offensichtlichen“ Signalen. Drucksache 18/5024 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Offensichtliche Notsignale in der Seefahrt sind unter anderem Signalraketen oder entsprechende Beflaggung. Die Fragesteller gehen davon aus, dass die große Mehrzahl von Flüchtlingen mit der korrekten Handhabung dieser Signale nicht ansatzweise vertraut ist und die Boote häufig nicht entsprechend ausgestattet sind. Auch die Besatzung wird häufig nicht einschlägig geschult sein. Die Fragesteller sehen in dem Rundschreiben eine kaum verklausulierte Aufforderung , Zurückhaltung bei der Rettung von Flüchtlingen zu üben, die mit zu kleinen, kaum hochseefähigen Booten die Überfahrt nach Europa unternehmen . Darauf weist auch die Aufforderung des Absenders des Flottenrundschreibens hin, bei Zweifeln, „ob und welcher Art Hilfe“ nötig sei, zunächst die Leitung von Hapag Lloyd zu kontaktieren. Hintergrund für eine solche Politik, die für viele Flüchtlinge tödliche Gefahren birgt, könnten ökonomische Überlegungen sein. Im Schreiben von HapagLloyd heißt es, es werde immer schwieriger, Länder zu finden, die bereit sind, solche Flüchtlinge an Land zu lassen. Die Nachrichtenagentur dpa berichtete am 20. April 2015 über einen deutschen Reeder, er bange, „ob er seinen Chartervertrag erfüllen kann – eine einzige Rettungsmission kann 24 Stunden dauern“. Nach Informationen der Fragesteller kostet eine Verzögerung des Handelsweges pro Tag schnell mehrere zehntausend Euro. Wenn auch Hapag-Lloyd deutlich auf die völkerrechtliche Verpflichtung hinweist , in Seenot geratene Menschen zu retten, deutet das Schreiben doch darauf hin, dass die Handelsflotte dies in Zukunft mit mehr Zurückhaltung tun soll. Da die Europäische Union Flüchtlingen keinen legalen Zugang nach Europa gewährt und derzeit kein Seenotrettungsprogramm unterhält, droht sich die Zahl ertrunkener Flüchtlinge noch erheblich zu erhöhen. Die Fragesteller bitten darum, bei der Beantwortung der folgenden Fragen auch von Dritten (etwa Flüchtlingshilfsorganisationen oder Internationalen Organisationen ) erworbene Kenntnisse mit anzugeben. 1. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren von zivilen Handelsschiffen aus Seenot gerettet worden a) im Mittelmeer b) in anderen Meeren (bitte jeweils nach Schiffen deutscher, europäischer und sonstiger Reedereien aufgliedern)? Es liegen der Bundesregierung keine statistischen Auswertungen über die Anzahl der von zivilen Handelsschiffen geretteten Personen im Mittelmeer oder in anderen Meeren im genannten Zeitraum vor. Das Bundesministerium des Innern kann auf Grundlage der dem Bundespolizeipräsidium von den zuständigen italienischen Behörden für den Zeitraum vom 1. November 2014 (Einsatzbeginn der FRONTEX-Operation „Triton“) bis einschließlich 27. April 2015 gelieferten Informationen die nachfolgenden Angaben zum Mittelmeer machen: Innerhalb der 30-Meilen-Zone erfolgten Rettungsmaßnahmen ausschließlich durch behördliche Schiffe, außerhalb dieser Zone wurden bei drei Anlässen insgesamt 721 Migranten durch die Handelsschifffahrt gerettet. Weitere 1 223 Migranten wurden durch die Handelsschifffahrt mit Unterstützung von Schiffen der Operation „Triton“ gerettet. Bei gemeinsamen Rettungseinsätzen von behördlichen Schiffen sowie der Handelsschifffahrt konnten weitere 1 532 Personen gerettet werden. Außerhalb dieser regulären Einsatzgebiete (in relativer Nähe zu den libyschen Küstengewässern) wurden durch die Handelsschifffahrt 6 504 Personen gerettet. Mit Unterstützung von Schiffen der Operation „Triton“ wurden durch die Han- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5024 delsschifffahrt in diesem Gebiet weitere 1 710 Personen und bei gemeinsamen Rettungseinsätzen von behördlichen Schiffen sowie der Handelsschifffahrt bei 78 Einsätzen weitere 10 749 Migranten gerettet. Inwieweit diese Angaben vollständig, belastbar oder abschließend sind, kann von der Bundesregierung nicht beurteilt werden. 2. Wie viele von zivilen Handelsschiffen gerettete Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf Jahren jeweils in Zypern, Griechenland, Kroatien, Italien, Malta, Frankreich und Spanien an Land gegangen ? Es liegen der Bundesregierung keine statistischen Auswertungen über die Anzahl der von zivilen Handelsschiffen geretteten Personen, die in den aufgeführten Ländern an Land gegangen sind, im genannten Zeitraum vor. 3. Wie viele Rettungsmaßnahmen sind von zivilen Handelsschiffen in den letzten fünf Jahren unternommen worden a) im Mittelmeer b) in anderen Meeren (bitte analog zu Frage 1 aufgliedern), und wie viele Handelsschiffe waren daran jeweils beteiligt? Es liegen der Bundesregierung keine statistischen Auswertungen über die Anzahl der von zivilen Handelsschiffen unternommenen Rettungsmaßnahmen im genannten Zeitraum vor. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. 4. Welche weiteren Kenntnisse und welche Einschätzung hat die Bundesregierung zur, ggf. zunehmenden, Bedeutung ziviler Handelsschiffe bei der Rettung aus Seenot? Die Handelsschifffahrt und das für Rettungssituationen in der Handelsschifffahrt international vorgesehene auf dem Internationalen Übereinkommen aus dem Jahr 1979 über den Such- und Rettungsdienst auf See beruhende Such- und Rettungssystem ist für die Lösung der jetzt insbesondere im Mittelmeer zutage tretenden Flüchtlingsproblematik nicht ausgelegt. 5. Wann, in welcher Weise, mit welchem Inhalt und welchem Ergebnis wurde die Thematik der Seenotrettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer durch zivile Handelsschiffe in den Gremien der EU besprochen, und welche Position hat die Bundesregierung dabei jeweils eingenommen (bitte auflisten und ausführen)? In der Mitteilung der Europäischen Kommission über die Arbeit der Task Force Mittelmeer vom 4. Dezember 2013 (COM(2013) 869 final, S. 18) werden die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, die Kapitäne von Handelsschiffen an die Einhaltung ihrer Verpflichtungen nach internationalem Seenotrettungsrecht zu erinnern . Der Rat für Justiz und Inneres nahm auf seiner 3279. Tagung am 5. und 6. Dezember 2013 die Mitteilung der Kommission zur Kenntnis. Drucksache 18/5024 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zur beschriebenen Problematik , es falle schwer, ein Land zu finden, das zur Aufnahme der geretteten Flüchtlinge bereit ist? Sofern hiermit die Ausschiffung von aus Seenot geretteten Flüchtlingen gemeint ist, ergibt sich die Verpflichtung hierzu aus den einschlägigen Regeln des internationalen Seenotrettungsrechts. Nach Aussage des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) gäbe es nach Berichten von VDR-Mitgliedsunternehmen grundsätzlich keine Probleme, die im Mittelmeer aufgenommenen Flüchtlinge an die Küstenwache oder Häfen in Italien und Malta zu übergeben. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung zur beschriebenen Problematik keine Erkenntnisse vor. 7. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß der zeitlichen Verzögerungen, die Handelsschiffe in den letzten fünf Jahren jeweils infolge von Seenotrettungsmaßnahmen in Kauf genommen haben? 8. Welche allgemeinen und konkreten Kenntnisse hat die Bundesregierung über die finanziellen Folgen solcher Verzögerungen? Die Fragen 7 und 8 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet . Die sich aus dem allgemeinen Seevölkerrecht, namentlich Artikel 98 des UNSeerechtsübereinkommens (SRÜ) ergebende Verpflichtung, Personen Hilfe zu leisten, die sich auf See in Lebensgefahr befinden, gilt für alle Schiffe unbedingt und insbesondere ohne Berücksichtigung kommerzieller Interessen. Verzögerungen im ursprünglich geplanten Reiseverlauf sind hinzunehmen. Die Bundesregierung führt daher keine Statistik über zeitliche Verzögerungen, die Handelsschiffe infolge Seenotrettungsmaßnahmen in Kauf nehmen mussten, oder etwaige finanzielle Folgen solcher zeitlicher Verzögerungen. 9. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, in welchem Umfang Reeder in den letzten fünf Jahren ihre Vertragspflichten nicht einhalten konnten, weil es aufgrund von Rettungsmaßnahmen zu Verzögerungen kam? b) Welche allgemeinen und konkreten Kenntnisse hat sie über die finanziellen Kosten solcher Verzögerungen? Zu den Fragen 9 und 9b wird auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen. a) Inwiefern greifen nach Kenntnis der Bundesregierung in solchen Fällen die in der Seefahrt üblichen Versicherungen, um ggf. entstandene finanzielle Schäden auszugleichen? Der Versicherungsschutz hängt naturgemäß vom jeweiligen Versicherungsvertrag ab. Die Schiffsversicherer (P&I Clubs) decken die operativen Kosten der Rettungseinsätze nahezu vollständig ab. Dazu gehören der zusätzliche Brennstoff , die Gehälter der Seeleute, die Verpflegung und medizinische Ausrüstung an Bord sowie etwaige Hafengebühren. Wirtschaftliche Folgeschäden sind jedoch vom Versicherungsschutz üblicherweise ausgeschlossen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/5024 c) Welche Kenntnisse hat sie darüber, inwiefern Reeder Aufträge verloren haben, weil sie aufgrund von Rettungsmaßnahmen Verträge nicht pünktlich einhalten konnten? Die Bundesregierung führt keine Statistik über Aufträge, die Reedereien verloren haben, weil sie aufgrund von Rettungsmaßnahmen Verträge nicht pünktlich einhalten konnten. d) Welche Kenntnisse hat sie darüber, inwiefern Reeder (nach eigenen Angaben) wegen der finanziellen Folgen von Rettungsmaßnahmen Insolvenz beantragen oder Konkurs anmelden mussten? Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass deutsche Reeder wegen der Durchführung von Rettungsmaßnahmen Insolvenz beantragen oder Konkurs anmelden mussten. 10. Sind der Bundesregierung Berichte bekannt, dass Handelsschiffe sich in den letzten fünf Jahren der Verpflichtung zu Rettungsaktionen entzogen haben (bitte ggf. ausführen), und welche Maßnahmen sind gegen die Verantwortlichen ergriffen worden? Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 11. Inwiefern haben sich einzelne Reeder, Reederverbände, Schifffahrtsunternehmen oder Seefahrer- und Transportarbeitergewerkschaften hinsichtlich der unterschiedlichen beschriebenen Problemlagen (vermehrte Aufnahme von Flüchtlingen durch Handelsschiffe, Probleme, sie an Land zu bringen sowie finanzielle und strafrechtliche Implikationen) an die Bundesregierung bzw. Bundesbehörden gewandt, was war im Wesentlichen Gegenstand der Mitteilungen, und was war Inhalt der Reaktionen der Bundesregierung bzw. Bundesbehörden? Bei der Bundesregierung sind ein gemeinsames Schreiben der European Community Shipowners’ Association, der International Chamber of Shipping, der European Transport Worker’s Federation und der International Transport Workers Federation sowie ein Schreiben des Verbandes Deutscher Reeder und einzelner Reeder eingegangen, in denen die Flüchtlingsproblematik im Mittelmeer aufgegriffen wird. Eine Antwort wird derzeit innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. 12. Inwiefern werden die beschriebenen Problematiken in (welchen) internationalen Gremien erörtert, und welche Schlussfolgerungen, Empfehlungen oder sonstige Hinweise haben diese erarbeitet? Das Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) hat im März 2015 Empfehlungen an die EU zum Umgang mit Rettung von Schiffbrüchigen im Mittelmeerraum veröffentlicht („Central Mediterranean Sea Initiative – Action Plan“), in dem u. a. eine Kostenerstattung an Handelsschiff-Reedereien erwähnt wird, für den Fall, dass deren Schiffe durch die rechtlich bindende Nothilfe bei der Aufnahme von Schiffbrüchigen finanzielle Einbußen erleiden (dort Punkt 2). Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) hat am 4. und 5. März 2015 ein hochrangiges Treffen mit dem Titel „Mixed Migration by Sea“ durchgeführt . Teilnehmende Organisationen waren neben der IMO u. a. die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), das UNHCR, das Büro der Vereinten Natio- nen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), das Büro des Hohen Drucksache 18/5024 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Kommissars für Menschenrechte (OHCHR), das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), die Vereinten Nationen (Abteilung Meeresangelegenheiten und Seerecht – DOALOS), die Internationale Organisation für Migration (IOM), die Europäische Kommission sowie INTERPOL. Die Veranstaltung hatte die Zielsetzung, den Dialog zwischen den betroffenen UN-Organisationen, internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, den IMO-Mitgliedstaaten und der maritimen Wirtschaft zu fördern sowie zu einer verbesserten Kooperation und Abstimmung beizutragen. Das Thema Migration auf dem Seeweg soll verstärkt in den kommenden Sitzungen der relevanten IMO-Gremien behandelt werden (siehe auch Antwort zu Frage 26). 13. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den beschriebenen Problemlagen? Das Thema wird von der Bundesregierung sehr ernst genommen und mit hoher Priorität behandelt. Deutschland ist in den zuständigen europäischen und internationalen Gremien vertreten. 14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche strafrechtliche Folgen von Seenotrettungsmaßnahmen durch zivile Handelsschiffe und Anlandungen Geretteter in den Mitgliedstaaten der EU in den jeweiligen Mitgliedsländern (etwa Ermittlungen wegen Schleusungsaktivitäten), und wie beurteilt die Bundesregierung dieses Problem? a) Wie häufig wurden in den letzten fünf Jahren gegen Kapitäne ziviler Handelsschiffe wegen des Verdachts auf Schleusung, Beihilfe zu illegaler Einreise oder ähnlicher Delikte ermittelt (bitte auflisten)? b) Welche Strafen wurden dabei verhängt? Der Bundesregierung liegen hierzu keine belastbaren Erkenntnisse vor. 15. Inwiefern gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung im Mittelmeer ein Piraterie-Problem? Nach Kenntnissen der Bundesregierung gibt es im Mittelmeer kein PiraterieProblem . a) Welche Kenntnisse hat sie über versuchte oder erfolgte Kaperungen ziviler Handelsschiffe durch Piraten in den letzten fünf Jahren im Mittelmeer (bitte angeben, wo sich die Vorfälle ereignet haben)? Der Bundesregierung ist seit Jahresbeginn 2010 bis heute lediglich ein Fall von Piraterie im Mittelmeer bekannt. Am 14. März 2011 wurde der libysche Öltanker „ANWAAR AFRICA“ ca. 370 km nordwestlich Darnah/Libyen entführt. Der Öltanker war mit 25 000 Tonnen Treibstoff auf dem Weg von Griechenland nach Tripoli, als unbekannte Tätern das Schiff kaperten, alle Besatzungsmitglieder als Geisel nahmen und in den libyschen Hafen Tobruk einliefen. b) Gibt es eine allgemeine Warnung vor Piraterie im Mittelmeer, und wenn ja, wer hat diese ausgesprochen, und auf welchen Erkenntnissen beruht diese? Der Bundesregierung ist keine allgemeine Warnung vor Piraterie im Mittelmeer bekannt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/5024 16. Inwiefern gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bei der Seenotrettung im Mittelmeer ein Gesundheitsproblem aufgrund von Seuchenerkrankungen in Afrika? a) Hat nach Kenntnissen der Bundesregierung in den letzten Jahren die Zahl jener Personen zugenommen, die an hamörrhagischem Fieber (etwa Ebola, Lassa usw.) leiden oder von dessen Erregern befallen sind und die Überfahrt über das Mittelmeer angetreten haben, und welche konkreten Zahlen hat sie ggf. hierzu? b) Inwiefern sind ihr Meldungen bekannt, dass die Besatzungen von zivilen Handelsschiffen sich bei Seenotrettungsmaßnahmen mit schweren Krankheiten infiziert haben? Die Fragen16, 16a und 16b werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Der Bundesregierung ist in den letzten Jahren keine Zunahme von Fällen bekannt geworden, in denen Personen mit viral hämorrhagischen Fiebern die Überfahrt über das Mittelmeer angetreten haben. Nach Deutschland sind seit dem Jahr 2006 keine Fälle von den viral hämorrhagischen Fiebern Lassa, Marburg oder Ebola importiert worden. Im Jahr 2006 war ein Lassa-Infizierter mit dem Flugzeug aus Sierra Leone eingereist. Fälle von Einschleppungen von hämorrhagischen Fiebern im Rahmen von Seenotrettungen oder Fälle, in denen sich Besatzungsmitglieder von Schiffen bei Seenotrettungen an schweren Infektionskrankheiten angesteckt haben, sind der Bundesregierung auch außerhalb Deutschlands nicht bekannt. c) Inwiefern wurden nach Kenntnis der Bundesregierung entsprechende Schutzmaßnahmen oder Schulungen unter den Besatzungen ziviler Handelsschiffe vorgenommen? Es existiert ein Leitfaden des Internationalen Reederverbandes (International Chamber of Shipping – ICS) für Schiffsbesatzungen und Reedereien, um sich auf die Rettung von großen Zahlen von Flüchtlingen vorzubereiten. Dieser Leitfaden gibt Hinweise zum Umgang mit potenziell erkrankten Flüchtlingen. Der VDR hat zudem mitgeteilt, dass er derzeit mit dem Hafenärztlichen Dienst an einer ergänzenden Handreichung für Schiffsbesatzungen arbeite. 17. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, inwiefern Flüchtlinge bei Rettungsaktionen von Handelsschiffen aufgrund der für solche Maßnahmen und hohen Passagierzahlen nicht ausreichenden medizinischen und sonstigen Versorgungsmöglichkeiten an Bord zu Schaden kommen? Nach Mitteilung des VDR wären Handelsschiffe trotz aller Vorbereitungen nicht für die Rettung und medizinische Versorgung von teilweise mehreren Hundert Flüchtlingen ausgerüstet. Nach Aussage des VDR sei es auch zu Todesfällen (Unterkühlung) an Bord gekommen. Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 18. Welche Nachteile sind mit der Rettung von Menschen in Seenot durch zivile Handelsschiffe gegenüber der Rettung durch spezialisierte und entsprechend geübte und geschulte Seenotrettungs-, Marine- oder Grenzschutzeinheiten verbunden (etwa in Bezug auf die Wendigkeit der Schiffe und verfügbarer Rettungsboote und anderer Hilfsmittel, die Ausbildung und Erfahrung der Besatzung usw.), und inwieweit ist dies aus Sicht der Bundesregierung ein Argument dafür, die Seenotrettung insbesondere im Drucksache 18/5024 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode Mittelmeer wieder verstärkt in nationalstaatlicher oder europäischer Verantwortung zu organisieren? Es ist oberste Priorität der EU, in Seenot geratene Flüchtlinge zu retten. Daher beteiligt sich Deutschland bereits mit zwei Schiffen an der erweiterten Seenotrettungsoperation . Bei einem konkreten Seenotrettungseinsatz sind die Vorteile, die spezialisierte Einsatzkräfte mit maßgeschneiderten Einsatzmitteln gegenüber zivilen Handelsschiffen haben, offenkundig. Handelsschiffe decken aber einen wesentlich größeren Teil der Weltmeere ab und können damit oftmals schneller vor Ort sein als spezialisierte SAR-Schiffe (SAR – Search and Rescue, Such- und Rettungsdienst bei Seenotfällen). Im Mittelmeer hat sich jedoch gezeigt , dass das bewährte System der internationalen Seenotrettung in der derzeitigen Situation nicht allein ausreichend ist, um eine Rettung in Seenot geratener Flüchtlinge in vollem Maße sicherzustellen. 19. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über weitere, zunehmende Schwierigkeiten bzw. Herausforderungen, denen sich Reeder oder Kapitäne (objektiv oder subjektiv) hinsichtlich der Seenotrettungsmaßnahmen oder des Umgangs mit Flüchtlingen ausgesetzt sehen? Die Bundesregierung hat Kenntnisse, die sich aus Gesprächen mit den maritimen Verbänden sowie den in der Antwort zu Frage 11 genannten Schreiben ergeben . 20. Inwiefern arbeiten zivile Handelsschiffe nach Kenntnis der Bundesregierung mit den a) Grenzbehörden nordafrikanischer Länder, b) Grenzbehörden von EU-Mittelmeeranrainern, c) den Grenzbehörden weiterer Mittelmeeranrainer, und d) mit FRONTEX (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union) hinsichtlich von Seenotrettungsmaßnahmen zusammen? Nach internationalem Seerecht (insbesondere Internationales Übereinkommen von 1974 zum Schutz menschlichen Lebens auf See – SOLAS – Kapitel V Regel 33) untersteht in Seenotsituationen ein zur Hilfeleistung fähiges Schiff der Einsatzkoordination des nach Maßgabe der Regelungen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) und der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) festgelegten und international zuständigen Such- und Rettungsdienstes und hat dessen Anforderung nachzukommen und mit ihm zusammen zu arbeiten. Inwieweit daneben eine Zusammenarbeit mit den in Frage 20a bis 20d genannten Behörden erfolgt, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles und der Entscheidung des Kapitäns. 21. Inwiefern erfolgen Meldungen der Handelsschiffe an die jeweiligen Grenzbehörden oder an FRONTEX bezüglich der Aufnahme von aus Seenot Geretteten, insbesondere von Flüchtlingen? Grundsätzlich ergibt sich die Verpflichtung zur Seenotrettung für Schiffsführer aus Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ). Gemäß den SOLASRichtlinien 1 (Internationales Übereinkommen aus dem Jahr 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See) besteht die Verpflichtung, das nächstgelegene Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/5024 MRCC (Maritime Rescue Coordination Center) über die Rettung von Personen aus Seenot zu informieren. Die Festlegung der nationalen Meldewege und Verfahrensabläufe obliegt grundsätzlich den jeweiligen Küstenstaaten. 22. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung von nationalen Grenzbehörden , anderen Behörden oder von FRONTEX Empfehlungen, Hinweise oder vergleichbare Handreichungen für Handelsschiffe hinsichtlich des Umgangs mit aus Seenot geretteten Flüchtlingen, die auf dem Weg in die EU sind (bitte ggf. im Einzelnen benennen und den Inhalt angeben)? Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. 23. Welche Praxis verfolgen zivile Handelsschiffe nach Kenntnis der Bundesregierung mit aus Seenot geretteten Personen? a) Werden diese überwiegend zum nächstgelegenen Hafen gebracht, oder erst am nächsten regulären Hafen von Bord gebracht? b) Wie gehen Handelsschiffe damit um, wenn Gerettete zu erkennen geben , dass sie um Asyl nachsuchen wollen? c) Inwiefern wird nach Kenntnis der Bundesregierung von zivilen Handelsschiffen das Nonrefoulement-Gebot beachtet bzw. ist es überhaupt bekannt? Der Internationale Reederverband (International Chamber of Shipping – ICS) hat zur Hilfestellung für die zivile Handelsschifffahrt, die sich mit dem Problem der massenweisen Rettung von Flüchtlingen oder Migranten aus Seenot konfrontiert sieht, eine Reihe von umfangreichen Empfehlungen herausgegeben, namentlich – „Large Scale Rescue Operations at Sea“ (2014), – „Rescue at Sea, a guide to principles and practices as applied to refuges and migrants“ (2014, Herausgabe zusammen mit Internationaler SeeschifffahrtsOrganisation – IMO und UNHCR) sowie – „Recovery of Persons from the Water“ (2014). Danach wird empfohlen, die geretteten Personen in Ansehung der Umstände des Einzelfalls an den nächstgelegenen sicheren Platz an Land zu verbringen, wobei darauf hingewiesen wird, dass die primäre Verantwortung für das Anlandbringen der Geretteten bei den Behörden des Staates liegt, der für die entsprechende internationale SAR-Region zuständig ist. Außerdem wird in einer „Important note“ darauf hingewiesen, dass der Kapitän eines zivilen Handelsschiffes, selbst wenn er von küstenstaatlicher Seite dazu aufgefordert werden sollte, gegenüber geretteten Personen keine Zuständigkeit, Verpflichtung oder Verantwortlichkeit habe in Bezug auf ihren rechtlichen Status oder etwaige Anträge auf Asyl. Die ausschließliche Verantwortlichkeit das Kapitäns und der Besatzung liege darin, die Sicherheit der Geretteten aufrecht zu erhalten und, soweit möglich, für Gesundheit und Wohlergehen zu sorgen und an ihrer sicheren Ausschiffung mitzuwirken . 24. Inwiefern sieht die Bundesregierung derzeit Defizite beim Umgang ziviler Handelsschiffe mit Seenotrettungsmaßnahmen, insbesondere mit Flüchtlingen ? Die Bundesregierung sieht keine Defizite, die der Handelsschifffahrt anzulasten wären. Drucksache 18/5024 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode 25. Inwiefern teilt sie die Befürchtung der Fragesteller, das zitierte Schreiben von Hapag-Lloyd könne ein Indiz dafür sein, dass Handelsschiffe künftig zögerlicher bei Seenotrettungsmaßnahmen sind, und was unternimmt sie ggf., um die Reeder von einer solchen Zögerlichkeit abzuhalten? Sowohl der Internationale Reederverband ICS als auch der VDR haben sich in öffentlichen Verlautbarungen und Publikationen uneingeschränkt zu der humanitären Verpflichtung der Schifffahrt bekannt, Menschen in Seenot schnellstmöglich zu Hilfe zu eilen, ohne Ansehen der Nationalität, des rechtlichen Status oder der Umstände, in der sie aufgefunden werden. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, dass von deutschen Schiffen ausgehend gegen diese Verpflichtung verstoßen wird oder gar Straftaten nach § 323c des Strafgesetzbuchs begangen werden. Daher teilt die Bundesregierung die Befürchtung der Fragesteller nicht. 26. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Seenot, wie sie etwa Pro Asyl in einem Informationsblatt „Refugees in distress at sea: acting and assisting“ vertritt, dass von Seenot nicht erst dann auszugehen sei, wenn Insassen über Bord gegangen sind, sondern auch bei Manövrierunfähigkeit oder -problemen, bei Schäden am Boot, Überlastung durch zu viele Insassen oder bei mangelhafter Versorgung mit Nahrung, Trinkwasser und notwendigen Medikamenten (bitte ggf. darlegen, inwiefern die Bundesregierung abweichende Auffassungen vertritt)? Auf der 102. Sitzung des IMO-Rechtsausschusses (LEG 102, 14. bis 16. April 2015) wurde eine Diskussion angestoßen, ob der in internationalen Übereinkommen wie z. B. Artikel 98 SRÜ enthaltene Begriff „persons in distress [engl. Original]“ – „Personen in Seenot“ [amtliche deutsche Übersetzung] insbesondere im Hinblick auf die Problematik der Bootsflüchtlinge geeignet ist oder präzisiert werden muss. Zur Untersuchung der internationalen Regelungen und möglicher Lücken oder Schwachstellen wurde eine außerplanmäßige Korrespondenzgruppe unter der Koordination von Malta eingesetzt. Eine Lösung der Frage kann nach Auffassung der Bundesregierung nur im internationalen Rahmen erfolgen. Der Fortgang der internationalen Diskussion wird daher aufmerksam begleitet. 27. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem offenen Brief der Reeder und Seefahrer? Die im Offenen Brief der Reeder und Seefahrer genannte Problematik wird von der Bundesregierung sehr ernst genommen und ist Gegenstand nationaler, europäischer und internationaler Beratungen. Insofern wird unter anderem auf die Antwort zu den Fragen 13 und 18 verwiesen. Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333